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Archiv bis 18. März 2011

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Bundestagswahlen » Reform des Bundeswahlgesetzes » Archiv bis 18. März 2011 « Zurück Weiter »

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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 17. März 2011 - 18:58 Uhr:   

Die beste Minimallösung wär, auch den internen Überhang zu streichen (womit nebenbei der Länderproporz sogar verbessert wird), aber die Streichung scheint für alle außer den Grünen völlig inakzeptabel zu sein.

Die Probleme mit mangelndem parteiinternem Länderproporz können bei der CDU schon auch praktisch sehr gravierend sein. 2009 wären die Konsequenzen der internen Kompensation schon sehr krass gewesen, und dass die CDU in mehreren Bundesländern keine Chance auf ein Mandat mehr hat, ist durchaus auch möglich. Man müsste da schon den Direktmandatsanteil senken, um die praktischen Auswirkungen in akzeptablen Grenzen zu halten; am besten zugunsten einer zusätzlichen Bundesliste, über die zunächst regionalneutral kompensiert werden kann.

Das Problem bei der Entscheidungsfindung scheint primär zu sein, dass die FDP gegen alles ist und offenbar warten will, bis ihr in ein paar Jahren der nicht existente Stein der Weisen zufällt. Den Ausgleich hält sie zurecht für keine Lösung, aber es klingt am ehesten danach, als ob es letztlich doch darauf hinauslaufen wird. Uhl (CSU) hält es explizit nicht für notwendig, das negative Stimmengewicht ganz zu beseitigen; das könnte auch auf Offenheit für eine Ausgleichslösung hindeuten (obwohl es dann auch reichen würde, die besondere Nachwahlproblematik zu beseitigen).

Gegen eine (in Maßen) grundsätzlichere Lösung hat sich außer der FDP eigentlich niemand mehr ausgesprochen, aber für alles, was die Wahlkreise betrifft, läuft die Zeit bald ab (die Frist wird wohl eh nicht eingehalten). Denkbar ist auch, dass gar nichts passiert.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 17. März 2011 - 21:52 Uhr:   

@RL,

es kommt darauf an was man für "akzeptable Grenzen" hält.
Was die regionale Repräsentanz insgesamt angeht, bestehen bezüglich der internen Kompensation externen Überhangs keine gravierende Bedenken, sondern nur inbezug auf den innerparteilichen regionalen Proporzes. Es stellt sich die Frage ob man diesem Umstand überhaupt ein bedeutendes Gewicht beimißt.
Die regionale Repräsentanz und Vertretung wird schon durch Direktmandate gewährleistet. Von daher gibt es aus meiner Sicht keine zwingenden Einwände dagegen bei der Verteilung der Listenmandate an die Landeslisten zuvor eine interne Kompensation von Überhangmandaten vorzunehmen, insofern diesbezüglich dem regionalen Proporz ein geringeres Gewicht beizumessen.

Ich nehme zur Kenntnis das CDU/CSU und andere das anders sehen.
Aus meiner Sicht ist das Modell jedoch gegenüber den anderen Minimal-Lösungsvorschlägen vorzugswürdig, da gegen diese aus meiner Sicht noch gravierendere Einwände sprechen. Gegen den neuen Gesetzentwurf der Grünen spricht die Nichtrepräsentanz einzelner Wahlkreise und gegen die Ausgleichsmandateregelung die Aufblähung des Parlaments.
Letztlich wird es aber wohl auf die Ausgleichsmandateregelung hinauslaufen....


@Thomas Frings,

wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstehe unterscheiden sich Modell 1a und 1b nur im Punkt des externen Überhangs, also den Fall das eine Partei bundesweit mehr Direktmandate erhält als ihr nach Zweitstimmen zustehen.
Aus meiner Sicht sind externe Überhangmandate hinzunehmen.
Sie entsprechen dem System der repräsentativen Verhältniswahl. Die einzige Frage die sich in dem Zusammenhang stellt ist ob sie durch Ausgleichsmandate ausgeglichen werden sollten oder nicht.
Ihre Streichung würde ja letztlich auf die Nicht-Repräsentanz einzelner Wahlkreise mit Direktkandidaten hinauslaufen. Mir war nicht bewusst das die Grünen das zu ihrer Position gemacht haben.
In der Bundestagsdrucksache (BT-Drs. 16/11885) von 2009 haten sie noch vorgeschlagen, dass externe Überhangmandate hinzunehmen sind.

§ 7 Abs 5 und 6 des damaligen Entwurfs lautete:
"(5) Die so für jede Partei ermittelte Zahl ist die Zahl der ihr zur Verfügung stehenden Sitze (Gesamtsitzzahl).
(6) In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach Absatz 5 er- mittelte Zahl übersteigen. In einem solchen Fall erhöht sich die Abgeordnetenzahl (§ 1 Abs. 1) um die Unter- schiedszahl (Überhangmandate); eine erneute Berech- nung nach Absatz 4 findet nicht statt."

Ich bedaure feststellen zu müssen, das die Grünen von dieser Position inzwischen abgerückt sind.

Insofern muss ich mein vorheriges Posting insofern korrigieren das ich Modell 1 b - das ja den Grünen-Entwurf von 2009 entspricht - für vorzugswürdig erachte.

