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Archiv bis 09. Oktober 2011

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Bundestagswahlen » Reform des Bundeswahlgesetzes » Archiv bis 09. Oktober 2011 « Zurück Weiter »

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Lars Tietjen
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 02. Oktober 2011 - 10:52 Uhr:   

@Ratinger Linke
"Eine wirklich (minimal) schädliche Wirkung einer Zweitstimme war allenfalls in Bremen und Brandenburg bei der SPD absehbar."

Wobei das in Bremen kompliziert ist. Nach meine Erinnerung hätten der SPD 2009 z.B. bei ca. +2500 Stimmen (z.B. aus Bremen) ein weiteres Mandat gehabt (und die CSU ein weiteres Überhangmandat).

Ein negatives Stimmgewicht erzeugen die Wähler in Bremen die das Überhangsmandat verhindern. Bei guten SPD Ergebnissen in Bremen bringen die SPD-Wähler aus Bremen einen rechnerischen Anspruch von über 2 Mandaten und damit dann kein echtes nagatives Stimmgewicht (zumindest der letzten Stimmen). So z.B. 2005, 2002, 1998.
2002 fehlte der SPD in Bremen nicht viel zu einem dritten Mandat.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 02. Oktober 2011 - 13:55 Uhr:   

Die SPD hätte auch bei 600 Stimmen weniger in Bremen einen Sitz mehr gehabt. Das war ein ziemlich enges Loch, das die SPD genau getroffen hat. Entscheidend ist, was ohne Kenntnis des genauen Wahlergebnis zu erwarten ist, und da war bei der SPD in Bremen (und Brandenburg) ziemlich sicher, dass ihr zusätzliche Stimmen eher schaden als nützen (im Gegensatz zu den Überhangländern der Union).

Im vorhersehbaren Durchschnitt kann man praktsch fast nur sagen, dass zusätzliche Stimmen alle Sitze teurer machen, wobei überhängende Listen für ihre Sitze nichts bezahlen. Letztlich zahlen also die, die einen überdurchschnittlichen Anteil kostenpflichtiger Sitze haben. Dass das alle außer der CDU und eventuell der CSU, also inklusiv der SPD, sein werden, war 2009 absehbar. Genauer ist das bei Ulrich Wiesner (unten) erläutert.

Übrigens gilt das genauso bei nicht überhängenden Listen, außer dass da der überwiegende Effekt ist, dass sie selber von zusätzlichen Stimmen profitieren. Aber zusätzliche Stimmen z.B. für die Grünen haben 2009 immernoch CDU und vorallem CSU gegenüber FDP und Linken und etwas weniger gegenüber der SPD gestärkt. Aus dem gleichen Grund war eine zusätzliche CDU-Stimme z.B. in NRW mehr wert als andere Stimmen.
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Mixia
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 03. Oktober 2011 - 22:17 Uhr:   

@Thomas Frings

Du hast natürlich Recht mit deinen Ausführungen. Wer mit dem neuen Wahlrecht allein seiner bevorzugten Partei in sicheren Wahlkreisen in Ländern mit Überhangmandaten maximal nutzen will, der sollte sich vollständig der Wahl enthalten. So extrem wollte ich das nicht formulieren, aber das trifft es auch gut.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 04. Oktober 2011 - 21:40 Uhr:   

Selbst wenn man völlig auf eine Partei fixiert ist, die überhängt, ist Nichtwahl eher selten sinnvoll. Wenn die CDU nur in Mecklenburg-Vorpommern überhängen würde, würde ihr dort jeder Wähler schaden, der nicht für die Erststimmenmehrheit nötig ist, weil er tendenziell der CDU anderswo Sitze kostet, die in Mecklenburg-Vorpommern an die Konkurrenz gehn. Ein CSU-Wähler in Bayern nimmt mit seiner Stimme aber eher der Konkurrenz in anderen Ländern Sitze, die überwiegend vom Überhang absorbiert werden.

