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Bundeswahlsystem reformieren - Eine S...

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Robert Kunsch
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 16. Juli 2011 - 14:02 Uhr:   

Bei der aktuellen Debatte im deutschen Bundestag stelle ich fest, dass bei den Vorschlägen der Fraktionen das System von Erst- und Zweitstimme erhalten bleiben soll. Ich denke, wir sollten auch über gänzlich andere Systeme nachdenken, die das Problem des negativen Stimmgewichtes beheben, nach meiner Intention auch das Problem der Überhangmandate vernichten (also den Parteienproporz erhalten), gleichzeitig aber auch leicht auszuzählen sind, Vertreter aus allen Regionen garantieren und unabhängigen Kandidaten sowie regional verankerten Parteien jenseits von 5%-Hürden eine Chance geben.
Als zugelassene Partei bezeichne ich hier Parteien, die eine 5%-Hürde oder ein anderes Kriterium erreicht haben, um als Partei in den Bundestag einzuziehen.

Erste Variante - Eine Stimme für eine Person auf präferierter Liste

Hauptintention: Einfluss auf die personelle Zusammensetzung ermöglichen - auch bei kleinen Parteien.

Die Parteien stellen regionale Listen auf. Da Bundesländer in der Größe Stark schwanken, währe die Einteilung des Wahlgebietes in Regionen innerhalb von Bundesländern sinnvoll. Diese Regionenen wären entweder komplette kleine Bundesländer (eigentlich nur Bremen) und ansonsten Gebiete mit etwa 500.000 Wahlberechtigten, wobei die Größe leicht schwanken darf, aber so orientiert sein sollte, dass pro Wahlregion 3 bis 5 Abgeordnete in den Bundestag kämen. Die Sitze einer zugelassenen Partei werden gemäß der Stimmen pro Wahlregion auf die Regionallisten verteilt (Sainte-Laguë).
Erhält ein einzelner Kandidat (ob auf einer Liste oder unabhängig) einen bestimmten Prozentsatz an Stimmen, so kommt derjenige direkt in den Bundestag. (Bei 3 bis 5 Abgeordneten pro Region könnte man dies bei 20 bis 30 Prozent ansetzen)
Damit wäre die Regionalität bewahrt, wenn auch in größerem Rahmen, schließlich würde eine 30%-Partei mit Sicherheit aus dieser Region eineN AbgeordneteN stellen. Es wäre aber noch Bürgernäher als bei großen Landeslisten. Zudem sichern weniger Kandidaten, dass sich die WählerInnen besser von den Kandidaten ihrer präferierten Partei ein Bild machen können.

JedeR WählerIn hat eine Stimme, die er/sie für eine Person auf einer Liste vergeben kann. Stimmt er nur für die Liste, so kommt die Stimme der regionalen Spitzenkandidatur zugute. Jede Stimme auf einer Liste zählt für diese Partei. (Dies macht eine schnelle Auszählung für den Parteienproporz effektiv möglich!) Die Abgeordnetenzahl im Bundestag ist fest und die Sitze werden - abzüglich der Sitze für unabhängige Direktkandidaten - gemäß dem Stimmenanteil der zugelassenen Parteien auf diese verteilt, wobei natürlich hierbei ParteikandidatInnen mit ausreichend eigen Stimmen in ihrer Wahlregion automatisch über die Listen ein Mandat erhalten. Danach werden die Mandate für jede Partei gemäß der Stimmenanzahl auf die Bundesländer und dann diese Mandate auf die in einem Bundesland zwingend verbundenen Regionallisten verteilt (Sainte-Laguë).* Die Mandate einer Regionalliste einer Partei werden nun in Reihenfolge der höchsten persönlichen Stimmenzahl verteilt, bei Stimmengleichheit nach Listenplatz.
* Diese Regelung ermöglicht, dass Länder wie Thüringen z.B. eine grüne Abgeordnete stellen können, auch wenn sich parteiintern die einzelnen Regionen im Wettbewerb mit Regionen in Ländern wie BaWü oder Berlin, wo der Stimmenanteil durchgehend höher ist) nicht durchgesetzt hätten.

Eine Partei ist zugelassen, wenn ihre Listen
a) Bundesweit mindestens 5% der abgegebenen Stimmen erhalten,
oder
b) mindestens 3 Kandidaten direkt in den Bundestag schicken kann aufgrund eines ausreichenden persönlichen Stimmanteils.

eine weitere Möglichkeit, die zusätzlich - oder anstelle von b) bereitgestellt - von mir in Erwägung gezogen wird, wäre die folgende:
c) Falls die Partei in mindestens 5 (oder eine andere Zahl) Regionen einen Stimmenanteil von mindestens 20% (bzw. Prozentsatz für ein Mandat) erhalten hat.

Vorteile dieses Ansatzes:
- Man hat mehr Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Bundestages, weil man auch innerhalb einer Partei wählen kann. Man kann auch kleinere Parteien beeinflussen
- Man kann nur die personelle Zusammensetzung von Parteien beeinflussen, die auch von einem gewählt werden.
- Überhangmandate sind systembedingt ausgeschlossen, da erst ein natürlicher Stimmenanteil den Einzug gewährleistet.

Zweite (hässliche) Variante - Eine Stimme, alte Wahlkreise, aber keine Direktmandate mehr im ursprünglichen Sinne

Diese Variante find ich eigentlich nicht so doll, orientiert sich aber am Vorschlag, Direktmandate verfallen zu lassen. Im Detail: In jedem Wahlkreis gibt es optional eineN KandidatIn pro Partei. Die Stimme für die Partei ist auch von Vorteil für die KandidatIn, weil sie ihm/ihr die Chancen erhöht, das Mandat für die Landespartei zu erringen. Die erste Hälfte der Mandate einer Landespartei wird an die Kandidaten mit höchstem Stimmenfang in ihrem Wahlkreis gegeben, der Rest wird Listenkandidaten gegeben.
Vorteil: Leichte Zählung, alte Wahlkreise
Nachteil: Einfluss auf die personelle Zusammensetzung besteht nicht wirklich. Ob wirklich jeder Wahlkreis eineN VertreterIn stellt, ist fraglich.

Grundsätzliche Neuerung für mehr Demokratie:

Die Chancen für parteilose KandidatInnen als unabhängige gewählt zu werden, sind praktisch nicht gegeben. Stattdessen sollte eine Novelle des Wahlgesetzes ermöglichen, dass Parteien auch parteilose KandidatInnen auf ihre Listen setzen dürfen. (Ich hab das jetzt nicht recherchiert, aber so hat es mir jeder gesagt auf meine Anregung, dass man auch Leute aus Bürgerbewegungen und Initiativen auf Listen nehmen sollte, um die Demokratie zu stärken.)

Ich würde mich feuen, wenn vor allem der ersten Ansatz diskutiert werden könnte, weil ich ihn für einfach, verständlich und transparent, vor allem aber für direkt halte.}
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Robert Kunsch
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 16. Juli 2011 - 14:28 Uhr:   

Anmerkung zu den Wahlregionen in meinem ersten Vorschlag:

- Anstatt 299 Wahlkreisen präferiere ich etwa 120 bis 150 Wahlregionen, die jedoch jeweils nur in einem Bundesland liegen dürfen. Wieviele Abgeordnete nun konkret aus einer Wahlregion kommen, kann allerdings im Zuteilungsverfahren schwanken. Stabilisierd wirkt dabei jedoch die Verteilung der Mandate einer Partei zuerst auf die Länder und dann innerhalb der Länder auf die Regionen.

- Direktgewählt ist ein Kandidat nicht bei einer bestimmten Prozentzahl sondern wenn sein Stimmenanteil absolut den Anteil erreicht, der im Verhältnis zu allen gültigen Stimmen mindestens dem entspricht, was 1 Sitz im Bundestag im Verhältnis zu seiner Größe ist.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 16. Juli 2011 - 17:39 Uhr:   

Die erste Variante geht jedenfalls in die richtige Richtung.