(Beitrag nachträglich am 17., März. 2011 von Marc editiert)
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 17. März 2011 - 22:42 Uhr:   

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3 Juli 2008 wird hier im Forum über Modelle zur Reform des Bundestagswahlrechts debattiert, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Vermeidung negativen Stimmgewichts entsprechen.
Vieles ist dabei unklar, selbst welche Vorgaben aus dem Urteil selbst überhaupt herauszulesen sind. Aus meiner Sicht spricht jedenfalls verfassungsrechtlich nichts gegen eine Lösung über Ausgleichsmandate.
Sofern Überhangmandate ausgeglichen werden, kann der Wegfall eines Überhangmandates durch mehr Zweitstimmen nicht die relative Stärke der Partei im Parlament negativ beeinflussen. Allein das kann sinnvollerweise Maßstab zur Bemessung eines negativen Stimmgewichts sein. Wer anderer Ansicht ist und auf absolute Sitzzahlen abstellt müsste eigentlich fast sämtliche Landeswahlgesetze ebenfalls für verfassungswidrig halten.
Aus meiner Sicht ist ein abstellen auf absolute Sitzzahlen jedoch ein zu formaler Ansatz. Entscheidend ist nicht die absolute Zahl sondern die Realation der Sitze zwischen den Parteien.

Gegen die Ausgleichsmandatelösung spricht mehr der Umstand, dass sie zu einer Aufblähung des Parlaments führen würde, zumal bei Bundestagswahlen auch weiterhin relativ viele Überhangmandate entstehen dürften.
Von daher ist aus meiner Sicht ein Modell der internen Kompensation von Überhangmandaten mit Belassung externen Überhangs (der allenfalls bei der CSU auftreten könnte) die beste Lösung für das Problem.
Jedoch ist diese gegenwärtig nicht mehrheitsfähig. Gegen sie wird - vor allem von der CDU - eingewandt, dass durch sie der parteiinterne regionale Proporz beeinträchtigt wird.

Von daher bleibt eigentlich nur die Ausgleichsmande-Lösung.

Radikalere Einschnitte - etwa die Halbierung der Zahl der Direktmandate, was Überhangmandate zwar nicht theoretisch aber doch praktisch ausschließt - sind nicht mehrheitsfähig.

Jedoch könnten die negativen Folgen der Ausgleichsmandatelösung - die Aufblähung des Parlaments - durch eine Reduzierung der Zahl der Direktmandate abgemildert werden. So können Überhangmandate reduziert werden und die durch Überhang- und Ausgleichsmandate erfolgte Aufblähung des Parlaments auf ein verträgliches Maß begrenzt werden.
Dies wird schwierig durchzusetzen sein. Von daher erscheint nur eine Reduzierung im geringen Umfang realistisch.

Ich schlage daher vor die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 269 zu reduzieren. Eine vergleichbare Reduzierung hat es schon mit Wirkung der Bundestagswahl 2002 gegeben (von 328 auf 299).
Für das Verhältnis von Direktmandaten zu Listenmandaten bedeutet dies eine Veränderung von 50/50 auf 45/55.
Für einen Neuzuschnitt der Wahlkreise bleiben noch zwei Jahre Zeit. Das ist mehr als ausreichend, zumal ohnehin ein Neuzuschnitt ansteht.
Die Folge dieses Modells dürfte eine drastische Senkung der Zahl der Überhangmandate sein. Sie würden aber wahrscheinlich nicht völlig entfallen.
Von daher bleibt die Schaffung einer Regelung zur Vermeidung des negativen Stimmgewichts erforderlich.
Hierfür bietet sich die Komepensation internen Überhangs bei Belassung externen Überhangs an. Die negativen Folgen für den regionalen parteiiinternen Proporz wären durch die wahrscheinlich erheblich geringere Zahl von zu kompensierenden Überhangmandaten deutlich minimiert.
Lehnt man dies allerdings prinzipiell mit Blick auf den parteiinternen regionalen Proporz ab, so bietet sich alternativ die Ausgleichsmandateregelung an. Durch die wahrscheinlich erheblich geringere Zahl an Überhangmandaten wären auch die Zahl der erforderlichen Ausgleichsmandate gering, so dass es wohl nicht zu einer kaum vertretbaren Aufblähung des Parlaments kommen dürfte.

(Beitrag nachträglich am 17., März. 2011 von Marc editiert)
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 17. März 2011 - 23:34 Uhr:   

Dass der innerparteiliche Regionalproporz keine Priorität hat, ist klar. Wenn man aber schon regional differenziert verteilt und dabei gezielt Ungleichheit herstellt, dann hat das nochmal eine ganz andere Qualität als bei schlichter Nichtbeachtung. Im Extremfall bekommen bei interner Kompensation die Landeslisten mit 0% der Stimmen 100% der Sitze und umgekehrt. Dass das nicht tragbar ist, ist klar, und real zu erwartende Ergebnisse können schon ziemlich stark in diese Richtung gehn.

Akzeptabel wär meines Erachtens im äußersten Fall, dass die Hälfte des Idealanspruchs wegkompensierbar ist. 2009 hätte damit die CDU in Bremen ihr Mandat noch (relativ knapp) behalten und in Brandenburg insgesamt 3 (davon 1 direkt); in allen anderen Ländern könnte man immernoch sämtliche Listenmandate der CDU streichen. Die verbleibende Differenz (hier 3 Sitze) wär dann bei den Direktmandaten zu streichen.

Wenn man das negative Stimmengewicht nicht komplett beseitigen will (meines Erachtens sachlich kein Problem, aber nicht urteilskonform), kann man den Rest stattdessen auch ausgleichen. Wenn man so interne Kompensation mit Ausgleich kombiniert, kann man die Vergrößerung des Bundestags auch deutlich in Grenzen halten (solang nicht die CSU stärker überhängt, was allerdings relativ wahrscheinlich ist). Technisch gesehn ist der Ausgleich, wie ihn wohl die SPD will, ohnehin eine Kombination aus Parlamentsvergrößerung und interner Kompensation, bloß mit stärkerem Schwerpunkt auf der Vergrößerung.

