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Archiv bis 08. Mai 2009

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Sonstiges (noch nicht einsortierte Themen) » Streitfrage: Ist "Stimme ungültig machen" dasselbe wie nicht wählen gehen? » Archiv bis 08. Mai 2009 « Zurück Weiter »

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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 14. November 2006 - 17:43 Uhr:   

@Susa
"Ich bin nicht sicher, ob es ein gutes Zeichen ist, wenn sich eine zunehmende Zahl von Leuten über den politischen Vertretungsanspruch eines so schwach unterstützten Kandidaten schier schlapp lacht."

Wenn Würzner letzten Sonntag u.a. deshalb klar gewonnen hat, weil Sozen wie Sie zu Hause blieben, wird ihn das bestimmt nicht ärgern. Er ist für acht Jahre OB. Mit welchem Ergebnis er gewählt wurde, interessiert in ein paar Wochen keinen mehr. Lachende Nichtwähler werden ihn vermutlich nicht sonderlich stören oder auch nur zum Nachdenken anregen. Ich als Liberaler hätte übrigens gar nichts dagegen, wenn möglichst viele Genossen nicht zur nächsten Bundestagswahl gingen.

Wahlbeteiligung ist ganz allgemein kein Indikator für die Zufriedenheit der Bevölkerung. Sonst müßten z.B. Deutsche und Italiener viel zufriedener sein als Schweizer, Briten und Amerikaner. Das ist offensichtlich nicht der Fall.

Die übrige weinerlichen allgemein-politischen Auslassungen mit nahezu unbegrenzter Anspruchshaltung gegenüber dem Staat - leider nicht untypisch für weite Teile der Bevölkerung - gehören nicht hier ins Forum. Daher nur eine Anmerkung zum offenkundigsten Blödsinn:

"Dass die Kettenläden trotz gegenteiliger Pressedarstellung (die Discounter boomen) keine goldene Nase verdienen, zeigt der dramatisch sinkende Binnenkonsum der letzten Jahre."

Reichster Deutscher: Karl Albrecht
Zweitreichster Deutscher: Theo Albrecht

Auch unter den übrigen deutschen Milliardären gibt es einige, die mit Ladenketten, Versandhandel und/oder Billigstrategien reich geworden sind (oder ihre Vorfahren): Merckle, Otto, Schickedanz, Schlecker, Deichmann und einige mehr.
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Till E. (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 14. November 2006 - 20:55 Uhr:   

@Thomas Frings:
"Wahlbeteiligung ist ganz allgemein kein Indikator für die Zufriedenheit der Bevölkerung. Sonst müßten z.B. Deutsche und Italiener viel zufriedener sein als Schweizer, Briten und Amerikaner. Das ist offensichtlich nicht der Fall. "

Sie sollten selber merken, dass das ein wenig arg vereinfacht argumentiert war. Wäre ich feuriger Anhänger der Republikaner und wohnte in Utah. Die Kühe müssten gemolken werden und es ist Wahltag. Geh ich dann nicht wählen, weil ich mit meinem Kandidaten unzufrieden bin? Nur mal so als fiktives Beispiel, warum es sein könnte, dass da in der Korrelation Wahlbeteiligung/Wählerzufriedenheit zwischen 2 verschiedenen Wahlrechten Unterschiede auftauchen.
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Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Mittwoch, 15. November 2006 - 14:27 Uhr:   

Till.E:

Thomas Frings hat schon recht.
Seine Aussage war, dass Wahlbeteiligung und Zufriedenheit der Bevölkerung nicht positiv korrelieren.
Und letztlich sagen Sie ja auch nichts anderes. Nämlich, dass es eben ganz andere Faktoren, die die Wahlbeteiligung beeinflussen als die allgemeine Zufriedenheit.

Wenn man wollte, könnte man sogar eine umgekehrte Argumentation aufbauen:
Wenn die Regierung aus Sicht ausnahmslos aller Bürger eine 100% perfekte Politik macht (sehr fiktives Beispiel!), dann wird
(a) die Opposition vernünftigerweise ein Wahlprogramm aufstellen, das sich nicht wesentlich vom Regierungsprogramm unterscheidet
und
(b) die Wahlbeteiligung niedrig sein

Denn wenn sich die Wahlprogramme kaum unterscheiden und ich als Wähler beide Wahlprogramme gleichermaßen klasse finde, warum sollte ich dann wählen?
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Till E. (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Mittwoch, 15. November 2006 - 15:12 Uhr:   

Ich wollte lediglich ausdrücken, dass Wahlbeteiligung nicht nur etwas mit der Zufriedenheit der Bürger zu tun hat, sondern auch und vor allem mit dem Wahlrecht und speziell mit der Frage, was ein Wählengehen oder eben Nichtwählengehen für eine Folge hat. Indirekte Demokratie hin oder her; ich bin der Meinung, dass meine Stimme, solange ich nicht für eine aussichtslose Partei stimme, mehr beeinflusst in Deutschland als in Washington D.C. oder in Utah. Innerhalb der USA ist es dann natürlich nochmals anders und da muss man dann differenzieren.
Weiterhin denke ich, dass eine sinkende Wahlbeteiligung im Vergleich zur letzten Wahl schon ein Indiz dafür sein kann, dass die Bürger "politikverdrossen" sind. Das kann jetzt alles heißen, aber sicher drückt sich darin auch eine gewisse Unzufriedenheit mit der Politik und den Politikern aus. Dass in der ehemaligen DDR eine ganz andere Wahltradition herrscht als in Bayern ist doch sonnenklar, daraus zu folgern, dass die Ostdeutschen politikverdrossener sind wäre zumindest logisch falsch. Richtig wäre es aber wie beschrieben die Wahlbeteiligung z.B. in Ostdeutschland bei der BTW 2005 zu vergleichen mit der von 2002 oder gar 1990. Man sieht schon eine eindeutige Tendenz; und das liegt ganz sicher nicht daran, dass jetzt alle zufrieden sind.
Ich wollte eigentlich nur darauf aufmerksammachen, dass Thomas Äpfel mit Plastikkürbisen vergleicht und in hohem Maße unwissenschaftlich vorgeht, wenn er die These "Je weniger Leute wählen, desto unzufriedener ist der Bürger" in der Art widerlegt, wie er es getan hat.
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Susa (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Mittwoch, 15. November 2006 - 19:46 Uhr:   

Schön viele feurige Beiträge. Danke Herr Wälchli. Aber ich muss mir dafür ein wenig Zeit nehmen.

