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Archiv bis 21. Februar 2010

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Bundestagswahlen » Neues Wahlverfahren für Bundestags- und Europawahl » Archiv bis 21. Februar 2010 « Zurück Weiter »

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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 16. Februar 2010 - 17:29 Uhr:   

Nachfolgend stelle ich die Grundzüge eines neuen Wahlverfahrens zur Diskussion, mit dem das Wahlrecht auf Bundesebene (BT/EU) weitgehend im Gleichklang geregelt werden könnte und warte auf Rückmeldungen des Forums:

Jeder Wähler hat 2 gleichwertige Stimmen, die er gehäufelt oder einzeln an Kandidaten oder Listen vergeben kann. Das Wahlgebiet wird in gleich große Wahlkreise (BT = 144; EU = 48) eingeteilt. Gleichzeitig gilt das gesamte Bundesgebiet als weiterer Wahlkreis (=Bundeswahlkreis). Parteien und Wählergruppen können in jedem der Wahlkreise bis zu 4 Kandidaten (BT) bzw. 2 Kandidaten (EU)aufstellen; Einzelbewerber können dort ebenfalls antreten. Für den Bundeswahlkreis dürfen Parteien/Wählergruppen zusätzlich eine Bundesliste bzw. verschiedene Landeslisten (für ein oder mehr Bundesländer) aufstellen. Sofern deren Landesverbände nicht widersprechen, gelten Listen der gleichen Partei/Wählergruppe als miteinander verbunden; die interne Sitzverteilung erfolgt hier ggf. nach erzielten Wählerstimmen.

Jeder Kandidat, egal ob Listen- oder Wahlkreiskandidat, benötigt 200 Unterstützer-Unterschriften. Bundes- und Landeslisten der Parteien/Wählergruppen werden nur zugelassen, wenn für sie in mehr als der Hälfte der Wahlkreise auch Wahlkreisvorschläge zugelassen sind.

Pro Wahlkreis gibt es 3 (BT) bzw. 1 (EU) Direktmandat; gleiches gilt auch für den Bundeswahlkreis (damit ist auch der (Kanzlerkandidat/Oppositionsführer) direkt gewählt. Zur Verteilung der Direktmandate werden in jedem Wahlkreis (BT = 144; EU = 48) die von den Kandidaten erzielten Stimmen ermittelt. Danach werden die Stimmen der Kandidaten je Liste zusammengerechnet. Die Mandate werden dann an die Listen verteilt (Sainte-Lague) und innerhalb der Liste geht das Mandat an den/die Kandidaten mit den meisten Stimmen.

Für den Bundeswahlkreis (=bundesweites Ergebnis) werden alle Stimmen für Kandidaten und Listen zusammengerechnet. Die 3 Direktmandate werden wie in den Wahlkreisen vergeben. Damit stehen die direkt gewählten Kandidaten fest (BT = 432 + 3; EU = 48 + 1).

Die Verteilung der restlichen Mandate auf die Listen erfolgt nach dem bundesweiten Ergebnis, soweit die Listen die bundesweite Sperrklausel (hier schlage ich mindestens 2,5% der Wahlberechtigten bzw. 3 Direktmandate vor) überwunden haben.

Von der Gesamtzahl der Mandate (BT = 598; EU = 96) werden zunächst die Direktmandate abgezogen, soweit sie nicht für eine Partei/Wählergruppe angetreten sind, die bei dieser Verteilung berücksichtigt wird. Die verbleibenden Mandate werden nach dem Bundesergebnis auf die zu berücksichtigenden Listen verteilt (Sainte-Lague), wobei die von ihr erzielten Direktmandate abzuziehen sind.

Ergeben sich bei der EU-Wahl Überhangmandate (eher unwahrscheinlich), müssen diese durch Malusmandate bei den anderen Listen ausgeglichen werden, da die Zahl der Sitze (96) hier vorgeschrieben ist (Mehrheitswahl geht der Verhältniswahl insoweit vor!). Erhält bei der Bundestagswahl eine Liste bundesweit mehr als 50%, werden ihr Zusatzmandate zuzuteilen, bis sie auch im Parlament die absolute Mehrheit der Sitze erreicht hat.

