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Archiv bis 12. November 2011

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Europawahl in Deutschland / Europawahlen in den EU-Mitgliedstaaten » Einspruch gegen die Europawahl » Archiv bis 12. November 2011 « Zurück Weiter »

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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 03:31 Uhr:   

@Marc K.:

Wo hält die Senatsmehrheit ein Mehrheitswahlrecht für verfassungsgemäß? Das Bemerkenswerte ist ja gerade, dass sie das hier nicht mehr explizit tut (früher war das standardmäßig drin, auch wenn es für die jeweilige Entscheidung ziemlich irrelevant war), und andererseits auch das Sondervotum die Sonderstellung des Mehrheitswahlrechts aufgibt. Wobei man auch dazusagen muss, dass diese Frage hier noch irrelevanter als sonst ist, nachdem das im konkreten Fall schon europarechtlich ausscheidet.

Die Aussage, die wohl den Piraten gelten soll, ist auch gerade nicht von der Senatsmehrheit, sondern aus dem Sondervotum. Dazu wär auch noch zu sagen, dass das Parteiprogramm der CDU oder der SPD wohl nicht viel mehr gelesen haben als das der Piraten und das Kernanliegen der Piraten zumindest mir sehr viel klarer ist als das von Union oder SPD, wo zwar mehr Themen besetzt sind, aber dafür selten eins davon scharf.

Rechtsextreme Parteien gibts im Europaparlament sowieso und hat es trotz Sperrklausel auch schon aus Deutschland gegeben. Bei geeigneter Lage hat auch die NPD das Potenzial, bei Europawahlen mehr als 5% zu erzielen. Abschreckende Wirkung hat sie für deren Wählerpotenzial jedenfalls so gut wie keine. Das wirkt gerade bei den Anhängern der Parteien, die kooperationsfähig sind (z.B. der FDP).

Dass das Urteil nicht automatisch andere Staaten dazu bewegen wird, ihre Sperrklauseln aufzugeben, bezieht sich darauf, dass der Bundestag einen solchen Dominoeffekt als Argument für die deutsche Sperrklausel vorgebracht hat. Wobei eben in einem Großteil der Staaten die Sperrwirkung schon allein durch das beschränkte Sitzkontingent erzwungen wird. Die wirklichen Splitterparteien sind ja nicht die, die in Deutschland knapp unter 5% liegen (was typischerweise noch 4 Sitze macht), sondern die, die in den kleinen Staaten um die 10% bekommen und einen einzelnen Abgeordneten entsenden (von den absoluten Stimmenzahlen ganz zu schweigen).

Zum Urteil von 1979 muss man auch noch bemerken, dass das nationale Europawahlrecht damals als Übergangslösung für eine kurze Zeit betrachtet worden ist, während heute überhaupt keine vernünftige Wahl mehr absehbar ist. Nichtmal die 25 Sitze für EU-weite Listen sind bisher sicher. Im aktuellen Vorschlag gäb es übrigens keine Sperrklausel; die Verteilung nach D'Hondt würd eine maximale Sperrwirkung von 3,8% bedeuten; je nach Zahl der Listen kann es aber auch schon für 2 oder 3 Prozent einen Sitz geben. Die Fußnote, nach der Sainte-Laguë besser wär, ist gestrichen worden. Außerdem wird gar nichts mehr dazu gesagt, ob die Listen offen oder geschlossen sein sollen (das war umstritten).
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uwe s.
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 04:45 Uhr:   

Wie hätte die Sitzverteilung für Deutschland 2009 ausgesehen, wenn analog zum neuen Bundestagswahlrecht die Oberverteilung zunächst nach den Wählern in den Bundesländern erfolgt wäre (was dann natürlich Landeslisten bei allen Parteien - und nicht nur bei der CDU - für eine Unterverteilung bedingt hätte)?
Nach überschlägiger Schätzung würden auf Nordrhein-Westfalen ca. 20 Sitze entfallen, was eine natürliche Sperrklausel hervorbringen würde. In Bremen würde de facto ein Mehrheitswahlrecht eingeführt ...
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 06:49 Uhr:   

Bei 96 Sitzen hätt NRW den 20. schon knapp verfehlt. In Hamburg steht der 2. Sitz auch schon ziemlich auf der Kippe (wegen der geringen Wahlbeteiligung noch vor dem Saarland; nach Hare/Niemeyer wär er schon weg). In Bremen ist nichtmal 1 Sitz wirklich sicher (bei momentaner Wahlbeteiligung aber wahrscheinlich). Im Detail hab ich das jetzt nicht durchgerechnet, aber die Freien Wähler hätten noch locker einen Sitz in Bayern bekommen.

