Themen Themen Profil Profil Hilfe/Anleitungen Hilfe Teilnehmerliste Teilnehmerliste [Wahlrecht.de Startseite]
Suche Letzte 1|3|7 Tage Suche Suche Verzeichnis Verzeichnis  

Archiv bis 13. Oktober 2011

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Bundestagswahlen » Reform des Bundeswahlgesetzes » Archiv bis 13. Oktober 2011 « Zurück Weiter »

Autor Beitrag
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Oktober 2011 - 19:23 Uhr:   

"Selbst bei vollständigem Mehrheitswahlrecht sind eindeutige Mehrheiten nicht garantiert, wenn ich an die Linkspartei-Wahlkreise oder entsprechende Erfahrungen in Großbritannien und Kanada denke."
Das ist zweifellos richtig, allerdings hatte seit 1953 immer entweder CDU/CSU oder SPD die absolute Mehrheit der Direktmandate, wobei es 1969 und 1980 zum Bias kam, fast auch 2002. Sehr wahrscheinlich käme eine absolute Mandatsmehrheit raus, zumindest auf kürzere Frist. Die langfristige Wirkung ist schwerer abzuschätzen, weil sich das Parteiensystem komplett umstellen kann. Einerseits erzeugt Mehrheitswahl, besonders relative, da taktische Zwänge, wo der Ausgang offen ist. Andererseits fällt jeder Zwang in (vorerst) sicheren Wahlkreisen weg, also z. B. in fast ganz Bayern. Das könnte speziell für die CSU durchaus zum Problem werden, weil die Wahl von Parteilosen dann viel wahrscheinlicher würde oder - noch schlimmer für sie - sich eine rechte Konkurrenzpartei leichter etablieren könnte.


"Union und SPD sind heute nicht mehr stark genug, um den alleinigen Durchmarsch wagen zu können."
Doch, zumindest die CDU wäre dazu stark genug (gerade wenn die FDP im Keller ist), die CSU sowieso. Die Union wäre doof, wenn sie der FDP Wahlkreise überließe. Die SPD könnte es bei nicht ganz so schlechtem Bundestend auch durchaus riskieren. Die Grünen kommt der SPD doch vor allem im Süden recht nahe, wo eh wahrscheinlich die Union gewinnt. Bei nur einer Stimme wäre der mehrheitsbildende Effekt sicher größer als mit zwei.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 00:28 Uhr:   

Ein Grabenwahlrecht mit nur 1 Stimme (und relativer Mehrheitswahl) wär natürlich eine besonders fiese Sache. Da hätt ich aber starke Zweifel, ob das Bundesverfassungsgericht sowas mitmachen würde. Bei 2 Stimmen müsste die SPD schon deutlich besser werden als momentan, um allein eine Mehrheit zu bekommen.

Bei reinem Mehrheitswahlrecht würden nach derzeitigem Stand etliche Wahlkreise an die Grünen fallen, wenn man sie nicht gezielt grünenfeindlich zuschneidet. Die Hochburgenstruktur der Grünen ist für ein Mehrheitswahlrecht äußerst günstig (trotzdem würden sie natürlich zu den Verlierern gehören). Für die FDP ist dagegen bei einem Mehrheitswahlrecht selbst in besseren Zeiten kaum was zu holen; schon ein Grabenwahlrecht wär momentan wohl der Tod für die FDP, wenn sich die Union nicht ganz blöd anstellt (was aber für das Lager insgesamt eher günstig wär).
 Link zu diesem Beitrag

Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 12:58 Uhr:   

Nach der Definition von wahlrecht.de (soweit man hier von einer eindeutigen Definition sprechen kann) gibt es tatsächlich kein negatives Stimmengewicht mehr. Nicht deshalb, weil es nicht mehr auftreten würde, sondern schlicht deshalb, weil es für dieses Wahlsystem nicht mehr definiert ist. Die Voraussetzung, dass es sich bei Erst- und Zweitstimme um zwei unabhängige Stimmen handelt, ist entfallen. Man kann keine Erststimme mehr abgeben, ohne zugleich eine Zweitstimme abzugeben.

Wenn man sich diese Definition zueigen macht, würde das nun beschlossene Wahlgesetz das Problem des negativen Stimmgewichts lösen. Dann wäre es jedenfalls nicht aus diesen Gründen verfassungswidrig.
Die Möglichkeit auf Listenverbindungen zu verzichten wurde im übrigen im Urteil des BVerfG als Option genannt.
Von daher hat die Bundestagsmehrheit ein Gesetz beschlossen, dass eine dieser Optionen aufgegriffen hat.
Wieso dieses Gesetz verfassungswidrig sein soll, wie vielfach behauptet, ist mir nicht klar.
 Link zu diesem Beitrag

Eric Möller
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 12:52 Uhr:   

Bei einem Grabenwahlrecht würde es sicherlich zwei Stimmen geben, weil man andernfalls nicht von einem "Graben" zwischen der Mehrheits- und Verhältniswahl sprechen könnte. Die Persönlichkeitskomponente wäre sonst geschwächt. Meines Wissens wird die Grabenwahl auch in Japan mit zwei Stimmen praktiziert.