Listenmandate werden an Kandidaten immer in folgender Reihenfolge verteilt (gewählte Direktkandidaten werden dabei übersprungen):
a) Lt. Bundesliste (bzw. lt. Landeslisten im Verhältnis der erzielten Stimmenzahl je Wahlgebiet)
b) Ist diese erschöpft, folgen die Wahlkreiskandidaten nach der absolut erzielten Stimmenzahl
c) Erst danach bleiben Sitze ggf. unbesetzt

Scheiden Mandatsträger vorzeitig aus, erfolgt deren Ersatz nach der gleichen Regelung. Nur bei Mandatsträgern ohne Liste erfolgt eine Nachwahl.

Der Stimmzettel (BT) für "Partei XY" könnte so aussehen:

O O Kandidat A
O O Kandidat B
O O Kandidat C
O O Kandidat D
O O Liste XY

Das war es in aller Kürze - Fragen dazu beantworte ich gern.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 16. Februar 2010 - 18:13 Uhr:   

Eine mittelgroße Partei mit flachen Hochburgen (wie die FDP bei der letzten Bundestagswahl) dürfte dabei stark überhanganfällig sein, selbst wenn man das so abändert, dass Listenstimmen den Wahlkreislisten zugerechnet werden. Ohne diese Modifikation dürften Wahlkreissitze in der Praxis extrem billig zu haben sein, was erstens zu Überhang, zweitens zur faktischen Unwirksamkeit der Sperrklausel und drittens potenziell zur Überflutung mit Einzelbewerbern führt.

Bei 3er-Wahlkreisen muss man den Direktmandatsanteil noch ziemlich niedrig halten.

Ob dieses Wahlsystem dem Direktwahlakt entspricht, ist auch sehr fraglich.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 16. Februar 2010 - 20:19 Uhr:   

@RL:
Einzelbewerber haben auch bei diesem System kaum eine Chance - ihr Bester hat 2009 zwar 14,1% geschafft, doch auch das hätte ihm nicht gereicht. Der Zweitplatzierte lag nur noch bei chancenlosen 3,6%. Die Aussage gilt übrigens auch für alle Kleinstparteien. Wirkliche Hoffungen auf Direktmandate hätten nur FDP, GRÜNE und LINKE.

LINKE und GRÜNE hätten so mehr Direktkandidaten und auch die FDP hat dann ihre Chancen. Zugegeben, 2009 hätte sie nicht davon profitiert, doch dann ziehen ihre Kandidaten eben wie bisher über die Liste in den Bundestag.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 16. Februar 2010 - 22:11 Uhr:   

14% reichen einem Einzelbewerber bei obigem Wahlsystem locker für ein Direktmandat, vermutlich sogar für den ersten Platz. Die Listenstimmen werden bundesweit sicher mindestens 50% ausmachen. Selbst bei der Kommunalwahl in Bayern, wo die Personenwahl äußerst etabliert ist, waren 2008 auf Kreisebene 34,3% reine Listenwähler, wobei sich die Personenwähler auf die Nichtparteien konzentrieren. Bei der CSU waren 39,7% Listenwähler, bei der SPD 45,7% und bei den Grünen 49,7%.

Selbst wenn man keine Listenstimmen bei den Parteien abzieht, hätte Dippel in Weiden ein Direktmandat bekommen, wenn die Aufteilung zwischen CSU und SPD für ihn etwas günstiger gewesen wäre. Der Idealanspruch nach Erststimmen (Zweitstimmen sind fast identisch) der 3 relevanten Bewerber wäre 0,535. Wobei natürlich die größeren Wahlkreise und das andere Wahlsystem die Voraussetzungen ändern könnten.

Effektiv bekommt die Wahlkreisliste der stärksten Partei wohl selten mehr als 24% der Stimmen, womit nach Sainte-Laguë 8% für den dritten Sitz ausreichen (ein Einzelbewerber kann ja keine Listenstimmen verlieren).