Die Nichtrepräsentanz einzelner Wahlkreise kann man leicht vermeiden, indem man stattdessen dem Zweitplatzierten den Sitz gibt (oder dem nächsten, falls dessen Partei auch überhängt). Gerade die betroffenen Sitze werden in der Regel eh nur eine sehr schwache relative Mehrheit haben (besonders wenn man die prozentual schlechtesten zuerst streicht), und wenn Überhang nicht mehr möglich ist, sagen die Erststimmen auch nichts mehr darüber aus, ob die Wähler vom von ihnen Gewählten überhaupt repräsentiert werden wollen. Man kann ja auch jemanden wählen, um seiner Partei zu schaden, nachdem Erststimmen kostenlos sind. So erzielte Mandate sind nicht besonders schutzwürdig.

Im Übrigen gibts Nichtrepräsentanz einzelner Wahlkreise auch schon bisher, z.B. ist jetzt Kulmbach verwaist.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 00:32 Uhr:   

@Ratinger Linker,

es gibt aber keine anfängliche Nichtrepräsentanz, sondern nur im Fall des Ausscheidens eines Abgeordneten aus dem Bundestag.
In dem Fall ist, sofern kein Überhangmandat betroffen ist, ein Nachrücken aus der Landesliste vorgesehen.
Ich persönlich halte diese Regelung nicht für sonderlich sinnvoll. Ich würde es bevorzugen, wenn neben Direktkandidaten Ersatzkandidaten aufgestellt (oder durch den Kandidaten selbst) benannt werden müssten, die im Fall eines Ausscheidens nachrücken.
In dem Fall wäre auch die Ansetzung einer Nachwahl wegen des Todes eines Direktkandidaten - wie 2005 in Sachsen - überflüssig, bekanntlich der Fall der zum Anlaß der Verfassungsbeschwerde bezüglich des negativen Stimmgewichts führte. In diesem besonderen Fall war es ja möglich das negative Stimmgewicht als Wähler auszunutzen, wärend dies sonst mangels Vorhersehbarkeit völlig unmöglich ist.


Sofern man dem regionalen parteiinternen Proporz ein höheres Gewicht beimißt - so wie Sie - so würde sich eine Reduzierung der Direktmandate anbieten. In dem Fall würden weniger Überhangmandate anfallen, folglich wären auch weniger Überhangmandate intern zu kompensieren, so dass das Modell der internen Kompensation von Überhangmandaten (ohne Ausgleich von externen Überhangmandaten) den regionalen Proporz weit weniger beeinträchtigen würde als wenn das Verhältnis von Direkt-und Listenmandaten bei 50 zu 50 liegt.
In meinem letzten Beitrag habe ich hierzu einen Vorschlag gemacht....

(Beitrag nachträglich am 18., März. 2011 von Marc editiert)
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 04:11 Uhr:   

Dass aus Wählersicht (die sich nicht unbedingt mit der der Parteien deckt, aber einzig relevant ist) die relative Stärke und nicht die absolute Sitzzahl entscheidend ist, ist richtig, aber das war nicht der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts. Und Ausgleich kann auch bezüglich der relativen Sitzanteile zu negativem Stimmengewicht führen.

Die Wahlkreisreduzierung plus Ausgleich ist die Vorstellung der SPD, wobei sie aber die (unquantifizierte) Wahlkreisreduzierung erst in der nächsten Wahlperiode nachschieben will. Nachdem die Wahlen zu den Vertreterversammlungen schon ab 27. März 2012 (abzüglich Vorbereitungszeit) stattfinden dürfen, bleibt nicht mehr allzu viel Zeit für neue Wahlkreise. Bei komplett neuer Einteilung muss man allein der Wahlkreiskommission sicher ein halbes Jahr Zeit geben.

Der Haupteffekt einer Wahlkreisreduzierung ist, dass man damit Überhang bei der CSU reduziert. Bei 269 Wahlkreisen wär er bei ähnlichem Ergebnis wie 2009 schon sehr unwahrscheinlich, aber wenn die CSU weiter verliert und die Grünen auf Kosten der SPD in den Städten gewinnen, dann reicht das noch nicht, zumal Bayern auf die Dauer neue Wahlkreise bekommen wird.

Bei der CDU blieben nach dem Ergebnis von 2009 wahrscheinlich zumindest 7 Überhangmandate in Baden-Württemberg, 3 in Sachsen und 1 in Mecklenburg-Vorpommern übrig. In Thüringen und Rheinland-Pfalz besteht das Risiko, dass die Einebnung der Hochburgen den Überhang sogar vergrößert bzw. gar nicht verringert (hängt stark von der Wahlkreiseinteilung ab). Realistisch wären ungefähr 13 statt 21 Überhangmandate. Das heißt aber schon, dass man mit akzeptabler interner Kompensation hinkäme (für die Zukunft nicht sicher).

An Lösungsmöglichkeiten gibts noch unzählige Möglichkeiten, die am eigentlichen Problem, nämlich den Einerwahlkreisen, ansetzen. Das scheitert nicht an den Argumenten, sondern bloß an der extremen Konservativität aller Parteien (bis auf die Linke), die das gescheiterte System gern als "bewährtes System" hinstellen. Mit Einerwahlkreisen gibts keine Lösung ohne schwerwiegende Mängel, solang man von einer größeren Relevanz der Parteien ausgeht und damit reine Mehrheitswahl von vornherein ausscheidet.