Gehen kleine Parteien unter?
Kleine Parteien werden durch die Grabenwahl nicht vernichtet, sondern schlimmstenfalls halbiert. Selbst das ist nicht sicher, denn (kluge) Großparteien werden nicht auf Bündnisangebote bei der Wahlkreisaufstellung verzichten, da es hier auf jedes Prozent ankommt.

Nun wird es spannend:
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zum Kommunalwahlrecht in Thüringen und Schleswig-Holstein) sowie das saarländische Verfassungsgericht (zum Landtagswahlrecht) lassen eine wachsende höchstrichterliche Distanz zur Fünf-Prozent-Klausel erkennen. Da das Grabenwahlrecht durch seine Direktwahlkomponente bereits eine mehrheitsfördernde Wirkung enthält, wäre die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperre bei der Proportionalvergabe kaum noch plausibel. Zumindest wäre eine deutliche Senkung denkbar. Ironischerweise könnte das Grabenwahlrecht auf diese Weise das Überleben kleiner Parteien (ich denke da an die schwerkranke FDP) erleichtern.

Mir fällt auf, wie viel sich das BVerfG mit seiner Entscheidung über die Berechtigung der Prozenthürde bei Europawahlen lässt. Die Verhandlung war bereits Anfang Mai und die Verkündung wäre eigentlich im August zu erwarten gewesen. Möglicherweise will Karlsruhe mit einer endgültigen Entscheidung so lange warten, bis die (politisch und staatsrechtlich bedeutendere!) Normenkontrollklage zum neu beschlossenen Bundestagswahlrecht eingegangen ist.

Wenn man sich die Möglichkeit einer Wahlrechtsentscheidung via Einstweiliger Anordnung (Grabenwahlrecht?) offen halten will, gibt es durchaus eine thematische Überschneidung beider Verfahren. Wie bereits angeführt, wäre bei einer Grabenwahl automatisch die Berechtigung der Prozentklausel berührt. Vosskuhle hat in Interviews seine grundsätzliche Bereitschaft zur Errichtung eines Notwahlrechts erklärt. Der Öffentlichkeit ließe sich ein derart schwerer Eingriff durchaus erklären, weil die Gerichts-Entscheidung des Jahres 2008 weder fristgerecht noch inhaltlich umgesetzt wurde.


PS: Meiner Meinung wäre das gegenwärtige Bundestagswahlrecht im Kern nur durch Bundeslisten zu erhalten, die aber politisch nicht durchsetzbar sind. Alle anderen Modelle, die sich an der bisherigen Praxis anlehnen, weisen wegen des (vielleicht noch längst nicht abgeschlossenen) Stimmenrückganges der großen Parteien wachsende Probleme unterschiedlicher Art auf (Negativ-Wirkung, taktisches Wählen, Überhang, Aufblähung, regionaler Disproporz etc.) Irgendwie ist die Decke an mindestens einer Stelle immer zu kurz.^^
 Link zu diesem Beitrag

Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 13:47 Uhr:   

@Ratinger Linke oben:
Wir haben doch in diesem Forum schon einige mögliche Wahlsysteme ohne negatives Stimmgewicht diskutiert, die auch mit 299 Einzelwahlkreisen funktionieren würden:
-das Minimierungsverfahren
-das von mir in einem anderen Thread vorgeschlagene "Additional Member System"
-die u.a. von Thomas Frings vorgeschlagene "partielle Ländertrennung" nach österreichischem Modell.

Solange das BVerfG seine Meinung zu Überhangmandaten nicht ändert, wären die m.E. alle verfassungsgerecht. (Durch eine evtl. Erhöhung der Gesamtzsitzzahl des Bundestags könnte man die Zahl der Überhangmandate jeweils problemlos unter 5 % halten.)

Persönlich fände ich es auch am besten, Überhangmandate komplett nichtzuzuteilen (also auch nicht intern kompensieren), da dies den Parteien- und den Länderproporz erhält. Man könnte bei diesem Verfahren sogar den Bundesländern selbst überlassen, in wieviele Wahlkreise sie sich aufteilen, dann hätten sie es selbst in der Hand, Wahlkreise ohne Abgeordneten weitestgehend zu vermeiden.

Ich hielte aber auch eine interne Kompensation wie bei Grünen und Linken für zwar unschön, aber verfassungsgemäß - der Länderproporz hat keinen Verfassungsrang und auch z.B. beim 2009er CDU-Ergebnis hatte jeder CDU-Direktkandidat eine Chance, durch einen Wahlkreissieg in den Bundestag einzuziehen, egal in welchem Bundesland. Die Situation für CDU-Kandidaten wäre also nicht anders gewesen, als sie es für die CSU-Kandidaten schon war.
 Link zu diesem Beitrag

Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 14:17 Uhr:   

@Marc K.:
Nach dieser Definition gäbe es bei zwei voneinander abhängigen Stimmen nie negatives Stimmgewicht, egal wie das Wahlsystem ist. Das ist offensichtlich absurd. (Die Autoren des Wahlrecht.de-Artikels haben den Fall zweier abhängiger Stimmen vermutlich zur Vereinfachung, oder weil er damals nicht existierte, gar nicht betrachtet.)
Jedenfalls gibt es im beschlossenen Wahlgesetz weiterhin Fälle, wo eine abgegebene Stimme (Erst- und Zweitstimme) für eine Partei zu einem Mandatsverlust für diese führt.