Die FDP hätte 2009 in fast allen Wahlkreisen in den alten Bundesländern (exklusiv Saarland; plus teils in Sachsen und Berlin) ein Direktmandat bekommen, ausgenommen die Hochburgen der Grünen und teils der Union sowie die gröbste Diaspora. Womöglich hätte das für Überhang doch noch nicht ganz gereicht, aber viel hätte jedenfalls nicht gefehlt (wenn man grob abweichendes Wahlverhalten wegen dem anderen Wahlsystem ausschließt).
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. Februar 2010 - 00:19 Uhr:   

@RL:
Ich fürchte, das von mir vorgeschlagene Wahlverfahren ist noch nicht richtig bei Ihnen angekommen - vielleicht habe ich mich auch nicht klar genug ausgedrückt.

Um einen der drei Sitze erhalten zu können, dürfen im Normalfall mehr als ca. 20% nötig sein. In Weiden erhielt die CSU 44,9% (das macht dann 2 Sitze) und die SPD 19,9% (=1 Sitz). Also wären 2 CSU-ler und 1 SPD-ler direkt gewählt gewesen (Anmerkung: Der Vergleich basiert allein auf Erststimmen).

Um gewählt zu sein, hätte Dippel das SPD-Ergebnis toppen müssen und da fehlen ihm immerhin noch 5,8%.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. Februar 2010 - 02:29 Uhr:   

Nein. Bei 54891:24261:18298 (CSU:SPD:Dippel, 44,9:19,9:15,0, real 54891:24261:17196) wäre die Verteilung nach Sainte-Laguë bereits 1:1:1. Bei 51587:27565:17196 (42,2:22,6:14,1, nur Umverteilung von CSU nach SPD) und 39576:39576:13193 (32,4:32,4:10,8) auch (wobei in letzterem Fall die FDP nach Zweitstimmen schon stärker wär).
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. Februar 2010 - 14:09 Uhr:   

Das sind konstruierte Fälle; in der Realität hätte sein Ergebnis nicht gereicht - das ist Fakt!

Er war zudem der Einzige, der ein so gutes Ergebnis erzielt hat. Einzelbewerber oder Kleinstparteien sind keine "Gefahr". Und wenn jemand von FDP, GRÜNE oder LINKE statt über die Liste direkt gewählt würde, sehe ich das als Vorteil im Sinne des politischen Wettbewerbs.

Sollte die Verteilung bei 39576:39576:13193 (32,4%:32,4%:10,8%) allerdings 1:1:1 betragen (und es ist wohl so), dann stellt sich mir die Frage, wie "gerecht" dieses Vergabeverfahren ist. Wir brauchen da ein anderes Verteilsystem; insoweit danke für den Hinweis!
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 00:44 Uhr:   

Das andere Sitzverteilungsverfahren wäre D'Hondt, das bei der Verteilung in Wahlkreisen tatsächlich Vorteile hat, wenn man die resultierende Verzerrung auf höherer Ebene ausgleicht. Wobei D'Hondt hier keine Lösung ist, weil da sofort die Union überhängt. Die CSU bekäme trotz schlechtem Ergebnis in etlichen Wahlkreisen alle 3 Sitze (dafür reichen weit unter 50%, wenn sich der Rest gut genug verteilt).

Dass Sainte-Laguë wie beschrieben zuteilt, liegt einfach daran, dass ein halber Sitz mit nicht geringerer Wahrscheinlichkeit als eineinhalb Sitze aufgerundet werden. Folglich reicht 1/3 der Stimmen für die Verteilung 1:1 statt 2:0. Wenn man das ändern will, muss man kleine Parteien (bzw. deren Wähler) systematisch benachteiligen.

Bei 3 Sitzen kommt halt die Proportionalität grundsätzlich an ihre Grenzen. Wenn man mehr haben will, muss man mehr Sitze verteilen.

Hare/Niemeyer bevorzugt übrigens in solchen Grenzfällen, wo mehrere Parteien zwingend null Sitze bekommen, systematisch die kleineren Parteien. Faktisch werden diese irrelevanten Stimmen unproportional auf die restlichen Parteien umgelegt, während sie bei Sainte-Laguë wirklich irrelevant sind.