Nichtrepräsentanz kann es durchaus von Anfang an geben, wenn jemand die Wahl nicht annimmt, zwischen Wahl (genauer Zeitpunkt unklar) und Beginn der Wahlperiode stirbt oder die Wählbarkeit anderweitig nach der Zulassung verliert. Bei einem Parteiverbot helfen auch Ersatzbewerber nicht mehr. Wenn z.B. Stoiber 2005 einen Wahlkreis gehabt hätte, wär der faktisch auch von Anfang an unrepräsentiert gewesen. Die Nachwahlen sind ohnehin Schwachsinn; wenn man aber die Überhangproblematik löst, sind Ersatzbewerber allgemein eine sinnvolle Möglichkeit.

Die Nachwahl in Dresden war nicht Anlass zu einer Wahlprüfungsbeschwerde, sondern (wahrscheinlich) nur dafür, dass sie (im Gegensatz zu der davor) erfolgreich war.
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petra berg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 04:56 Uhr:   

Meine Idee für eine Wahlrechtsänderung wäre folgende:

Reduzierung der Wahlkreise auf 100. Dafür werden dann zukünftig in jedem Wahlkreis 3 direkt gewählte Kandidaten von 3 verschiedenen Parteien gewählt.

So hätte man insgesamt weiterhin 50 % der Abgeordneten direkt gewählt, aber Überhangmandate würden kaum noch anfallen. Außerdem würde die bis dato in vielen Wahlkreisen (wo der Gewinner eh vorher feststeht) eher überflüssige Erststimmen-Wahl endlich zu einer richtigen Wahl, da sich taktische Wähler nicht mehr unbedingt zwischen Union oder SPD entscheiden müßten, sondern sozusagen auf den Drittplatzierten im Wahlkreis setzen könnten.

Und es würden nicht - wie 2009 der Fall, z.B. in 2 WK in Brandenburg - in manchen Wahlkreisen über 70 % der Erststimmen wirkungslos im Papierkorb landen, weil dem WK-Sieger weniger als 30% der Stimmen für den Sieg reichten.

Außerdem hätten die Bürger so mehrere direkt gewählte Vertreter ihres Wahlkreises im Bundestag und hätten bei eventuellen Anliegen an ihren Abgeordneten mehrere Ansprechpartner zur Auswahl.

(Da bei diesem System sowohl Union als auch SPD vorausichtlich in jedem der 100 WK je einen Kandidaten direkt durchbringen werden, hätten beide Volks-Parteien also schon vor der Wahl je ein Sechstel der Sitze als Direktmandate de facto für sich gesichert.)

In den Ost-Ländern würde der 3 WK-Kandidat dann wohl immer von der LINKE kommen, in den West-Ländern und in Berlin würde es je nach WK Kämpfe zwischen FDP, Grüne und Linke um den dritten Platz geben.

Allerdings würde so auch für andere Parteien oder Einzelbewerber die Chance auf ein Direktmandat etwas besser werden, wenn es auch immer noch unrealistisch ist.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 09:46 Uhr:   

Kleiner Einwurf zum Problem:

Das BVerfG hat eine Reform des Bundestagswahlrechts angeordnet, weil durch die verspätete Wahl im Dresdner Wahlkreis das Problem des "negativen Stimmgewichts" sichtbar und für die Wähler kalkulierbar geworden ist.

Warum hat man damals die Wahl in diesem Wahlkreis verschoben? Da ein Direktkandidat verstorben war und nicht rechtzeitig ersetzt werden konnte, hätte es prinzipiell gereicht, nur die Wahl mit der Erststimme zu verschieben. Doch nach dem bisherigen Wahlrecht müssen Erst- und Zweitstimme auf einem Wahlzettel vereinigt sein, damit gültige Zweitstimmen von gewählten Einzelbewerber - nicht aber von Parteibewerbern - abgezogen werden können. Dieser Fall ist bisher zwar noch nie eingetreten, doch eine Streichung würde die Machtstellung der Parteien in unserem Wahlsystem schwächen - daran ist keine Partei interessiert.

Was mich nachdenklich stimmt: Über dieses Problem wird nicht diskutiert - immer geht es nur um Parteien. Ich fürchte, in einer Parteiendemokratur wird nur noch über genehme Themen gestritten - alles andere wird verdrängt und von der Bürgerschaft nicht wahrgenommen - gerade das gefährdet die Demokratie besonders.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 12:03 Uhr:   

@RL,

das wesentliche Argument für das Urteil des BVerfG bezüglich des negativen Stimmgewichts war der Umstand, dass der Wähler durch eine zusätzliche Zweitstimme an die von ihm präferierte Partei er dieser schadet.
Dieser Schaden ist aber im Fall von Ausgleichsmandaten nicht gegeben. Denn falls ein Überhangmandat wegfällt würde auch ein zusätzliches Ausgleichsmandat wegfallen.
Die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwendeten Formulierungen sprechen nicht gegen eine solche Interpretation des Urteils.
Das Bundesverfassungsgericht hat vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Rechtslage geurteilt und bezüglich dieser die Mandatsrelevanz als Kriterium festegelegt. Bei der gegenwärtigen Rechtslage sind keine Ausgleichsmandate vorgesehen, so dass eine absolute Erhöhung der Sitzzahl wegen Überhangmandaten automatisch auch zu einer Verschiebung des relativen Gewichts zwischen den Parteien führt.
Hypothetische Erwägungen dergestallt, wie die Lage im Fall des Bestehens von Ausgleichsmandaten zu beurteilen wäre, hat das BVerfG nicht angestellt.
Von daher kann aus dem Urteil nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass auch in diesem Fall die Mandatsrelevanz und nicht das relative Gewicht der Parteien als Kriterium heranzuziehen wäre.
Dem Bundesverfassungsgericht hat sich diese Frage nicht gestellt und es hat sie daher auch nicht beantwortet.