Wenn eine Partei in vielen Ländern überhängt (und damit dort nichts zu verlieren hat), wird sie auch davon profitieren, wenn aus anderen Ländern Sitze abgezogen werden, selbst wenn sie im Land des Wählers überdurchschnittlich an andere Parteien gehn. Außerdem verteuern zusätzliche Stimmen (an berücksichtigte Parteien) die Zusatzmandate, von denen eine überhängende Partei nichts hat. Negatives Stimmengewicht kann dabei trotzdem auftreten, aber das ist in der Regel nicht vorhersehbar.

Für die allermeisten Wähler ist es aber sinnvoller, die Zweitpräferenz zu wählen, anstatt eine Minimalwirkung zugunsten der Erstpräferenz zu haben. In kleinen Ländern kann es allerdings sein, dass die Stimme absehbar auch für die Zweit- und eventuell sogar Drittpräferenz nutzlos bis schädlich ist; dann ist Nichtwahl u.U. besser. Insbesondere kann es in Bremen für Wähler der Grünen absehbar sein (wenn sie bei einem Sitzanspruch von ungefähr 0,75 liegen), dass ihnen eine Stimme nur schaden kann, aber zugleich auch bei SPD und CDU die Tendenz eher negativ ist. Dann bleiben nur noch die kleineren Parteien, denen die Stimme zumindest eine größere Chance auf ein Zusatzmandat bringt. Wer keine von denen will, wählt dann besser gar nicht.
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Christian Haake
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 05. Oktober 2011 - 22:30 Uhr:   

Nach der Tagesordnung der 888. Sitzung des Bundesrats am 14.10. findet dann die Beratung / Beschlussfassung des Bundesrats zum Gesetz statt. Da es nur ein Einspruchsgesetz ist reicht bei orthodoxer Abstimmung der Länder (Alle Länder mit CDU, CSU oder FDP in der Regierung sagen Nein oder Enthaltung zum Einspruch gegen das Gesetz) die Oppositionsseite nicht aus, damit dürfte dann ja wohl das Gesetz den Bundesrat passieren. Damit geht es zum Bundespräsidenten.

Ab wann darf vor dem Verfassungsgericht geklagt werden, erst nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten? Er selbst kann ja durchaus auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetz haben.

Im Übrigen gehöre ich zu denen, die meinen, die Oppositionsparteien sollten sich zusammenraufen und einen vernünftigen Kompromiss ihrer Vorschläge gemeinsam unterstützen. Dieser lautet Kompensation mit Ausgleich externen Überhangs, also im Prinzip der Vorschlag der Linken zum Negativen Stimmgewicht ohne den ganzen Rest den sie haben wollten. Na gut, eine Ausnahme: die Linken hatten einen Vorschlag zur Wahlprüfungsbeschwerde, bei der sich in der aufgeteilten Abstimmung Grüne und SPD immerhin enthalten haben. Ansonsten sollte das Berliner-Zweitstimmen-Problem gelöst werden, ich meine das nicht im Vorschlag der Linken gelesen zu haben.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 06. Oktober 2011 - 00:44 Uhr:   

Der Gesetzentwurf der Linken löst das Problem mit den Berliner Zweitstimmen schon, und zwar im Gegensatz zur Koalition wirklich, indem nämlich die Sperrklausel abgeschafft wird. Die einzige ernstzunehmende Alternative ist, die 5%-Hürde ausnahmslos anzuwenden. Eine Umlenkung der Wählerstimme auf eine nicht gewählte Partei je nach Wahlergebnis ist noch viel krasser als negatives Stimmengewicht und jedenfalls nicht besser als die Möglichkeit zu doppeltem Stimmgewicht.
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Mixia
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 06. Oktober 2011 - 11:37 Uhr:   

@Ratinger Linke:

Das Problem der "Berliner Zweitstimmen" ist ein handwerklicher Fehler im Zusammenhang mit der Sperrklausel. Wenn man die Sperrklausel ganz abschafft dann hat man dieses Problem natürlich nicht mehr. Eine so weitgehende Maßnahme ist aber nicht nötig, um das Problem klar zu beseitigen. Es würde ausreichen, wenn man die Sperrklausel von bisher drei auf ein gewonnenes Direktmandat absenkt (wie das 1953 galt). Es wäre auch denkbar, bei einem Direktmandat nur die Zweitstimmen der Landesliste im Land des gewonnenen Direktmandates zu werten, und erst bei drei auch bundesweit. Zweitstimmen nachträglich zu streichen ist in der Tat eine bedenkliche Lösung. Die sauberste Lösung wäre natürlich, Erst- und Zweitstimme zusammenzulegen, denn die Trennung beider Stimmen ist eines der Grundübel des Wahlsystems.
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Christian Haake
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 06. Oktober 2011 - 20:06 Uhr:   