@Thomas Frings: Zunächst nur soviel: Karl und Theo Abrecht dürften weniger mit ihren Kettenläden verdient haben als vielmehr mit ihren Kapitalerträgen - und durch Niedrigstlöhne ihrer Beschäftigten natürlich. Betrifft uns alle übrigens, denn diese Leute dominieren heute den Trend in der deutschen Lohnpolitik: Wachsende Kapitalerträge, sinkende Löhne. Und was fängt man nur an mit all diesem Geld?? Man macht vor allem Politik.
Die schweizer Presse schreibt schon besorgt über deutsche Dumpinglöhne und die Auswirkungen auf ihre eigene Lohnpolitik.

Wer ist Würzner??
Welche Sozen? Ich bin keine Soze. Aber ich habe auch keine nennenswerten Kapitalerträge (too much outing, aber so sei es) und kann nicht anstinken gegen Albrecht und co., was die politische Willensbildung in Deutschland betrifft. Und genau da liegt mein Konflikt als Wählerin. Und jetzt Leute, bitte, bitte schaut doch mal in diese interessante volkswirtschaftliche Studie von Dr. Harald Wozniewski, nur so zum Spaß. Schließlich kann ich mich nicht mit fremden Federn schmücken und anderer Leut's Thesen verwenden:
http://www.vwler.de/joomla/content/view/51/34/1/0/

Ein direktes Wahlrecht, etwa wie in Frankreich, würde mir besser gefallen. Und da höre ich auch schon die Boahh-Buhh-Einwände. Ich kenne die Diskussionen über das "alte Europa" und seine ewig gestrigen Sozialromantiker.

Im übrigen meine ich, lasst sie ran, die Liberalen, die Konservativen. Sie werden eine Entwicklung weiterführen, die Helmut Kohl anno 1983 begonnen hat, die die Sozen (aus den bekannten korrumpierten Gründen) weitergeführt haben und die uns die zur Zeit bekannten Erfolge beschert haben. Ich finde einfach nicht, dass wir uns in den letzten Jahren im internationalen Vergleich gut entwickelt haben. Und ich meine nicht, dass die Gründe dafür bei "Florida Rolf" liegen.
Und vor allem zweifle ich, dass Wählen etwas daran ändert.
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Susa (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. November 2006 - 00:33 Uhr:   

@T. Frings
Die "unbegrenzte Anspruchshaltung" gegenüber dem Staat trifft wohl eher für unsere sog. Wirtschaftelite mit ihrem grenzenlosen Gewinn- und Steueremäßigungsanspruch zu. Und erst das Gegreine über die hohen Lohnkosten, über diese widernatürlichen Kündigungsregelungen und die sozialistischen Tarifverträge! Diese Jammerei scheint mir historisch signifikanter, als irgend ein vermeintlich paternalistisches Staatsverständnis der Deutschen.

Diese Jammerei kommt aber allgemein gut an und verschafft ihnen - unter Zuhilfenahme gewaltiger Schmiermittel für die Politik - enorme betriebswirtschaftlichen Renditen.

Die Verluste trägt die Allgemeinheit, besonders diejenigen, die mit ihren Sozialbeiträgen den unproduktiv gewordenen und gekündigten Arbeitnehmeranteil versorgt, damit der "Gesellschaftsladen" nicht in die Luft fliegt. Nur steht dieser Leistung keine Rendite zu. Und jammern ist an dieser Stelle eine Gefahr für die Demokratie.
Ich finde es übrigens tapfer und politisch ziemlich reif von den Deutschen, dass sie dieses Spiel noch immer mitmachen.

Und Herr Frings, Ihre "paternalistischen" Mackersprüche in Ehren, aber lässt hier vielleicht ihr Augenlicht schon etwas nach? Macht ja nichts, stört nicht beim Wählen.
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Ralf Lang
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. November 2006 - 10:15 Uhr:   

Erst jüngst hatte der Altbundeskanzler Helmut Schmidt einen längeren Vortrag im Phoenix, wo er mehrfach und teilweise recht fragwürdig für ein Mehrheitswahlsystem und eine eher präsidiale Regierung argumentierte. Da fehlt jegliche kritische Distanz zu den speziellen Mängeln und Problemen eines Mehrheitswahlrechts.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. November 2006 - 12:17 Uhr:   

Nur mal so zum besseren Verständnis: Was soll denn ein "direktes Wahlrecht" wie in Frankreich sein? Inwiefern sollte das deutsche Wahlrecht "indirekt" sein?
Historisch hat man unterschieden zwischen direkten Wahlen und indirekten. So waren die Wahlen zum alten preussischen Landtag indirekte, indem die Wähler nicht unmittelbar (nicht direkt) die Abgeordneten wählten, sondern zuerst Wahlmänner, die in einem zweiten Schritt dann die Abgeordneten bestimmten. Die Wahlen zum deutschen Reichstag waren zur selben Zeit direkte, indem die Wähler unmittelbar die Abgeordneten bestimmten.
Es entgeht mir, inwiefern die Wahlen in Frankreich direkter als jene in Deutschland sein sollen oder die in Deutschland weniger direkt als jene in Frankreich: In beiden Ländern wird die Volksvertretung unmittelbar gewählt, der Unterschied besteht nur darin, dass in Frankreich romanisches Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen gilt, dass in Deutschland die Einerwahlkreise nach relativem Mehrheitswahlrecht durch eine Listenwahl nach Verhältniswahlrecht ergänzt ist. Die zweite Kammer wird in beiden Ländern indirekt bestellt, in Frankreich durch Gremien, die vor allem aus Gemeindevertretern, aber auch aus den jeweiligen Abgeordneten der Volksvertretung (Vermischung beider Kammern!) bestehen, in Deutschland durch die Länderregierungen. Als wesentlichster Unterschied erweist sich, dass in Frankreich der Staatspräsident unmittelbar (direkt) vom Volk gewählt wird, in Deutschland indirekt durch eine Wahlversammlung zusammengesetzt aus der Volksvertretung und einer gleich grossen Zahl von Abgeordneten, die durch die Volksvertretungen der Länder bestellt werden. In beiden Ländern werden die Regierungen indirekt bestellt, wobei der formale Akt Ernennung durch die Staatspräsidenten ist. In Deutschland muss die Zustimmung zur Regierung durch die Volksvertretung vor der Ernennung erfolgen, was man vielleicht als "demokratischer" ansehen mag, wenn man denn will.
Der Hauptunterschied besteht also darin, wie die Volksvertretungen beider Länder bestellt werden: Das deutsche Wahlsystem räumt der gerechten, nämlich anteilmässigen Vertretung nach Parteizugehörigkeit einen hohen Stellenwert ein, das französische Wahlrecht kann in extremis dazu führen, dass eine Partei mit landesweit knapper Mehrheit sogar alle Sitze der Volksvertretung erhält. Etwas dubios erscheint die Zusammensetzung des Wahlkörpers für den Senat, insbesondere erscheint es eigenartig, dass die Abgeordneten der Nationalversammlung bei der Bestellung ihrer Senatskollegen mitwirken können. Die grosse Mehrheit (etwa 95% aller Mitglieder) dieser Wahlkörper bestehen aus Vertretern der Gemeindeexekutiven, die ihrerseits indirekt gewählt sind. Die Senatoren sind dann also noch indrekter gewählt.