Bezüglich der "anfänglichen Nichtbesetzung" von Direktmandaten meinte ich natürlich, dass das geltende Wahlrecht die Nichtbesetzung eines Wahlkreises am Wahltag nicht vorsieht. Zumindest am Tag der Wahl ist je ein Abgeordneten pro Wahlkreis gewählt, insofern die Vertretung jedes Wahlkreises vorgesehen. Ob sich das realisiert oder nicht ist eine andere Frage. Ein Nichtantritt z.b. wegen Tod ist genauso möglich wie ein Ausscheiden wegen Tod. Niederlegung des Mandats während der Legislaturperiode auf der einen Seite entspricht auf der anderen die Nichtannahme der Wahl nach der Wahl.
Wie bereits gesagt: Aus meiner Sicht sollten daher auch Ersatzbewerber mitgewählt werden um die Vertretung jedes Wahlkreises sicherzustellen. Die bisherige Regelung des Nachrückens über die Landesliste halte ich für wenig gelungen. Diese Frage stellt sich jedoch völlig unabhängig von der Frage des negativen Stimmgewichts und der Schlussfolgerungen die hierfür für das Wahlsystem zu ziehen sind.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 12:32 Uhr:   

@Werner Fischer,

also gerade in diesem Forum wird über alle möglichen Modelle diskutiert. Dazu gehören natürlich auch die gegenwärtig von den Parteien präferierten Modelles - die ja durchaus bezüglich des negativen Stimmgewichts Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, aber natürlich alle auch Einwänden ausgesetzt sind. Den Stein der Weisen hat niemand gefunden, es gibt ihn auch nicht.

Sofern man eine stärkere personalisierte Auswahlmöglichkeit für den Wähler für wünschenswert hält bieten sich auch ganz verschiedene Modelle an. Hier im Forum wurde ja schon die Möglichkeit der Öffnung der Landeslisten diskutiert. Das wäre dann ungefähr vergleichbar mit den offenen Listen, die in vielen Kommunalwahlgesetzen bereits vorgesehen sind. Die Folge wären jedoch Stimmzettel in der Größe eines Schultisch oder noch darüber hinaus. Letztlich ist das viel zu unübersichtlich. Im übrigen würde die Zahl der Stimmen dann auch pro Bundesland stark variieren, was ich nicht als wünschenswert erachte. Grundsätzlich sehe ich auch keinen Bedarf für eine so weitgehende Regelung. Fast kein Wähler ist in der Lage bezüglich aller möglichen Kandidaten sich ein Urteil zu bilden. Ich halte aus diesem Grund auch schon die entsprechenden Kommunalwahlgesetze für wenig geglückt. Welcher Wähler kennt schon 93 Kandidaten, auf die er beispielsweise in Frankfurt am Main bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung die Stimmen verteilen kann?
Da würde sich eher die Wahl in getrennten Wahlkreisen anbieten mit entsprechenden Stadtteillisten. Die Zahl der Sitze für eine Partei würde anhand der gesamten Listenstimmen in allen Wahlkreisen ermittelt und die Mandate könnten proportional an die verschiedenen Stadtteillisten verteilt werden, wobei innerhalb dieser die stimmstärksten Kandidaten gewählt werden.

Analog ließe sich dieser Gedanke auch auf Bundesebene übertragen. Die Landeslisten könnten abgeschafft werden und durch Wahlkreislisten ersetzt werden. Die Trennung von Erst- und Zweistimme würde entfallen, stattdessen würden einigermaßen gleichgroße Wahlkreise zu bilden sein.
Das würde allerdings tiefgreifende Änderungen erfordern.


Es bietet sich aber auch ein einfacheres Modell an, dass keine tiefgreifenden Änerungen erfordern würde: Die Übertragung des Wahlrechts von Baden-Württemberg auf die Bundesebene.
In Baden-Württemberg hat der Wähler nur eine Stimme, die er an einen Direktkandidaten gibt. Gewählt ist jeweils der der stimmstärkste Wahlkreisbewerber. Zudem werden Zweitmandate vergeben, um die proportionale Verteilung zwischen den Parteien zu gewährleisten (Verhältniswahlsystem). Diese werden an die proportional stärksten Wahlkreiskandidaten der übrigen Parteien verteilt.
Dieses System ist jedenfalls weit offener als jedes Modell mit geschlossenen Listen.

(Beitrag nachträglich am 18., März. 2011 von Marc editiert)
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 12:41 Uhr:   

@Marc K
"das wesentliche Argument für das Urteil des BVerfG bezüglich des negativen Stimmgewichts war der Umstand, dass der Wähler durch eine zusätzliche Zweitstimme an die von ihm präferierte Partei er dieser schadet.
Dieser Schaden ist aber im Fall von Ausgleichsmandaten nicht gegeben."
Bei JEDER Ausgleichsregelung - auch bei Landtagswahlen - kann negatives Stimmgewicht auftreten (ist allerdings ziemlich unwahrscheinlich, wenn es keinen Vollausgleich gibt). Denn auch bei Ausgleichsmandaten wird sich der Mandatsanteil der überhängenden Partei fast sicher leicht ändern, er kann durch ein (zusätzliches) Überhangmandat auch sinken. Bei rund 600 Sitzen ist der maximale Effekt aber zu vernachlässigen und für die Wähler nicht prognostizierbar.