Direkt so wird das nicht kommen, aber dass Länderverbände als getrennte Wahlgebiete gebildet werden, ist schon ein gewisses reales Risiko. Bayern kann man dabei für die CSU noch separat halten, ohne dass die Sperrwirkung mit allzu hoher Wahrscheinlichkeit über 5% liegt. Wenn man da das Risiko klein halten will, muss man aber nach Bevölkerung verteilen. Nach Bevölkerung ist aber wohl Baden-Württemberg definitiv zu klein (nach Wählern eher größer als Bayern). Würd dann SH+HH+NI+HB 16, MV+BB+ST+BE+SN+TH 20, NW 20, HE+RP+BW+SL 25, BY 15 machen (Hessen beim Norden wär mit 23:18 etwas gleichmäßiger). Nach Wählern wär die Verteilung 14:20:20:28:14 bzw. 20:20:20:22:14.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 12:23 Uhr:   

Werter Vogt, natürlich verändern sich Verfassungen auch. Aber das dafür vorgeshene Verfahren ist in Art. 79 GG geregelt. Darüber hinaus regelt eine Verfassung nur den Rahmen - und man kann nicht alle Details, etwa die Ausgestaltung eines Wahlsystems aus ihr ableiten. Das ist Aufgabe des demokratisch gewählten Gesetzgebers.
Das Bundesverfassungsgericht hatte früher die 5%-Hürde für verfassungsgemäß erklärt, womit der demokratische Gesetzgeber die freie Entscheidung über sie hatte. Bei der Kommunalwahl war sie auch schon in einige Bundesländern abgeschafft, ehe das Bundesverfassungsgericht dies plötzlich für verfassungsrechtlich geboten hielt.
Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts einem Zeitgeist zu folgen oder gar die politische Richtung vorzugeben, sondern die Verfassung zu wahren. Eine extensive Interpretation von Verfassungsvorschriften, die an sich nur Willkür verbieten wollen - wie Art. 3 I GG - verbietet sich daher.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 12:37 Uhr:   

@Ratinger Linker,

im vorliegenden Fall schied ja ein Mehrheitswahlsystem von vornherein aus. Die Aussagen des Mehrheitsvotums beziehen sich auch ausdrücklich nur auf den Fall des Verhältniswahlsystems, so dass impliziert wird, dass auch ein anderes Wahlsystem denkbar ist.
Die Senatsminderheit verweist ausdrücklich auf ein Grabenwahlsystem (RN 151), also eine Mischung aus Verhältniswahl und Mehrheitswahl, die der Senat noch 2008 als eine Möglichkeit zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Wahlrechts genannt hatte.
Die Aussagen zu den Piraten ist in der Tat zur Senatsminderheit. Sie führt zurecht aus, dass heute die 5%-Hürde offensichtlich kein so großes Hindernis ist (wohl aufgrund des höheren Anteils von parteiungebundenen Wählern und Protestwählern), so dass eine neue Gruppierung die nur ein Thema und kein Programm hat, auch über 5% kommen kann. Von daher ist heute faktisch die Hürde leichter zu überwinden als früher.

Zu Rechtsextremen: Natürlich kommt es auch mal vor, dass eine solche Partei eine 5%-Hürde überspringen kann. Nur ohne Hürde wäre ihre parlamentarische Präsenz ein Dauerzustand. Das gilt ebenso für Linksextreme oder andere Splitterparteien. Die Verhinderung der Zersplitterung des Parteiensystems ist ein legitimes Ziel. Und die Einführung einer 5%-Hürde ist ein geeignetes und erforderliches Mittel um dieses Ziel zu erreichen. Ob und inwiefern es angemessen ist, sollte der Gesetzgeber entscheiden. Das BVerfG hat sich in der Prüfung dieser Frage zu beschränken. Sonst werden - wie in diesem Fall - eigene Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers gesetzt. Zu Zweckmäßigkeitsentscheidungen ist aber der Gesetzgeber berufen, der Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgericht beschränkt sich auf die Rechtmäßigkeit....
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Robert Jasiek
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 15:58 Uhr:   