Direktmandatsverteilung obigen Wahlsystems nach Zweitstimmen, wenn man je 2 Bundestagswahlkreise nach Nummer zusammenfasst (Variante A mit 3er-Wahlkreis 297-299, Variante B mit 1-3; man beachte, dass es dabei länderübergreifende Wahlkreise gibt, wo teils CDU und CSU zusammengefasst sind und deshalb halbe Sitze erringen können):
 
Sainte-Laguë D'Hondt
2009 2005 2009 2005
A B OV A B OV A B OV A B OV
CDU 125,5 125,5 173 159 152 173 177 179 173 171 165 173
SPD 145 146 146 189 191 213 140 142 146 202 204 213
FDP 94 91 93 11 12 61 37 35 93 0 0 61
Linke 33 33 76 33 32 54 34 34 76 27 30 54
Grüne 14 14 68 11 17 51 9 12 68 2 3 51
CSU 35,5 37,5 42 44 43 46 50 45 42 45 45 46

Der Überhang bei der FDP wäre also nicht ganz sicher, dafür könnte auch die SPD überhängen.

Dippel hätten die 14% auf jeden Fall gereicht, wenn die Listenstimmen nicht im Wahlkreis mitzählen. Bei den zu verteilenden Stimmen wären die 14% dann allermindestens 20%. Außerdem ändern sich die Voraussetzungen grundlegend, wenn Einzelbewerber nicht mehr von vornherein chancenlos sind. Dann werden sie vermutlich vermehrt gewählt (andererseits fällt die Ersatzstimme weg, die Wähler von Einzelbewerbern im momentanen Wahlsystem zusätzlich bekommen).

2005 hätte Hohmann mit seinen 21,5% nach Erststimmen sogar nach D'Hondt einen Sitz bekommen.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 08:50 Uhr:   

Die in meinen Augen gerechteste Verteilung sieht so aus:

Die erreichte Stimmenzahl pro Liste wird durch die Gesamtstimmenzahl geteilt und mit der Zahl der zu vergebenden Sitze mutlipliziert. Die ermittelte Sitzzahl vor dem Komma wird zugeteilt; die restlichen Sitze erhalten dann Listen in der Reihenfolge des besten verbleibenden Nachkomma-Ergebnisses.

A:54.891
B:24.261
C:17.196

A: 1,709148 (54891/96348*3) = 2 Sitze (1 Sitz + 1 Sitz/Platz 2)
B: 0,755418 (24261/96348*3) = 1 Sitz (0 Sitze + 1 Sitz/Platz 1)
A: 0,535434 (17196/96348*3) = kein Sitz (0 Sitze + 0 Sitze/Platz 3)

Simpel, gerecht und für jedermann nachvollziehbar. Sicher hat das System schon einen Namen (wenn nicht, benennt es nach mir ;-))
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 12:12 Uhr:   

Ja, das heißt Hare/Niemeyer.

Tatsächlich wär die Rechnung in Weiden bei 122167 gültigen Erststimmen aber
 
CSU 54891 1,348 1 1
SPD 24261 0,596 0 +1 1
Dippel 17196 0,422 0 +1 1
FDP 8664 0,213 0 0
Linke 6567 0,161 0 0
Grüne 6031 0,148 0 0
NPD 2994 0,074 0 0
ÖDP 1563 0,038 0 0

Wie gesagt bevorzugt Hare/Niemeyer in solchen Grenzfällen kleinere Listen relativ zu Sainte-Laguë deutlich. Wenn man Einzelbewerber zulässt, kann man das auch nicht entschärfen, indem man an einer Prozenthürde gescheiterte Listen von vornherein aus der Rechnung nimmt.

Gerecht ist Hare/Niemeyer insofern als es die Parteien (bzw. Listen) möglichst gleich behandelt, nicht aber deren Wähler. Die 0,578 Sitze die Dippel extra bekäme, verteilen sich ja auf weniger als ein Drittel der Wähler wie die 0,652 bei der CSU. Sainte-Laguë berücksichtigt das und rundet deshalb hier noch die CSU auf.