Eine explizite Möglichkeit für eine Listenstimme ist bei so kleinen Wahlkreisen nicht sinnvoll. Das bedeutet praktisch, dass der Listenerste sowieso gewählt ist, und selbst die größeren Parteien hätten in etlichen Wahlkreisen nur 1 Sitz. Die Kandidatenzahl wird also so überschaubar sein, dass man den Wählern zumuten kann, einen davon auszuwählen, wenn man schon eine Personalisierung haben will. In der Regel werden sie dann ohnehin den Listenersten wählen.

Die doppelte Unterverteilung wirkt für die Abweichung der Sitzzahl im Wahlkreis vom Soll eher destabilisierend als stabilisierend. Dass dadurch die Mandate von Parteien mit deutlich weniger Sitzen als Wahlkreisen zumindest auf Landesebene gleichmäßig verteilt sind, macht die Sache aus Sicht der Parteien und Wähler in den chancenlosen Wahlkreisen nicht viel besser.

Die sinnvollere Lösung ist, dass die gleiche Liste in mehreren Wahlkreisen kandidieren kann. Damit entschärft man auch das Quotenproblem, das man sonst bei einem solchen Wahlsystem zwangsläufig bekommt. Mit lauter zumindest optional größeren Listen kann man dann auch problemloser doppelt unterverteilen, wenn man will; bloß bei kleinen Parteien in kleinen Ländern klappt das damit nicht.

Ohne solche Maßnahmen wär das System wohl auch nicht kompatibel mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Wahlbereichen in Sachsen-Anhalt. Da müssten schon die Wahlkreise fast exakt gleich groß sein (bei durchschnittlich gut 4 Sitzen wohl mit Einhaltung der Ländergrenzen machbar). Wobei fraglich ist, ob das Bundesverfassungsgericht die Argumentation so übernehmen würde.

Einzelbewerber und Grundmandatsklausel sind sinnlos, wenn man schon meint, zur Sicherung der Regierungsfähigkeit selbst größere Parteien ausschließen zu müssen, aber das ist momentan auch nicht anders. In Mehrerwahlkreisen wird das Problem aber deutlich praxisrelevanter, selbst wenn man ein 1-Sitz-Quorum nimmt.

Parteien dürfen auch bisher Parteilose als Kandidaten aufstellen (und das kommt auch vor), bloß Mitglieder anderer Parteien neuerdings nicht mehr. Momentan ist Wolfgang Nešković als Parteiloser im Bundestag.

Ich würd eher größere Wahlkreise nehmen, aber nachdem Union und SPD auf kleine Wahlkreise und Einhaltung der Ländergrenzen Wert legen, sind 4er-Wahlkreise wohl das, was am ehesten eine Chance hat. Soweit eine Möglichkeit zur Kandidatur in mehreren Wahlkreisen genutzt wird, ist das auch kein Problem.

Außerdem würd ich zusätzliche Listen auf höherer Ebene bevorzugen, aber das ist auch nicht so wesentlich. Bei zusätzlichen Listen könnte man entweder einen (kleinen) Anteil der Stimme an die Liste abzweigen und den Rest unterverteilen oder feste Sitzzahlen in den Wahlkreisen nehmen und anrechnen (wobei Überhang auftreten kann, der aber problemlos handhabbar ist).
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Robert Kunsch
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 16. Juli 2011 - 18:54 Uhr:   

Wenn ein und dieselbe Liste in mehreren Wahlkreisen gelten soll, läuft dies letztlich auf eine Landesliste ohne Wahlkreise hinaus, schließlich beabsichtige ich ein Wahlsystem mit nur einer Stimme (vor allem aus praktischen Erwägungen). Nagut, für große Bundesländer wie NRW ist eine Unterverteilung dann doch wieder sinnvoll. Allerdings wäre das in der aktuellen politischen Situation nicht durchzusetzen.
Aber das war wohl eher so gemeint, dass einzelne Personen in mehreren Wahlkreisen kandidieren dürften? Das wäre vor allem für kleinere Parteien sinnvoll. Dann müsste man aber wieder eineN WahlkreissiegerIn küren, weil eine Unterverteilung innerhalb das Landes nicht mehr sinnvoll zu bewerkstelligen ist, oder? Da bestünde dann immer noch (wenn auch reduziert) die Gefahr, dass Überhangmandate entstehen. Oder sollten die regionalen Listen einfach dazu dienen, dass die WählerInnen nicht ellenlange Listen studieren müssen sondern in ihrem Wahlkreis pro Partei zwischen zwei/drei Leuten wählen können?

Wie dem auch sei, prinzipiell wäre auch eine Landesliste nicht schlecht. Ich zumindest finde, dass sich Parteien selbst darum kümmern sollten, in der Fläche vertreten zu sein durch Wahlkreisbüros. Es ist eben auch so, dass Wahlkreisbüros eröffnet werden, wo gar nicht der ursprüngliche Wahlkreis war. (Vor allem bei kleineren Parteien) Dazu passt auch, wenn jemand in mehreren Wahlkreisen antreten darf.

Natürlich ist es so, dass in der Regel (wie auch bei Kommunalwahlen) die Spitzenkandidaten gewählt werden. Deshalb stellt ja die Partei auch eine Listenreihenfolge auf. Allerdings bestünde prinzipiell die Möglichkeit, dass einzelne Kandidaten, die bei den Wählern nicht ankommen und sehr starke Antipatien auslösen, durch andere Kandidaten derselben Partei ersetzt werden können.

Was EinzelbewerberInnen angeht, so muss sich einE EinzelbewerberIn im klaren sein, dass er oder sie im Verbund mit einer Liste weitaus größere Chancen hätte und obendrein das auch ein Signal ist, dass man mit anderen Menschen diskutiert und sich eine Meinung bildet. Kein Mensch kann alles alleine überblicken, was in der Politik relevant ist.

Zur Grundmandatsklausel schätze ich es so ein, dass man vor allem Parteien wie die NPD nicht im Parlament haben will - in Sachsen hatte die NPD bei der letzten Landtagswahl nur in einem einzigen Wahlkreis über 10 Prozent. Das würde nach meinem Vorschlag nicht für ein Mandat reichen. Hingegen eine Partei mit regionaler Verankerung - z.B. CSU und Linke - könnte problemlos in drei großen Wahlbereichen mindestens 20 oder 25% der Stimmen erreichen und hätten somit ein Recht auf Listenmandate.

Dass kleine Länder ein Problem haben, ist irgendwie ersichtlich. Das Problem ist nunmal so da, könnte sich aber erst auflösen, wenn die Parteien in diesen Ländern das Problem anerkennen und mit den angrenzenden größeren Ländern zusammengehen.