@Mixia:

Die Direktmandatsklausel zu senken ist natürlich auch eine Möglichkeit, vielleicht auch in der vorgestellten Variante erstmal nur Stimmen im Land. Ich finde das Streichen der Zweitstimmen im Erfolgsfall der Erststimme aber nicht so schlimm, da man ja schließlich einen Wunschkandidaten im Parlament hat. Wenn einem dann die alternative Partei, die von der Partei des präferierten Direktkandidaten abweicht, wichtiger ist: dann verzichte auf die Erststimme!

Ich bin gegen das erzwungene Zusammenlegen der beiden Stimmen, da man ja z.B. durchaus die Partei gut finden kann, den Direktkandidaten aber nicht, oder den erfolgswahrscheinlicheren Direktkandidaten unterstützen kann. Angenommen die SPD sackt wieder ab zugunsten der Grünen - gehen dann fast alle Direktmandate an die CDU, obwohl sie nur 35% der (bisher Zweit-)Stimmen hat? Überhang so weit das Auge reicht.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 06. Oktober 2011 - 20:54 Uhr:   

"Ab wann darf vor dem Verfassungsgericht geklagt werden, erst nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten?"
Wenn im Wege einer Organklage geklagt wird, muss innerhalb von 6 Monaten nach Verkündung im Bundesgesetzblatt Klage erhoben werden. Bürger können nicht klagen, Parteien auch nicht, wohl aber Bundestagsfraktionen.

Alternativ kann auch ein Normenkontrollverfahren angestrengt werden. Auf dem Wege können die Bundesregierung (was hier natürlich praktisch ausscheidet), eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestags klagen, sobald das Gesetz in Kraft ist, was in diesem Fall der Tag nach der Verkündung wäre. Es gibt keine Frist.

@Mixia
"Es würde ausreichen, wenn man die Sperrklausel von bisher drei auf ein gewonnenes Direktmandat absenkt (wie das 1953 galt)."
Das ist politisch aber sicher nicht gewollt. Es ist ja gut möglich, dass die Linkspartei bei einer künftigen Wahl unter 5% bleibt und nur ein oder zwei Direktmandate holt (wie 2002). Bei der Abgeordnetenhauswahl lag die Linkspartei nur in zwei Berliner Bundestagswahlkreisen nach Erststimmen vorn und das in Lichtenberg auch nur knapp, trotz eines sehr mäßigen SPD-Ergebnisses.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 06. Oktober 2011 - 20:56 Uhr:   

@Mixia:

Ein Einstimmensystem ist in der Tat auch eine akzeptable Lösung (und auch aus anderen Gründen sinnvoll). Allerdings bleibt dann immer noch die Durchbrechung der Sperrklausel, die sie eigentlich ad Absurdum führt. Solang es nur um die Direktmandate selbst geht, kann man das aber immerhin rechtfertigen, während die Grundmandatsklausel völlig willkürlich ist. Wobei das natürlich auch schon bisher so war; insofern sind Änderungen an der Grundmandatsklausel, die das Problem der Berliner Zweitstimmen lösen, zumindest keine wesentliche Verschlechterung.

@Christian Haake:

Davon, dass der mit der Erststimme gewählte Kandidat ein "Wunschkandidat" ist, kann man nur bei Einzelbewerbern ausgehn, wo von vornherein klar ist, dass Stimmen an sie im Zweifelsfall Vorrang vor der Zweitstimme haben (obwohl auch da der Stimmzettel grob irreführend ist).

Ansonsten ist der Zweck der Erststimme, einen Listenkandidaten einer beliebigen Partei durch den zugehörigen Direktkandidaten auszutauschen. Deshalb muss man mit der Partei überhaupt nichts am Hut haben, und der Sinn der Stimmabgabe kann gerade sein, der betreffenden Partei durch die Wahl eines möglichst schlechten Kandidaten zu schaden. Es ist schon schlimm genug, dass man dabei riskiert, der Partei zu nützen, wenn sie Überhangmandate hat, aber der Entzug der Zweitstimme in so einem Fall hat nochmal eine andere Qualität.