Unabhängig vom negativen Stimmgewicht ist aber auch die "Reststimmenverteilung" m.E. eindeutig verfassungswidrig. Durch sie erhält jede (nicht-überhängende) Partei jetzt durchschnittlich 1,5 Sitze geschenkt, was eine systematische Bevorteilung kleiner Parteien darstellt (3mal so stark wie bei Hill-Huntington, und selbst H-H wäre in Verbindung mit der 5%-Hürde m.E. verfassungswidrig). Das widerspricht klar der Gleichheit der Wahl, ob man nun ein Verhältnis- oder ein Mehrheitswahlrecht (oder eine Mischung aus beiden) zugrundelegt.
 Link zu diesem Beitrag

Christian Haake
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 19:34 Uhr:   

@Marc K.
"Die Möglichkeit auf Listenverbindungen zu verzichten wurde im übrigen im Urteil des BVerfG als Option genannt.
Von daher hat die Bundestagsmehrheit ein Gesetz beschlossen, dass eine dieser Optionen aufgegriffen hat.
"

Nun, ganz unverbunden sind die Listen im verabschiedeten Koalitionsentwurf nicht, da die Reststimmenverwertung die Stimmen der verschiedenen Listen einer Partei zusammen berücksichtigt und unter ihnen entsprechend aufteilt.

@Eric Möller
"PS: Meiner Meinung wäre das gegenwärtige Bundestagswahlrecht im Kern nur durch Bundeslisten zu erhalten, die aber politisch nicht durchsetzbar sind. Alle anderen Modelle, die sich an der bisherigen Praxis anlehnen, weisen wegen des (vielleicht noch längst nicht abgeschlossenen) Stimmenrückganges der großen Parteien wachsende Probleme unterschiedlicher Art auf (Negativ-Wirkung, taktisches Wählen, Überhang, Aufblähung, regionaler Disproporz etc.) Irgendwie ist die Decke an mindestens einer Stelle immer zu kurz."

Landeslisten mit interner Kompensation sind für den Regionalproporz immer noch besser als eine Bundesliste. Wenn nach den Direktmandaten nur noch sehr wenige von der Liste gezogen werden ziehen bei kompensierten Landeslisten diejenigen, die "zu wenig" Direktmandate haben; bei der Bundesliste zieht der nächste Kandidat egal aus welchem Bundesland. Das heißt wollte man bei der Bundesliste den Regionalproporz im Endergebnis so gut es geht berücksichtigen müsste man vor der Wahl wissen, welche Länder wie stark überhängen, damit die Kandidaten aus nicht überhängenden Ländern oben auf die Liste kommen.

@Holger81
"Persönlich fände ich es auch am besten, Überhangmandate komplett nichtzuzuteilen (also auch nicht intern kompensieren), da dies den Parteien- und den Länderproporz erhält."

Ein großer Vorteil, der bei unserem Wahlkreispersonalisiertem Verhältniswahlrecht genannt wird, ist doch der, dass jeder Wahlkreis einen eigenen Abgeordneten hat, der zumindest einigermaßen direkte Unterstützung durch den Wahlkreis hat. Wenn also ein Wahlkreis seinen erfolgreichsten Kandidaten nach Deinem Vorschlag wegen Überhangs verliert sollte also zumindest ein lokaler Ersatzkandidat einer nicht überhängenden Partei (Zweitplatzierter?) ins Parlament einziehen. Zwei Regelungsmöglichkeiten sind beim Gesetzvorschlag der Grünen in der Begründung zu finden.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 20:12 Uhr:   

@Marc K.:

Lösen tut das beschlossene Wahlgesetz das Problem sicher nicht. Die Frage ist allenfalls, ob und wie es sich jetzt noch stellt. Nachdem unklar ist, was das Bundesverfassungsgericht eigentlich aussagen wollte, ist das kaum beantwortbar. Einerseits hat es sich implizit auf Sitzanteile bezogen, aber explizit nur von Sitzen gesprochen, die damit gar nichts zu tun haben müssen. Einerseits argumentiert es mit der Betroffenheit von Wählern, bezieht dann aber unzweifelhaft auch Fälle ein, in denen solche gar nicht existieren. Was das alles unter grundsätzlich veränderten Voraussetzungen bedeuten soll, ist völlig offen.

Das beschlossene Gesetz kennt nachwievor Listenverbindungen, bloß in veränderter Form und ohne das Wort zu gebrauchen. Tatsächlich sind ja auch genau die für einen guten Teil des verbleibenden negativen Effekts verantwortlich. Was das Bundesverfassungsgericht überhaupt mit der Listenverbindungslösung gemeint hat, ist nicht ganz klar; dass der reine Verzicht auf Listenverbindungen (Verteilung wie bei den Wahlkreislisten im Saarland) das Problem nicht löst, hat ja zuletzt niemand mehr bezweifelt; nötig wären schon richtig getrennte Wahlgebiete. Aber selbst dann ist doch völlig klar, dass das Problem nicht gelöst ist, wenn man gleichzeitig an allen anderen Ecken negatives Stimmengewicht produziert.

Richtig ist, dass der konkret beanstandete Paragraf nicht mehr existiert, aber das hätte man auch durch bloße Umnummerierung erreichen können. Davon wird die Sache aber nicht verfassungskonform.