Ich fasse den Zwischenstand zusammen, wobei darin immer noch meine Vorstellungen mit einfließen:
- Eine Stimme für eine Wahlkreisliste, dabei einen Lieblingskandidaten aus der Partei auswählen und dadurch abstimmen.
- Wahlkreise größer fassen, z.B. 4er-Wahlkreise, also in Deutschland ca. 150. Im Falle einer Unterverteilung innerhalb der Bundesländer müssen die Wahlkreise vor allem in jedem Bundesland gleiche Größen haben, um Benachteiligungen aufgrund regionaler Herkunft zu vermeiden.
- Innerhalb eines Bundeslandes Kandidatur auf mehreren Wahlkreislisten ermöglichen. Bei großen Bundesländern wie NRW müsste man dennoch nicht im ganzen Land kandidieren, um die Kandidatenliste übersichtlich zu gestalten. Vielleicht könnte man die Anzahl solcher Kreise begrenzen. (Auf drei oder so) Schließlich ist diese Regelung nicht für alle Parteien gleichwirksam - je nach Größe - und der Einfluss auf die personelle Zusammensetzung sollte gegeben sein. So hat vielleicht eine große Volkspartei kaum Mehrwahlkreis kandidaten, eine kleine Partei um die 10% aber vielleicht doch ein paar Leute, die in drei bis 4 Wahlkreisen antreten.
- Direkt gewählt wird, wer in einem Wahlkreis als Person soviele Stimmen bekommt, dass der Stimmenanteil das Gewicht eines Sitzes im Bundestag erreicht. (Also in etwa 25%) (Gibt ein Problem, falls die Wahlkreise von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Größen haben, was aufgrund der Existenz so kleiner Bundesländer wie Saarland und Bremen unvermeidbar wäre. Dann sollte man doch eine feste Prozentzahl festsetzen, die implizit den Stimmanteil voraussetzt)
- Die Ergebnisse aus den Wahlkreislisten für die einzelnen Kandidaten führen innerhalb der Partei auf Landesebene zu einer Rangfolge ähnlich Kommunalwahlen.
- Die zunächst bundesweit ermittelten Mandate für eine Partei werden auf die Länder verteilt und dort auf die Kandidaten aus den Wahlkreislisten unterverteilt - je nach Stimmenanteil.

Ich möchte Überhangmandate unbedingt vermeiden, weil ich sie als ungerecht empfinde. Dass man innerhalb der Parteienlisten noch Einfluss nehmen kann, hielte ich für eine sehr positive Veränderung.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 16. Juli 2011 - 21:12 Uhr:   

Das war schon so gemeint, dass die komplette Liste in mehreren Wahlkreisen antritt. Wenn Einzelpersonen auf mehreren Listen kandidieren, klappt die Personalisierung nicht mehr sinnvoll. Praktisch seh ich eher die Gefahr, dass zu wenig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird als zu viel. Es lässt sich leicht limitieren, indem man die Kandidatenzahl deutlich beschränkt.

Kleine Parteien würden aber in kleineren Ländern sinnvollerweise schon mit der selben Liste im ganzen Land oder auch in mehreren Ländern kandidieren. Es hat ja keinen Sinn, dass eine Partei, für die etwa im Saarland nichtmal 1 Sitz sicher ist, den auch noch auf mehrere Wahlkreise verteilt.

Sinn der Sache ist einerseits die Vermeidung des 0-Sitz-Problems und andererseits eine Optimierung der Personalisierung. Für eine einfache Personalisierung (ohne STV) sollten optimalerweise ungefähr 3 aus 5 Kandidaten pro Liste gewählt werden, damit das Ergebnis weder praktisch vorher determiniert ist (durch den Vorteil des Spitzenkandidaten bei zu kleiner Zahl) noch zufällig wird (dadurch, dass die Mehrzahl der Stimmen nichts bewirkt). Ohne die Möglichkeit zu Mehrfachkandidaturen hat man immer entweder bei den kleinen oder den großen Parteien eine sehr suboptimale Situation.

Wenn man Wahlkreise hat, auf die nur unterverteilt wird, kann man prinzipiell die Wahlkreiseinteilung ganz den einzelnen Parteien überlassen (außer dass Wahlbezirke einheitlich bleiben müssen). Ist halt organisatorisch aufwändiger, vorallem wenn man gemeinsame Stimmzettel behalten will. Vorgegebene Wahlkreisstrukturen erzwingen außerdem eine Mindestgröße.

Bei einer Grundmandatsklausel hängt die Wirkung natürlich stark davon ab, wie man sie genau ausgestaltet. Bei reiner Unterverteilung ist das ja ziemlich unklar. Eine volle Harequote (wobei man erst festlegen muss, auf was die sich beziehen soll) in 3 Wahlkreisen wär schon ziemlich hart, 25% in Hamburg würden aber z.B. reichen (wenn richtig verteilt).

Bei der Personalisierung muss man schon zuerst auf die Listen verteilen und dann erst auf die Personen. Sonst wird das Ergebnis zufällig und die Wahlkreisgröße sehr relevant.

Die Ländergrößen sind für ziemlich gleiche Wahlkreise auf absehbare Zeit kein Problem. Wenn man 140 Wahlkreise nimmt, entfällt auf Bremen ziemlich genau 1, auf das Saarland 2, auf Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern 3. Die größeren Länder sind eh kein Problem, wenn es nicht ganz exakt sein muss.

Überhangmandate sind in Mehrerwahlkreisen kein großes Problem, wenn Listen in mehreren Wahlkreisen kandidieren können. Dann geht es nicht um einen "Wahlkreisgewinner", sondern in aller Regel bloß darum, ob eine Liste einen zusätzlichen Sitz bekommt, auf den sie eh keinen vollen Anspruch hat. Den kann man problemlos einfach streichen.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 17. Juli 2011 - 00:37 Uhr:   

Den Zwang zur Auswahl eines Kandidaten halte ich für schlecht. Was soll der Wähler machen, der die reihenfolge nicht ändern will, sondern die Liste, die die Partei aufstellt bestärken will. Für den muß es meines Erachtens die Möglichkeit einer Parteistimme geben, die auch wirksam wird, indem ein dem Anteil der Parteistimmen entsprechender Sitzanteil so vergeben wird. Die Wahlen in Hamburg und Bremen haben gerade gezeigt, daß eher mehr als die Hälfte der Wähler der Aufstellungsreihenfolge der Parteien vertrauen und keine Änderung der Reihenfolge haben wollen.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 17. Juli 2011 - 12:05 Uhr:   

Die Wirksamkeit ist bei so kleinen Listen aber gerade das Problem. Wenn es nur um 1-3 Sitze geht (und mehr werden es praktisch wohl auch mit Mehrfachkandidaturen kaum sein), verliert jede proportionale oder halbproportionale (wie in Bremen und Hamburg) Aufteilung ihren Sinn (das Kommunalwahlsystem in Niedersachsen ist insofern Schwachsinn).

Eine Möglichkeit ist, dass man jede Listenstimme z.B. im Verhältnis 1/2, 1/3 und 1/6 auf die drei Ersten aufteilt. Dann kommen aber garantiert ein paar naive Personenwähler, die ihre Stimmen auch in Bruchteilen vergeben wollen (was in aller Regel einer Selbstentwertung der Stimme gleichkommt). Damit hat man doch wieder ein relativ kompliziertes System, das praktisch im Verhältnis zur reinen Liste fast gar nichts bewirken wird.

Eine andere Möglichkeit ist, dass man die Abstufung für jeden Wähler verbindlich macht und optional eine Modifikation wie in Lettland zulässt. Bei einer maximalen Listenlänge von 6 könnte man z.B. dem Listenersten für jeden Wähler 5/15 Stimmen geben, den Folgenden 4/15, 3/15, 2/15 und 1/15 und dem Letzten nichts. Jeder Wähler könnte jeden Kandidaten der Liste mit + oder – oder gar nicht kennzeichnen und den Wert damit um ±1 Stimme modifizieren. Um den Letzten auf das Niveau des Ersten zu bringen, wären mindestens 1/6 der Wähler notwendig, zum Austausch zweier benachbarter Plätze 1/30.

Aus der Sicht des normalen Wählers wär das ein einfach zu handhabendes System, das auch Enthaltung bezüglich der Personenwahl erlaubt, ohne damit auf eine Stabilisierung der Listenreihenfolge zu verzichten. Die Auszählung wär auch relativ einfach und Probleme mit ungültigen Stimmen gering. Außerdem trägt es dem Bedürfnis nach negativen Stimmen Rechnung. Nachteil ist, dass es bei taktisch optimaler Wahl ziemlich anspruchsvoll ist. Praktisch zu erwartendes Wahlverhalten führt aber zu einer vergleichsweise hohen Legitimation der Gewählten.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 17. Juli 2011 - 12:40 Uhr:   

Übrigens ist beim momentanen System die Zweitstimme bezüglich der Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste auch weitgehend wirkungslos, sobald eine Liste in die Nähe des Überhangs kommt. Und die Personalisierung wird nichtmal von den Wählern der betreffenden Partei vorgenommen, sondern auch von fremden Wählern.

