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Idee für neues Bundestagswahlsystem

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Archiv bis 06. Juni 2012Jan Wenzel20 06.06.12, 17:27h 
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Bobo
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 06. Juni 2012 - 19:28 Uhr:   

Jan Wenzel schrieb:
> Über die aktive Gestaltung der Parteilandschaft per Wahlrecht, gehen
> Sie übrigens recht ignorant hinweg.

Keineswegs, den Parteien wird ja schon von der Verfassung her
garantiert, dass sie an der politischen Willensbildung wesentlich
teilhaben. Die Frage ist nur wieweit das gehen muss. (Vieles ist mit der
Zeit etabliert worden, ohne dass der Wähler hier wirklich ein Wort
mitzureden hatte.) Es gibt ja durchaus Stimmen von Politikern und
Verfassungsrechtlern, die sogar die "Allmacht" der Parteien kritisieren
und hier einen Grund für Politikverdrossenheit ausmachen. Ich will das
hier nicht näher bewerten, aber ich ignoriere keineswegs die
verfassungsmäßigen Rechte der Parteien hinsichtlich gewisser Spielräume.

> Wer eine "unabhängige Wahlkreiskommission" besetzen soll, bleibt
> vollkommen offen.

In der Tat, hier müssten Vorschläge im Detail ausgearbeitet werden.

> Die Instabilität eines Erststimmenbundestags von 2005 ignorieren Sie.

Ich habe Ihre diesbezüglichen Ausführungen schon gelesen; nur sind diese
Ergebnisse (2005) entstanden in unserem bisherigen Wahlsystem und nicht
in einem (alleinigen) Mehrheitswahlrecht, also einem anderen Wahlsystem.
Man kann dann zwar spekulieren, aber das führt zu nichts. Insofern ist
meine diesbezügliche "Ignoranz" einfach nur der Ausdruck auf die
Irrelevanz Ihres Arguments.

> Ein Drittel der Wähler kann nicht so wählen, wie sie wollen, weil die
> Stimme dann als weggeworfen gilt.

Deshalb bin ich für IRV.

> Zwei Volksparteien, die bisher nur rund 65% der Wähler hinter sich
> versammeln können, könnten dann die Macht unter sich verteilen.

Die Macht - genauer: die Regierungsmacht -, teilen sich hier in unserem
Verhältniswahlsystem auch nur die Koalitionsparteien!

Aber ich glaube, sie spielen hier auf die Macht bzw. die Vielfalt der
Opposition an. Ich sehe nicht, inwiefern eine Opposition im
Mehrheitswahlrecht weniger Substanz haben sollte. Und anzunehmen, dass,
wenn sie übrigens schon von Volksparteien sprechen, die Opposition
in keinem Fall die Interessen der Wähler von Splittergruppen wahrnimmt, ist
auch recht abwegig, zumal hier die Opposition auch ein Interesse an den
Stimmen solcher Wähler hat.


MfG Bobo.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 06. Juni 2012 - 22:15 Uhr:   

@Bobo

> Ein Drittel der Wähler kann nicht so wählen, wie sie wollen, weil die
> Stimme dann als weggeworfen gilt.

"Deshalb bin ich für IRV."

Aber auch mit IRV bekommt dieses Drittel nicht die Vertreter der Partei, die sie eigentlich präferiert, sondern lediglich zweite, dritte oder vierte Wahl.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 06. Juni 2012 - 22:48 Uhr:   

@Bobo
Das ist ja eine grandiose Teilhabe an der politischen Willensbildung, wenn teiweise 15%-Parteien komplett aus dem Parlament verbannt werden!
Gegen die "Allmacht der Parteien" unternimmt ein Mehrheitswahlrecht übrigens gar nichts - es verteilt die Allmacht nur ungerechter auf die Parteien.

Zur Wahlkreiskommission: am Ende säßen da auch noch Parteienvertreter ;-) Dann wüsste man ja direkt, wie die Wahlkreisgrenzen zustande kommen.

Wieso sollen die 299 Wahlkreisergebnisse irrelevant sein? Weil Menschen im Verhältniswahlsystem die Erststimme an jemanden vergeben, dem sie am wenigsten vertrauen? Weil sie die Erststimme womöglich an jemanden geben, der den Wahlkreis nicht gewinnen kann, den sie aber unterstützen wollen?

IRV löst nicht das Problem, dass die Erstpräferenz Grüne/FDP/Linke in der Regel nicht zu Sitzen für diese Parteien führen, auch wenn Abermillionen Menschen in Deutschland so stimmen - sie haben halt nur das Pech, nicht im selben Wahlkreis zu wohnen.
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ricarda
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juni 2012 - 00:09 Uhr:   

Bei der letzten Bundestagswahl schrumpften die beiden sogenannten Volksparteien auf 56%. Die übrigen 44% wären bei Mehrheitswahl chancenlos, bzw. würden bei einem Grabenrecht kurzerhand halbiert. So billig kann man es sich natürlich auch machen, den politischen Gegner ins Abseits zu befördern.
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Arno Nymus
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juni 2012 - 09:54 Uhr:   

Bobo schrieb "In Neuseeland hat man daher sogar kürzlich wieder ein Referendum abgehalten, wo doch immerhin etwa 40% für ein Mehrheitswahlrecht ausgesprochen haben."
Das ist inkorrekt.[1] Im Referendum wurden zwei Fragen gestellt:
- einerseits, ob das aktuelle Wahlsystem überhaupt geändert werden soll; hierbei sprachen sich knapp 58% für das bisherige Wahlrecht aus, 42% für eine Änderung.
- andererseits wurde gefragt, welches Wahlsystem im Falle eines Wechsels bevorzugt wäre. Bei dieser Frage erhielt Plurality zwar 47%, allerdings stand das aktuelle Verhältniswahlrecht bei dieser Frage ja explizit nicht zur Wahl.
Da keine Angaben über die Korrelation der Antworten vorliegen, kann man daraus keinen tatsächlichen Wert für Plurality ablesen. Würde man die beiden Fragen als weitgehend unabhängig betrachten, hätte Plurality gerade mal einen Zuspruch von 20% (42%*47%). Der wahre Wert kann deutlich darunter oder darüber liegen (aber auf jeden Fall unter 42% und natürlich deutlich unter den 58%, die explizit für das bestehende System stimmten).