@Eric Möller:

Wahlbündnisse in den Wahlkreisen lohnen sich für die größere Partei nur dann, wenn der Partner andernfalls einen großen Teil der Stimmen abzieht. Damit muss die SPD bei den Grünen rechnen, aber nicht die Union bei der FDP. Für die nötige Konzentration der Stimmen wird da der Wähler auch so sorgen. Der potenzielle Gewinn durch den verbleibenden Rest steht in keinem vernünftigen Verhältnis zur damit verbundenen Gefährdung der absoluten Mehrheit. Außerdem ist schon unsicher, ob die FDP überhaupt Wahlkreise gewinnen kann. Davon, dass die Union keinen Kandidaten aufstellt, werden nicht alle deren Wähler automatisch die FDP wählen; wenn das klappen soll, muss die Union schon sichere Wahlkreise opfern.

@Holger81:

Die überhangerhaltenden Wahlsysteme scheiden als sicher verfassungskonforme Lösungen eben deshalb aus, weil sie den Überhang erhalten. Dass die Frage des Überhangs unter einem neuen Wahlsystem erneut zu prüfen sein wird, hat das Bundesverfassungsgericht selber klar gesagt.

Den Bundesländern die Wahlkreiseinteilung komplett zu überlassen, ist grundsätzlich eine gute Lösung, wenn man daraus keinen Vorteil mehr ziehen kann. Ob sie aber mit den zunehmenden strikten Ansprüchen des Bundesverfassungsgericht an bundesweit gleiche Wahlkreise kompatibel ist, ist fraglich. Verwaiste Wahlkreise kann man aber auch leicht durch Berufung des Zweitplatzierten vermeiden (Listenkandidaten auf die Wahlkreise umzuwidmen halt ich für problematischer).

Bei der internen Kompensation ist die Frage, ob rein theoretische Chancen reichen. Praktisch hat in Brandenburg nicht jeder CDU-Kandidat eine Chance. Und wenn man ihn auf fremde Wahlkreise verweisen will, kann man ihn gleich nach Baden-Württemberg schicken. Wenn rein theoretische Chancen reichen würden, könnte man sich auch auf Zählwertgleichheit statt Erfolgswertgleichheit beschränken.

Richtig ist allerdings, dass es auch bisher chancenlose Kandidaten trotz vorhandener Wähler gegeben hat. Das Problem ist jetzt halt nur ein bundeslandinternes Problem. Überhang kann da auch bisher eine Kandidatur auf der Landesliste oder in chancenlosen Wahlkreisen (deren Wählerzahl absolut durchaus höher sein kann) aussichtslos machen.

Der zu erwartende Profit durch die Zusatzsitze liegt für 16 nicht überhängende Landeslisten bei grob 2,0 Sitzen.

@Christian Haake:

Bundeslisten können grundsätzlich auch dann Regionalproporz gewährleisten, wenn unbekannt ist, wer überhängt (was aber praktisch in der Tendenz bekannt ist). Man darf halt keine zusätzlichen Kandidaten darauf aufstellen, sondern muss die absichern, die bei Überhang mit ziemlicher Sicherheit schon im Wahlkreis gewählt sein werden. Sobald eine Partei in die Nähe des exterenen Überhangs kommt, hat man aber das bisher bundeslandinterne Problem ganz analog auf Bundesebene. Der Regionalproporz ist in beiden Fällen verletzt, aber dann übersetzt er sich auch in verletzten Länderproporz. Ist aber letztlich kein grundlegender Unterschied, sondern nur eine begriffliche Frage.

Von "einigermaßen direkter Unterstützung durch den Wahlkreis" kann man bei Wahlkreisgewinnern auch jetzt schon nicht ausgehn. Ob ein Wahlkreis an jemanden mit 30% oder jemanden mit 25% fällt (bezogen auf die Wahlberechtigten noch deutlich weniger), spielt keine entscheidende Rolle mehr, zumal der mit 30% der polarisierende sein kann, von dem sich wirklich niemand sonst vertreten fühlt. Und praktisch kommen jetzt schon noch geringere Werte vor.
 Link zu diesem Beitrag

Eric Möller
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 10. Oktober 2011 - 23:14 Uhr:   

Obwohl es in der deutschen Diskussion keine Rolle spielt, gibt es in Europa - in Verwandtschaft zu unserem Zweistimmensystem - das schottische und walisische Modell, wo die überzähligen Direktmandate eines Wahlgebietes durch die Konkurrenzparteien kompensiert werden. Somit bleibt der Regionalproporz erhalten und eine Abweichung von der regulären Sitzzahl kann ebenfalls vermieden werden. Die schottische Nationalpartei erreichte durch diesen Effekt mit landesweit 40 Prozent die absolute Parlamentsmehrheit.

Auf der Insel löst das keinen Protest aus, da die reine Mehrheitswahl dort nach wie vor der Maßstab jeder Diskussion ist. Immerhin verdient die Erststimme dieses Systems durchaus ihren Namen.^^
 Link zu diesem Beitrag

Arno Nymus
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Oktober 2011 - 04:20 Uhr:   

Bzgl. des neuen Wahlgesetzes: Wenn man vom negativen Stimmgewicht des neuen Wahlrechtes [1] und der damit verbundenen offensichtlichen Verfassungswidrigkeit absieht, bleibt die korrekterweise auch angesprochene Reststimmenverwertung als problematisch.