@Werner Fischer
"Das BVerfG hat eine Reform des Bundestagswahlrechts angeordnet, weil durch die verspätete Wahl im Dresdner Wahlkreis das Problem des "negativen Stimmgewichts" sichtbar und für die Wähler kalkulierbar geworden ist."
Nein, gegen die Nachwahl in Dresden wurde ausdrücklich nicht geklagt. Sie diente nur als Demonstrationsobjekt. Das Bundeswahlgesetz lässt auch keine separate Nachwahl für das Direktmandat zu.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 12:55 Uhr:   

@Petra Berg,

das Problem mit Ihrem Vorschlag ist, dass er die Bildung länderübergreifender Wahlkreise voraussetzen würde. Bremen hat z.B. nur zwei Einpersonenwahlkreise. Auch in anderen kleineren Bundesländern dürfte es kaum möglich sein innerhalb der Landesgrenzen entsprechende Wahlkreise zu bilden, ohne erhebliche Verzerrungen in der Wahlkreisgröße in Kauf zu nehmen (etwa im Bremen, Saarland, Hamburg, u.a.).
Die Bildung länderübergreifender Wahlkreise wäre jedoch ein Systembruch.

Sofern man am System der Einhaltung von Landesgrenzen festhält - was mit Blick auf die föderale Struktur wünschenswert ist (auch organisatorisch ist es vom Vorteil, da ansonsten zwei verschiedene Wahlzettel in einem Wahlkreis eingesetzt werden müssten) - so wäre wohl allenfalls die Bildung von Zweipersonenwahlkreisen möglich.
Bremen hätte dann 1, das Saarland 2, Hamburg 3, Berlin 6 Wahlkreise.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 13:34 Uhr:   

@Thomas Frings,


in meinem Beitrag vom Donnerstag, 17. März 2011 - 22:42 Uhr hatte ich dieses Argument schon aufgegriffen:

Sofern Überhangmandate ausgeglichen werden, kann der Wegfall eines Überhangmandates durch mehr Zweitstimmen nicht die relative Stärke der Partei im Parlament negativ beeinflussen. Allein das kann sinnvollerweise Maßstab zur Bemessung eines negativen Stimmgewichts sein. Wer anderer Ansicht ist und auf absolute Sitzzahlen abstellt müsste eigentlich fast sämtliche Landeswahlgesetze ebenfalls für verfassungswidrig halten.

Ich muss diese Ausführungen wohl dahingehend präzisieren, dass bei der Frage des Ausgleichs von Überhangmandaten der Mandatsanteil negativ beeinflusst werden kann.

Gewisse Unschärfen sind aber in jedem System hinzunehmen.

Ich persönlich präferiere allerdings ein Modell der Kompensation interner Überhangmandate, bei Belassung externen Überhangs.
Zur Vermeidung zu starker regionaler Verzerrungen bietet sich eine Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 269 an.
Sollte man sich für die Wahlkreiseinteilung mehr Zeit lassen wollen ließe sich dieser Teil der Reform auch erst mit Wirkung der übernächsten Bundestagswahl in Kraft setzen. Die Wahlkreisreduzierung 2002 war ja auch in der vorvorherigen Legislaturperiode (1994-1998) beschlossen worden.

Sollte man das ganze über eine Ausgleichsmandateregelung lösen wollen, worauf es ja eher hinausläuft, so läuft bezüglich der Möglichkeit der Wahlkreisneueinteilung allmählich die Zeit davon. Sofern man noch vor der Sommerpause zu Potte kommen sollte wäre sie noch möglich.
Ansonsten würde man wohl für die kommende Bundestagswahl eine Ausgleichsmandateregelung in Kraft setzen und die Wahlkreisreduzierung erst bei der übernächsten Bundestagswahl.
Das halte ich nicht für sonderlich glücklich, man kann es aber doch einmalig in Kauf nehmen. Der Bundestag hatte 1994 672 Abgeordnete. Mehr dürften es wohl auch bei Ausgleichsmandaten 2013 kaum werden. Ganz ausgeschlossen ist das aber auch nicht. Von daher sollte wenn schon nicht 2013 so doch spätestens mit Wirkung zur darauffolgenden Bundestagswahl eine Reduzierung der Wahlkreise beschlossen werden.

Wenn man sich doch zu einem größeren Reformschritt durchringen sollte, würde sich die Schaffung von Zwei-Personen-Wahlkreisen anbieten.
Dann könnte man das Verhältnis von Wahlkreisstimmen zu Listenmandaten auch bei 50/50 belassen. Zur Vermeidung negativen Stimmgewichts würde sich auch in diesem Fall entweder das Modell interner Kompensation oder eine Ausgleichsmandateregelung anbieten.
Wobei bei dem Modell Überhangmandate relativ unwahrscheinlich werden dürften.

(Beitrag nachträglich am 18., März. 2011 von Marc editiert)
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 14:40 Uhr:   

@Thomas Frings
"Nein, gegen die Nachwahl in Dresden wurde ausdrücklich nicht geklagt. Sie diente nur als Demonstrationsobjekt. Das Bundeswahlgesetz lässt auch keine separate Nachwahl für das Direktmandat zu."

1. Meine Aussage lautete: Durch Dresden wurde das Problem des "negativen Stimmgewichts" sichtbar und für Wähler kalkulierbar. Bitte bei den Fakten bleiben - von einer Klage hab ich nicht gesprochen.

2. Eine Nachwahl (Ersatzwahl) ist sehr wohl vorgesehen und zwar lt. § 48 Abs. 2 BWG. Sie entfällt nur für ausscheidende Partei-Abgeordnete (§ 48 Abs. 1 BWG) - aber andere gab es ja noch nie. Gibt es Amerika auch erst, seit es von Kolumbus (oder wem auch immer) entdeckt wurde?
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 15:06 Uhr:   

@Marc K.
Hier geht es nicht um die Personalisierung von Parteilisten, sondern um die faktische Benachteiligung von Einzelbewerbern (also parteilosen Bewerbern). Die Parteien haben diese Benachteiligung (ich behaupte eigennützig) in das BWG geschrieben, wodurch sich gravierende Probleme ergeben. Statt das Problem endlich an der Wurzel zu beseitigen, doktert man lieber an den Symptomen herum.