Außerdem ist bei bisherigen Bundestagswahlen der Bedarf auf Verzicht bei der Personalisierung (= ungültige Erststimme) offenbar ziemlich gering. Das hängt also wesentlich damit zusammen, wie das System ausgestaltet ist und wie man es den Wählern verkauft.

Bei den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen mit ihren relativ kleinen Wahlkreisen gibts auch kein Listenkreuz, während Thüringen (ohne Wahlkreise) bei sonst vergleichbarem Wahlsystem eins hat.
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Robert Kunsch
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 17. Juli 2011 - 13:22 Uhr:   

Das Problem ist: Ein System mit 3 Stimmen ist schwer auszuzählen, bei einer Kommunalwahl kann man nochmal etwas auf das Ergebnis warten, bei einer Bundestagswahl wollen die Leute relativ schnell Zahlen haben. Außerdem sind 3 Stimmen für Listen mit vielen Kandidaten gedacht. Listen mit 15 Leuten sind einfach zu lang. Ein einfaches System ermöglicht vielleicht die Wahl zwischen zwei bis vier Leuten einer Liste, und dann kann man auch nicht mehr sinnvoll 3 Stimmen verteilen. Da in der Regel nur einE bis maximal zwei KandidatInnen einer Partei aus so einem Wahlkreis kommen würden - bzw. bei Listen für mehrere Wahlkreise (und innerhalb eines Wahlkreises sollte das erhalten bleiben!) für kleine Parteien auch nicht viel mehr - wäre zumindest die Möglichkeit gegeben, aus den paar bekannten Kandidaten einen Favoriten rauszusuchen. Wir müssen es aber auch nicht wie bei der Kommunalwahl machen, weil die Kommunalwahl viel stärker eine Personenwahl ist, wo auch persönliche Kontakte zählen.

Die Listenstimme beim Kommunalwahlrecht in Thüringen bewirkt, dass die drei Stimmen auf die ersten drei Kandidaten aufgeteilt werden. Würde man ein Listenwahlsystem mit nur einer Stimme etablieren, so könnte man eine Listenstimme anbieten, die aber im Prinzip einfach die Stimme dem ersten Listenplatz zuteilt (was nicht schlimm ist, wenn eh nur ein Platz für eine Partei auftreten kann).

Wir müssen uns auf einen Kompromiss einlassen, der kleinen wie großen Parteien gerecht wird, gleichzeitig auch noch die Möglichkeit zum regionalen Bezug bietet.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 17. Juli 2011 - 20:11 Uhr:   

@Ratinger Liste

Deshalb halte ich ja auch kleine Wahlkreise (heißt: weniger als zehn Mandate) für unsinnig.
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Arno Nymus
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 17. Juli 2011 - 23:13 Uhr:   

Also das hier vorgestellte Wahlsystem ist jedenfalls deutlich besser als das aktuelle Wahlrecht und alle kleinen Modifikationen am selbigen.

Ich halte Ratinger Linkes Ergänzung, dass (kleine) Parteien identische Wahlregionslisten in mehreren Wahlregionen einbringen können sollten, ebenfalls für sinnvoll, um zu vermeiden, dass ein Großteil der personalisierten Stimmen (bzgl. der Personalisierung) irrelevant werden.

Des Weiteren habe ich folgende Anmerkungen:
I. Grundmandatsklausel
I.1 Bei dem Kriterium, was ein "aussichtsreicher persönlicher Stimmanteil" ist, muss man ein klein wenig aufpassen, um keine Paradoxien zu erschaffen.
Nimmt man eine bundesweite Hare-Quote (die sich auf alle Stimmen bezieht), so ist es möglich, dass eine zusätzliche Stimme für eine Partei verhindert, dass diese in den Bundestag einzieht.
Beispiel: Partei A hat bundesweit klar unter 5% der Stimmen, aber in den Wahlkreisen 1,2 und 3 jeweils einen Kandidaten, der über der bundesweiten Hare-Quote liegt (wobei der Kandidat aus Wahlkreis 3 nur knapp über der Quote liegt), während sie in allen anderen Wahlkreisen die Quote weit verfehlt.
Erhält die Partei nun in einem Wahlkreis (z.B. WK 4) einige zusätzliche Stimmen, so erhöht das die bundesweite Hare-Quote, wodurch der Kandidat aus Wahlkreis 3 unter diese Quote fallen kann, womit die Partei die Grundmandatsklausel verfehlt.


Das Problem lässt sich aber natürlich durch die genaue Ausgestaltung leicht umgehen, solange man sich dieses Problems bewusst ist.

I.2. Prinzipiell kann man sich aber auch die Frage stellen, ob es überhaupt erstrebenswert ist, regional-konzentrierte Parteien zu bevorzugen. Wieso soll eine 4%-Partei, deren Wähler alle innerhalb von einem Bundesland wohnen, besser dastehen als eine 4%-Partei, deren Wähler gleichmäßig auf ganz Deutschland verteilt sind?

II. Verteilung der Sitze auf die Wahlregionen.
Bei dem Vorschlag werden die Sitze erst auf die Parteien, dann innerhalb der Parteien auf die Länder und dann innerhalb der Länder auf die Wahlregionen verteilt. Wie Ratinger Linke ausführt, kann das bzgl. der Wahlregionen stark destabilisierend wirken.

Ein Beispiel, um das Prinzip zu verdeutlichen (damit man es nachvollziehen kann, nehme ich nur 2 und nicht 120 Wahlregionen).
Beispiel: Betrachte zwei nahezu gleich große Wahlregionen mit Anspruch auf je 4 Sitze, somit sind insgesamt 8 Sitze zu verteilen.
Angenommen, es treten die 8 Parteien A,B,C,D,E,F,G und H an. A,B,C und D erhalten in Wahlregion I je 12 Stimmen und in Wahlregion II je 11 Stimmen. E,F,G und H erhalten in Wahlregion I je 11 Stimmen und in Wahlregion II je 10 Stimmen.
Bei der Sitzverteilung auf die Parteien erhält jede der 8 Parteien genau einen Sitz. Bei der Verteilung des jeweiligen Sitzes innerhalb der Parteien erhält in allen 8 Fällen Wahlregion I den Sitz.
D.h., obwohl beide Wahlregionen proportional einen Sitzanspruch für 4 Sitze gehabt hätten, bekommt Wahlregion I 8 Sitze und Wahlregion II 0 Sitze.
Übersicht:
Stimmen Sitze (jeweils Wahlregion I/II)
A 12/11 1/0
B 12/11 1/0
C 12/11 1/0
D 12/11 1/0
E 11/10 1/0
F 11/10 1/0
G 11/10 1/0
H 11/10 1/0
-----------------
__92/84 8/0


Auch wenn das kumulative Auftreten dieser Verzerrung in so einem extremen Ausmaß unwahrscheinlich ist, so wird das Grundprinzip dieser Verzerrung durchaus häufig auftreten, so dass 4er-Wahlkreise mit nur 2 oder 6 Sitzen regelmäßig auftreten dürften (im Bundesland Bremen tritt das auch beim aktuellen Wahlrecht auf, bei 2 Wahlkreisen hat Bremen aktuell wieder 6 Vertreter im Bundestag).

Eine Möglichkeit, dieses Problem zu beheben, ist die Nutzung einer biporportionalen Verteilung, die einerseits nach Parteien, andererseits nach Wahlregionen verteilt.
Hiermit könnte man gewährleisten, dass sowohl jede Partei eine angemessene Sitzzahl bekommt als auch jede Wahlregion.