In der Tat fördert die Reststimmenverwertung die Parteienzersplitterung.
Da jede Partei durchschnittlich 2 Sitze hinzubekommt, ist es förderlich, Parteien zu spalten. Erhält eine 30%-Partei durchschnittlich 2 Sitze hinzu, so erhalten zwei 15%-Parteien durchschnittlich 4 Sitze hinzu usw.
Wenn die Verfassungsgemäßheit der Sperrklausel rein auf dem Argument der Verhinderung der Parteienzersplitterung beruht, so kann die Reststimmenverwertung und die damit verbundene Föderung der Parteienzersplitterung nur als verfassungswidrig angesehen werden.

Wenn man das bisherige Zweistimmensystem erhalten möchte, sehe ich ebenfalls die "Proporzgerechte Wahlkreisvertretung" [2] als sinnigste Möglichkeit. Ich teile Ratinger Linkes Beurteilung "Ob ein Wahlkreis an jemanden mit 30% oder jemanden mit 25% fällt (bezogen auf die Wahlberechtigten noch deutlich weniger), spielt keine entscheidende Rolle mehr". Dies gilt insbesondere, solange über der Zweitstimme "maßgebene Stimme für die Verteilung der Sitze insgesamt auf die einzelnen Parteien" steht.

[1] http://www.wahlrecht.de/systemfehler/analyse-bmi-untersuchung.html
[2] http://www.informatik.uni-bremen.de/~offerman/website/forschung/wahlen/pvv_prop_kreis.html
 Link zu diesem Beitrag

Eric Möller
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Oktober 2011 - 07:04 Uhr:   

Das bizarre Bonussystem, das einer bundesweiten Partei bei durchschnittlichem Rundungsglück zwei Extrasitze sichert, hat zumindest einen Vorteil: Das Verfassungsgericht kann es ohne zusätzliche Statikprobleme aus dem Wahlgesetz herauslösen und für verfassungswidrig erklären.^^

Die "Reststimmenverteilung" ist eine besonders originelle Erfindung unserer politischen Klasse, da sie zuvor in keiner Diskussion auftauchte oder gar jemals an anderer Stelle angewendet worden war. Die Entstehungsgeschichte ist ganz einfach: Die FDP musste für die von der Union gewünschte Beibehaltung von Überhangmandaten politisch entschädigt werden, um auch kleinen Landesverbänden einen Sitz zu sichern.

Der staatspolitische Schaden dieser Regelung ist beträchtlich, da das vom Bundestag beschlossene Wahlrecht Normalbürgern und durchschnittlichen Schülern nicht mehr erklärbar ist. Die Demokratie lebt schließlich auch von der Transparenz.

Wir haben jetzt das komplizierteste und undurchsichtigste Wahlrecht der Welt: Neben Direkt- und Listensitzen wird es künftig "Restverwertungsmandate" geben, die zum schwer kalkulierbaren Unsicherheitsfaktor eines Wahlabends werden. Die Stelle hinter dem Komma im kleinen Bremen zählt dabei genauso viel wie die im 25x größeren NRW. Besonders kurios: Selbst wenn es keine Überhangmandate gibt, kann der Bundestag wegen der Reststimmen-Klausel niemals seine Normalgröße von 598 Sitzen erreichen.

Hoffentlich kassiert Karlsruhe die Reststimmenverwertung, die das Prinzip der Erfolgsgleichheit der Stimmen verletzt.
 Link zu diesem Beitrag

Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Oktober 2011 - 14:07 Uhr:   

@Ratinger Linke:
"Der zu erwartende Profit durch die Zusatzsitze liegt für 16 nicht überhängende Landeslisten bei grob 2,0 Sitzen."
Das galt nur für den ursprünglichen Gesetzentwurf, der die Reststimmenmandate kaufmännisch rundete. Durch die Last-Minute-Änderung werden sie jetzt aber abgerundet, was zu durchschnittlich 0,5 Sitzen weniger pro Partei führt.

@Christian Haake:
Ich hätte kein Problem damit, "überhängende" Wahlkreise an den Zweitplatzierten zu geben, auch wenn ich persönlich mich nicht von meiner Wahlkreisabgeordneten besonders vertreten fühle. Alternativ könnte man auch den "verhinderten" Direktabgeordneten einen "Beobachterstatus" im Parlament geben (d.h. alle Rechte eines Abgeordneten außer Stimmrecht), wie ich es vor einigen Monaten hier im Thread mal vorgeschlagen hatte. Aber auch im jetzigen Wahlrecht gibt es ja verwaiste Wahlkreise, ohne dass es jemanden zu stören scheint, wenn nämlich der erfolgreiche Direktkandidat (z.B. direkt nach der Wahl) zurücktritt.