@ Marc K.:

Warum meinst du, die Verhinderung der Zersplitterung des Parteiensystems sei ein legitimes Ziel? Doch wohl nicht als Selbstzweck!
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 19:31 Uhr:   

@Marc K.:

Ob die Senatsmehrheit oder -minderheit auf ein Mehrheitswahlsystem verweist, ist ja wohl ein leichter Unterschied. Und es geht gerade um den Unterschied zu 2008. Außerdem hat sich nichtmal der dritte Abweichler den Argumenten der ausscheidenden Richter angeschlossen (wobei noch die Frage ist, ob der dritte Befürworter der Zulässigkeit einer Sperklausel überhaupt existiert; die Formulierung wird auch anderswo für uneindeutig gehalten).

Dass die Sperrklausel grundsätzlich überwindbar ist, wird wohl gerade verstärkt für 1-Themen-Parteien gelten, wo die Wahl auch ein Ersatz für ein Volksbegehren ist. Die Grünen waren ursprünglich auch eine 1-Themen-Partei. Für eine breit angelegte Partei, die auch nicht auf reine Protestwähler bauen kann, dürfte die 5%-Hürde auch heute noch prohibitiv sein. Wobei die Bereitschaft, eine unwirksame Stimme abzugeben, auch regional sehr unterschiedlich ist.

Die parlamentarische Präsenz der NPD in Sachsen (und wohl auch Mecklenburg-Vorpommern) kann man inzwischen schon mehr oder weniger als Dauerzustand betrachten. Das Potenzial dafür ist grundsätzlich auch auf Bundesebene vorhanden (und bei Europawahlen verstärkt). Was der Linken in Westdeutschland erst nicht und dann plötzlich doch gelungen ist, kann genauso auf der anderen Seite eintreten.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 19:54 Uhr:   

@Robert Jasiek,

Die Verhinderung der Zersplitterung soll die Regierungsbildung ermöglichen, die anderenfalls erschwert oder sogar unmöglich wird.

@Ratinger Linke,

mir ist nicht ersichtlich, dass die Senatsmehrheit von der Auffassung abweicht, das ein Mehrheitswahlsystem möglich ist. Sie äußert sich nur darüber, welche Maßstäbe an die Gleichheit der Wahl im Fall des Verhältniswahlsystems zu stellen sind. Sie sagt nicht, dass nur das Verhältniswahlsystems mit der Gleichheit der Wahl zu vereinbaren ist.

Zur Präsenz extremer Parteien in Landtagen: Diese wird durch die 5%-Hürde signifikant erschwert. Durchaus möglich, dass sie auch 2014 aus einem der Landtage in Ostdeutschland wieder verschwindet (sofern dann noch die 5%-Hürde gilt). So waren die Republikaner 1992-2001 im Landtag von Baden-Württemberg vertreten, ehe sie 2001 an der 5%-Hürde scheiterte.
Von einer festen Verankerung der NPD über 5% kann man in keinen Bundesland sprechen. Das gilt gleichermaßen für die Linkspartei in Westdeutschland. In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg oder auch Bayern ist sie unter 5%. Und auch in anderen Flächenstaaten wie Hessen, Niedersachsen und NRW steht sie unter 5% bzw. bei 5%.
Die Linkspartei ist in Westdeutschland längst auf dem absteigenden Ast.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Linke sich nun so massiv für die Abschaffung der 5%-Hürde ausspricht. Ihre Präsenz in den Landtagen in Westdeutschland dürfte künftig in vielen Fällen davon abhängen, dass die 5%-Hürde abgeschafft wird.
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 20:22 Uhr:   

@Marc K.

Das Gericht hat in RN 99 für seinen Prüfungsmaßstab angenommen, daß die anderen Staaten seiner Linie folgen würden. Ganz grob würde sich der Effekt dann vervierfachen und in den meisten Staaten mangels Größe keine Auswirkung haben können.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 20:31 Uhr:   

Dass eine Zersplitterung eine Regierungsbildung unmöglich macht oder auch nur erschwert, ist jedenfalls solang nicht richtig, wie sich die Parteienlandschaft nicht ganz grundsätzlich ändert. Richtig ist bloß, dass die Wahrscheinlichkeit für Regierungswechsel sinkt, die im momentan konkurrenzorientierten System (das aber nicht zwingend aus dem Grundgesetz folgt) eine wichtige Rolle spielen. Eine große Koalition (eventuell erweitert um weitere Parteien) lässt sich sehr einfach bilden, wenn die Einigungsperspektiven mit den Rändern schwach sind.