[1] http://en.wikipedia.org/wiki/New_Zealand_voting_system_referendum,_2011#Referendum
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Bobo
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juni 2012 - 22:01 Uhr:   

@Jan Wenzel:

Wenn es darum geht, Abgeordnete abwählen zu können, dann ist ein
Verhältniswahlrecht mit geschlossenen Listen, nicht geeignet, da hier
der Wähler so gut wie keinen Einfluss auf die Besetzung der Sitze hat
(eben nur hinsichtlich der Stärke der Parteien).

Ein Verhältniswahlrecht mit Vorzugsstimme ist auch nicht geeignet. Zwar
kann ich einem Kandidaten direkt meine Stimme geben, aber egal, ob mein
Kandidat auserwählt wird oder nicht, ich kann nicht verhindern, dass
meine Stimme für die Wahl eines anderen Kandidaten genutzt wird, eben
weil meine Stimme auch die Stärke einer Liste (Partei) bestimmt. Wenn
allerdings auf dem Stimmzettel noch die Option wäre, dass meine Stimme
nur meinem Kandidaten zu Gute kommen soll, nicht aber der Partei als
solche, dann wäre das schon eher in meinem Sinne.

Insofern: Sie bemängeln, dass Ihre Stimme verloren ist, wenn Sie in
einem Wahlkreis wohnen, in dem andauernd ein Besenstiel gewählt wird
(SCNR). Ich bemängel - salopp gesagt -, dass bei einem
Verhältniswahlrecht (mit Vorzugswahl) aus meiner Stimme mehr gemacht
wird als ich will. Und wenn mein Kandidat nicht auserwählt wird, dann
bin ich möglicherweise nicht repräsentiert. Schlimmer noch, die
Verwertung meiner Stimme führt dazu, dass ein anderer Kandidat derselben
Partei ausgewählt wird, von dem ich mich überhaupt nicht repräsentiert
fühle oder diesen Kandidat vielleicht sogar für gefährlich halte.
DAS ist CHAOTISCH. Der Wähler hat auch hier weniger Möglichkeiten
der Partizipation.

Zur Wahlkreiskommission: Es ist nicht gesagt, dass dort Vertreter von
Parteien sitzen müssen (oder ausschließlich Vertreter von Parteien). Die
Arbeit des BVG zeigt, dass eine Instanz in unserem Staat auch einen
gewissen unabhängigen Standpunkt einnehmen kann. Wieso sollte das nicht
auch bei einer unabhängigen Wahlkreiskommission so sein? Eine
unabhängige Wahlkreiskommission ist dann auch nur ein weiterer Aspekt
der Gewaltenteilung.

> Wieso sollen die 299 Wahlkreisergebnisse irrelevant sein?

Weil sie, wenn man diese Ergebnisse auf ein anderes Wahlsystem z.B.
hinsichtlich Instabilität bezieht, keine Aussagekraft besitzen. Die
Situation könnte eine ganz andere sein und man würde dann vielleicht
ganz andere Konsequenzen ziehen.

> IRV löst nicht das Problem, dass die Erstpräferenz Grüne/FDP/Linke in
> der Regel nicht zu Sitzen für diese Parteien führen, auch wenn
> Abermillionen Menschen in Deutschland so stimmen - sie haben halt nur
> das Pech, nicht im selben Wahlkreis zu wohnen.

Inwiefern die genannten Parteien keine Sitze bekommen, ist auf lange
Sicht nicht abzuschätzen. Meiner Meinung nach werden Grüne und Linke
auch Sitze erhalten, allerdings wohl zunächst nicht in der bisherigen
Stärke. Aber gibt es 598 Wahlkreise, dann könnte das auf lange Sicht
vielleicht schon anders aussehen. Hier von einer "Regel" zu sprechen,
halte ich nicht für gerechtfertigt.

Ein weiterer Vorteil von IRV ist der, dass keine Stimme verloren gehen
muss, selbst wenn man eben seine Erstpräferenz einem chancenlosen
Kandidaten gibt. Bei einem Verhältniswahlsystem mit 5%-Hürde gehen aber
Stimmen verloren.

MfG Bobo.
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Bobo
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juni 2012 - 22:52 Uhr:   

@Arno Nymus:

Ihr Einwand ist korrekt. Es ging aber um Stabilität, und das Referendum wurde eben
aus solchen Gründen abgehalten.

Nebenbei: Ich halte es auch hier in Deutschland für wünschenswert, hinsichtlich eines
Wahlrechts ein Referendum abzuhalten. Voraussetzung dafür wäre allerdings eine breite
Diskussion in der Öffentlichkeit. In anderen Ländern (sogar in Großbritannien) ist das auch
möglich. Allerdings gibt es in solchen Ländern auch viel mehr Erfahrung mit Demokratie als
hier. Auch in dieser Hinsicht sollte man hier "mehr Demokratie wagen" (frei nach W. Brandt).