Bei der nun beschlossenen Regelung kann man wirklich nur dazu raten, die Erststimme für doppeltes Stimmgewicht zu nutzen, wo das aussichtsreich erscheint, sie ansonsten aber ungültig zu machen, um kein unnötiges Risiko einzugehn. Selbst der Einsatz der Erststimme zur Verhinderung von doppeltem Stimmgewicht ist teilweise schon eine ziemlich riskante Angelegenheit, weil dabei Kandidaten involviert sein können, wo die Gefahr der Streichung der Zweitstimme praktisch relevant ist. Man sollte sich da also auf Fälle beschränken, wo die Erfolgsaussichten das Risiko aufwiegen können.

Überhangtechnisch kann ein Einstimmensystem in der Tat schlechter sein als ein Zweistimmensystem. Das hängt stark von der gerade aktuellen Parteienlandschaft und auch von taktischen Verhalten der Wähler und Parteien ab. Bei schwacher SPD und starken Grünen kann man aber auch nicht davon ausgehn, dass das Splittingverhalten einfach so bleibt, wie es bisher war.
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Eric Möller
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. Oktober 2011 - 18:39 Uhr:   

Wie geht es jetzt weiter?

Mit größter Wahrscheinlichkeit wird es jetzt ein Normenkontrollverfahren geben. Da die 18. Bundestagswahl regulär im September 2013 stattfindet, brauchen wir etwa im Spätherbst 2012 ein sattelfestes Wahlrecht, damit die Kandidaten aufgestellt werden können.

Somit bleiben dem Bundesverfassungsgericht nur etwa zwölf Monate, um zu die Beteiligten um Stellungsnahmen zu bitten, evtl. eine öffentliche Verhandlung anzusetzen, zu beraten und dann zu entscheiden. Ferner braucht der Gesetzgeber Zeit, ggf. verfassungswidrige Passagen des neuen Wahlrechts zu korrigieren.

Zeitlich wird das schwierig, denn man kann sich angesichts jüngster Erfahrungen nicht mehr vorstellen, dass Verfassungsgericht den Politikern erneut eine ähnlich großzügige Übergangsfrist wie beim letzten Mal gewährt.

-----------

Inhaltlich dürfte ein Normenkontrollverfahren aussichtsreich sein, denn das neg. Stimmrecht wurde trotz eindeutiger Vorgabe nur teilweise beseitigt und das neue Bonussystem (etwa 2 Sitze für jede landesübergreifende Partei) ist gelinde gesagt dubios.^^

Bitteschön: Die Problematik des neuen Wahlrechts habt Ihr viel präziser als ich dargestellt. Mir geht es um die Frage, wie das Gericht zeitlich und verfahrensmäßig mit einer erneuten Verfassungswidrigkeit des wahlgesetzes umgehen könnte.

Rücken wir einem "Not-Wahlrecht" durch Einweilige Anordnung immer näher?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Oktober 2011 - 23:49 Uhr:   

Die Kandidatenaufstellung kann schon am 27. März mit der Wahl der Vertreterversammlungen beginnen. Die eigentlichen Wahlen beginnen dann am 27. Juni. Und so extrem frühe Termine sind in der Vergangenheit auch genutzt worden.

Für ein vernünftiges Wahlsystem, das substanziell was an den bisherigen Wahlkreisen ändert, war schon die Frist des Bundesverfassungsgerichts zu knapp an der Wahl. Nach einer grundsätzlichen Entscheidung müssen ja auch noch die Wahlkreise geschnitten werden. Die SPD wollte sowas ja (angeblich zumindest), hat es aber wegen der schon seinerzeit zu knappen Zeit bleiben gelassen. Faktisch ist man jetzt halt auf die 299 Einerwahlkreise festgelegt (oder vielleicht noch alternativ ein reines Landeslistensystem).