Beispiel: Wenn man die gleichen Zahlen wie in obigem Beispiel nimmt, würden nun Parteien A,B,C und D je einen Sitz in Wahlregion II erhalten (da Ihre anteilige Führung in dieser Wahlregion höher ist), während Parteien E,F,G und H je einen Sitz in Wahlregion I erhalten würden.
Insgesamt hätte also jede Partei unverändert einen Sitz, aber Wahlregion I und II hätten - wie gewünscht - je 4 Sitze.
Übersicht:
Stimmen Sitze (jeweils Wahlregion I/II)
A 12/11 0/1
B 12/11 0/1
C 12/11 0/1
D 12/11 0/1
E 11/10 1/0
F 11/10 1/0
G 11/10 1/0
H 11/10 1/0
-----------------
__92/84 4/4


Was man an dem Beispiel auch gut sieht, ist, dass dafür der Proporz der Wahlregionen innerhalb der Partei nicht mehr erfüllt ist.
Hier muss man also abwägen, ob einem der Proporz der Wahlregionen insgesamt oder der Proporz der Wahlregionen innerhalb der Parteien wichtiger ist.

Der gesamte Algorithmus (inklusive Einbeziehung der Bundesländer) wäre dann bei n Sitzen:
1. Verteile n Sitze auf die Parteien (Sainte-Lague).
2. Verteile n Sitze auf die Bundesländer (Sainte-Lague).
3. Verteile in jedem Bundesland die in 2. erhaltenen Sitze auf die Wahlregionen dieses Bundeslandes (Sainte-Lague).
4. Führe eine biproportionale Sitzverteilung durch, die den Parteien-Proporz aus 1. und den Wahlregionen-Proporz aus 3. einhält.

Vorteile:
- Die Bundesländer haben einen proportionalen Sitzanteil im Bundestag.
- Die Wahlregionen haben einen proportionalen Sitzanteil in ihrem Bundesland.

Nachteile:
- Die Landesverbände einer Partei haben keinen proportionalen Sitzanteil innerhalb der Partei.
- Die Wahlregionslisten einer Partei haben keinen proportionalen Sitzanteil innerhalb ihres Partei-Landesverbandes.

Sofern der Vorschlag von RatingerLinke mit der Verwendung identischer Listen in mehreren Wahlregionen verwendet wird, so kann der im biproportionalen Verfahren ebenfalls direkt umgesetzt werden. Dabei muss man sich nur darüber im Klaren sein, dass die Personenstimmen (um die es bei der Verbindung der Wahlregionen ja nun mal geht) ja erst von Interesse sind, wenn die einer Liste zugeteilten Sitze an Personen verteilt werden sollen und somit die Listen in der Wertung auch erst nach der biproportionalen Sitzverteilung verbunden werden sollten.
D.h. wenn Partei A in Wahlregion V und X mit der gleichen Liste angetreten ist, dann wird nach obigem Verfahren berechnet, wie viele Sitze die Partei in Wahlregion V und wie viele Sitze sie in Wahlregion X erhalten soll und danach die Summe dieser beiden Zahlen von der gemeinsamen (identischen) Liste besetzt.

Insgesamt handelt es sich bei der "Ersten Variante" jedenfalls um einen vielversprechenden Ansatz für ein neues Wahlsystem.

(Beitrag nachträglich am 18., Juli. 2011 von Arno Nymus editiert)
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 18. Juli 2011 - 01:57 Uhr:   

@Robert Kunsch:

Es liegt mir fern, ein 3-Stimmen-System vorzuschlagen. Gerade in kleinen Wahlkreisen ist das wirklich unsinnig. In größeren bringt es aber auch nur dann was, wenn man die Leute damit bewegen kann, unsinnigerweise ihre Stimmen zu streuen (oder sie dazu zwingt). Die Aussichten dafür sind aber bei variabler Stimmenzahl (Varianten von Approval Voting) besser, weshalb ich das lettische System bevorzug.

Die Auszählung wär aber kein Problem. Solang man kein Panaschieren zulässt (was bei variabler Stimmenzahl fast zwangsläufig ist), kann man ohne nennenswerten Mehraufwand zuerst die Stimmen für die Listen zählen und hat dann wesentlich schneller das Ergebnis als beim bisherigen Auszählsystem. Bei kleinen Listenlängen sollte es in der Regel möglich sein, auch die Personenstimmen noch am Wahlabend auszuzählen. Zumindest in Niedersachsen ist bei der letzten Kommunalwahl das vorläufige Endergebnis auf Kreisebene nach Parteien noch in der Wahlnacht bekanntgegeben worden, und da sind zumindest auch noch Listenstimmen und OB-Wahlen auszuzählen.

@Norddeutscher:

10er-Wahlkreise heißen aber immer noch, dass große Parteien (bei momentaner Größe) in der Regel nur 3 Sitze bekommen und kleine fast ausschließlich nur einen einzigen. Zumindest einen einzelnen Sitz kann man aber niemals gerecht zwischen Listen- und Personenwählern aufteilen (außer eine der Gruppen ist vernachlässigbar).

Oberhalb von 10er-Wahlkreisen bekommt man dann schnell Probleme damit, dass eine als reine relative Mehrheitswahl organisierte Personenwahl zu völlig zufälligen Ergebnissen führt, weil die Stimmenanteile der Kandidaten zu gering werden. Jedenfalls dann, wenn die Parteien zu viele Kandidaten aufstellen oder sogar noch dazu gezwungen werden (wie in Hamburg).

@Arno Nymus:

So leicht lässt sich das negative Stimmengewicht bei der Grundmandatsklausel nicht vermeiden. Im Grunde ist es ja (fragwürdiger) Sinn der Sache, dass Stimmen, die die Verteilung gleichmäßiger machen, negativ gewertet werden. Entweder braucht man eine ziemlich komische Regel oder man muss auf die Reihenfolge aufpassen, wenn mehrere Parteien dafür infrage kommen. Zudem hat man potenziell das Problem, dass ein Überwinden der Grundmandatsklausel den Verlust eines Grundmandats bedeuten kann (bei zu niedriger Quote auch bezüglich der Gesamtsitzzahl). Das alles halbwegs vernünftig auf die Reihe zu bekommen, ist keineswegs trivial.

Eine biproportionale Verteilung führt zu einem innerparteilichen Regionalproporz, der in der Regel stärker gestört ist als bei Unterverteilung der gesamte. Bei Personalisierung kann das auch sehr starke Auswirkungen auf die Chancengleichheit der Kandidaten und der Wähler bezüglich der Personalisierung haben.

Bei so kleinen Wahlkreisen bleiben die Rundungsfehler auch mit biproportionaler Verteilung so groß, dass die Sache im Saldo sicher schlechter wird (zumal ja die doppelte Rundung bei dem Vorschlag auch noch erhalten bleibt und bloß auf eine andere Ebene verschoben wird).

Sehr groß ist der Effekt der doppelten Rundung in der Regel nicht. Rechnerische 4er-Wahlkreise, die nur 2 oder 6 Sitze bekommen, dürften die Ausnahme bleiben, aber damit, dass ein 4,5er-Wahlkreis 3 oder 6 Sitze bekommt, wird man auch bei direkter Verteilung regelmäßig rechnen müssen. Wenn man Mehrfachkandidaturen erlaubt, würde man bei Unterverteilung natürlich auf die gesamte Liste verteilen, womit man das Problem entschärft und ohnehin nicht mehr bestimmen kann, wie viele Sitze ein Wahlkreis bekommen hat.
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Arno Nymus
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 18. Juli 2011 - 02:38 Uhr:   

Ratinger Linke schrieb So leicht lässt sich das negative Stimmengewicht bei der Grundmandatsklausel nicht vermeiden.
Man könnte die für die Grundmandatsklausel entscheidende Hare-Quote nur von den Stimmen der Parteien abhängig machen, die die 5%-Hürde überschritten haben. Dann können Stimmen für diejenigen Parteien, die von der Grundmandatsklausel profitieren können, niemals die Hare-Quote ändern - somit wäre zumindest der Fall, den ich oben geschildert habe, beseitigt.