MfG Bobo.
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Ralf Lang
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2012 - 10:40 Uhr:   

Brauchen wir überhaupt Direktmandate? Sie machen nur Ärger an jeder Front: Beim Zuschnitt der Wahlkreise, bei der Verrechnung mit den Listenmandaten, bei der Repräsentation flächendeckender Zweiter gegenüber lokalen Spitzen und wenn dann mal die Liste gar nicht zieht, gibt es auch wieder nur Konflikte. Ein reines Verhältniswahlrecht mit Personalisierungsmöglichkeiten entspricht doch viel eher den heutigen Möglichkeiten und Gegebenheiten: Wähler wollen im Allgemeinen Liste X und deren Spitzenkandidaten stärken - manchmal mögen sie weit hinten auf der Liste plazierte Kandidaten mehr als weiter vorn plazierte und wollen sortieren können.

Dabei wäre es aber wünschenswert, wenn die Listensortierung zumindest einen graduellen Einfluss hätte.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2012 - 11:29 Uhr:   

@Ralf Lang

Was die Direktmandate angeht, bin ich völlig bei Ihnen. Im Übrigen glaube ich, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht einmal ein großes Interesse an der Wahl von hinten auf der Liste platzierten Kandidaten hat. Schaut man sich z.B. das sehr personalisierungsfreundliche Hamburger Wahlrecht an, so sieht man, dass der Anteil derer, die nicht entweder die Gesamtliste oder deren Spitzenkandidaten wählt doch relativ gering ist. Im Einzelnen ergeben sich folgende Zahlen für die Parteien, die über 1% der Stimmen erhalten haben:

SPD: Listenstimmen = 794606 (47,6%), Olaf Scholz = 633019 (38,0%), übrige Personenstimmen = 240179 (14,4%)
CDU: Listenstimmen = 408774 (54,2%), Christoph Ahlhaus = 194511 (25,8%), übrige Personenstimmen = 150520 (20,0%)
GAL: Listenstimmen = 232388 (60,4%), Anja Hajduk = 41238 (10,7%), übrige Personenstimmen = 110876 (28,8%)
FDP: Listenstimmen = 128712 (56,2%), Katja Suding = 73700 (32,2%), übrige Personenstimmen = 26713 (11,7%)
Linke: Listenstimmen = 132435 (60,1%), Dora Heyenn = 24984 (11,3%), übrige Personenstimmen = 63009 (28,6%)
Piraten: Listenstimmen = 52665 (72,0%), Claudius Holler = 4221 (5,8%), übrige Personenstimmen = 16240 (22,2%)

Bei keiner Partei lag der Anteil der Kandidaten, die hochgewählt werden sollten bei 30% oder mehr, bei der SPD und der FDP sogar unter 15%. Wenn man sich dann anschaut, mit wie wenig Stimmen Abgeordnete wie Matthias Albrecht (0,17% aller SPD-Stimmen), Hjalmar Stemmann (0,41% aller CDU-Stimmen) oder Kurt Duwe (0,68% aller FDP-Stimmen) über Personenstimmen gewählt sind, fragt man sich doch, welche besondere demokratische Legitimation, die ein Abweichen von der Gesamtliste rechtfertigt, hinter diesen steht.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2012 - 16:24 Uhr:   

@Norddeutscher
Natürlich wirken 0,17% der Stimmen einer Partei bei einem Kandidaten teilweise etwas mickrig: Teil der Wahrheit ist aber auch, dass jeder andere gewählte Kandidat der Partei in der Regel mehr Stimmen bekommen hat, aber jeder maximal die Chance auf ein Mandat erhält. Hier traue ich den Wählern durchaus zu, dass sie mit der Zeit lernen, damit umzugehen.

@Bobo
"Meiner Meinung nach werden Grüne und Linke auch Sitze erhalten, allerdings wohl zunächst nicht in der bisherigen Stärke."
Einen wirklichen Lerneffekt, nachdem kleine Parteien irgendwann wieder anwachsen, gibt es aber auch in UK nicht. Deshalb sind realistischerweise in den meisten Wahlkreisen nur die Kandidaten der zweieinhalb großen Parteien erfolgreich. Eine 8,6%-Partei wie die Grünen bei der Europawahl, rutscht ja nicht bei der Unterhauswahl im Folgejahr auf 0,9+0,1%, weil die Wähler ihr weniger Lösungskompetenz zu getraut haben - sondern weil sich das Wahlverhalten an das Wahlsystem angleicht.
Gut abschneiden können allenfalls die Regionalparteien - allerdings produziert das Wahlsystem auch meist übergroße Mehrheiten, die diese Regionalparteien für den parlamentarischen Alltag überflüssig macht ...
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 02:04 Uhr:   

"Hier traue ich den Wählern durchaus zu, dass sie mit der Zeit lernen, damit umzugehen."

Ich glaube nicht, dass Wähler "lernen müssen". Der weit überwiegenden Anzahl sind die Hinterbänkler schlicht egal. Die Einen vertrauen auf die Reihenfolge der Partei (die wählen dann die Gesamtliste), die Anderen interessiert nur der Spitzenkandidat. Eventuell ist noch der Kandidat aus dem eigenen Stadtteil im Wahlkreis interessant (man merkt das daran, dass in den Wahlkreisen die Kandidaten aus den einwohnerstarken Stadtteilen zulasten der Kandidaten aus den einwohnerschwachen Stadtteilen - Promis mal ausgenommen - hochgehäufelt wurden). Folge wird aus meiner Sicht sein, dass die Kandidaten, die entweder das Geld haben, eine eigene Kampagne in ihrer Zielgruppe zu bezahlen, oder eine pressure group hinter sich haben oder schlicht aus Gründen, die nichts mit der Politik zu tun haben prominent sind, aufgrund der geringen notwendigen Stimmenzahlen hervorragende Chancen haben werden, in die Bürgerschaft einzuziehen, während der Mainstream eher hinten runterfällt. 2011 wurde dieses Instrument noch kaum genutzt, aber es fällt schon auf, dass z.B. eine Theaterintendantin (bei der SPD), der HSV-Präsident (bei der FDP) - die beiden sicherlich über allgemeine Bekanntheit - oder eine im Verfassungsschutz benannte PKK-Aktivistin (bei der Linken) - die wohl über ihre Bekanntheit in der entsprechenden Szene - hochgewählt wurden, obwohl der durchschnittliche Wähler über derenpolitische Auffassungen wohl eher nichts wusste. Während man bei der PKK-Aktivisten noch sagen kann, dass diese wohl von kurdischstämmigen Wählern aus politischen Gründen wurden, was legitim ist, auch wenn ich die Gründe mißbillige, finde ich die Wahl von von Frau Vertes-Schütter oder von Herrn Jarchow doch eher bedenklich. Aus meiner Sicht sollte ein personalisiertes Wahlverfahren belohnen, dass die politischen Auffassungen des Kandidaten populär sind und nicht, dass dieser sonst prominent ist. Wenn man das nicht sicherstellen kann, sollte man auf die Personalisierung lieber verzichten, weil es das Ziel, zu einer qualitativ besseren Vertretung der Bevölkerung durch ihre Abgeordneten offenkundig nicht erfüllt.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 13:57 Uhr:   