Neben Baden-Württemberg wäre auch das Landtags-Wahlrecht in Bayern eine interessante Alternative - da zählen beide Stimmen. Es fehlt nicht an Konzepten, sondern am politischen Willen, etwas Neues anzupacken. Gerade die UNION hält krampfhaft an bestehenden (oft auch überholten) Strukturen fest - eine wirklich konservative Kraft. Nur verspielt man so auch schnell die Zukunft.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 15:51 Uhr:   

Verehrter Herr Fischer,

auch in Baden-Württemberg oder Bayern haben Einzelbewerber nur dann eine Chance wenn sie die relative Mehrheit in einen Wahlkreis gewinnen. Das ist auch nicht anders als bei der Bundestagswahl.
Die Chancen parteiloser Bewerber sind gering, da die überwiegende Mehrheit der Wähler sie nicht wählt.

Eher Chancen hätten parteilose Bewerber im Fall der Bildung von Mehrpersonenwahlkreisen. Gegen ein solches Modell gibte es jedoch auch Bedenken, da Mehrpersonenwahlkreise vielfach nur über Ländergrenzen gebildet werden können. Im übrigen entspricht die Vertretung eines Wahlkreises durch einen Kandidaten der die relative Mehrheit erlangt auch urdemokratischen Grundsätzen.

Ein kleiner Nachsatz zur CDU/CSU: Der nun erfolgte plötzliche Schwenk in der Atompolitik mag vieles sein (Kalkül, stümperhaft, etc.), er ist aber sicherlich kein Festhalten an bestehenden Strukturen. Ein solcher abrupter Schwenk ist auch alles andere als konservativ....


(Beitrag nachträglich am 18., März. 2011 von Marc editiert)
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 16:41 Uhr:   

@Werner Fischer:

Trennung von Erst- und Zweitstimme bei Nachwahlen haben auch die Wahlbeobachter der OSZE gefordert bzw. angeregt. Bei der Nachwahl in Dresden hats keine Bewerber gegeben, bei deren Wählern u.U. Zweitstimmen zu streichen wären. Das Grundproblem ist hier das Zweistimmenwahlrecht, das Wählern von Einzelbewerbern eine zweite Erfolgschance verschafft und wo man dann zumindest einen zweiten Erfolgswert verhindern will.

Einzelbewerber sind schon bei einem Einstimmenverhältniswahlrecht problematisch und jedenfalls systemwidrig, aber bei einem Zweistimmensystem kriegt man zwangsläufig grobe Ungleichheiten. Wenn man parteiunabhängige Bewerber haben will, schließt das eigentlich ein Verhältniswahlrecht aus (wobei ich STV nicht als Verhältniswahlsystem betrachte; das wär dann möglich und sinnvoll).

In Bayern gibts überhaupt keine Einzelbewerber, sondern allenfalls Listen der Länge 1, die aber der 5%-Hürde unterliegen. Mehrheit im Stimmkreis reicht für die Wahl nicht (wär in Bayern verfassungswidrig).

@Marc K.:

Wenn ein Überhangmandat wegfällt, fällt dadurch nicht notwendigerweise ein Ausgleichsmandat weg. Das Grundproblem ist, dass eine veränderte Gesamtsitzzahl eine völlig veränderte Rundung bedingt und eine Partei dadurch deutlich besser dastehn kann, auch wenn eigene Stimmenverluste die Sitzerhöhung ausgelöst haben.

Nach momentanen Recht führen die Überhangmandate auch nicht automatisch zu einer gleichgerichteten Verschiebung des relativen Gewichts zwischen den Parteien; ganz im Gegenteil sinkt das Gewicht einer durch verlorene Zweitstimmen stärker überhängenden Partei, weil die steigende Gesamtsitzzahl die zusätzlich gewonnenen Mandate überkompensiert. Was bleibt, sind die einzelnen Rücksprünge, die aber mit Ausgleich genauso auftreten.

Man kann sicher davon ausgehn, dass das Bundesverfassungsgericht das nicht durchschaut hat, aber wenn man davon ausgeht, dass erstens die relativen Anteile statt der absoluten Sitzzahlen relevant sind und zweitens die Rücksprünge beim Ausgleich unbedenklich sind, dann sind sie es auch ohne Ausgleich, und man muss gar nichts ändern. U.U. bleibt noch die Ausnutzbarkeit der Rücksprünge bei Nach- und Wiederholungswahlen, aber auch die ist mit Ausgleich gegeben, wenn auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit. Wenn absolute Sitzzahlen relevant sind, kommt der Ausgleich ohnehin nicht infrage, weil er insofern gar nichts ändert.

Unschärfen hat das Bundesverfassungsgericht mehr als genug zugelassen, indem der Erfolgswert bis auf null sinken darf. Da hat es aber unzweideutig eine absolute Grenze gezogen.