Es bleibt also die Frage bestehen, was in diesem Zusammenhang "indirekt" oder "direkt" bedeuten soll; im etablierten Sinne können die Begriffe wohl kaum gemeint sein.
Wenn "indirekt" und "direkt" synonym für "Mehrheits-" bzw. "Verhältniswahlrecht" verwendet sein sollten, dann ist dies erstens täuschend (auch Verhältniswahlen sind keineswegs indirekt oder weniger "legitim" als Mehrheitswahlen) und zweitens politisch fragwürdig, indem die möglichen Auswirkungen schlicht ausgeblendet werden. Mit einem Mehrheitswahlrecht französischen Zuschnitts in Deutschland wäre wohl bei der letzten Bundestagswahl ein überragender Sieg der CDU/CSU das Ergebnis gewesen. Wenn man dann gleichzeitig die Politik der bürgerlichen Parteien seit Kohl lauthals beklagt, dann stellt sich schon die Frage, was man mit der Forderung nach einem derartigen Wahlrecht, das genau jene Kreise stärkte, die angeblich so schlimm seien, bezwecken wolle.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. November 2006 - 17:09 Uhr:   

An dieser Stelle einmal Bemerkungen zu zwei grundsätzlichen Punkten:

1.) Verschiedentlich wurden unter diesem Titel, aber auch unter andern Themen Bemerkungen der Art gemacht, der Wähler müsse gegen alle stimmen können, allgemeine Missbilligung ausdrücken können, Nichtwahl müsse einen Einfluss haben u. dgl. Damit wird die Frage berührt, wie man sich zum Staat als solchem überhaupt stellt.
In einer Untersuchungen zu Austritten aus Kirchen fand ich den bemerkenswerten Satz, dass bei der Untersuchung Leute gefunden wurden, die auch aus dem Staat austreten würden, wenn ein solche Austritt möglich wäre. Leider verzichtete diese Untersuchung, dem Thema auch nur im Ansatz ein wenig nachzugehen.
In der Tat gibt es ja Kreise, die entweder diesem Staat (dem jeweils in einem Land bestehenden) oder Staat überhaupt ablehnend gegenüber stehen. Das ist eine Haltung, die als solche zunächst einmal zur Kenntnis genommen werden muss.
Wer den vorfindlichen Staat ablehnt, weil er sich etwas ganz anderes unter Staat vorstellt, müsste allerdings angeben können, wie denn Staat seiner Meinung nach funktionieren müsste. Da gibt es durchaus andere Modelle, etwa den absolutistischen Staat, den totalitären, den korporativen, konservativ-paternalistischen u. a. m. Allerdings gibt es zwischen Staatswesen und zugrundeliegender sozialer und wirtschaftlicher Realität vielfache Wechselwirkungen. Man erkennt diese beispielsweise an "gescheiterten" Staaten (failed states) in ehemaligen Kolonien: Diesen wurde eine Verfassung europäischen Zuschnitts übergestülpt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass die ganze Kultur, Wirtschaft, Mentalität und Lebensweise nicht dazu passt. Es ist dann auch nicht erstaunlich, dass solche übergestülpte Staatsformen nicht auf Dauer funktionieren, sondern zusammenbrechen oder nur mit massiver Korruption "laufen".
Modelle wie der korporative Staat knüpfen an historische Formen des Ständestaates an, doch sind inzwischen die Grundlagen der Stände ebenso verschwunden wie die damit verbundenen gesellschaftlichen und kulturellen Komponenten. Es wird daher nicht möglich sein, ein beliebiges Staatsmodell auf eine beliebige reale Situation in einem Land aufzupfropfen.
Der Gruppe jener, die Staat als solchen überhaupt ablehnen, sei zudem gesagt, dass die Wahl, ob es einen Staat geben solle oder nicht, historisch seit langem getroffen wurde. Staaten sind aus der heutigen Welt schon allein aus Tradition heraus nicht einfach wegzuschaffen. Die grossen Infrastrukturen der industrialisierten Welt ebenso wie die Sozialwerke und vieles mehr konnten auch nur dank des Staates aufgebaut werden. Auch wenn solche Strukturen durchaus auch privatisiert werden können, so ist es aber fraglich, ob sie auf Dauer überleben könnten, wenn der Staat verschwände. Insbesondere stellt sich dabei das Problem der kapitalintensiven Infrastruktur: Diese überfordert heute vielfach die Finanzen des Staates und wird daher gern privatisiert. Allerdings bleibt der Staat als Garant des Eigentums bestehen. Was aber würde das Eigentum an diesen ungeheuren Kapitalinvestitionen garantieren, wenn der Staat wegfiele? Jeder könnte sich ungeschoren ein Stück davon nehmen, der Unterhalt solcher kapitalintensiver Werke würde danach uninteressant.
Im Hinblick auf das Wahlrecht ist aber nun folgendes vor allem andern zu bemerken: Eine Wahl ist keine Entscheidung über die Staatsform, noch nicht einmal über die Verfassung. Eine Wahl findet immer im Rahmen der geltenden Verfassung mit der zugehörigen Staatsform statt. Es ist daher auch nicht vorgesehen und nicht sinnvoll, in eine Wahl ein Moment des Plebiszites über den Staat an sich einzubauen. Wahlen dienen dazu, die Organe des Staates, wie er eben ist, zu bestellen, sonst zu rein gar nichts.
Wer mit der bestehenden Staatsform nicht einverstanden ist und eine Änderung begehrt, müsste dies über einen anderen Weg zu erreichen versuchen. Dies können je nach Land und dessen Besonderheiten etwa ein Referendum über die Einleitung einer Verfassungsrevision, die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, die Gründung einer Partei, deren oberstes Ziel in der Verfassungsänderung besteht, oder auch andere Mittel sein. Der erste Schritt dürfte aber immer etwa derselbe sein, nämlich eine öffentliche Disussion über die Staatsform bzw. Verfassung anzuregen. Der Weg dazu führt über Medien, Stammtische, Publikationen, evtl. Demonstrationen usw.
Nun gibt es noch ein Problem: Manche Verfassungen lassen Änderungen nur erschwert zu oder schliessen bestimmte Staatsformen als unzulässig aus. Die Verfassung der USA sieht beispielsweise nur vor, dass Amendments, also eigentlich: Ergänzungen, der Verfassung gemacht werden können. Ein förmliches Verfahren zur vollständigen Verfassungsrevision ist gar nicht vorgesehen. Auch wenn der rechtliche Bindungswert der Regelungen nicht in allen Punkten geklärt erscheint, so ist doch wohl in der Verfassung ausgedrückt, dass eine entscheidende Änderung des Staatswesens gar nicht in Betracht gezogen wurde. Das deutsche Grundgesetz sieht in seinem Schlussartikel im Gegensatz zu anderen Verfassungen vor, dass es als ganzes ersetzt werden kann. Das Verhältnis zur "Ewigkteisgarantie" in Art. 79 ist allerdings unklar. Immerhin verwirft das GG gewisse Staatsformen ausdrücklich, Parteien und andere Organisationen, die solche fordern, können als verfassungsfeindlich aufgelöst und verboten werden. Also werden sie vermutlich gar nie soweit kommen, Art. 143 auszuspielen, zumal dessen konkrete Umsetzung ebenfalls unklar ist. Faktisch werden daher die Anhänger gewisser Staatsformen in Deutschland ebenso wie in vielen anderen Staaten ihre Vorstellung nur durch Umsturz, Revolution, Putsch u. dgl. durchsetzen können.
Ich fasse also zusammen: Wahlen stellen keine Entscheidung über die Staatsform dar.

