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Verzerrung von Hare/Niemeyer

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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 03. August 2010 - 09:06 Uhr:   

Wie man die Verzerrung von Sitzzuteilungsverfahren zugunsten kleiner oder großer Parteien beurteilt, ist ein schwieriges Thema. Bei groben Verzerrungen, wie sie etwa D'Hondt liefert, ist die qualitative Beurteilung kein Problem, aber bei feinen Details wird es schwieriger.

Schuster et al. 2003 (Beweise teils in Drton/Schwingenschlögl 2003) kommen zum Ergebnis, dass Hare/Niemeyer die kleinste Partei benachteiligt und alle anderen davon weitgehend gleichmäßig profitieren. Sainte-Laguë benachteiligt die kleinste Partei etwas weniger, bevorzugt aber die größte Partei stärker, während die mittelkleinen weniger profitieren und bei mehr als 5 Parteien mehr als eine im Minus sein kann. Das alles sind aber minimalste Abweichungen vom Sollwert, insbesondere bei größerer Sitzzahl.

Allerdings halt ich die Ergebnisse für wenig aussagekräftig. Abgesehn davon, dass die unterstellte Gleichverteilung aller möglichen Wahlergebnisse auf dem Wahlsimplex schon problematisch ist (insbesondere wenn manche Ergebnisse wegen einer Sperrklausel gar nicht möglich sind), produziert die Klassifizierung nach Rang der Parteigröße Artefakte an den Stellen, an denen eine Partei eine andere überholt.

Völlig klar ist das im Grenzfall, dass nur 1 Sitz zu vergeben ist. Da wird bei jeder nicht bösartigen Methode jede Partei außer der größten systematisch benachteiligt. Ebenso wird bei 2 Parteien und z.B. 15 Sitzen systematisch die kleinere abgerundet, wenn beide Sitzansprüche zwischen 7 und 8 liegen, ohne dass man das als Verzerrung bezeichnen könnte.

Ein Alternativkonzept wäre, das Rundungsverhalten im Detail zu untersuchen. Aufrundung oberhalb von 0,5 und Abrundung unterhalb von 0,5 ist fair. Eine höhere Rundungsgrenze benachteiligt kleine Parteien, weil sie proportional mehr verlieren; eine niedrigere bevorzugt sie dagegen. Sainte-Laguë rundet immer bei 0,5 und ist demnach neutral.

Hare/Niemeyer hat eine variable Rundungsgrenze. Die übliche Annahme ist, dass es neutral ist, weil die Rundungsgrenze symmetrisch zu 0,5 ist und sich so Bevorzugungen und Benachteiligungen auf lange Sicht ausgleichen. Bei genauerer Betrachtung haben aber die Fälle, bei denen die Rundungsgrenze unterhalb von 0,5 liegt, ein leichtes Übergewicht, womit kleinere Parteien begünstigt sind. Dazu muss man allerdings wieder eine Gleichverteilung auf dem Wahlsimplex unterstellen; letztlich ist das nur ein Randeffekt.

Im Folgenden sind die Bereiche, in denen die Rundungsgrenze unterhalb von 0,5 liegt, grün und die Bereiche mit Rundungsgrenze oberhalb von 0,5 rot gekennzeichnet (3 Parteien, 1-5 Sitze):

Wahlsimplex Hare/Niemeyer, 3 Parteien, 1-5 Sitze

Man erkennt dabei auch leicht, warum die Klassifizierung nach Rang der Parteigröße zum gegenteiligen Ergebnis bekommt. Der Bereich, in dem eine Partei die kleinste ist, ist jeweils ein Dreieck zwischen zwei Spitzen des Wahlsimplex und der Mitte. Dabei wird immer gerade der Teil der grünen Bereiche, in dem die Partei profitieren würde (weil sie die zweitkleinste überholt), abgeschnitten, während bei den roten Bereichen der Teil, in dem sie draufzahlt, enthalten ist. Das bedeutet eine übermäßige Anhäufung von Randeffekten.