@Arno Nymus:
"Wenn die Verfassungsgemäßheit der Sperrklausel rein auf dem Argument der Verhinderung der Parteienzersplitterung beruht, so kann die Reststimmenverwertung und die damit verbundene Föderung der Parteienzersplitterung nur als verfassungswidrig angesehen werden."
Volle Zustimmung. Und eine andere Rechtfertigung für die Sperrklausel im Bundestag gibt es m.W. nicht.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Oktober 2011 - 15:55 Uhr:   

@Eric Möller:

Dass Nachkommastellen in Bremen genauso zählen wie in NRW ist schon korrekt, bloß halt nicht in Verbindung mit einem System, wo sie bereits berücksichtigt waren, sondern bei einem Quotensystem. Das Hauptproblem ist aber, dass nur von 0,0 bis 0,5 gezählt wird, von 0,5 bis 1,0 dagegen nicht. Da müsste man Stimmen abziehn (wenn man schon sowas macht), so dass im Saldo positive wie negative Zusatzsitze rauskommen könnten.

In Wirklichkeit ist es noch etwas komplizierter, weil die Quote vom Divisor abweichen kann und zumindest die Bundesregierung offenbar davon ausgeht, dass die Harequote und nicht einer der möglichen Divisoren gemeint war. Wobei das in der endgültigen Fassung in den Ländern eher noch unklarer geworden ist und Ruppert bei der Podiumsdiskussion mit den Piraten selbst bei der Bundesquote (wo zumindest der Begründung eindeutig die Harequote zu entnehmen ist) wieder explizit von "Divisor" gesprochen hat.

@Holger81:

Es wird nicht abgerundet. Ganz im Gegenteil ist exakt 0,5 (nicht aber 1,5) im Entwurf abgerundet worden, während jetzt gelost wird (wenn man etwas großzügig interpretiert; eigentlich ist das undefiniert). Nach Abrundung schaut es nur bei flüchtigem Lesen aus; wenn man die Verweise korrekt verfolgt, gehört das aber zum Wenigen, was wirklich eindeutig (wenn auch intransparent) definiert ist.
 Link zu diesem Beitrag

Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Oktober 2011 - 16:43 Uhr:   

@RL:
Sie scheinen recht zu haben, auch wenn ich mich dann frage, warum es in Absatz (2a)
"Den Landeslisten einer Partei werden in der Reihenfolge der höchsten Reststimmenzahlen so viele weitere Sitze zugeteilt, wie nach Absatz 2 Satz 3 und 4 zweiter Halbsatz ganze Zahlen anfallen, ..."
heißt. "Ganze Zahlen" heißt für mich relativ eindeutig Abrunden, aber gemeint ist das hier ja scheinbar als Synonym für "Sitze", wenn man sich Absatz 2, Satz 3 anschaut.

Richtig, wenn man überhaupt eine sinnvolle Reststimmenverwertung machen will, muss man auch negative Abweichungen betrachten. Meinetwegen könnte man dann nach dem bundesweiten Aufsummieren auch nur positive Restsitze zuteilen und negative ignorieren, das dürfte den Proporz nur minimal stören (die meisten Parteien bekämen dann null oder höchstens einen Zusatzsitz).
In beiden Fällen wären dann auch etwa die Bremer FDP-Stimmen tatsächlich (zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit) relevant.
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Oktober 2011 - 17:56 Uhr:   

@RL
"Das Hauptproblem ist aber, dass nur von 0,0 bis 0,5 gezählt wird, von 0,5 bis 1,0 dagegen nicht. Da müsste man Stimmen abziehn (wenn man schon sowas macht), so dass im Saldo positive wie negative Zusatzsitze rauskommen könnten."
Richtig. Das hat nichts mit der Herstellung von Proporz zu tun, das ist Willkür.

"Wirklichkeit ist es noch etwas komplizierter, weil die Quote vom Divisor abweichen kann und zumindest die Bundesregierung offenbar davon ausgeht, dass die Harequote und nicht einer der möglichen Divisoren gemeint war."
Solange die Hare-Quote ein möglicher Divisor ist, ist diese Auffassung durchaus richtig, denn in Abs. 2 wird die Hare-Quote als Standarddivisor festgelegt, von dem nur abgewichen wird, wenn diese kein möglicher Divisor ist. Nicht geregelt ist aber, was passiert, wenn dieser Fall eintritt. Sowohl Wortlaut als auch "Logik" des Abs. 2a (wenn man dieses Wort überhaupt in Zusammenhang hiermit benutzen kann) sprechen eindeutig dagegen, dass ein anderer als ein tatsächlich benutzte Divisor zu Grunde gelegt werden darf.

"Es wird nicht abgerundet. Ganz im Gegenteil ist exakt 0,5 (nicht aber 1,5) im Entwurf abgerundet worden, während jetzt gelost wird (wenn man etwas großzügig interpretiert; eigentlich ist das undefiniert)."
Nein, es wird immer abgerundet, wenigstens hier besteht Eindeutigkeit.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Oktober 2011 - 01:54 Uhr:   

Dass "ganze Zahlen" überhaupt irgendwas mit Abrundung zu tun haben, ist schon nicht selbstverständlich. Es ist bloß in Wahlgesetzen bei Hare/Niemeyer eine relativ übliche Formulierung. Beschreibungen wie im früheren Bundeswahlgesetz funktionieren aber genauso, wenn man das als Standard- oder Aufrundung auffasst und gegebenenfalls negative Restsitze auf negative Reste zuteilt. Mathematisch sauber sind die Rechenanweisungen in Wahlgesetzen praktisch nie.