@Norddeutscher
Wer nur die Listenstimme(n) abgibt, ist ein halber Nichtwähler - er stärkt seine Partei, aber er überlässt die Personalauswahl anderen.
Nur dass diese anderen jetzt die Wähler sind und nicht die Delegierten eines Parteitags!
Und auch die von Parteitagen bestimmten Listen sind ja teilweise auch nach Prominenz sortiert. Da landet der fleißig-solide, aber oft nur Insidern bekannte Hinterbänkler meist nicht auf den vorderen Plätzen - die Top5 besteht bei Regierungsparteien meist nur aus MP, Ministern, Fraktionschef und vielleicht mal dem Landtagspräsidenten.}
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 15:50 Uhr:   

@Jan Wenzel

Nein, beim Hamburger Bürgerschaftswahlrecht haben sie auf der Landesliste die Wahl, ihre fünf Stimmen als Listen- oder Personenstimmen abzugeben. Mit der Listenstimme bestätigen Sie die Liste, mit der Personenstimme wählen sie einzelne Kandidaten auf der Liste. Vom Verhältnis der Listen- zu den Personenstimmen einer Partei hängt dann ab, wieviele Abgeordnete nach der aufgestellten Liste und wieviele nach der Stimmenanzahl in die Bürgerschaft einziehen (nach Abzug der in den Wahlkreis abgegebenen Stimmen. Das Problem ist dabei, dass die Spitzenkandidaten, die bei allen in der Bürgerschaft vertretenen Parteien bereits entweder in einem Wahlkreis oder über die Listenstimmen in den Wahlkreis eingezogenen sind, jeweils einen erklecklichen Anteil der gesamten Stimmen ziehen und damit für viele über Personenstimmen gewählte Abgeordnete sorgen, obwohl sie - die diese Stimmen ziehen - praktisch überhauptnicht über diesen Weg einziehen können. Die Wähler sorgen damit für den Einzug von Kandidaten über Personenstimmen, die sie überhaupt nicht wählen. Aufgrund der relativ großen Zahl an in den Wahlkreisen gewählten Abgeordneten fällt das bei GAL und Linker nicht wirklich ins Gewicht (hinzu kommt, dass die Stimmen für die Spitzenkandidaten dort auch relativ gering sind).

Eine Vergleichsrechnung für SPD, CDU und FDP soll das mal deutlich machen:

SPD: 62 Sitze, davon 37 Wahlkreisabgeordnete, bleiben noch 25 für die Landesliste. Durch die Verteilung zwischen Listen- und Personenstimmen fielen zwölf Sitze auf die Listenreihenfolge und 13 auf Personenstimmenreihenfolge. Olaf Scholz, der bereits auf Platz 1 der Listenreihenfolge gewählt worden war, ist mit seinen Stimmen alleine für neun der 13 über Personenwahl gewählten Abgeordneten verantwortlich, obwohl er selbst nur dann über die Personenwahl hätte in die Bürgerschaft einziehen können, wenn weniger als 2% (realer Wert 47,6%) der SPD-Stimmen auf die Gesamtliste statt auf Personen gefallen wären, eine Stimmabgabe für ihn persönlich also völlig widersinnig gewesen ist, wenn man auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft Einfluß nehmen wollte (was ja Sinn der Personenstimmen ist).

CDU: 28 Sitze, davon 18 Wahlkreisabgeordnete, bleiben noch 10 für die Landesliste. Durch die Verteilung zwischen Listen- und Personenstimmen fielen je fünf Sitze auf die Listenreihenfolge und die Personenstimmenreihenfolge. Christoph Ahlhaus, der bereits auf Platz 1 der Listenreihenfolge gewählt worden war, ist mit seinen Stimmen alleine für drei der fünf über Personenwahl gewählten Abgeordneten verantwortlich, obwohl er selbst nur dann über die Personenwahl hätte in die Bürgerschaft einziehen können, wenn weniger als 5% (realer Wert 54,2%) der CDU-Stimmen auf die Gesamtliste statt auf Personen gefallen wären, eine Stimmabgabe für ihn persönlich also völlig widersinnig gewesen ist, wenn man auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft Einfluß nehmen wollte (was ja Sinn der Personenstimmen ist).