Der beschriebene Verzerrungseffekt ist sehr klein. Am Bild kann man sich aber auch einen wesentlich größeren Verzerrungseffekt klarmachen, der entsteht, wenn man gerade keine Gleichverteilung annimmt, sondern eine vierte Partei, die sicher keinen Sitz erhält. Der Wahlsimplex ist dann ein Tetraeder, der sich über dem jeweiligen Dreieck erhebt.

Bei 0% für die vierte Partei stellt weiter die Grundfläche die relevante Verteilung dar. Wenn sie aber Stimmen erhält (und sich an den Stimmen der 3 anderen Parteien nichts ändert), verschiebt sich die relevante Ebene nach oben. Die Außenfläche verkleinert sich dabei, und die Ergebnisposition wird entsprechend richtung Mitte gestaucht. Die Sitzgrenzen im Inneren verschieben sich aber nicht entsprechend, da sie bei Hare/Niemeyer bis auf die Höhe von mindestens 1/4 Sitz senkrecht auf der Grundfläche stehen.

Das hat zur Folge, dass das Ergebnis eine Sitzgrenze überschreiten kann, wovon wegen der Bewegung zur Mitte stets die Parteien unter 1/3 der Stimmen der relevanten 3 Parteien profitieren und die darüber draufzahlen. Effektiv sinken die Rundungsgrenzen bezüglich der relevanten Parteien bei Anspruch auf weniger als 1/3 der Sitze unter 0,5; darüber steigen sie auf oberhalb von 0,5.

Bei Sainte-Laguë tritt dieser Effekt nicht auf, weil da die Sitzgrenzen nicht senkrecht auf der Grundfläche stehen, sondern sich entsprechend verjüngen (bis zur untersten natürlichen Sperrwirkung für die vierte Partei).
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 03. August 2010 - 09:13 Uhr:   

Bilder funktionieren nicht. Also mit Link:

http://deponie.bplaced.net/misc/hn-simplex.png
http://deponie.bplaced.net/misc/hn-simplex.svg
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Sonntag, 08. August 2010 - 13:44 Uhr:   

Die Kernaussage der Artikel ist wohl, daß die Verzerrungen bei Sainte-Laguë und Hare/Niemeyer praktisch bei Null liegen, während bei d'Hondt große Parteien einen Vorteil gegenüber kleinen Parteien haben. Interessanter ist daher auch der Blick auf große Sitzzahlen, bei denen die problematische Größenklassifizierung keine Rolle mehr spielt.

Bei d'Hondt werden die Vor- und Nachteile dann quantifiziert, bei drei Parteien mit +5/12, -1/12 und -4/12. Das ganze beruht allerdings auf einer Gleichverteilung auf dem Wahlsimplex, in 3/4 aller Fälle hätte damit die größte Partei mehr als 50%.

Hier wär interessant, wie die Werte bei anderen Verteilungen aussähen.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 08. August 2010 - 14:28 Uhr:   

Dass die größte Partei bei Gleichverteilung auf dem Wahlsimplex in 3/4 der Fälle mehr als 50% hat, gilt allerdings nur bei 3 Parteien. Bei 4 Parteien ist es nur noch die Hälfte und bei 5 weniger als ein Drittel. Die allgemeine Formel dürfte n/2^(n-1) bei n Parteien sein (insbesondere 100% bei weniger als 3 Parteien).

Bei Sainte-Laguë und Hare/Niemeyer konvergieren die Verzerrungen bei großer Sitzzahl gegen null, wie auch in dem Paper steht.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 08. August 2010 - 14:49 Uhr:   

Für D'Hondt bei mehr als 3 Parteien ist übrigens auch eine Näherungsformel angegeben, die bei großer Sitzzahl auf einen exakten Wert konvergiert. Ab 11 Parteien macht der Bonus für die größte Partei mehr als einen ganzen Sitz aus. Relativ zur Gesamtsitzzahl gesehen sind aber eher die kleinen Sitzzahlen entscheidend.

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