Wenn man es ganz wörtlich auffasst, bekommt jede Partei unabhängig von den "Reststimmen" stets exakt 1 Zusatzsitz. In Abs. 2 Satz 3 fällt immer genau 1 ganze Zahl an; nur deren Wert (der zu ignorieren wäre) kann unterschiedlich sein (an der Rundungsgrenze fällt allerdings gar keine Zahl an, sondern nur ein Los). Das frühere "entfallen" ohne vorherige Rundungsanweisung hat man eher als Zählung von Einsen interpretieren können. Bei der Umstellung von Hare/Niemeyer auf Sainte-Laguë hat jedenfalls die "ganze Zahl" ihre Bedeutung geändert: Zuvor war es offenbar ein Synonym für "eins", während es seither eher in der mathematischen Bedeutung gebraucht wird.

Bei der aktuellen Gesetzesänderung hat man sich um so feine Unterschiede offenbar überhaupt nicht gekümmert und hofft wohl (auch an anderen Stellen), dass es unabhängig vom Wortlaut einfach so aufgefasst wird, wie es gemeint war (was allerdings kaum ergründbar ist). Teilweise hilft dabei zumindet die Begründung, die hier lautet:

"Das Ergebnis dieser Teilung wird nach den in Absatz 2 Satz 3 und 4 zweiter Halbsatz festgelegten Regeln auf- bzw. abgerundet. In der Höhe der sich danach ergebenden ganzen Zahl erhalten die Landeslisten dieser Partei in der Reihenfolge der höchsten Reststimmenzahlen nacheinander jeweils einen weiteren Sitz zugeteilt, bis die den Landeslisten dieser Partei zuzuteilenden weiteren Sitze verteilt sind."

Das ist deutlich klarer formuliert; die Frage ist, warum man das nicht gleich so ins Gesetz schreibt und stattdessen so lang an jedem Wort spart, bis es für sich allein keinen Sinn mehr ergibt.

Auch aus der Begründung ist übrigens nicht extrahierbar, wie genau an überhängende Landeslisten verteilt wird. Die beiden ähnlich denkbaren Möglichkeiten sind, dass entweder gleich die überhängende Landesliste mit den meisten "Reststimmen" so viele Zusatzsitze bekommen kann, wie sie Überhangmandate hat, oder dass sie zunächst nur 1 bekommt und die Verteilung wieder von vorn anfängt, wenn noch Zusatzsitze übrig sind. Normalerweise macht das für die konkrete Sitzverteilung keinen Unterschied und ist nur ein Problem, das der Bundeswahlleiter bei der Darstellung der Ergebnisse haben wird. Falls aber die Mehrheitsklausel zur Anwendung kommt, macht es einen Unterschied. Wobei man bei der Mehrheitsklausel eh nur hoffen kann, dass man niemals gezwungen sein wird, das konkret anwenden zu müssen.

Bei der Quote steht in der endgültigen Begründung:

"Die erforderliche Zweitstimmenzahl ergibt sich dabei aus dem Ergebnis der Teilung aller im Wahlgebiet nach Absatz 1 Satz 4 berücksichtigungsfähigen Zweitstimmen durch die Gesamtzahl der Sitze nach § 1 Absatz 1 abzüglich der auf erfolgreiche Wahlkreisbewerber nach § 6 Absatz 1 Satz 4 entfallenen Sitze."

Abgesehn davon, dass die abzuziehenden Sitze in Satz 2 durch Verweisung auf Satz 4 und nicht in Satz 4 direkt definiert werden, ist das jetzt eindeutig die für die Verteilung relevante Harequote, unabhängig vom Divisor. Steht halt bloß nicht im Gesetz, das für sich allein völlig uninterpretierbar ist.

Noch unklarer als zuvor ist allerdings, welche Quote in den Ländern zur Bestimmung der "Reststimmenzahl" heranzuziehen ist. Dazu steht auch in der Begründung nichts. Nachdem die obige "erforderliche Zweitstimmenzahl" nicht speziell auf die bundesweite Ermittlung der Zusatzsitzzahl bezogen ist, kann man der Auffassung sein, dass die bundesweite Harequote nun auch dazu maßgeblich ist, was im Entwurf noch klar ausgeschlossen war. Die Formulierung "im jeweiligen Land" (sowohl im Gesetzestext als auch in der Begründung) spricht aber eher dagegen.

Die Formulierung im Gesetzestext deutet schon eher auf einen Divisor als auf die Harequote hin, aber das ist auch bei der Verteilung der Sitze der Fall, wo die Begründung eindeutig die Harequote verlangt. Außerdem ist beim Divisor völlig unklar, welcher der möglichen verwendet werden soll, wenn die Harequote nicht als Divisor geeignet ist.

Das Bundesinnenministerium schreibt bei seiner Untersuchung:

"Für alle Landeslisten wird das Produkt aus Landes-Hare-Quotienten und der sich aus der Unterverteilung ergebenen Sitzzahl ermittelt. Auf die Liste entfallende Zweitstimmen, die dieses Produkt übersteigen, werden als Reststimmen (RS) bezeichnet."

Wobei das natürlich eine nicht maßgebliche Interpretation ist und noch auf den Entwurf vor der letzten Änderung bezogen war.
 Link zu diesem Beitrag

Interessierter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Oktober 2011 - 08:23 Uhr:   

NSG beim Gesetzentwurf der Grünen?