FDP: 9 Sitze, davon 1 Wahlkreisabgeordnete (Katja Suding in Blankenese), bleiben noch 8 für die Landesliste. Durch die Verteilung zwischen Listen- und Personenstimmen fielen je vier Sitze auf die Listenreihenfolge und die Personenstimmenreihenfolge. Katja Suding, die bereits im Wahlkreis Blankenese gewählt worden war, ist mit ihren Stimmen alleine für drei der vier über Personenwahl gewählten Abgeordneten verantwortlich, obwohl sie selbst nur dann über die Personenwahl hätte in die Bürgerschaft einziehen können, wenn die FDP a) keinen Abgeordneten im Wahlkreis Blankense erhalten hätte und b) weniger als 6% (realer Wert 56,2%) der FDP-Stimmen auf die Gesamtliste statt auf Personen gefallen wären, eine Stimmabgabe für sie persönlich auf der Liste also völlig widersinnig gewesen ist, wenn man auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft Einfluß nehmen wollte (was ja Sinn der Personenstimmen ist).

Fazit: Die Wähler wählen den Spitzenkandidaten, weil sie ihn aus Presse, Funk und Fernsehen kennen und stärken damit eine Abweichung von der Liste, ohne die davon profitierenden Kandidaten überhaupt zur Kenntnis nehmen zu wollen.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 16:44 Uhr:   

@Norddeutscher
Was Sie richtig erkennen: die Kombination mit Listenreihenfolgen und die anteilige Bedienung der Liste führt bei den Personenwahl zu einem Duell der Zwerge um die Plätze auf der Hinterbank!
Schuld daran ist aber nicht die die Personenwahl, sondern die nicht ganz überwundene Wahl über die Parteiliste!
In Bremen haben Parteien ihren Kandidaten teilweise sogar eigene Plakate und den Personenwahlkampf verboten, um die Personenwahl auszuhebeln.

Ihre Kritikpunkte sind vor allem auf personenwahlfeindliche schädliche Einflüsse zurückzuführen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 17:31 Uhr:   

"Was Sie richtig erkennen: die Kombination mit Listenreihenfolgen und die anteilige Bedienung der Liste führt bei den Personenwahl zu einem Duell der Zwerge um die Plätze auf der Hinterbank!
Schuld daran ist aber nicht die die Personenwahl, sondern die nicht ganz überwundene Wahl über die Parteiliste!"
Nein. Das wäre auch bei interner Sitzverteilung allein nach Stimmenzahlen so.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 17:21 Uhr:   

"Schuld daran ist aber nicht die die Personenwahl, sondern die nicht ganz überwundene Wahl über die Parteiliste! "

Wie man an den Zahlen sieht, will ein Großteil (nämlich diejenigen, die die Parteiliste wählen und diejenigen, die mit der unnötigen Wahl des Spitzenkandidaten auch bekunden, dass ihnen die hinteren Plätze egal sind) überhaupt nichts an der Parteiliste ändern. Auch eine Abschaffung der Parteistimme würde überhaupt nichts ändern, da dann diese Stimmen zu wahrscheinlich mehr als 90% dem Spitzenkandidaten zugute kommen würden. Man kann aus meiner Sicht die Problematik nur so lösen - wenn man die Personalisierung will - dass man dem Kandidaten, der soviele Stimmen erhält, dass diese mehr als ein volles Mandat wert sind, auch entsprechend mehr Stimmrecht im Parlament gibt. wenn man Personalisierung will, muss man konsequenterweise auch zugestehen, dass jemand, der 630000 Stimmen erhält auch einen höheren formalen Einfluß in der Stimmabgabe im Parlament hat, als derjenige, der lediglich 2800 Stimmen erhalten hat.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 20:05 Uhr:   

@Thomas Frings
Wenn die Erste Garde der Parteien nicht über die Liste sondern über Personenstimmen ins Parlament einzieht, dann werden Personenstimmensitze nicht mehr nur ausschließlich für kleine Stimmenzahlen vergeben.

@Norddeutscher
Ich würde die Listenstimme nicht abschaffen, sondern in eine Pauschalstimme umwandeln, die zwar die Partei stärkt, aber keinen Einfluss auf die Personenauswahl nimmt.
Außerdem muss man nicht unbedingt mehr alle Stimmen bei einem einzigen Kandidaten kumulieren können. Drei von 5 Stimmen wären völlig ausreichend.

Und natürlich gibt es Lerneffekte, sobald die Wähler nach und nach lernen, dass es tatsächlich möglich ist, als Wähler die Abgeordneten seiner Partei gezielter auszusuchen. Bei einer Premiere dieses Systems kommt das noch nicht voll zum tragen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 20:42 Uhr:   

"Wenn die Erste Garde der Parteien nicht über die Liste sondern über Personenstimmen ins Parlament einzieht, dann werden Personenstimmensitze nicht mehr nur ausschließlich für kleine Stimmenzahlen vergeben."
Die "erste Garde" wird wegen höherer Bekanntheit mehr Stimmen bekommen als die meisten Hinterbänkler.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 20:55 Uhr:   

@Thomas Frings
Ja, natürlich bekommen die mehr Stimmen! Es ist eine Tatsache, dass beim Kumulieren und Panaschieren, die einzelnen Kandidaten unterschiedlich viele Stimmen bekommen. Das ist nicht weiter schlimm und das wird nicht immer so extreme Ausmaße haben!
Problematisch ist die jetzige Situation, weil fast alle Personenstimmen an Kandidaten gehen, die ihr Mandat über die Liste bekommen - deshalb gehen die wenigen Personenstimmen-Mandate alle sehr billig weg!
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Christian Haake
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 20:57 Uhr:   

@Jan Wenzel
"Wenn die Erste Garde der Parteien nicht über die Liste sondern über Personenstimmen ins Parlament einzieht, dann werden Personenstimmensitze nicht mehr nur ausschließlich für kleine Stimmenzahlen vergeben."

Sprich Verrechnung wie in Niedersachsen? Also erst nach Personenstimme zuteilen, dann nach Liste? Verringert auf jeden Fall die Zahl derer, die mit kleinen Stimmzahlen über die Personstimme einziehen, richtig.