Mehrpersonenwahlkreise:

Wenn man Ländergrenzen einhalten will (was nicht notwendig ist), ist bei 3er-Wahlkreisen eher das Saarland als Bremen ein Problem. Bremen hat derzeit einen Idealanspruch von 4,63 Sitzen, das Saarland von 7,51, und bei 3er-Wahlkreisen kann man den Wahlkreisanteil schon deutlich erhöhen. Bei der Vorgabe der Ländergrenzen sind ungleich große Wahlkreise relativ zwingend.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 16:54 Uhr:   

@RL,

vielen Dank für Ihre Erläuterungen. Es ist in der Tat eine komplexe Materie.
Ich gehe auch davon aus, dass ohne die besondere Situation 2005 - Nachwahl bei der das negative Stimmgewicht ausgenutzt werden konnte - das BVerfG nicht so geurteilt hätte.
Es kann ja durchaus Unterschiede zwischen "Entscheidungsbegründung" und Entscheidungsgrund bzw. Entscheidungsmotiv geben. Da bewegen wir uns natürlich in die Spekulation hinein. Daher möchte ich das auch nicht weiter vertiefen.
Ich möchte an dieser Stelle allerdings darauf hinweisen dass über eine entsprechende Neuregelung zwar das Bundesverfassungsgericht in einigen Jahren wohl wieder zu befinden hat, dass jedoch das Bundesverfasssungsgericht dann personell anders besetzt ist als dies 2008 der Fall war. Im Ergebnis könnte es sich durchaus auf den Standpunkt zurückziehen, dass eine Neuregelung bei der eine geringere Wahrscheinlichkeit von negativen Stimmgewicht besteht ausreichend ist um den Anfoderungen der Gleichheit der Wahl zu genügen.

Das BVerfG hat in seiner Urteilsbegründung ja ausdrücklich ausgeführt, dass die Gleichheit nicht absolut gilt, sondern durch zwingende Erfordernisse eingeschränkt sein kann sofern diese Einschränkung verhältnismäßig ist (mit dieser Argumentation wird ja auch die Verfassungsmäßigkeit der 5%-Klausel begründet, während eine höhere Hürde als unverhältnismäßig einzustufen wäre).

Wenn Sie das Urteil noch einmal genau lesen sehen Sie, dass das BVerfG die Verfassungswidrigkeit des negativen Stimmgewichts nur wegen einem negativen Ergebnis dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt hat.
Wenn die Wahrscheinlichkeit des negativen Stimmgewichts erheblich reduziert ist, KÖNNTE die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch anders ausfallen.


Zum Thema Mehrpersonenwahlkreise:
Ich habe meinem Modell den Vorschlag von Frau Berg zugrunde gelegt.
Nach ihrem Vorschlag sollte es 100 3-Personenwahlkreise geben. Die übrigen Bundestagsabgeordnete würden weiterhin über Landeslisten gewählt.

Mein Gedanke wäre die Ersetzung der 299 Direktwahlkreise durch 149-150 Zweipersonenwahlkreise. Die Übrigen 298-300 Abgeordneten würden weiter über die Landeslisten gewählt. Letzteres ist anscheinend in meinem Beitrag nicht ausreichend deutlich geworden.

Bremen hätte dann 1, das Saarland 2, Hamburg 3, Berlin 6 Zweipersonenwahlkreise.


(Beitrag nachträglich am 18., März. 2011 von Marc editiert)
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petra berg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 19:32 Uhr:   

Nachtrag zu meiner Idee mit den 100 3-Personen-Wahlkreisen:

Würde man die Größe der Wahlkreise mit 650.000 Wahlberechtigten ansetzen und eine Über - oder Unterschreitung von 25% zulassen, wären sowohl Bremen als auch das Saarland mit im Boot. Beide hätten dann halt je einen Wahlkreis.

In den anderen Bundesländern würden im Schnitt etwa je 3 der bisherigen WK zu einem zusammengefaßt.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2011 - 21:30 Uhr:   

@Petra Berg
"So hätte man insgesamt weiterhin 50 % der Abgeordneten direkt gewählt, aber Überhangmandate würden kaum noch anfallen."
Das hinge ganz stark vom konkreten Ergebnis ab. Eindeutig ist es aber nicht so, dass Überhangmandate dann kaum noch möglich wären - ganz im Gegenteil. Bei so einem Wahlsystem hätte die FDP 1969, 1972 und 1976 ungefähr doppelt so viele (!) Direktmandate bekommen, wie ihr nach Bundesproporz Sitze zustanden. Überhangmandate in großer Zahl treten hier dann auf, wenn die drittstärkste Partei deutlich weniger als ein Sechstel der Stimmen bekommt und gleichzeitig deutlich vor den nächstkleineren Parteien liegt. Große Überhänge sind auch bei einem Fünfparteiensystem locker möglich. Wenn das Ergebnis beispielweise so wäre

A 38%
B 33%
C 10%
D 6%
E 6%
Sonstige 7%

dann hätte Partei C ziemlich sicher viel Überhang. Eine weitere vielleicht nicht berücksichtigte Folge wäre die mögliche Aushöhlung der 5%-Hürde. Die NPD hätte z. B. 1969 weit mehr als 3 Direktmandate gehabt (ca. 20, wenn man von den damaligen 496 Sitzen und 82 oder 83 Wahlkreisen ausgeht) und die PDS hätte 2002 auch ganz locker drei Direktmandate bekommen, vielleicht hätten das sogar die Republikaner 1990 geschafft. Damals waren sie immerhin in 9 der 45 bayerischen Wahlkreise auf Platz 3 bei den Erststimmen, Sitze im Bundestag hätten sie in jedem Fall gehabt. Obendrein würde so ein Wahlsystem Großparteien geradezu dazu einladen, neben dem offiziellen Kandidaten der Partei noch einen pro forma als Einzelbewerber auftretende zweiten Bewerber antreten zu lassen, um so den Proporz auszuhebeln und zusätzliche Sitze zu kriegen. Das Unterfangen wäre praktisch risikolos, selbst wenn man § 6 Abs. 1 Satz 2 des Bundeswahlgesetzes berücksichtigt.

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