2. Immer wieder werden auch Äusserungen der Art laut, dass auf der einen Seite die Bürger, auf der andern die Parteien stünden. Parteien erscheinen je nach dem als allgemeines Übel, als eine korrupte Riege, die den Staat gleichsam wie ein Privatgeschäft führt, oder doch als Elite, die sich vom gewöhnlichen Bürger himmelhoch unterscheidet. Das Heilmittel dagegen wird dann je nach dem in einer Wahl von "Bürgern" nur in Einerwahlkreisen, in der Aufgabe des Parteienproporzes oder gar in einem Verbot von Parteien gesehen.
Dazu gilt es anzumerken, dass auch Parteien letztlich nur Organisationen von Menschen sind wie Vereine, Gewerkschaften, Genossenschaften, private Clubs ohne eigentliche rechtliche Satzung u. a. m. Die Besonderheit von Parteien ist allerdings, dass sie fast ausnahmslos aus Mitgliedern bestehen, die auch Bürger, d. h. politisch Teilnahmeberechtigte, sind, was sie etwa von wirtschaftlichen oder privaten Personenvereinigungen unterscheidet. Es bringt einem politisch nicht Berechtigten auch herzlich wenig, Mitglied einer Partei zu sein.
Wenn also irgendwo die Deckung zwischen Organisation und Bürgern maximal ist, dann am ehesten in einer Partei; der Staat als ganzer umfasst auch die Nicht-Bürger, etwa niedergelassene Ausländer, Durchreisende, Minderjährige usw.
Nun stellt sich als nächstes die Frage, ob sich Parteien verbieten lassen. Dies hängt wiederum mit der Fragestellung zusammen, was Parteien eigentlich sind, oder anders: Warum es Parteien gibt. Parteien stellen Zusammenschlüsse von Bürgern dar, die ähnliche politische Auffassungen haben. Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob diese Auffassungen weltanschaulicher Natur oder mehr praktischer (wie in den USA) sind. Parteien wird es daher so lange geben, wie es unterschiedliche Gruppen mit einer ähnlichen Gesinnung gibt, denn Gesinnungsfreunde werden sich immer auf irgendeine Weise zusammenschliessen. In der Zeit vor dem Ende des Ancien Régime gab es beispielsweise Vereinigungen, die politischen Charakter hatten. Diese wurden verboten und aufgelöst, danach bildeten sich unter dem Deckmantel geselliger kultureller Anlässe Lesegesellschaften, die im wesentlichen dieselben Ziele verfolgten. Sogar innerhalb von Parteien lässt sich feststellen, dass es gewisse Gruppen gibt, die einander noch ähnlichere Meinungen vertreten als in der Partei überhaupt. Dies sind dann die Flügel oder Fraktionen einer Partei.
Voraussetzung für das Entstehen von Parteien ist also, dass es eine ausreichende Zahl politisch ähnlich Gesinnter gibt, die sich enger zusammenschliessen wollen. Zwar lassen sich Parteien als solche verbieten, die betroffenen Menschen werden aber immer Lösungen finden, wie sie solche Verbote irgendwie doch unterlaufen können. Einzige Möglichkeit, dies wirksam zu verhindern, ist eine Einheitspartei in Verbindung mit Gesinnungsterror. Eine solche Massnahme wäre aber heute als eher unpopulär zu werten und könnte auch internationales Eingreifen auslösen.
Eine andere Möglichkeit wäre, Parteien als wirksamen Faktor aus der Wahlkandidatur auszuschalten, etwa indem nur Einzelkandidaturen angenommen werden. Das stellt aber nur eine Scheinlösung dar, denn wer informell hinter den Kandidaten steht, lässt sich letztlich nicht überprüfen. In einem System, das ausschliesslich Einzelkandidaturen zulässt, kann zudem eine grosse Hebelwirkung entstehen: In einem System mit Einerwahlkreisen und relativer Mehrheitswahl kann die stärkste Minderheit eine überragende Mehrheit erringen und somit faktisch alles diktieren. Damit hat man durch die Hintertüre die Alleinherrschaft einer Partei eingeführt.
Um dies zu verhindern, ist schon früh im modernen Staat die Verhältniswahl nach Listen oder Parteien eingeführt worden. Diese Wahlform sorgt wenigstens dafür, dass die einzelnen Gesinnungsgruppen wenigstens entsprechend ihrem Anteil unter den Bürgern vertreten sind und nicht eine Gruppe die andern überstimmen kann, obwohl sie nur eine Minderheit vertritt.