Außerdem muss man davon ausgehn, dass auch das nächste Wahlgesetz der Koalition verfassungswidrig sein wird, und dann reicht die Zeit auf keinen Fall mehr.
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bayu90
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 08. Oktober 2011 - 02:08 Uhr:   

Guten Abend,

falls es jemanden interessiert und falls mir nicht schon jemand zuvorgekommen sein sollte:
Ich hab mich mal auf die Suche nach einem Szenario mit negativem Stimmgewicht in unserem neuen Wahlsystem gemacht.

Ich hab einfach die Ergebnisse der Bundestagswahl 2009 in eine Excel-Tabelle übertragen und die Sitzverteilung entsprechend der neuen Regelung angewendet.

Dann habe ich folgendes gemacht: Ich habe den LINKEN in Berlin 40.000 Stimmen abgezogen.
Das hatte zur Folge, dass Berlin ein Sitz weniger zu stand (23 statt zuvor 24). Dann habe ich die Neuberechnung für Berlin durchgeführt uns siehe da: Obwohl den LINKEN 40.000 Stimmen und Berlin ein Sitz abgezogen wird, verlieren nicht die LINKEN einen Sitz, sondern die GRÜNEN.

Da die nominelle Anzahl der Mitglieder natürlich gleich bliebt, muss jetzt ein Land einen Sitz mehr bekommen - in dem Fall Nordrhein-Westfalen (130 statt zuvor 129).
In Nordrhein-Westfalen ändert sich nichts an den Stimmzahlen - es muss lediglich eine erneute Verteilung auf jetzt 130 Sitze erfolgen. Und dieser zusätzliche Sitz geht an die LINKEN.

Die LINKEN haben somit durch 40.000 Stimmen weniger einen Sitz mehr - kommt einem doch bekannt vor.

Die LINKEN proftieren also von dem Wahlrecht gegen das sie so vehement sind! Spass beiseite, man sieht, dass jetzt auch kleine Parteien betroffen sein können. Damit haben wir eine völlig neue Dimension von negativem Stimmgewicht erreicht, für das wir jetzt noch nicht einmal Überhangmandate brauchen.


Falls sich jemand auch schon mal eine Excel-Tabelle dazu angelegt hat, kann er das gerne mal durchrechnen. Ich meine aber, es geht auf!


Liebe Grüße!
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. Oktober 2011 - 02:56 Uhr:   

Wobei die Grünen in dem Fall keinen Sitz verlieren. Mit den zusätzlichen zweitverwerteten Stimmen bekommen sie nämlich ein Zusatzmandat mehr, das auch noch nach Berlin geht. Der Bundetag ist dann um 1 Sitz größer.
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Eric Möller
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 08. Oktober 2011 - 16:37 Uhr:   

Wie lange kann das Ping-Pong-Spiel zwischen Bundestagsmehrheit und Bundesverfassungsgericht weitergehen?

Wenn ich Eure Beiträge richtig interpretiere, ist der negative Stimmverwertungsmachanismus nur abgemildert, aber nicht beseitigt worden.
Daher können wir von einem aussichtsreichen Normenkontrollverfahren auszugehen.

Ratinger Linke hat uns gezeigt, dass es bei einem normalen Arbeitstempo von Verfassungsgericht und Bundestag in dieser Legislaturperiode faktisch keine reguläre Abhilfe mehr geben kann.

Haltet Ihr es für denkbar bzw. wahrscheinlich, dass das BVerfG in diesem Falle kurz vor einer (vorzeitigen) Bundestagswahl via Einstweiliger Anordnung ein Notwahlrecht installiert?

Andernfalls droht das BVerfG zahnlos zu werden: Wenn sich der Bundestag jeweils nur zu einer zeitlich und inhaltlich eingeschränkten Umsetzung der Karlsruher Wahlrechtsvorgaben bereitfindet, droht von einer Legislaturperiode zur nächsten ein unproduktives Wechselspiel, das sich in diesem Falle sogar über mindestens drei Perioden erstrecken würde...
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 08. Oktober 2011 - 21:29 Uhr:   

@Eric Möller:
Ich glaube, die Mehrheitsmeinung hier ist sogar, dass negatives Stimmgewicht voll erhalten bleibt, nicht mal abgemildert wird.
BVerfG-Präsident Voßkuhle hat ja schon angekündigt, dass das Gericht notfalls ein Wahlrecht anordnen wird, ich hoffe, er bleibt dabei.
Andererseits gibt es ja viele Möglichkeiten, ein verfassungsgemäßes Wahlrecht auch mit 299 Direktwahlkreisen zu beschließen, sie würden halt nur i.d.R. zu einer gewissen Vergrößerung des Bundestags führen.