Damit so ein Fall eintritt, ist aber keine Zersplitterung nötig, wie man insbesondere in Österreich und tendenziell auch in Ostdeutschland sieht. Eher bietet die Zersplitterung noch Chancen auf andere Koalitionsoptionen. Wirklich problematisch wird die Zersplitterung erst dann, wenn es die großen mittigen Parteien zum größeren Teil in ganz kleine Brösel zerlegt, was aber überhaupt nicht absehbar ist. Gegen eine normale Spaltung oder Schrumpfung der großen Parteien hilft eine Sperrklausel gar nicht.

Dass die Senatsmehrheit nicht explizit von ihrer bisherigen Auffassung abweicht, ist schon richtig, aber sie hält sie auch nicht mehr explizit aufrecht.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 21:03 Uhr:   

@Martin Fehndrich,

das sehe ich nicht. Das Bundeserfassungsgericht hat die Ansicht geäußert, dass diese Möglichkeit nur abstrakt bestünde.
Das Bundesverfassungsgericht nimmt aber - neuerdings - nicht die abstrakten Folgen, sondern die konkret-tagesaktuellen Folgen als Maßstab. Von dahe ist davon auszugehen, dass es nicht von einer Abschaffung sämtlicher Hürden in allen Ländern ausgeht.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 21:08 Uhr:   

@Ratinger Linke,

die Folgen einer Zersplitterung ist etweder die Regierungsunfähigkeit oder instabile Vielparteienregierungen oder eine dauerhafte Große Koalition. Wobei im letzteren Fall die beiden großen Parteien immer weiter abnehmen dürften, bis auch diese Option nicht mehr besteht.
Insgesamt begünstigt eine Zersplitterung eine zunehmende politische Instabilität, wie man ja auch an der Endphase der Weimarer Republik gesehen hat.
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Ralf Lang
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 21:22 Uhr:   

Lieber Marc K,

ob die Sperrklausel und wenn ja in dieser Höhe a) begründbar und b) nötig ist, kann ich dir nicht sagen. Vom Gefühl her eher nein.

Warum die Richter meinen, sie sei es, kann ich dir nicht erklären.

Faktisch gibt es Unterschiede:
- Entscheidungen im EP fallen in der Regel nach entweder nationalen oder ideologisch-programmatischen Partei-Erwägungen. Manchmal wird auch jemand gekauft. Eine Koalitionsbildung auf Dauer, wie sie in unserem Nationalparlament üblich ist, findet im EP so nicht statt. Stattdessen werden Entscheidungen und Entscheidungspakete ausgehandelt.

Solche Aggregate aus ideologisch ähnlichen Parteien der verschiedenen Gebiete, die sich dann zu Fraktionen zusammenschließen, gibt es vielleicht im Kreistag (Wählergemeinschaften), aber nicht im Bundestag.

Von so Schrullen wie CDU/CSU abgesehen stünden die Parteien im Bundestag tatsächlich in direkter Konkurrenz und Abgrenzungsnot. Aber das kann nicht das Problem des Gesetzgebers sein. Die vier praktisch nicht unterscheidbaren Parteien CSU/Grüne/CDU/SPD erringen auch so hinreichende Wählerschaft. Durch die Komponente der Wahlkreise wird zudem sichergestellt, dass die 2-3 größten Parteien immer ca die Hälfte der Mandate stellen, solange es keinen ausgeprägten Regionalismus gibt. Koalitionen mit mehr als drei Parteien erscheinen vor dem Hintergrund vernachlässigbar.

Der Bundestag unterscheidet sich von der Problematik her also schon vom EP, andererseits ist für mich offen, ob das in dem einen Fall die Hürde mit ihrem Fallbeileffekt rechtfertigt und im anderen nicht.
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Ralf Lang
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 21:27 Uhr:   

Nachtrag: Die Weimarer Republik muss ja für vieles herhalten, praktisch war das Problem dort aber ein anderes:

Nicht die Absenz von hinreichend großen Blöcken, dass 2-3 Parteien zusammen eine Mehrheit bilden konnten sondern vielmehr der Unwille der beteiligten Parteien zu Koalitionen untereinander (begünstigt durch einen Präsidenten, der dann einfach irgendwelche Regierungen durchgewunken hat).