Damit möchte ich auf einen Gedanken, den ich unter 1. bereits erwähnte, zurückkommen: Die Rolle, die Parteien in einem Staat spielen, hängt auch von den realen Faktoren ab, die in einem Land herrschen. Dafür steht vorbildlich die Schweiz. In ihr ist die Verbreitung von Parteien unterschiedlich dicht. Auf der Ebene der Gemeinden sind Parteien deutlich weniger verbreitet als auf den oberen Ebenen. In kleinen Gemeinden, in denen regelmässig die Bürger in offener Versammlung als "Parlament" zusammentreten, gibt es oftmals keine Parteien oder nur Zusammenschlüsse anderer Art, etwa Orts- oder Ortsteilvereine. Vieles wird auch durch spontane Zusammenschlüsse oder durch Vereinigungen anderer Art, etwa Dorfvereine, die eine kulturelle oder gesellige Aufgabe wahrnehmen, erledigt. In einer Versammlung von wenigen Dutzend Bürgern lassen sich Kandidaten notfalls auch ohne ein vorschlagendes Gremium finden, können Meinungen diskutiert werden, ohne dass Geschäfte durch Ausschüsse oder eben "Parteien" vorberaten werden. Dagegen sind Parteien in grösseren Gemeinden und Städten sowie auf den oberen Ebenen überall vorhanden. Aber auch ein Blick auf die Geschichte dieser Parteien ist lehrreich: Nach der Gründung des Bundesstaats 1847/48 gab es zunächst keine formellen Parteien. Die treibenden Kräfte hinter dem Bundesstaat wurden aber allgemein als "Partei" wahrgenommen und als Freisinnige oder Radikale bezeichnet. Sie regierten bis in die Zeit um 1890 ziemlich uneingeschränkt. Eine Parteiorganisation gab es im engeren Sinne nicht, hingegen eine Vielzahl von Netzwerken, in denen sich die Akteure trafen und absprachen. Die zweite grosse "Partei" jener Zeit, die katholisch-konservative Bewegung, ihrerseits versuchte zwar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Parteigründung, die jedoch scheiterte. Die katholisch-konservative Bewegung ihrerseits verfügte auch über eigene Netzwerke, unter anderem einen nationalen Studentenverein, die Parteistrukturen weitgehend ersetzten. So wurde als erste formelle Partei die sozialistische gegründet. Als ausgesprochene Minderheiten- und Oppositionspartei gegen die Herrschaft des Freisinns und aus einer Schwäche heraus konnte sie nicht anders als durch formale Parteistrukturen überhaupt bestehen. Ihre Aufgabe war es, die Arbeiterschichten zu sammeln und ihnen eine organisierte Stimme gegenüber dem Staat zu verschaffen. Eine solche Brücke zwischen Individuum und Staatsorganen hatten die anderen grossen politischen Bewegungen nicht nötig, weil sie durch informelle Verbindungen mehr als wettgemacht wurden.
Dies wird durch die heutige Rolle der Parteien weitgehend bestätigt: In kleinräumigen Verhältnissen spielen die Parteien eine geringere Rolle, in bevölkerungsreichen Kantonen und im Bund hingegen ist ihre Aufgabe und Stellung grösser.
In kleinräumigen, "familiären" Verhältnissen, in denen sich die meisten Leute kennen, braucht es keine grosse Organisation, um beurteilen zu können, wen man wählen will; in grösseren, zahlreicheren Gemeinwesen fehlt diese persönliche Komponente, und so springen Parteien in die Bresche, indem sie Gruppen gleichgesinnter Personen bilden und so wenigstens einen Anhaltspunkt dafür bieten, wer für welchen Kurs steht. Hinzu kommen rein praktisch-organisatorische Probleme: In kleinen Verhältnissen kann es schon vorkommen, dass ein Kandidat auf dem Dorfplatz persönlich um Stimmen wirbt oder von Haus zu Haus geht und Handzettel verteilt; in grossen Verhältnissen müssen aber eigentliche Organisationen einreten, die Geld sammeln und über Massenmedien ihre Kandidaten und Programme verbreiten.
Somit lässt sich festhalten, dass wir Parteien im Kern, nämmlich als Gruppierungen Gleichgesinnter, niemals loswerden, ferner auch, dass sie in gegebenem Rahmen eine durchaus sinnvolle Rolle im und für den Staat sowohl als für den Bürger spielen können und dass es auch sachgerecht ist, Parteien bei der Vorbereitung von Wahlen miteinzubeziehen.