Außerdem hat man bei Hare/Niemeyer halt die diversen Paradoxien, hier speziell die Abhängigkeit der Sitzverteilung von den kleinen Parteien, die selber völlig chancenlos sind, einen Sitz zu bekommen.
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Paul-Gerhard Martin
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 14:20 Uhr:   

ein Nebenschauplatz, ich weiß, aber zu dieser Diskussion um Sitzzuteilung bei (sehr) kleinen Sitzzahlen passt der Vorschlag eines "Verfahrens der wahrscheinlichsten Mindestsitzzahlen" (und für Kommentare / Hinweise etc. bin ich nach wie vor dankbar):
http://www.wahlrecht.de/doku/urnenmodell.html
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 15:38 Uhr:   

@ RL:
Danke für die Anmerkungen. In den Griff bekommt man das Problem, wenn man nur die 3 erfolgreichsten Listen bei der Mandatsverteilung berücksichtigt.

Das tatsächliche Stärkeverhältnis würde so unverzerrt nachgezeichnet und niemand wird benachteiligt, denn mehr als 3 Sitze sind ja nicht zu vergeben.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 16:41 Uhr:   

Mit der Beschränkung auf maximal so viele Listen, wie Sitze zu vergeben sind, kann man das Problem etwas entschärfen, das ist richtig. Die Frage ist aber, was das "unverzerrte Nachzeichnen des tatsächlichen Stärkeverhältnis" konkret heißen soll. Wenn man Verhältnisse abbilden will, kommt man an einem Divisorverfahren eigentlich nicht vorbei.

Z.B. bliebe immer noch der Fall, dass 234:35:30 2:1:0 verteilt wird, 234:35:29 hingegen 3:0:0 (Sainte-Laguë würde in beiden Fällen klar 3:0:0 verteilen; das Verhältnis von A:B kann im Gegensatz zu Hare/Niemeyer nicht durch die irrelevante Liste C beeinflusst werden).

Außerdem ist die Frage, warum du mit der Verteilung 1:1:1 bei 300:300:101 unzufrieden bist, aber offenbar kein Problem mit Hare/Niemeyer hast, wo selbst bei 400:400:101 noch 1:1:1 verteilt wird.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 20:11 Uhr:   

Tja, der Teufel steckt wie immer im Detail! Das System als solches ist mir ziemlich egal - es soll nur so "gerecht" wie möglich sein. Doch über Gerechtigkeit läßt sich eben streiten. Mehr vom Gefühl als von meinem Detailwissen hatte ich mich für Sainte-Laguë entschieden.

Die Diskussion der Einzelregelungen ist Sache der Zukunft und der Fachleute. Da war die Diskussion schon mal hilfreich. Mir geht es zunächst aber um den Grundansatz.

Das Bundestagswahlrecht muss ja geändert werden und Direktkandidaten zur EU-Wahl wären m. E. eine wichtige Verbesserung. Der Bundestag sollte das zu einer grundlegenden Reform nutzen. Ich fürchte nur, das wird wieder im Sande verlaufen.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Februar 2010 - 21:27 Uhr:   

Für eine grundlegende Reform läuft allmählich die Zeit ab. Wenn man vom herkömmlichen Zweistimmen-Einerwahlkreis-System weg will, muss man sich erstmal überlegen, was man eigentlich will. Kernpunkt ist die Frage nach der Personalisierung. Heute ist das ja ein reines Alibi; der wirkliche Zweck der Sache ist die dezentrale Kandidatenaufstellung. Personalisierung hat aber nur dann eine Chance, mehr als in Einzelfällen zu funktionieren, wenn sie von den Parteien und Wählern wirklich gewollt wird. Wenn sie für alle Parteien gleichermaßen gelten soll (und nicht nur für die großen), kommt man auch kaum an parteiabhängigen Wahlkreisen (oder zumindest Mehrfachkandidaturen von Listen) vorbei. Ob sowas funktionieren würde, muss auf den diversen Parteiebenen diskutiert werden.

Aber die bisherigen Verlautbarungen lassen ja eher darauf schließen, dass eine Minimalreform das Ziel ist, abgesehn von Einzelnen, die ganz vom Verhältniswahlsystem weg wollen.