Das lässt sich über ein Wahlrecht nicht kurieren.

Im Übrigen halte ich es für bloße Spekulation, dass große Koalitionen nicht auch gewinnen könnten
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Robert Jasiek
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2011 - 22:59 Uhr:   

@Marc K.:

Eine Vielparteienregierung kann genauso wie eine Einparteienregierung stabil oder instabil sein. Es hängt vom Willen der Politiker zum Kompromiss ab.

Eine Zersplitterung kann genauso wie eine schlanke Parteienlandschaft zu politischer Stabilität oder Instabilität führen, wenn auch tendenziell aus unterschiedlichen Gründen. Wie es bei einer schlanken Parteienlandschaft geht, sehen wir garade in manchen EU-Staaten: Dem Finanzwesen wird solange (oder wegen angeblicher systemischer Bedeutung noch länger) Macht und Geld zugeschoben, bis Staat und Wirtschaft instabil werden.

Die Weimarer Republik ist aus vielen Gründen gescheitert. ZB wegen aller großen Parteien (mit Ausnahme der SPD), wegen einer schlechten Geschäftsordnung und wegen schwacher Parlamentspräsidenten. Nur weil ein gewisser Herr H. die Mär von den 30 hinwegzufegenden Parteien geprägt hat, muss der Nachweis, Weimar wäre an den KLEINEN Parteien gescheitert, erst einmal erbracht werden.

Wo also sind die Belege, die Zersplitterung sei schuld?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2011 - 01:25 Uhr:   

@Marc K.:

In Österreich hat die Sperrklausel vielleicht eine Zersplitterung verhindert (selbst das ist nicht sicher), aber nicht die dauerhafte große Koalition bzw. alternativ die tendenzielle Regierungsunfähigkeit. Dass das eintritt, ist überhaupt nicht vom Grad der Zersplitterung abhängig. Ohne (innerparlamentarische) Zersplitterung hat man halt eine größere Chance, dass eine extremistische Außenseiterpartei irgendwann die absolute Mehrheit hat, was zwar die Regierungsfähigkeit fördert, aber auch nicht unbedingt das Ziel der Entwicklung ist.

In Deutschland ist die Ausgangsbasis auch so, dass trotz oder gerade wegen der Sperrklausel irgendwann eine große Koalition der Dauerzustand werden könnte. Mit der Linken existiert grundsätzlich eine Partei, die das Potenzial hat, resultierende Protestwähler in großem Umfang aufzusaugen, solang sie ein Monopol drauf hat.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2011 - 13:46 Uhr:   

@Ralf Lang,

das Entscheidungen so oder so fallen, ist aber nicht Folge des Wahlverfahrens, sondern der politischen Strukturen in Europa. Es ist durchaus vorstellbar, dass die europäischen Parteien sich stärker integrieren und daher doch stärker nach Fraktionen abgestimmt wird.
Im übrigen ist die Entwicklung der europäischen Institutionen im Fluss und geht auf eine Stärkung hinaus. Von daher ist es unverständlich, dass das Bundesverfassungsgericht 1979 die 5%-Hürde für verfassungsgemäß und 2011 für verfassungswidrig erklärt.


@Robert Jasiek,

die politische Instabilität in einer zersplitterten Parteienlandschaft hat man über Jahrzehnte in Italien gesehen (1945-1994). Erst durch die Einführung von Sperrklauseln hat die italienische Republik mehr Stabilität erlangt. Die Ära Berlusconi war eine Ära der Stabilität. Die Strukturprobleme Italiens sind schon älter. Ich halte es für ausgeschlossen, dass eine zersplitterte Parteienlandschaft eher zu den notwendigen Reformen (Rente mit 67, Sozialkürzungen) in der Lage wäre, als die gegenwärtige politische Landschaft, die durch eine Sperrklausel geordnet wird.