Wenn wir diese beiden Grunderkenntnisse einmal akzeptieren, dann erübrigen sich die meisten der immer wieder vorgetragenen "Verbesserungsvorschläge" als realitätsfern von selbst; hingegen ist immer Gelegenheit, echte Verbesserungen vorzuschlagen.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. November 2006 - 18:54 Uhr:   

Wozu möchte der Herr gewesener Bundeskanzler denn ein Präsidialsystem in Deutschland einführen?
Die Stellung des Bundeskanzlers ist ja schon so stark wie die kaum eines anderen Regierungschefs in Europa, auch der nominell übergeordnete Bundespräsident tut seiner Stellung wenig Abbruch, sogar die Abhängigkeit vom Parlament ist für ein parlamentarisches System vergleichsweise gering. Da möchte ich schon gerne wissen, was sich der Herr gewesene Bundeskanzler vorstellt. Eine Art Diktator auf Zeit?
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Samstag, 18. November 2006 - 10:29 Uhr:   

Tja, jetzt habe ich mir doch tatsächlich ein Modell gebildet, wie man die Forderungen des Herrn gewesenen Bundeskanzlers umsetzen könnte:
Der Bundestag wird umgebaut: 80 Abgeordnete werden zu je 5 auf die Länder verteilt. 420 weitere Abgeordnete werden nach Bevölkerungszal auf die Länder verteilt, wozu sich bspw. Hare-Niemeyer eignen könnte.
Kandidaten können entweder von einer bestimmten Anzahl Bürgern (Einzelkandidaturen) oder von Parteien vorgeschlagen werden (Listen). In jedem Bundesland kann eine Partei oder ein einzelner Bürger soviele Kandidaturen unterstützen, wie dem Bundesland Sitze zugeteilt wurden. Nach Eingang aller Kandidaturen wird eine Liste aller Namen erstellt, die als Einzel- oder Listenkandidaturen vorgeschlagen wurden. Die Liste enthält nur die Angaben zu den Kandidaten, nicht dazu, wer sie vorgeschlagen hat. Um Missbräuche auszuschliessen, wird die Reihenfolge der Namen auf der Liste durch Auslosung bestimmt.
Die Wähler können nun soviele Kandidaturen aus dieser Liste auswählen, wie dem Bundesland Sitze zugewiesen sind. Um Fehler zu vermeiden, dürfte es wohl sinnvoll sein, die Stimmabgabe entweder durch Wahlautomaten, die ein Überschreiten der Höchstzahl nicht zulassen, oder statt durch Ankreuzen auf der Liste durch Verteilen eines Zettels mit einer vorgedruckten Anzahl freien Plätzen, die von Hand mit den Namen der Kandidaturen ausgefüllt werden, vorzunehmen. Gewählt sind in jedem Bundesland jene Kandidaten, die am meisten Stimmen erhalten haben.
Gleichzeitig mit der ordentlichen Erneuerung des Bundestages findet eine Volkswahl des Kanzlers statt. Gewählt ist, wer am meisten Stimmen erhalten hat. Der Kanzler nimmt auch die Rechte des Bundespräsidenten wahr, dessen Amt abgeschafft wird. Künftig ernennt der Kanzler die Minister und entlässt sie, fertigt die Gesetze aus, empfängt die Gesandten und beglaubigt sie usw. Er erhält auch ein allgemeines Weisungs- und Veto-Recht gegenüber dem Kabinett, in dem er auch den Vorsitz führt. Die Vertrauensfrage muss natürlich dann abgeschafft werden, Misstrauen kann der Bundestag dem Kanzler nicht mehr aussprechen. Einzige Möglichkeit, den Kanzler abzusetzen, ist es nun, dass der Bundestag mit Mehrheit aller seiner Mitglieder einen Volksentscheid über die Absetzung des Kanzlers verlangt. Entscheidet das Volk gegen den Kanzler, findet eine Neuwahl statt, bei der der alte Kanzler nicht mehr antreten darf. Entscheidet es für den Kanzler, wird gleichzeitig eine Neuwahl des Bundestages angesetzt, die Amtszeit des Kanzlers verlängert sich automatisch bis zum Ende der Wahlperiode des neugewählten Bundestages.
Gleichzeitig müssten natürlich auch die Einzelheiten des heutigen Systems überprüft werden. Im Kleinen wird es die eine oder andere Folgeänderung wohl auch noch brauchen. Zu erwägen wäre etwa auch, dass der Bundesrat neu durch den Kanzler oder ein anderes Mitglied der Bundesregierung präsidiert wird.
Na, das ist doch mal eine schöne, in sich geschlossene Konzeption eines Staates!
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Susa (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 18. November 2006 - 20:42 Uhr:   

@Philip Wälchli
Volkswahl des Kanzlers find ich gut. Abwahl des Kanzlers durch Volksentscheid find ich auch gut. Abschaffung es Bundespräsidenten find ich nur momentan gut, weil wir keinen vernüftigen haben, der irgend eine Aufmerksamkeit wert wäre. Sonst bin ich eigentlich der Meinung, dass eine Instanz, die in einem sekulären Staat über ethische Grundsätze wacht, nicht verfehlt.

Was mir nicht gefällt, auch am derzeitigen Wahlrecht nicht ist, dass Parteien nach eigenem Gusto einen Teil der Abgeordneten bestellen können, über Landeslisten, die sich den Bürgern in keiner Weise verpflichtet fühlen müssen. Weil sie sich ein parteiinternes Privileg erworben haben. Reine Parteiapparatschiks sind.

Ihr Vorschlag klingt nach der ersten schnellen Lese weniger kompliziert als unser Wahlrecht.

Was mir auch nicht so wirklich gefällt sind die Wahlautomaten. Ehrlich gesagt fürchte ich den Moment, wo die hier eingeführt werden. (Und das werden sie.) Viele Amerikaner gehen nur deshalb nicht mehr zur Wahl, weil sie genau aus der Richtung Wahlmanipulation fürchten.

Schön, dass Sie sich Gedanken über Alternativen machen. Ich denke auch, dass nur über die Änderung des Wahlrechts demokratische Verhältnisse wiederhergestellt werden können.

Aber das Wahlrecht ist eine komplizierte Materie. Ich gestehe einen gewissen Widerwillen, mich wirklich ernsthaft bis ins Detail damit zu befassen - nach all den langen täglichen Arbeitsstunden.
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Marc K.
Veröffentlicht am Samstag, 18. November 2006 - 20:48 Uhr:   

@Phillip Wälchli,

kleine Anmerkung zu Ihren Kommentaren:
Art 20 I + II GG legt die wesentlichen Strukturpinzipien der Bundesrepublik Deutschland fest. Aus ihm ergibt sich für die Staatsform folgendes:
1. Republik
2. Demokratie
3. Bundesstaat
4. Sozialstaat.
5. Rechtsstaat
Daneben ergibt sich aus Art 20 II 2 GG der Grundsatz der Gewaltenteilung. Aus Art 20 III GG ergibt sich der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (und auch der Verfassung).
Die in Art 20 I-III GG niedergelegten Grundsätze sind durch Art 79 III GG geschützt (Unabänderlichkeitssperre (Ewigkeitsklausel).

Art 20 IV GG (Widerstandsrecht) wurde später eingefügt. Auf ihn erstreckt sich die Ewigkeitsklausel daher nicht.

Gleichermaßen wie Art. 20 I-III GG wird Art 1 GG durch Art 79 III GG vor Veränderungen seiner Grundsätze geschützt.
Die Grundrechte selbst (Art 2-19 GG) untefallen hingegen nicht der Unabänderlichkeitssperre des Art 79 III GG. Allerdings sind die Grundrechte zumindest in Ihrem Menschwürdegehalt (das den meisten Grundrechten innewohnt) durch Art 79 III GG geschützt.