Bei der Wahl zum EU-Parlament seh ich eigentlich kein Problem, außer dass die Sperrklausel weg muss (der alte Wahlprüfungsausschuss hat sich offenbar gar nicht mehr damit befasst und vom neuen gibts auch noch kein Lebenszeichen (doch, man hat inzwischen die Einsprüche gezählt)). Auf die Dauer muss es sowieso ein EU-weit einheitliches Wahlsystem geben, und solang die grundsätzlichsten demokratischen Regeln ignoriert werden, braucht man sich nicht mit Details des Wahlsystems befassen.
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Frank Schmidt
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 19. Februar 2010 - 12:45 Uhr:   

Ich hatte dazu hier schon (vor Jahren) einen Vorschlag gemacht:

* Der Bundestag erhält 600 Sitze
* Die Bundesländer sind in insgesamt 120 Wahlkreise unterteilt
* Statt Erst- und Zweitstimme gibt es offene Listen mit bis zu 8 Kandidaten
* Die Parteien stellen Listen für einen oder mehrere Wahlkreise auf (Limit 8 Kandidaten)

Nach der Bundestagswahl werden die Sitze wie folgt verteilt:
* Zuerst an die bundesweiten Listenverbindungen, so dass die Parteien gerecht repräsentiert sind
* Dann innerhalb dieser an die Länder, und von diesen an die Listen innerhalb dieser Länder
* Innerhalb der Liste zählen dann die Stimmen für die jeweiligen Kandidaten

SPD und Union (und Linke im Osten) könnten mit einer Liste pro Wahlkreis oder pro zwei Wahlkreisen antreten, bei den kleineren Parteien würden sich dafür entscheiden, in mehr Wahlkreisen mit derselben Liste anzutreten.

Durch dieses System wäre sowohl die proportionale Verteilung garantiert als auch die direkte Wahl der Abgeordneten durch den Bürger gegeben.
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Taugenichts
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 20. Februar 2010 - 17:43 Uhr:   

@Frank Schmidt
Ihr Vorschlag, den ich noch nicht kannte, gefällt mir!

Dadurch könnten wir endlich von diesen starren Listen, die ich einfach nur furchtbar finde, wegkommen. Es stört mich ungemein, dass ich immer wieder Leute automatisch mitwählen muss, die ich am liebsten nie in einem Parlament sitzen sähe. Die starren Listen sind undemokratisch, da sie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl aushebeln. Tatsächlich entscheiden nämlich überwiegend (bei Europawahlen sogar ausschließlich) Parteienvertreter und nicht die Wähler darüber, wer ins Parlament kommt. Gerade weil ich Anhänger der repräsentativen Demokratie bin, will ich aber selbst bestimmen, wer mich vertreten soll.
In seinen Grundzügen sollte ein Wahlsystem nicht zu kompliziert sein, damit der Durchschnittswähler es auch versteht.

@Werner Fischer
„Der Bundestag sollte das zu einer grundlegenden Reform nutzen. Ich fürchte nur, das wird wieder im Sande verlaufen.“

Sie haben (leider) völlig Recht!
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 21. Februar 2010 - 00:54 Uhr:   

Die Parteienvertreter entscheiden darüber, wer potenziell ins Parlament kommt. Eine Personalisierung ändert daran nur graduell was. Im Übrigen beruht die Verhältniswahl ganz grundsätzlich darauf, dass Parteien (oder andere Wählergemeinschaften) eine stark einschränkende Vorauswahl treffen, und auch andere Wahlsysteme funktionieren ohne eine solche Vorauswahl nur sehr beschränkt.

Offene Listen stellen auch nicht unbedingt eine wirkliche Auswahl für die Wähler sicher. Bei diesem Modell führen zwar die Unsicherheit durch die mehrfache Unterverteilung und die fehlenden Listen auf höherer Ebene dazu, dass die Parteien wohl regelmäßig 1 Kandidaten mehr aufstellen müssen als tatsächlich gewählt werden (falls Sitze bei erschöpften Listen nicht an andere Listen der gleichen Partei übertragbar sind), aber praktisch würde sich dieser 1 Verlierer ziemlich leicht von vornherein eingrenzen lassen, weil die Wähler nicht so unberechenbar sind, wie es manche Personalisierungsfanatiker gern hätten.