Natürlich könnte das in äußerst unrealistischen Szenarien (wie z.B. wenn etwa 50% der Zweitstimmen an Parteien gehen, welche an der 5%-Hürde scheitern, aber über die Grundmandatsklausel doch in den Bundestag kommen) dazu führen, dass eine Partei über die Grundmandatsklausel in den Bundestag kommt, aber aufgrund der Zuteilung nach Sainte-Lague in einem Grundmandats-Wahlkreis schließlich doch keinen Sitz bekommt.
Aber selbst dieser Fall wäre in meinen Augen wenig problematisch, da die Bedingung für die Grundmandatsklausel ja sowieso von der tatsächlichen Erreichung eines Mandates abgekoppelt ist.

Ratinger Linke schrieb (zumal ja die doppelte Rundung bei dem Vorschlag auch noch erhalten bleibt und bloß auf eine andere Ebene verschoben wird)
Genau genommen ergibt sich die Sitzzahl einer Wahlregion bei dem ursprünglichen Vorschlag nach Rundung bei der Verteilung auf die Parteien und Rundung bei der Verteilung innerhalb der Parteien auf die Länder und Rundung bei der Verteilung innerhalb der Landesverbände auf die Wahlregionslisten als Summe selbiger.
Insofern bildet man die Summe über mehrere (je nach Anzahl der Parteien) Ergebnisse aus einer dreifachen Rundung.

Bei dem modifizierten Vorschlag ergibt sich die Sitzzahl einer Wahlregion nach Rundung bei der Verteilung auf die Länder durch Rundung auf die Wahlregionen.
Hier hat man also "nur" eine doppelte Rundung.

Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass der biproportionale Ansatz in der Regel eine bessere Proportionalität der Wahlregionen innerhalb des Bundestages erzeugt.
Ich halte es aber natürlich für ebenso wahrscheinlich, dass der biproportionale Ansatz in der Regel eine schlechtere Proportionalität der Wahlregionslisten innerhalb der Parteien erzeugt.
Der Vorteil auf dem einen Gebiet wird mit einem Nachteil auf dem anderen bezahlt.

Würde man die Zwischenverteilung auf die Länder auslassen, würde der biproportionale Ansatz natürlich eine bzgl. Sainte-Lague exakte Verteilung der Bundestags-Sitze auf die Wahlregionen liefern, während der ursprüngliche Vorschlag dabei immer noch eine Summe von zweifach gerundeten Werten liefern würde.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 18. Juli 2011 - 04:32 Uhr:   

Dass die Hälfte der Stimmen allein durch eine Grundmandatsklausel relevant wird, ist so abwegig nicht. Mit starken Regionalparteien ist das ohne Weiteres möglich. Dazu müssen sich nur ein paar Landesverbände (oder Gruppen davon) analog zur CSU von CDU und SPD abspalten. Eine relativ schwache Grundmandatsklausel ist ja fast eine Aufforderung dazu.

Bei kleinen Sitzzahlen ist eine nach Sainte-Laguë "exakte" Sitzaufteilung häufig systematisch ziemlich falsch. Die nach Parteien separaten Rundungen bewirken, dass zumindest der Erwartungswert halbwegs richtig ist (wobei auch die einzelnen Unterverteilungen systematisch falsch sein können). Insofern sind sie sogar besser, auch wenn Einzelfälle häufig schlechter sind. Bei Regionen ist zudem das Einzelergebnis weniger wichtig als bei Parteien.

Konkret: Dass Bremen erst durch Änderung der Gesamtsitzzahl vom Dauergewinner zum Dauerverlierer bei den Bundestagswahlkreisen geworden ist, ist nicht unbedingt wünschenswert (wobei bei Wahlkreisen natürlich auch die Kontinuität einen Wert hat). Dass es (bei einem Anspruch von 4,7) nicht immer 5 Sitze bekommt, sondern mal 4 und mal 5, halt ich eher für positiv, auch wenn es im Einzelfall 6 sein können (auch ohne Überhang).
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Arno Nymus
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Veröffentlicht am Montag, 18. Juli 2011 - 05:27 Uhr:   

Ratinger Linke schrieb Dazu müssen sich nur ein paar Landesverbände (oder Gruppen davon) analog zur CSU von CDU und SPD abspalten.
Wobei ich ehrlich gesagt nicht die Motivation für die Landesverbände sehe, sich abzuspalten. Sie haben beim vorgeschlagenen Wahlsystem keine systematischen Vorteile, wenn sie einzeln antreten. Hingegen würden sie durch einzeln antretende Landesverbände, die nur über die Grundmandatsklausel in den Bundestag kommen, die Hare-Quote heruntersetzen und damit anderen Parteien den Eintritt in den Bundestag leichter machen. Für CDU und SPD wäre es systematisch also eher nachteilig, sich aufzuspalten.

Aber wie geschildert, auch wenn der Fall eintreten sollte, wäre das mMn auch unproblematisch, weil die hier diskutierte "Grundmandatsklausel" ja ganz klar nicht mehr vom Erzielen eines Direktmandates, sondern vom Erreichen eines formalen Anspruches abhängig ist, der zwar inspiriert ist von einem Sitzanspruch, aber keine direkte Verbindung dazu hat.

Ratinger Linke schrieb Bei kleinen Sitzzahlen ist eine nach Sainte-Laguë "exakte" Sitzaufteilung häufig systematisch ziemlich falsch.
Aber bei der Verteilung geht es ja darum, n Sitze auf nahezu gleich große Wahlregionen mit je grob 4 Ideal-Sitzansprüchen (bzw. 3-5) zu verteilen. Da dürften die systematischen Probleme doch eher vernachlässigbar sein. Es geht ja nicht darum, 4 Sitze per Sainte-Lague unterzuverteilen.

Ratinger Linke schrieb Dass es (bei einem Anspruch von 4,7) nicht immer 5 Sitze bekommt, sondern mal 4 und mal 5, halt ich eher für positiv, auch wenn es im Einzelfall 6 sein können (auch ohne Überhang).
OK, das ist in der Tat ein sehr gutes Argument. Bei biproportionaler Verteilung wäre Bremen dann wohl bei jeder Wahl bei 5 Sitzen trotz Idealanspruch von etwa 4,7. Das fände ich zwar akzeptabel. Wenn das Schwanken über die Jahre aber tatsächlich einen Erwartungswert von recht genau 4,7 hat, dürfte das wohl im Mittel "gerechter" sein.

(Beitrag nachträglich am 18., Juli. 2011 von Arno Nymus editiert)
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Arno Nymus
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 22. Juli 2011 - 02:26 Uhr:   

Um dem Thema noch etwas hinzuzufügen, eine Ergänzung zum letzten Punkt bzgl. der Wahrung des Idealanspruches.
Wenn man vermeiden möchte, dass eine Wahlregion (z.B. Bremen) bei Verwendung eines den Proporz der Wahlregionen gewährenden Wahlsystems grundsätzlich gegenüber dem Idealanspruch bevorteilt oder benachteiligt wird, kann man natürlich ein einfaches Korrekturverfahren einbauen.