"Ich würde die Listenstimme nicht abschaffen, sondern in eine Pauschalstimme umwandeln, die zwar die Partei stärkt, aber keinen Einfluss auf die Personenauswahl nimmt."

Pauschalstimme statt Listenstimme ist fast das gleiche wie den beliebten Spitzenkandidaten wählen. Genauer: wenn klar ist der eine Kandidat wird wohl genügend Stimmen bekommen um reinzukommen, ist eine Stimme für ihn die Pauschalstimme. Bei deinem Vorschlag ist die ursprüngliche Listenreihenfolge auch fast egal außer als Wertungsvorschlag der Partei und als Entscheidung im Stimmengleichheitsfall.

Um sicher zu gehen, dass über die Personenauswahl generell nicht Leute profitieren, die selbst nur sehr wenig persönliche Stimmen bekommen, nur halt gerade mehr als die Unberücksichtigen, könnte man in Richtung niederländisches Modell gehen: Wer einen gewissen Stimmenanteil (z.B. halber Anspruch für einen Sitz) an Personenvorzugsstimmen bekommt wird darüber eingereiht/bevorzugt, der Rest geht über die ursprüngliche Listenreihenfolge.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 21:27 Uhr:   

"Problematisch ist die jetzige Situation, weil fast alle Personenstimmen an Kandidaten gehen, die ihr Mandat über die Liste bekommen - deshalb gehen die wenigen Personenstimmen-Mandate alle sehr billig weg!"
Die letzten Plätze wären auch bei Vergabe nur nach Präferenzstimmen "sehr billig", wenn eine Liste viele Sitze kriegt.

"Um sicher zu gehen, dass über die Personenauswahl generell nicht Leute profitieren, die selbst nur sehr wenig persönliche Stimmen bekommen, nur halt gerade mehr als die Unberücksichtigen, könnte man in Richtung niederländisches Modell gehen: Wer einen gewissen Stimmenanteil (z.B. halber Anspruch für einen Sitz) an Personenvorzugsstimmen bekommt wird darüber eingereiht/bevorzugt, der Rest geht über die ursprüngliche Listenreihenfolge."
Dann ändern die Präferenzstimmen aber kaum etwas.

Man muss doch klar erkennen: die meisten Wähler sind schlicht und einfach zu desinteressiert und unwissend, um die Möglichkeiten eines anspruchsvollen Wahlsystems zu nutzen.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 21:34 Uhr:   

@Christian Haake
Nein, erst alle Sitze nach Personenstimmen zuteilen und dann 0 Sitze per Listenreihenfolge. Die Liste ist dann eher ein Gestaltungsvorschlag für den Druck der Stimmzettel bzw. pattentscheidend.
Das niederländische Modell lässt sich aber auch abwandeln: erst diejenigen, die genug Stimmen für einen halben Sitz haben in der absteigenden Rangfolge der Personenstimmen und dann die übrigen Kandidaten in der absteigenden Rangfolge der Personenstimmen. In der Praxis kann diese Zweiteilung aber entfallen.
So wird verhindert, dass ein Kandidat mit 0,1 Sitzansprüchen aufgrund besserer Listenposition gegenüber jemandem mit viermal so vielen Personenstimmen bevorzugt wird.

Einem Kandidaten mehr Personenstimmen zu geben, als er benötigt, ist eine unschöne Krücke, weil der Wähler hier das Wahlergebnis erahnen muss. Die Pauschalstimme soll dem durch die Änderung irritierten Wähler Sicherheit geben, dass er auch einfach wie gewohnt sein Kreuz "bei der Partei" machen kann - bzw. sein 5 Kreuze.
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Hanseat
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 23:16 Uhr:   

@Jan Wenzel

Ich habe z.B. bewußt meine fünf Stimmen der Listen der von mir präferierten Partei gegeben, weil ich die von Ihr aufgestellte Liste so unterstützen wollte und eben keine Veränderung wollte. Wenn dies nun plötzlich keine Auswirkung mehr haben sollte, beeinträchtigt das meine Wahlfreiheit, die Liste so zu unterstützen wie sie aufgestellt ist.

Ich möchte nicht, dass meine Listenstimmen, nur den Schnitt der Personenstimmen anderen Wähler meiner Partei bestätigt, sondern ich möchte - wie bei der Hamburger Wahl jetzt möglich - die Freiheit haben, auch den Wahlvorschlag der von mir präferierten Partei bewußt in der Reihenfolge (von 1 bis 60) so unterstützen und gegen Veränderungen stärken können.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2012 - 23:36 Uhr:   

@Hanseat
Also Sie sind der erste, der es als Privileg ansieht, die Liste abzunicken, die ein Parteitag ihm vorgegeben hat!
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Hanseat
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 12. Juni 2012 - 13:16 Uhr:   

@Jan Wenzel

Ich vertraue darauf, dass die Partei, die ich wähle ein <u>Gesamtpaket>/u> an Kandidaten aufgestelltz hat, dass die Politik, für die ich die Partei wähle auch umzusetzen vermag. Ich maße mir nicht an, festzustellen, ob der Kandidat auf Platz 43 oder der Kandidat auf Platz 57 geeigneter ist, z.B. im Kulturausschuss die richtigen Entscheidungen zu treffen. Den Delegierten des Parteitages, die die Kandidaten im Regelfall schon seit Jahren kennen und wissen, wer strukturiert arbeiten kann und wer wirklich hinter dem Programm, das ich mit der Stimme für die Partei wähle, steht, vertraue ich in ihrer Entscheidung. Ich wähle eine Partei aufgrund des Wahlprogramms und der Annahme, dass die Partei dieses auch umzusetzen vermag und nicht, weil ich Person X oder Person Y ein Mandat verschaffen möchte. Der einzelne Abgeordnete ist mir egal, wichtig ist das Ergebnis, das am Ende hewrauskommt und da ist es nicht unbedingt sinnvoll aus einem planvoll zusammengesetzten Team einzelne Teammitglieder herauszubrechen und durch andere - eventuell überhaupt nicht teamfähige aber schillernde - Personen zu ersetzen.