Die wirkliche Unsicherheit in der Zusammensetzung der Fraktionen würde ganz überwiegend in den Unsicherheiten der Unterverteilungen liegen, die durch die Parteienwahl und nicht die Personalisierung bedingt sind. Selbst wenn die Parteien freiwillig viele Kandidaten zur Auswahl stellen, könnte man vermutlich einen Großteil der Gewinner allein aufgrund von formalen Kriterien vorhersagen.
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Taugenichts
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 21. Februar 2010 - 02:48 Uhr:   

@Ratinger Linke

Das ist ja alles schön und gut. Den entscheidenden Vorteil sehe ich als (um Ihre Terminologie aufzugreifen) „Personalisierungsfanatiker“ aber darin, dass diejenigen, die von ihren „Parteifreunden“ aus welchen Gründen auch immer auf aussichtslose Listenplätze nach hinten durchgereicht wurden, bei einem offenen Listenwahlsystem trotzdem vom Wähler und damit dem Souverän gegen den mehrheitlichen Parteivertreterwillen ins Parlament befördert werden könnten. Das trägt zur Stärkung des Vertrauens in unsere Demokratie bei.

Parteiintern unbeliebte, aber in (Teilen) der Wählerschaft angesehene Politiker hätten so trotzdem eine Chance. Vor geraumer Zeit kam auf diesem Wege Hildegard Hamm-Brücher in den bayrischen Landtag.

Besondere Spezialisten beim Abschießen ihres Spitzenpersonals sind ja die Bündnisgrünen. Man denke nur an Cem Özdemir, dem die Parteibasis einen (von vornherein) sicheren Listenplatz vor der letzten Bundestagswahl verweigerte. So was ist doch für den potenziellen Wähler kaum nachvollziehbar.

Oder nehmen wir die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag. Die besteht praktisch nur aus matschietreuen Leuten, weil alle Dewes-Anhänger bei der Listenaufstellung keine Chance hatten.

Ohne Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments haben wir im Grunde (wie Hans Herbert von Arnim ausnahmsweise ’mal zu Recht) kritisiert nur ein Wahlmännersystem.

Außerdem schreiben Sie: „Die Parteienvertreter entscheiden darüber, wer potenziell ins Parlament kommt.“
Diese Aussage stimmt so nicht. Oft entscheiden die Parteienvertreter nicht nur potenziell, sondern einfach faktisch darüber, wer ins Parlament kommt.
Bestes Beispiel ist die Europawahl. Wer z.B. auf der SPD-Bundesliste einen der ersten 20 Plätze hatte, brauchte sich (zumindest bislang) keine Sorgen um seinen Einzug ins Europaparlament machen. Ich glaube, es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass in D mindestens zwei Drittel der Abgeordneten für das Europaparlament bereits feststehen, bevor überhaupt nur ein Wähler ein Kreuz auf einem Stimmzettel gemacht hat. Ja wozu soll man dann überhaupt noch wählen?

Bei Bundes- und den meisten Landtagswahlen ist es nicht viel besser. Viele Wahlkreise sind von vornherein für eine Partei sicher. Und viele erfolglose Wahlkreisbewerber sind über die Landesliste abgesichert. So gesehen könnte man sich die Wahlkreisentscheidungen auch gleich schenken, zur stärkeren Personalisierung tragen sie, zumindest generell betrachtet (es gibt freilich Ausnahmen), kaum bei.
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Wahlticker
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 21. Februar 2010 - 03:05 Uhr:   

Ich denke schon dass offene Liste eine tolle Sache wären. Und dass sie funktionieren hat man ja bei der letzten Landtagswahl in Bayern gesehen, wo Gabriele Pauli von einem relativ Aussichtslosen 8. Platz bei den Freien Wählern in ihrem Bezirk gestartet war, und dann von den Wählern auf Platz eins hochgewählt wurde.

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