Wenn ich den Gesetzesentwurf der Grünen richtig verstanden habe, kann folgendes passieren:
Partei A gewinnt 2 Direktmandate, hat aber (durch Splitting) keine Zweitstimmen. Sie verfehlt die 5%-Hürde und die Grundmandatsklausel, d.h. sie bekommt ihre 2 Sitze zugeteilt und diese werden von den 598 Sitzen bei der Proporzverteilung abgezogen, also werden nur noch 596 Sitze nach Zweitstimmenanteil zwischen den anderen Parteien verteilt.

Gewinnt A durch zusätzliche Erststimmen einen dritten Wahlkreis, wird sie in den Proporz eingebunden (Grundmandatsklausel). Ihr steht aufgrund der 0 Zweitstimmen aber kein Sitz zu. Die 3 Direktmandate (nun Überhangmandate) werden gestrichen und A verliert so durch den Gewinn eines weiteren Wahlkreises ihre Sitze.

Habe ich das so richtig verstanden? In diesem Fall wäre selbst der Grünen-Gesetzentwurf nicht NSG-frei.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Oktober 2011 - 14:48 Uhr:   

Das würd ich nicht als negatives Stimmengewicht betrachten. Mit der Erststimme wird ja keine Partei gewählt, der diese Stimmen zurechenbar wären. Ganz im Gegenteil ist es Konstruktionsprinzip der Erststimme, dass diese immer negativ für die Partei als solche wirkt, indem ein leichter kontrollierbarer Listenkandidat durch einen als Person gewählten Direktkandidaten ersetzt wird. Das lässt sich ja auch gezielt ausnutzen, indem man der gegnerischen Partei möglichst schlechte Direktkandidaten verpasst. Ganz offensichtlich ist der planmäßig negative Effekt auch kürzlich in Rügen I geworden.

Außerdem lassen sich Erststimmen nicht über den Wahlkreis hinaus verrechnen, da sie auf den konkreten Kandidaten bezogen sind und gerade nicht die Partei. Im Wahlkreis gibt es aber keine negative Wirkung. Der Kandidat mit den zusätzlichen Stimmen ist sowieso nicht gewählt. Allerdings ist es auch nicht gerade ein erwünschter Effekt.

Im Prinzip kann man daraus natürlich auch folgern, dass schon die bloße Streichung von Listenverbindungen reicht, wenn man auch noch die bundesweite Sperrklausel beseitigt, weil dann auch die Zweitstimme nicht mehr auf die Partei bezogen ist. Dass das so sein müsste, wird dann zum reinen Postulat (das aber eventuell aus der Verfassung begründbar ist).

Allerdings hat der Gesetzentwurf der Grünen trotzdem negatives Stimmengewicht. Wenn im Beispiel nämlich A knapp unter 5% liegt und die Wähler der beiden erfolgreichen Direktkandidaten von A mehrheitlich B gewählt haben, können weniger Zweitstimmen für B bedeuten, dass A nun oberhalb von 5% liegt, die Stimmen von B folglich nicht mehr gestrichen werden und B letztlich mehr Sitze bekommt. Das ist ganz normales negatives Stimmengewicht.

Der praxisrelevantere und gezielt negativ wirkend konstruierte Fall fällt dagegen nicht unter die übliche Definition. In der Regel verursachen die Wähler von B das negative Stimmengewicht nicht erst dadurch, dass sie mit der Zweitstimme B wählen (statt ungültig), sondern bereits dadurch, dass sie überhaupt zur Wahl gehn.

Im beschlossenen Gesetz ist das alles auch nicht anders. Wenn man da die Erststimme einbeziehen wollte, käme man noch zu vielen weiteren Fällen von negativem Stimmengewicht.
 Link zu diesem Beitrag

Henry A.
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Oktober 2011 - 09:17 Uhr:   

Heute Artikel in der Frankfurter Rundschau zum Thema. Man rechnet dort nach den derzeitigen Umfragen mit bis zu 31 Überhangmandaten:

1472596,11000506.html,http://www.fr-online.de/politik/ueberhangmandate-koennten-zunehmen-schwarz-gelbe-wahlrechtsreform-beguenstigt-grosse-parteien,1472596,11000506.html
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Oktober 2011 - 13:26 Uhr:   

Der Artikel ist Blödsinn. Die Zahl der Überhangmandate wird zwar beträchtlich bleiben, aber es gibt keine tendenzielle Zunahme durch die Gesetzesänderung. Und Berechnungen von Überhangmandaten auf Basis von Umfragen sind sowieso sehr unzuverlässig, erst recht auf Basis einer einzigen Umfrage mit Zahlen nur für die Bundesebene, wo gerade das regionale Abschneiden für die Zahl von Überhangmandaten entscheidend ist. Bei derzeitiger Umfragelage wäre sowohl mit bisheriger als auch nmit künftiger Rechtslage mit eher weniger Überhangmandaten zu rechnen als 2009. Einmal sind Union und SPD viel näher beieinander und ihr Stimmenanteil zusammen etwas größer, zum anderen wäre der Stimmenanteil der Parteien unterhalb der Sperrklausel größer.

Admin Admin Logout Logout   Vorige Seite Vorige Seite Nächste Seite Nächste Seite