Die Grundidee basiert darauf, dass die von Ratinger Linke beschriebenen diskreten Schwankungen bewusst herbeigeführt werden können - aber in einer Weise, welche garantiert, dass der Mittelwert dem Erwartungswert entgegenstrebt und somit die Einhaltung des Idealanspruches nicht nur zufällig (bzw. nach einer sehr hohen Anzahl an Wahlen durch das Gesetz der großen Zahlen) erfüllt wird.
Hierfür bezieht man die Abweichungen vom Idealanspruch der letzten Wahl schlicht in die Berechnung für diese Wahl ein, indem man zur aktuellen Bevölkerungszahl die Differenz zwischen der Bevölkerungszahl bei der letzten Wahl und dem Produkt aus Sitzzahl und Hare-Quote hinzufügt.

Sei
B2: für die Sitzverteilung verwendete Bevölkerungszahl der Wahlregion bei der aktuellen Wahl [die zu errechnende Größe]

b2: tatsächliche Bevölkerungszahl der Wahlregion bei der aktuellen Wahl
B1: für die Sitzverteilung verwendete Bevölkerungszahl der Wahlregion bei der letzten Wahl
n1: bei der letzten Wahl zugewiesene Sitzzahl
H1: Hare-Quote bei der letzten Wahl

Dann ergibt sich also:
B2 = b2 + B1 - ( n1 * H1 )

Beispiel: Angenommen, dass die Gesamt-Bevölkerung Deutschlands sich über die Jahre nicht wesentlich ändert (womit man in diesem Beispiel praktischerweise direkt in Sitzansprüchen rechnen kann und nicht mit großen Bevölkerungszahlen hantieren muss) und die Wahlregion Bremen durchgängig einen Bevölkerungsanteil aufweist, der einem Idealanspruch von 4,7 Sitzen entspricht.*

Bei der ersten Wahl würde Bremen einen Anspruch von 4,7 haben und 5 Sitze erhalten. Entsprechend würde Bremen also bei der nächsten Wahl einen Anspruch von 4,7 - 5 = -0,3 aufgerechnet bekommen.

Bei der zweiten Wahl hat Bremen somit einen Anspruch von 4,4 und erhält 4 Sitze. Für die darauffolgende Wahl wird Bremen also ein zusätzlicher Anspruch von 4,4 - 4 = 0,4 angerechnet.

Die weiteren Wahlen würden ergeben:
Wahl: Idealanspruch - > Sitzanzahl
3: 4,7 + 0,4 = 5,1 -> 5
4: 4,7 + 0,1 = 4,8 -> 5
5: 4,7 - 0,2 = 4,5 -> 5
6: 4,7 - 0,5 = 4,2 -> 4
7: 4,7 + 0,2 = 4,9 -> 5
8: 4,7 - 0,1 = 4,6 -> 5
9: 4,7 - 0,4 = 4,3 -> 4
10: 4,7 + 0,3 = 5,0 -> 5

Wie man unschwer erkennt, hat Bremen also folgende mittlere Ansprüche nach i Wahlen:

i: mittlerer Anspruch
Ideal: 4,70
1: 5,00
2: 4,50
3: 4,67
4: 4,75
5: 4,80
6: 4,67
7: 4,71
8: 4,75
9: 4,67
10: 4,70


Da die Summe der Modifikationen bei jeder Wahl logischerweise 0 ist, sollte sich auch keine unnötig große Verteilungsabweichung ergeben (explizit gehe ich dabei aber davon aus, dass es keine Wahlregionen mit Idelansprüchen unter 2 Sitzen gibt, da sonst die systematischen Abweichungen des jeweiligen Divisor-Verfahrens große Störungen verursachen könnten).

Dieses System würde also die dauerhafte Bevor-/Benachteiligung durch Wahlsysteme, die den Proporz zwischen den Wahlregionen erfüllen, effektiver beheben, als es bei der Verwendung eines Wahlsystems, welches den Wahlregionen-Proporz nicht erfüllt, aber bei dem ein entsprechender Erwartungswert vorhanden ist, der Fall ist.

Persönlich würde ich jedoch dazu tendieren, dieses Verfahren höchstens für Bundesländer und nicht für Wahlregionen anzuwenden - was auch das Problem beheben würde, was bei einem Neuzuschnitt der Wahlregionen passiert.

Insgesamt handelt es sich aber natürlich nur um eine Spielerei, da kaum davon auszugehen ist, dass eine entsprechend kleine Rundungs-Abweichung vom Idealanspruch, welche dieses System behebt, im grundsätzlichen Sinne behandelt werden müsste.

* Der Einfachheit halber gehe ich jetzt mal davon aus, dass bei der Verteilung Bremen immer den kaufmännisch gerundeten Wert des Idealanspruches zugewiesen bekommt. In der Realität kann das anders aussehen, was am Prinzip nicht viel ändert, aber für die genaue Sainte-Lague-Rechnung müsste ich sonst die Zahlen ALLER Wahlregionen aufführen, was das Beispiel unüberblckbar machen würde.
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Robert Kunsch
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 22. Juli 2011 - 15:32 Uhr:   

Hey, freut mich sehr, dass der Vorschlag Anregung zu einer lebendigen Diskussion gegeben hat!

Biproportionale Verteilung klingt recht vielversprechend. Dazu müssen wir aber noch ein paar Fragen klären:

1. Wenn die Bevölkerungszahl pro Region Berechnungsgrundlage für den Regionalproporz ist, dann kann das doch zu Paradoxien kommen, dass bei ungleichmäßiger Wahlbeteiligung eine Partei mehr Sitze bekommt, als den Wahlregionen, in denen sie angetreten ist, zustehen. Dann ist die Biproportionale Verteilung nicht möglich. Ist dies ein Problem, dem wir uns widmen sollten (mit hypotetischer Möglichkeit von Überhang)? Oder sollte die Wahlbeteiligung Grundlage für den Regionalproporz sein, sodass es sich allein für die Region lohnt, wählen zu gehen? (Allerdings könnten hier doch auch Probleme auftreten, wenn in manchen Regionen ganz viele Parteien gewählt wurden, die 5% nicht erreicht haben, oder?)

2. Ich fürchte, dass die Biproportionale Verteilung direkt auf Wahlregionen zu Verzerrungen des Parteiinternen Landesproporz führen kann. Deshalb plädiere ich für eine doppelte Unterverteilung derart, dass zunächst die Parteiensitze und die Sitze pro Bundesland berechnet werden und auf dieser Grundlage eine biproportionale Verteilung durchgeführt wird und anschließend innerhalb der Länder die Sitze für die Parteien und die Wahlregionen biproportional verteilt werden. Da Parteien in Landesverbänden organisiert sind, erachte ich einen parteiinternen Länderproporz für notwendig. (Außerdem führt eine doppelte Unterverteilung zu kleineren Matrizen :-)

3. Für die Berechnung der Sitze pro Wahlregion würde ich entsprechend auch eine doppelte Unterverteilung bevorzugen, also zunächst für die Bundesländer berechnen und dann das wieder auf die Wahlregionen verteilen. Diese müssten innerhalb eines Bundeslandes idealerweise gleichgroß zugeschnitten sein, von Bundesland zu Bundesland wäre dann eine leichte Abweichung nicht mehr so tragisch. Gleichzeitig finde ich einen Ansatz, die Benachteiligung bzw. Bevorteilung eines Bundeslandes und innerhalb der Bundesländer einer Region bei der vorangegangenen Wahl auszugleichen, gar nicht mal so übel. Wäre das auch bei einer doppelten Unterverteilung der Sitze auf die Wahlregionen möglich?