@Ratinger Linke:
27.März 2012? Das wäre ja wirklich absurd früh. Aber das BVerfG könnte diese Versammlungstermine doch vermutlich (notfalls durch einstweilige Verfügung) so lange verschieben, bis es ein verfassungsgemäßes Wahlrecht gibt, wenn das bis Ende 2012 der Fall sein sollte. Bei vorgezogenen Wahlen schaffen die Parteien es ja auch, innerhalb von 2 Monaten vor der Wahl ihre Kandidaten aufzustellen. Bis wann könnte das BVerfG denn über eine jetzt eingereichte Klage der Opposition realistischerweise entschieden?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Oktober 2011 - 01:41 Uhr:   

Die Frage ist eher, ob es überhaupt ein verfassungsgemäßes Wahlrecht mit den bestehenden Wahlkreisen geben kann. Dass der Ausgleich nach SPD-Methode nicht dazugehört, ist jedenfalls am allerklarsten (insoweit hat die Koalition völlig Recht).

Ausgleich nach Methode der Linken beseitigt zwar negatives Stimmengewicht nicht, aber immerhin dessen absolute Form (die zwar noch irrelevanter ist, aber um die es im Urteil gegangen ist). Daneben ist aber die interne Kompensation im Extremfall (der praktisch relevant ist) problematisch. Länderproporz ist zwar irrelevant, aber hier geht es um gezielte Ungleichbehandlung konkreter Länder bis zum faktischen Entzug des passiven Wahlrechts.

Bei getrennten Wahlgebieten wird vorallem die lokal hohe Sperrwirkung problematisiert. Die kann man zwar leicht mit Länderverbänden lösen, aber damit hat man auch eine Abhängigkeit zur Kandidatenaufstellung. Die zufällige Verzerrung der Erfolgswerte auch ohne Überhang würd das Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich tolerieren, obwohl schon das meines Erachtens zur Verfassungswidrigkeit führt. Daneben hat das System natürlich wie alle überhangerhaltenden Lösungen das Problem, dass die Verfassungsmäßigkeit von Überhang ungeklärt und fraglich ist.

Komplette Nichtzuteilung von Überhang (eventuell kombiniert mit mäßiger interner Kompensation) ist meines Erachtens die einzige Lösung, die verfassungsgemäß ist (bei geeigneter Bestimmung der wegfallenden Direktmandate und anderweitiger Repräsentation der betroffenen Wahlkreise), aber das wird auch bezweifelt.

Relativ klar ist noch, dass Karlsruhe ein Grabenwahlsystem nicht beanstanden würde (und das könnte auch leicht das Verfahren sein, das das Bundesverfassungsgericht im Zweifelsfall anordnen würde). Mehrheits- oder Verhältniswahl in Zweierwahlkreisen (ohne Verhältnisausgleich) kommt schon wieder mit der Aufstellung von Landeslisten in Konflikt.

Sonst fällt mir nicht mehr viel ein, wenn man völlig abartige Systeme außer Betracht lässt. Das Hauptproblem sind halt genau die 299 Einerwahlkreise. Vielleicht noch das ungarische System mit relativ zufälliger Übertragung von Rest- und Überschussstimmen aus den Wahlkreisen auf die Landeslisten. Hat zwar sicher überreichlich negatives Stimmengewicht, ist aber komplex genug, dass das sicher nicht mehr unter die übliche Definition fällt.