Ob die Unabänderlichkeitssperre des Art 79 III GG auch im Falle einer neuen Verfassung (nach Art 146 GG (NICHT 143- hier eine kleine Korrektur) ist streitig.
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Susa (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 18. November 2006 - 21:49 Uhr:   

@ P. W.
Über Ihren Beitrag vom 14. November will ich sagen, dass das Lachen (der Nichtwähler) allemal gesund ist, und wenn Schadenfreude im Spiel ist, macht das auch nichts. Ein Gewinner kann in der Tat ein Geschädigter sein....und - politisch engagierte Menschen lachen besonders gern.

Nicht nur rein mathematisch denken! Das Leben ist mehr als Mathematik. Wenn gegenwärtige Politik bei vielen Menschen schadenfrohes Lachen auslöst, ist das kein gutes Zeichen in Bezug auf die Akzeptanz der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung.

Ihre Argumentation über das Elternsein: Diese Phase ist es ja erst, die einem bewusst macht, wo und wie man eigentlich lebt. Welche Chancen hat der Nachwuchs in diesem Land? Als Eltern denken Sie zum ersten Mal darüber nach, was eigentlich nach ihrem eigenen Ableben sein wird. Sie denken viel nachhaltiger - und weniger narzistisch d. h. selbstbezogen. Und Sie stellen Ansprüche an die Strukturen, in denen Sie ihre Kiner großziehen müssen. Sie wollen, dass es ihre Kinder mal besser haben. (Besonders die Mädchen). Und natürlich wollen Sie selbst auch wirtschaftlich irgendwie überleben.
Sie entwickeln hochsensible Antennen dafür, ob ihre Kinder dort, wo sie leben, mal bleiben können oder besser weggehen sollten. Und wenn Sie glauben, dass das Land in dem Sie leben, keine erstrebenswerte Zukunft bietet, wird ihre Message an den Nachwuchs entsprechend sein.
Diese Message geben übrigens wir Müttger in erster Linie weiter. Denn wir sind(noch immer exclusiv) für die Erziehung zuständig. Bedeutet Elternschaft/ Mutterschaft wirtschaftliche Nachteile - trotz guter Ausbildung - geht dies in die Erziehung ein. Und da hilft kein kurzfristig und halbherzig gegebenes Elterngeld oder anderweitiger Firlefanz. Lebenserfahrungen, die von Generation zu Generation weitergegen werden, sitzen tief.

Sicherlich sind Autobahnen manchem Wähler schon genug. Schaun wir mal, wie weit ein Land mit Autobahnen allein kommen wird. Keine Gesellschaft kann sich ohne Nachwuchs erneuern. Wenn sie dafür die Strukturen nicht bereitstellen mag, soll sie es lassen. Und abkac....en.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Samstag, 18. November 2006 - 23:09 Uhr:   

Nun muss ich doch auch noch einen Nachtrag zu meinem oben umrissenen Modell anfügen:
Ein Knackpunkt jeglicher Staatsform ist ja das Problem des Verhältnisses zwischen Allgemeinheit der Politik und Qualität der Politik. Die heutigen Systeme begünstigen entweder einseitig die Allgemeinheit, worunter die Qualität leidet, oder einseitig die Qualität, wordurch die Allgemeinheit der Politik in Frage gestellt wird. Wir müssten natürlich diesem Problem besondere Aufmerksamkeit widmen und etwas vorzubeugen versuchen.
Die Lösung wird in der Richtung einer Demokratie mit leichtem aristokratischem Element gehen müssen. Dazu wird sich nach vielen Erwägungen nur ein Modell eignen können: ein gemässigtes Doppelstimmrecht.
Dies bedeutet, dass einzelne Bürger auf Antrag eine zweite Stimme erhalten, so dass sie also jeweils zwei Stimmen abgeben können. Unter dem heutigen deutschen Wahlrecht wären dies vier Stimmen, je zwei Erst- und zwei Zweitstimmen (aber das wollen wir ja ändern).
Der Zweck der Doppelstimmen ist klar: Dadurch sollen Leute bevorzugt werden, bei denen mit Gründen ein qualitativ besserer Beitrag zur Politik zu erwarten ist. Anderseits wollen wir die Allgemeinheit nicht gefährden, sondern höchstens ein wenig mindern. Daher kann jeder nur eine doppelte, aber nicht etwa drei- und mehrfache Stimmen erwerben.
Da wir die Allgemeinheit nicht grundsätzlich ausschalten wollen, muss als weiteres Element hinzutreten, dass grundsätzlich jeder sich selbst um die Doppelstimme bemühen muss. Zugleich soll dies Ansporn sein, dass auch andere sich darum bemühen. Drittens garantiert dies, dass nur jene, die sich auch wirklich an der Politik beteiligen wollen, auch eine Doppelstimme erhalten, denn wer ohnehin nicht an Wahlen teilnimmt, wird kaum den Antrag auf Doppelstimme einreichen.
Die Zahl von Doppelstimmen ist unbeschränkt, was bedeutet, dass grundsätzlich alle eine Doppelstimme erhalten können, wenn sie sich darum bemühen und die Bedingungen erfüllen.
Diese Bedingungen müssen so formuliert sein, dass sie nicht jeder automatische erfüllt, sondern dass man dafür schon etwas leisten muss; umgekehrt sollen sie so tief angesetzt werden, dass grundsätzlich auch jeder, der dies ernsthaft will, sie erfüllen kann.
Als Bedingungen sollten Leistungen, die der Allgemeinheit dienen, definiert werden, etwa ein nachgewiesenes Engagement in Freiwilligenarbeit, Einsatz für gesellschaftliche Integration oder die Pflege eigener Verwandter im eigenen Haus u. dgl.
Ferner müsste die Dauer, während der man eine Doppelstimme erhält, begrenzt werden, beispielsweise so, dass sie jeweils vor der Bundestagswahl erneuert werden muss, dann aber auch die nächsten vier Jahre auf allen Ebenen gilt. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass niemand sich auf einmal erworbenen Lorbeeren ausruht, sondern wirklich etwas für die Allgemeinheit tut, zugleich würde so ein ständig neuer Ansporn und Wettbewerb im Positiven ausgelöst.
Dies als kleiner Nachtrag zu obigem Modell
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Susa (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 19. November 2006 - 12:57 Uhr:   

@ Philipp Wälchli
Ein interessanter Aspekt: Bürgerschaftliches Engagement als aristokratische Qualität zu bezeichnen - und mit einer Zweitstimme zu honorieren. Sympatisch.
Dies würde auch eine neue Definition des Begriffs "Leistung" zur Folge haben.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Sonntag, 19. November 2006 - 15:05 Uhr:   

Eine Volkswahl des Bundeskanzlers bringt keine qualitative Verbesserung der Politik, höchstens wird das Regieren noch komplizieter. Was wäre z.B., wenn ein SPD-Kandidat Bundeskanzler wird, Union und FDP aber die Mehrheit in Bundestag und Bundesrat haben? Auch ungünstig wäre ein Unionskanzler bei rot-grüner Mehrheit. So hätte man evtl. eine Parlamentsmehrheit, die in vielen Fragen die Regierung einfach ignorieren kann und eine Art Nebenregierung bildet. Nur in der Außenpolitik und beim Haushalt könnte das Parlament seine Linie nicht gegen den Willen der Regierung durchsetzten.