Ich kaufe ja auch nicht Produkt A oder Produkt B, um dort Mitarbeiter Meier oder Müller zu unterstützen, sondern weil ich das Produkt gut finde und darauf vertraue, dass das Unternehmen Mitarbeiter beschäftigt, die dieses Produkt in der von mir gewünschten Qualität herstellen. Da maße ich mir doch auch nicht an, zu sagen, ich kaufe einen VW Passat nur dann, wenn der Mitarbeiter Meier in der Fertigung durch den Mitarbeiter Müller ersetzt wird.
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Jan Wenzel
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 13. Juni 2012 - 14:31 Uhr:   

@Hanseat
Da haben Sie aber eine sehr idealisierte Vorstellung, nach welchen Kriterien Listen aufgestellt werden ...
In der NRW-CDU gab es einen Riesenkrach vor der Wahl, weil Röttgen die guten Listenplätze seines Regionalverbands an Menschen seines Vertrauens verteilen wollte, und frühere Platzhirsche aufgrund des Regionalproporzes gleich um zwei Dutzend Plätze nach hinten rutschten.
Von einem Freund, der in einer anderen Partei erfuhr ich hautnah, wie seine Partei für die Bezirksvertretung nominiert. Alle Stadtteilgliederungen nominierten entweder ihren Vorsitzenden, der nicht für den Rat kandidierte, oder ansonsten den dienstältesten Lokal-Vize ohne Ratskandidatur. Beginnend mit der mitgliederstärksten Stadtteilgliederung hat man sieben Listenplätze abgenickt, damit alle versorgt waren - inkl. Stadtteilpartei X-Nord und Stadtteilpartei X-Süd, die sich unsinnigerweise ein Jahr vorher in zwei Verbände gespalten haben, obwohl ihr Stadtteil einer der kleinsten ist.
Listen gehen nicht nach Kompetenz: sie sollen Regional-, Lager-, und Geschlechterproporz sicherstellen und sie zeigen, wer bei wem noch was gut hatte, und wer mit wem eine offene Rechnung.
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Samstag, 30. Juni 2012 - 18:02 Uhr:   

Auch mit dem Österreichischen Ansatz kann man negatives Stimmgewicht beseitigen:

Vor der Wahl werden 538 Sitze proportional nach Wahlberechtigten (oder was auch immer) auf die Länder verteilt.
Diese Sitze werden dann wie 1953 in den Ländern verteilt und mit den Direktmandaten verrechnet.
Dann wird für die 598 Sitze insgesamt die Oberverteilung berechnet, die Sitze mit den schon zugeteilten verrechnet. Die Differenz wird dann entweder unterverteilt, oder bleibt als Überhang aber ohne NStG bestehen.

Das beseitigt den Vergeblichkeitseffekt für die FDP/Bremen.
Der Steinbrucheffekt einer Landesliste ist auf 10% begrenzt und 2009 wäre der meiste Überhang bestehen geblieben. Vor 2009 wär aller Überhang verrechnet worden und sonst hätte sich nichts geändert (vielleicht mal intern bei Rundung auf die Landeslisten).

In Extremfällen können sich kumulierte positive Rundungsabweichungen bzw. Wahlbeteiligungsabweichungen zu einem Überhang aufschaukeln.

Freier Parameter ist der Anteil der Sitze, die im ersten Schritt an die Länder gehen, bzw. die Sitze, die man dann oben drauf packt. Wenn man zu wenig Sitze draufpackt, werden die Rundungsabweichungen wahrscheinlicher und größer, dafür bleibt mehr Überhang erhalten. Wenn man zuwenig Sitze an die Länder verteilt, hätte das 2009 nur in Bremen und Brandenburg Listensitze für die CDU erhalten.
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Nikolaus
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 01. Juli 2012 - 14:27 Uhr:   

Sehr interessant! Würde sogar noch mehr dem Wahlsystem zum schwedischen Reichstag passen. Allerdings für 2013 kaum noch umsetzbar, denke ich.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 01. Juli 2012 - 15:35 Uhr:   

@MF, Nikolaus
Schweden und Österreich haben beide das interessante Prinzip, Sitze aufzusparen, um Unebenheiten aus regionaler und Parteienverteilung auszugleichen. Die Reststimmenverteilung hingegen ist ein Instrument zur Parlamentsaufblähung.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 01. Juli 2012 - 16:23 Uhr:   

@Nikolaus:

Nachdem das nur die Berechnung der Sitzverteilung ändert, kann man es theoretisch sogar nach der Wahl noch einführen. (Auslosen eines Berechnungsverfahrens nach der Wahl unter mehreren Möglichkeiten wär übrigens eine interessante Methode, die nebenbei die Definitionsgrundlage für negatives Stimmengewicht ruiniert.)

@Jan W.:

Ob man die Sitze vorher abzieht oder nachher draufschlägt, ändert nichts am Prinzip, solang man die Sollsitzzahl entsprechend festlegt. Die Zusatzsitze im aktuellen Wahlrecht hätte man genauso größenneutral einführen können, indem man zuerst nur 588 Sitze verteilt und die Wahlkreise auf 294 reduziert (für Letzteres haben sie aber etwas lang gepennt).

Abgesehn von den Zusatzsitzen spart das Bundestagswahlsystem noch 299 Sitze auf, bloß reicht das trotz der immensen Menge nicht. Das Problem sind halt die Einerwahlkreise. Man braucht auch garnicht ins Ausland zu gehn; im Saarland funktioniert es im Prinzip auch so.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 01. Juli 2012 - 16:35 Uhr:   

@RL
Klar, auch Hamburg funktioniert so ... wobei da die Personalisierungskomponente stärker ist als im Saarland.
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Sonntag, 01. Juli 2012 - 20:40 Uhr:   

@RL
NStG bezieht sich dann auf den Erwartungswert.