@Ratinger Linke,

die Linkspartei ist doch längst im Niedergang begriffen. Bundesweit liegt sie bei Umfragen bei 6%-8%, in Westdeutschland bei den meisten unter 5%.
Im übrigen sieht es derzeit gut für eine Rot-Grüne Mehrheit aus. Und sollte es dafür nicht reichen könnte es auch zu einer Schwarz-Grünen Koalition kommen.
Wenn man die Wahlergebnisse der letzten Bundestagswahlen nimmt, so ist zu konstatieren, dass es seit 1994 keine absolute Mehrheiten der Wählerstimmen für eine kleine Koalition gegeben hätte. Ohne 5%-Hürde hätte Schwarz-Gelb 1994 keine parlamentarische Mehrheit verteidigt, 1998 Rot-Grüne eine parlamentarische Mehrheit erlangt und 2002 verteidigt und 2009 Schwarz-Gelb keine Mehrheit erlangt.
Die Folge dieser Situation wären entweder instabile Dreierbündnisse oder eine dauerhafte Große Koalition gewesen oder eine Mischung aus beiden.
Die 5%-Hürde erleichtert also evidentermaßen die Regierungsbildung und damit stabilisiert sie das politische System.
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Ralf Lang
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2011 - 13:54 Uhr:   

Ein Wahlrecht muss zu den Strukturen passen, für die gewählt wird. Und zwar so, wie sie sind und nicht, wie sie irgendwann mal sein könnten.

Der Rest ist Spekulation. Weder auf einen "Niedergang" der Linken würde ich wetten noch darauf, wie die Wahlergebnisse gewesen wäre ohne Hürde oder dass Dreierbündnisse notwendig instabil sein müssen.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2011 - 14:13 Uhr:   

@Ralf Lang,

die politischen Strukturen verändern sich jedoch ständig. Sie sind nicht rechtlich vorgegeben. Die Politik ist im Fluss.
Das Recht hat jedoch feste Maßstäbe. Es ist gerade die Funktion und Aufgabe des Rechts Stabilität und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Ein heute so und morgen so und übermorgen wieder anders passt nicht dazu.
Die Inkohärenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zur 5%-Hürde ist evident. Hier wäre richterliche Zurückhaltung geboten gewesen.
Die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts ist Aufgabe des einfachen Gesetzgebers (vgl. Art. 38 III GG). Von daher kann es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, über den Grad der Gefahren einer Zersplitterung zu spekulieren (zumal diese Spekulationen auch inkosequent sind - so droht sehr wohl das Erreichen einer qualifizierten parlamentarischen Mehrheit erschwert zu werden, wenn mehr Splitterparteien ins Europaparlament einziehen. Die Senatsmehrheit erklärt einfach diese Entscheidungsunfähigkeit für unwichtig). Diese Abwägungsfrage ist die Entscheidung des demokratischen Gesetzgebers, der hierzu legitimiert ist.
Das Grundgesetz schreibt kein bestimmmtes Wahlsystem vor.
Die Wahlrechtsgrundsätze so wie sie im Grundgesetz niedergelegt sind, bestehen auch in Ländern mit Mehrheitswahlsystem.
Wenn der historische Verfassungsgesetzgeber ein Verhältniswahlsystem verfasungsrechtlich hätte verankern wollen, hätte er das auch so formuliert (wie das etwa Art. 10 II der Verfassung Schleswig-Holsteins oder Art. 14 der Verfassung des Freistaats Bayern).
Wenn aber sogar ein Mehrheitswahlrecht verfassungsgemäß wäre - bei dem mehr als die Hälfte der Stimmen wegfallen können - dann muss erst recht ein Verhältniswahlsystem mit Sperrklausel verfassungsgemäß sein.
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Robert Jasiek
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2011 - 17:01 Uhr:   

@Marc K.:

Italien hatte seit Jahrzehnten Politiker mit unterentwickeltem Verantwortungsbewusstsein und tlw. Mafia-Anbindung. Daher kann Italien nicht als Nachweis für "Zersplitterung führt zu Instabilität" herhalten. Das, was man unter Berlusconi (oder auch unter der aktuellen deutschen Regierung) so nett mit "Stabilität" (etwas Erstrebenswertem) umschreiben kann, ist in Wirklichkeit "Problemeignorieren bis zum letzten Moment" (etwas Nicht-Erstrebenswertem).

Die 5%-Hürde erleichtert die Regierungsbildung vielleicht auf der Oberfläche (weil es schlicht weniger Auswahl gibt), erschwert sie aber inhaltlich, weil die geringere Auswahl jeden Koalitionspartner mehr von sich einbringen lässt und daher zwischen nur 2 Parteien bei mehr Themen Sollbruchstellen erzeugt. Bei einer Mehrparteienkoalition hingegen kann man den jeweils kompetenteren Parteien zu einem Thema mehr Verantwortung zugestehen.

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