Eine Volkswahl des Bundeskanzlers paßt nicht ins politische System Deutschlands. Wenn man so etwas wollte, müßte man das GG noch viel weitreichender ändern, z.B. durch eine Vetorecht des Bundeskanzlers und/oder stärkere plebiszitäre Elemente in der Gesetzgebung.

Was das Wahlrecht betrifft: Parteifreie Wahlen sind m.E. naiv. Die Wähler wissen sehr wohl, wer zu welcher Partei gehört, zumindest ist die grobe Richtung klar. Selbst bei Wahlen in früheren Zeiten ohne amtliche Stimmzettel wurden weit überwiegend Kandidaten bestimmter Parteien gewählt.

"Als Bedingungen sollten Leistungen, die der Allgemeinheit dienen, definiert werden, etwa ein nachgewiesenes Engagement in Freiwilligenarbeit, Einsatz für gesellschaftliche Integration oder die Pflege eigener Verwandter im eigenen Haus u. dgl."

Das erfordert viel Bürokratrie, bringt Abgrenzungsschwierigkeiten und Spielraum für politische Manipulationen. Ein einfaches Beispiel: Eine bürgerliche Regierung könnte die Ableistung des Wehrdienstes als wertvolle Tätigkeit definieren, den Zivildienst dagegen nicht. Umgekehrt könnte es eine Linksregierung machen. Und was ist z.B. bei einem Unternehmer, der zwar viele Beschäftigte hat, aber ein Teil seiner Mitarbeiter entlassen hat? Aus FDP-Sicht wäre er selbstverständlich immer noch wertvolles Mitglied der Gesellschaft, aus linker Sicht ist er dagegen vermutlich ein profitgeiler, unsozialer Abzocker.
Ein weiteres Beispiel: Anti-Castor-Aktionen kann je nach politischen Standpunkt als wertvolle Tätigkeit ansehen oder als Unsinn, der nur Geld kostet und zu vielen illegalen oder sogar strafbaren Handlungen führt.

Als weiteres praktisches Problem kommt hinzu, daß das Vorliegen der Kriterien vor jeder Wahl millionenfach überprüft werden müßte.
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Susa (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 21. November 2006 - 18:26 Uhr:   

@T. Frings
"Eine Volkswahl des Buka. bringt keine qualitative Verbesserung der Politik, das Regieren wird noch komplizierter. Was wäre, wenn ein SPD-Kandidat Bundeskanzler wird, Union und FDP aber eine die Mehrheit im Bundestag und Bundesrat haben...."

Diese Situation ergibt sich ausgesprochen oft in den Gemeinderäten der Kommunen. Typischerweise ist es oft so, dass die Wähler/innen z. B. eine/n SPD-OB wählen, dann aber sitzen im Gemeinderat mehrheitlich CDU-Stadträte/rätinnen.

Und auch auf Bundesebene ist es so, dass die Regierung einer Partei auf einen mehrheitlich konträren Bundesrat stößt. Das ist die berühmte Politik-Blockade, die wir eigentlich alle fürchten.
Aber worum geht es eigentlich? Es geht um das Wohl des Landes. Klingt zunächst national orientiert. Ist aber legitim, auch angesichts der EU und Globalisierung. Ich denke, das haben wir mittlerweile begriffen, dass im internationalen Wettbewerb der Standort möglichst gut aufgestellt sein sollte, dafür braucht es eine "effiziente" Politik.

Eine nationale Politik wird niemals effizient sein können, wenn große Teile der Bevölkerung sich "verabschieden".

Und bitte - ich plädiere hier nicht für eine ominöse Form des Nationalismus. Ich bin überzeugte Europäerin und finde es schade, dass sich dieses Projekt gerade durch eine extrem inhumane, sozial ignorante Politik diskreditiert.

Was passt eigentlich noch in die politische Landschaft Deutschlands? Wenn wir so weiter machen, nicht mal mehr Art.1 des GG. Scheint so, als ob hier die totale Orientierungslosigkeit, zumindest auf seiten der Bürger/innen angesagt ist. (Das Kapital weiß genau, wo es hin will).

Stärkere pläbeszitäre Elemente in der Gesetzgebung hielte ich für wunderbar!!
Schaut nur nach Freiburg.

Interessant finde ich, dass sogar Herr Frings dafür plädiert, ehrenamtliches Engagement im sozialen/gesellschaftlichen Bereich zu honorieren. Die Frage bleibt nur, wie und was ist wertvolles Engagement.

Ich glaube, dass hier der Hauptdissens in unserer Gesellschaft liegt.
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susa (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Donnerstag, 23. November 2006 - 20:45 Uhr:   

Ach nein, ich glaube ich liege doch in einem Punkt falsch. Standortnationalismus ist auch nur eine Variation von Nationalismus - übelster Prägung.
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AlexS
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 08. Mai 2009 - 15:06 Uhr:   

Nochmal ein Punkt zum Ungültig-Wählen:

für mich persönlich, d.h. für mein Gewissen, macht es einen Unterschied, ob ich zu faul/bequem bin zum Wählen oder ob ich hingehe, denn damit symbolisiere ich - in erster Linie für mich selbst, aber auch nach außen - dass mir die MÖGLICHKEIT zu wählen so viel Wert ist, mich in die Wahlkabine zu begeben, egal ob ich mit den ALTERNATIVEN einverstanden bin. Dieser Unterschied ist mir schon wichtig.


Und zur (moralischen) Pflicht:

Es ist mir lieber, Bürger, die sich nicht ausreichend informieren wollen, was für sie gut ist, wählen gar nicht (oder ungültig) als wenn sie das wählen, was man wählt, weil man ja wählen muss. Da trägt dann für mich die Wahlpflicht zur Ergebnis-Verfälschung bei.

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