Zu den Listen haben wir ja verschiedene Gedanken gesammelt. Ich möchte nochmal auf ein paar Probleme und mögliche Lösungen hinweisen.

a) Ich plädiere weiterhin für nur eine Stimme pro Wähler. Eine Listenstimme würde auf den/die SpitzenkandidatIn entfallen.

b) Wir wollten ermöglichen, dass eine Partei gleiche Listen in mehreren Wahlregionen antreten lassen darf, was ja vor allem für kleine Parteien wichtig und sinnvoll ist. Damit das ganze nicht ausufert und sogenannte Volksparteien ihre regionale Verankerung weiter verfolgen, würde ich die Listenlänge auf 4 Personen beschränken lassen (bei 4-er-Wahlkreisen). Es steht dann der Partei frei, ob sie davon ausgeht, nicht alle 4 Plätze besetzen zu können und daher dieselbe Liste in mehr Regionen antreten lässt. Aufgrund meines Ansatzes der doppelten Unterverteilung ist diese Möglichkeit jedoch jeweils auf ein Bundesland beschränkt.

c) Problem: Funktioniert das mit der biproportionalen Verteilung noch reibungslos, wenn einzelne Parteilisten in mehreren Wahlregionen antreten? Könnte der Computer einzelne Matrizeneinträge zusammenrechnen, wenn er doppelte Unterverteilung betreibt? Gibt das Konflikte mit den Wahlregionen? (z.B. wenn Grüne erst durch Zusammenzählen von drei Wahlregionen ein Mandat erringen?) Würde man dann vielleicht doch wieder dazu übergehen, die Biproportionale Verteilung nur auf Bundesländer anzuwenden?

Dann gab es noch Diskussionsstoff zur Grundmandatsklausel

(i) Zunächst einmal der Grund: eine Partei mit regionalem Schwerpunkt wie die Linke im Osten oder die CSU in Bayern sind gesellschaftlich verankert und sollten auch vertreten sein, wenn die Gesellschaft repräsentiert werden soll. Hingegen kann man bei einer Partei, die Bundesweit nur 2% bekommt und in einzelnen Kreisen mal 10% (damit meine ich die NPD) nicht als gesellschaftlich verankert betrachten.

(ii) Um Negatives Stimmgewicht in dieser Problematik zu vermeiden, bietet sich noch eine weitere Variante an: jeweils mindestens 25% in drei Wahlregionen (bei 4-er-Wahlkreisen). Ansonsten finde ich eine Hare-Quote für einen Sitz, die sich an den Stimmen für die Parteien, die 5% überschreiten sinnvoll, um ein Mandat zu bekommen.

(iii) Unabhängige Kandidaten sollten ja nach meinem Vorschlag erst einen Sitz bekommen, wenn sie persönlich in einem Wahlkreis die Hare-Quote erreichen. Dies stellt aber eine Benachteiligung dar, wenn sich doch zwei oder drei unabhängige zusammentun und eine Wahlkreisliste ins Leben rufen. Daher könnte man auch hier das Direktmandat bei Erreichen der Hare-Quote bzw. 25% an den Stimmenbesten vergeben.

Wenn die Diskussion weiter so fruchtbar fortschreitet, sollten wir in einiger Zeit unsere Ideen den Parteien zutragen, oder? Ich will nicht, dass wir nur reden. Traut sich jemand zu, soetwas als Gesetzestext zu formulieren?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 22. Juli 2011 - 19:47 Uhr:   

Die Berechnungsgrundlage für die biproportionale Verteilung sollten ursprünglich schon allein die berücksichtigten Stimmen sein. Allerdings halt ich es für kein erstrebenswertes Ziel, auf dieser Grundlage eine optimale Verteilung durchzuführen. Eigentlich ist eine solche ungefähre Verteilung nur ein Nebeneffekt der Unterverteilung, die nicht unbedingt erwünscht ist. Für die regionale Repräsentation ist die Bevölkerung entscheidend, wenn man nicht der Wahlgleichheit Vorrang gibt, aber in letzterem Fall ist zunächst der innerparteiliche Regionalproporz einzuhalten.

Der Übertrag der Rundungsfehler auf die nächste Wahl macht auch nur bei Bezug auf die Bevölkerung Sinn. Die Wahlergebnisse sind zu unstabil, als dass eine Verrechnung mit der Wahl zuvor angebracht wär.

Wenn man auf die gleichmäßige Repräsentation der Bevölkerung Wert legt, ist eine biproportionale Verteilung schon geeignet. Ihr Vorteil ist ja gerade, dass sie (meistens) eine völlig unpassende Verteilung nach anderen Kriterien zurechtbiegen kann. Geht halt zulasten des innerparteilichen Regionalproporz sowie der Verteilung auf die Parteien innerhalb vom Wahlkreis. Unlösbar kann das Problem werden, wenn Parteien nicht in allen Wahlkreisen antreten (oder keine Stimmen bekommen; die CSU dürfte praktisch noch kein Problem machen).

EIne biproportionale Verteilung zerstört parteiinternen Regionalproporz immer (potenziell) und ist mit Unterverteilung inkompatibel. Eine zweistufige biproportionale Verteilung kann den Effekt höchstens abschwächen. Beispielsweise hätte die SPD 2009 in Hamburg bei 242'942 Stimmen 3 Sitze bekommen und in Sachsen-Anhalt bei 202'850 Stimmen 4 Sitze (nach deutscher Bevölkerung Ende 2007), umgekehrt zur Unterverteilung.

Wenn eine Liste in mehreren Wahlkreisen antritt, bekommt sie halt die summierte Sitzzahl. Nachdem die Sitzzahlen eh unproportional sind, machen die gesammelten Rundungsfehler auch nichts aus. Überträge aus vorherigen Wahlen kann man problemlos bei der Verteilung auf die Wahlkreise anrechnen, solang sie sich nicht verändert haben.

Eine Quote, die sich auf was Anderes als die Grundlage der Wahlkreisaufteilung bezieht, kann zu Überhang führen.

Wenn man Einzelkandidaten schon nicht einer Sperrklausel unterwerfen will, ist die Frage, warum sie auch noch Listen aufstellen dürfen. Man kann das aber auch zum Prinzip machen und alle Einzelkandidaten zu verbundenen Listen zusammenfassen. Einzelkandidaten würden dann genauso Sitze nach Verhältnis bekommen wie jede andere Liste auch. Das hat übrigens auch Siegfried Geyerhahn, der Erfinder des personalisierten Verhältniswahlrechts mit Einerwahlkreisen, vorgeschlagen (ohne Sperrklausel).

Ein Gesetzentwurf ist ziemlich sinnlos, solang keine einzige Partei an den Einerwahlkreisen was ändern will. Selbst wenn sich irgendwann die Erkenntnis durchsetzen sollte, dass man damit nicht weiter kommt, ist es dann schon zu spät.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 22. Juli 2011 - 19:49 Uhr:   

Eine solches Wahlgesetz wäre durchaus reizvoll und kommt meinem eigenen Vorschlag nahe, doch bei der "Sturheit" der regierenden Bundestagsparteien hat so ein Ansatz keinerlei Chance - man kann sich die Arbeit daher schenken.

Zunächst müsste ein solches Wahlrecht auf Landesebene in der Praxis erprobt werden - nur dann hat man eine geeignete Grundlage zur Diskussion mit den Parteien. Also vielleicht für Hamburg? - da wird über das Wahlrecht ja gerade neu beraten.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 22. Juli 2011 - 20:20 Uhr:   

Eine Erprobung auf Landesebene ist nicht nötig. Das gegenwärtige Wahlsystem war auch nicht erprobt, sondern ist umgekehrt vom Bund auf viele Länder übertragen worden.

Hamburg ist sicher das letzte Land, das sowas einführt. Das Wahlrecht hat dort jetzt Verfassungsrang, und falls sich da trotzdem substanziell was ändert, dann sicher nicht zum Experimentieren mit einem Wahlsystem, das weder die eine noch die andere Seite will. Praktisch infrage kommt derzeit das Saarland, wo man eine Änderung (in die Gegenrichtung) überlegt, und Baden-Württemberg, wo das aber die Ziele der Koalition teils nicht erfüllt. Passend wär es mit biproportionaler Verteilung für Bayern, wo das jetzige Wahlrecht auch schon leichte Ähnlichkeiten hat, aber da ist auch nichts zu erwarten.

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