@Nikolaus
Alles, was nicht neue Wahlgebietsstrukturen erfordert, ist noch umsetzbar.
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Richard Seyfried
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 27. Juli 2012 - 02:55 Uhr:   

@Martin F. und Jan W.
Das österreichische System funktioniert deshalb rechnerisch einwandfrei und ohne Ungerechtigkeiten, weil es keine 2 getrennten Stimmabgaben gibt, sondern eine Listenwahl mit Vorzugsstimmen. Personenstimmen können demnach nur die Reihung auf der Liste verändern, Direktmandate mit Einerwahlkreisen existieren nicht. Dementsprechend kann es auch theoretisch nie ein Überhangsmandat geben.
Das angesprochene "Sitze aufsparen" für die "Bundesliste" ist nicht der primär entscheidende Unterschied zwischen Deutschland und Österreich. Das alleine reicht, wie Ratinger Linke richtig betont, auch bei 299 Sitzen nicht aus. Die "Bundeslisten", die es in Österreich auch gibt, schränken das Risiko eines Überhangs nur ein, mehr aber nicht.
Wenn Deutschland weiterhin Einerwahlkreise mit "Stimmensplitting" haben will, dann bleibt auch die Gefahr von Überhangsmandaten und daraus resultieren Ungerechtigkeiten (oder wahlweise Aufblähungen des Bundestags) prinzipiell immer gegeben.
Dafür gibts 2 zwingende Gründe:
1. Für ein Listenmandat sind ca. 50% der durchschnittlichen Wähler erforderlich, für ein Direktmandat reichen z.T. schon 26%.
2. Der Wähler kann Direktkandidaten einer Partei, gleichzeitig aber eine andere Partei mit der Zweitstimme wählen, was das Risiko von Überhangmandaten weiter vergrößert.

Also wenn man die Lösung mit einem Blick ins benachbarte Ausland sucht, dann muss das Ergebnis heißen: Weg mit dem Einerwahlkreisen, statt dessen offene Listen, bei denen eine bestimmte Zahl an Personenstimmen zur Vorreihung reicht.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 27. Juli 2012 - 13:19 Uhr:   

Über Mehrfachwahlkreise könnte man in Deutschland in der Tat mehr Mandate direkt verteilen, z.B. 100 Fünferwahlkreise oder 150 Dreierwahlkreise.
Unsicher bin ich mir allerdings, wie sich das mit den ganz kleinen Bundesländern verträgt! Ein Bremer Fünferwahlkreis ist kaum vorstellbar, da bleibt kein Raum für eine Landesliste. Auch das Saarland ist kaum in mehrere Großwahlkreise aufteilbar, muss aber mehr Wahlkreise haben als etwa Bremen.
Unter welchen Bedingungen sind denn z.B. Dreier- mit Fünferwahlkreisen kombinierbar? Welche Kriterien wurden hierfür in Hamburg angewandt?
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Christian Schmidt
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 02. August 2012 - 22:25 Uhr:   

Laut Süddeutsche denkt die SPD darüber nach ob es bur noch eine Stimme geben soll, sowohl für den Wahlkreis als auch für die Partie.

Was mich mal interessiert ob so ein System in den letzten Wahlenzu mehr oder weniger Überhangmandaten geführt hätte.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 02. August 2012 - 23:10 Uhr:   

@Christian Schmidt

"Was mich mal interessiert ob so ein System in den letzten Wahlenzu mehr oder weniger Überhangmandaten geführt hätte."

Das hängt davon ab, ob man davon ausgeht, ob die Wähler dann nach ihrer Erstimmenpräferenz oder nach ihrer Zweitstimmenpräferenz wählen würden.
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Frank Schmidt
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 03. August 2012 - 00:19 Uhr:   

Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg gab es ein Einstimmenwahlrecht. Grün-rot hatte die Mehrheit - aber die CDU gewann 60 von 70 Direktmandaten.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 03. August 2012 - 00:31 Uhr:   

@Frank Schmidt

"Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg gab es ein Einstimmenwahlrecht. Grün-rot hatte die Mehrheit - aber die CDU gewann 60 von 70 Direktmandaten."

Das sagt aber noch nichts darüber aus, wie es bei einem Zweistimmenwahlrecht in den Wahlkreisen ausgegangen wäre (ich nehme an, die CDU hätte deutlich weniger Wahlkreise gewonnen, weil Grünen- und SPD-Wähler mit der Erststimme taktisch je nach örtlicher Lage den aussichtsreicheren Kandidaten von Grün-Rot hätten wählen können, ohne ihrer Partei zu schaden, aber das ist natürlich Spekulation).
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 03. August 2012 - 01:02 Uhr:   

Wenn man das Zweitstimmenergebnis unterstellt (was man natürlich nicht kann, was aber die beste Näherung ist), wären es 2009 im Saldo 7 Überhangmandate mehr gewesen: Linke +2 in Brandenburg, +1 in Sachsen-Anhalt; CDU je +2 in Hessen und Rheinland-Pfalz, +1 in Baden-Württemberg und -1 in Thüringen.

Allgemein ist die Tendenz von der SPD zur CDU und weiter zur Linken. Die Grünen gewinnen Berlin-Mitte (mit 22,0%), die SPD gegen den Trend Eimsbüttel (aber das ist ein Sonderfall). Generell hat die Union den Vorteil, dass FDP-Wähler öfter splitten als Grüne, aber das bringt nichts, solang die FDP viel kleiner ist. Aber das kann sich alles ändern, und ein anderes Wahlsystem wird das Wahlverhalten ändern.

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