Notfalls wär es wohl kein Problem, wenn man bereits erfolgte Kandidatenaufstellungen, die nicht mehr zum System passen, einfach als obsolet betrachtet. Davon hat man zwar noch keine neue Wahlkreiseinteilung, aber es käme dann z.B. eine reine Landeslistenlösung in Betracht. Problematischer sind eigentlich Kandiatenaufstellungen, bei denen sich im Nachhinein das Wahlsystem (nur nicht die Wahlkreise) ändert und damit die Vorasusetzungen der Aufstellung. Wär aber 2009 auch so gewesen, wenn der Gesetzentwurf der Grünen durchgegangen wär. Momentan könnte man auch noch problemlos die Fristen vorsichtshalber radikal verkürzen.
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Eric Möller
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Oktober 2011 - 01:39 Uhr:   

Wenn man sich das 2008er Urteil genauer ansieht, geht das Gericht "verdächtig" ausführlich auf die Möglichkeit eines Grabenwahlrechts ein.

Mich hat das erstaunt, denn auf politischer Ebene war die Diskussion um dieses Modell seit Adenauers Zeiten eingeschlafen. Wenn ich die wichtigsten Demokratien richtig überblicke, wird es derzeit nur in Japan praktiziert.

Karlsruhe könnte zu diesem sehr einfachen Wahlrecht greifen, weil es die unzähligen Komplikationen der anderen Modelle einer Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahl vermeidet. "Chirurgisch" ein kleiner Schnitt - allerdings mit weitreichenden Folgen, denn wir hätten es mit der wichtigsten Wahlrechtsänderung seit 1949 zu tun.

Unser bisheriges Wahlrecht ist - wie sich jetzt herausstellt - nur für zwei Großparteien mit wenigen, kleinen Mitspielern geeignet (gewesen). Die Zahl der Überhangmandate wird wahrscheinlich bald das verfassungsmäßig tolerable Maß von fünf Prozent überschreiten und damit unhaltbar werden.

Wähler, die nicht in parteilichen, sondern in Lager-Kategorien denken (Bürgerliche in BaWü oder Sachsen) wissen längst, dass bei Bundestagswahlen die Zweitstimme für die Union Verschwendung ist, denn durch die FDP-Wahl (bei Erststimmenabgabe für die Union) lassen sich viel mehr bürgerliche Sitze generieren.^^

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Fazit:
Für Karlsruhe wäre das Grabenwahlrecht als Notlösung besonders attraktiv, weil man neben dem negativen Stimmrecht auch die unweigerlich ins Haus stehenden Probleme mit den Überhangmandaten beseitigt (laut Urteil aus den 90er Jahren sollen es nicht mehr als 5 v.H. sein). Zwei Gordische Knoten wären mit einem Hieb elegant durchschlagen...

Meiner Meinung nach könnte aus diesem Notwahlrecht (aus vorläufigem Rechtsschutz geboren) politisch ein Dauerzustand werden, denn die aus einer entsprechenden Wahl hervorgegangene Mehrheit wird sich mit dem neuen Recht schnell anfreunden und es in Gesetzesform gießen.^^
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Oktober 2011 - 04:59 Uhr:   

Dass die Union eine Mehrheit bei einem Grabenwahlsystem bekommt, ist aber aus heutiger Sicht ziemlich unwahrscheinlich. Bei den momentanen Umfragewerten würd sie wahrscheinlich weniger als die Hälfte der Wahlkreise gewinnen, und da ist noch nicht eingerechnet, dass ein Grabenwahlsystem die Kooperationsbereitschaft von SPD und Grünen bei den Wahlkreiskandidaturen stark fördern würde. Aus heutiger Sicht ist eine rot/grüne Mehrheit mindestens ebenso wahrscheinlich; am wahrscheinlichsten ist es aber, dass keine der Seiten eine Mehrheit hätte (soweit zur mehrheitsbildenden Wirkung).
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Eric Möller
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Oktober 2011 - 15:03 Uhr:   

Selbst bei vollständigem Mehrheitswahlrecht sind eindeutige Mehrheiten nicht garantiert, wenn ich an die Linkspartei-Wahlkreise oder entsprechende Erfahrungen in Großbritannien und Kanada denke. Das Grabenwahlrecht hätte aber eine mehrheitsfördernde Wirkung. Wie Du zurecht schreibst, würden einander nahe stehende Parteien wie SPD und Grüne, aber auch Union und Rest-FDP in eine Wahlkreiskooperation gedrängt werden, um möglichst viele Direktsitze zu erobern. Union und SPD sind heute nicht mehr stark genug, um den alleinigen Durchmarsch wagen zu können.

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