Themen Themen Profil Profil Hilfe/Anleitungen Hilfe Teilnehmerliste Teilnehmerliste [Wahlrecht.de Startseite]
Suche Letzte 1|3|7 Tage Suche Suche Verzeichnis Verzeichnis  

Unterausgleich in NRW

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Landtagswahlen in Deutschland » Unterausgleich in NRW « Zurück Weiter »

Autor Beitrag
 Link zu diesem Beitrag

Cyrix
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 12. März 2010 - 18:59 Uhr:   

Hallo!

Ich hätte da kurz eine Frage, wie wohl in NRW im Mai verfahren wird:

Im Landtagswahlgesetz heißt es im Paragraphen 33 (der die Vergabe der Sitze an die Landeslisten regelt), Absatz 5 (Absatz 4 erklärt Sainte Lague):

"Haben Parteien mehr Sitze in den Wahlkreisen errungen, als ihnen nach Absatz 4 zustehen, wird die Ausgangszahl um so viele Sitze erhöht, wie notwendig sind, um auch unter Berücksichtigung der erzielten Mehrsitze eine Sitzverteilung nach dem Verhältnis der Zahl der Zweitstimmen gemäß dem Divisorverfahren mit Standardrundung nach Absatz 4 zu erreichen."

Will heißen: Fallen Überhangmandate an, so sind diese voll [!] auszugleichen! Dummerweise beschreiben die folgenden Sätze ein Verfahren, welches auch zu einem Unterausgleich führen kann:

"Dazu wird die Zahl der in den Wahlkreisen errungenen Sitze der Partei, die das günstigste Verhältnis dieser Sitzzahl zur ersten Zuteilungszahl erreicht hat, mit der bereinigten Gesamtzahl der Zweitstimmen nach Absatz 2 multipliziert und durch die Zahl der Zweitstimmen dieser Partei dividiert. Die zweite Ausgangszahl für die Sitzverteilung ist mit einer Stelle hinter dem Komma zu berechnen und auf eine ganze Zahl nach Absatz 4 Satz 4 auf- oder abzurunden. Ist durch die erhöhte Ausgangszahl die Gesamtzahl der Sitze eine gerade Zahl, so wird diese Ausgangszahl um eins erhöht."

Es wird der theoretisch notwendige Wert für die neue Geamtzahl aller Sitze (mit einer Stelle nach dem Komma) "exakt" berechnet. Das Problem ist, dass diese Zahl nun abgerundet werden kann, sodass ein Sitz zu wenig verteilt wird.

Dieser Fall wird also in etwa der Hälfte aller möglichen Wahlergebnisse, bei denen Überhangmandate auftreten, eintreffen. Er wird durch die "Ungeradzahligkeitsbedingung" dann wieder egalisiert, wenn auf eine gerade Gesamtsitzzahl abgerundet würde, was wiederum in der Hälfte aller Fälle zu erwarten ist.

Die Wahrscheinlchkeit, dass nach obigem Verfahren noch immer ein unausgeglichenes Überhangmandat vorliegt (unter der Bedingung, dass es überhaupt Überhangmandate gibt), liegt also bei etwa einem Viertel.

Wie würde man nun vorgehen?

Würde dieses unausgeglichene Überhangmandat trotzdem zugeteilt werden? Und würde dann noch ein weiteres, zusätzliches Mandat, damit die Gesamtsitzzahl wieder ungerade ist, verteilt werden? (Wenn ja, dann könnte dies ja durchaus mehrheitsentscheidend sein, analog der Konstellation in SH, wenn das zusätzliche Mandat dann gerade dem möglichen Koalitionspartner zufällt.)


Was meinen die Experten hier?


Grüße
Cyrix
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 12. März 2010 - 19:46 Uhr:   

Die Wahrscheinlichkeit dafür ist deutlich kleiner. Wenn die am stärksten überhängende Partei 50% hat, fällt ihr Idealanspruch im schlimmsten Fall um 0,25 Sitze kleiner aus als zur Deckung des Überhangs nötig. Solang die Parteienzahl klein ist, wird der resultierende Rest von 0,75 mit recht hoher Wahrscheinlichkeit aufgerundet.

Andererseits kann bei Sainte-Laguë selbst dann noch abgerundet werden, wenn der Idealanspruch für die Direktmandate komplett ausreicht. Grundsätzliche Aufrundung würde die Regelungslücke also nicht verhindern.

Eine Auslegung ist schwierig. Bei einem möglichen Wahleinspruch würd ich eine strikt an der Detailanweisung orientierte Zuteilung fordern und die "erzielten Mehrsitze" daran anpassen, indem die Direktmandate für die Wahlkreise gestrichen werden, die ausweislich der Wahlbeteiligung das geringste Interesse an einer direkten parlamentarischen Repräsentation haben.
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 12. März 2010 - 21:57 Uhr:   

Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich gering, in jedem Fall sehr weit unter 0,25. Bei Sainte-Laguë entfernt sich die Mandatszahl am ehesten dann recht weit vom Idealanspruch, wenn es viele Parteien gibt, und davon einige einen Idealanspruch zwischen 0 und 1 haben. Beides wird bei der Landtagswahl nicht eintreten. Durch die 5%-Hürde kommen realistischerweise maximal 5 Parteien in den Landtag und deren Idealanspruch liegt garantiert nicht unter 1. Der Berechnungsmodus der Gesamtsitzzahl sorgt dafür, dass der Idealanspruch in aller Regel recht nah an der ganzen Zahl liegt, eher leicht darüber wegen der Zusatzbedingung ungerade Gesamtsitzzahl. Daher wird nahezu sicher auf die Zahl der Direktmandate oder die um 1 höhere Zahl (wie 1990) gerundet.

Wenn der sehr unwahrscheinliche Fall eines Unterausgleichs doch einträte, dann wäre m.E. klar, dass die am stärksten überhängende Partei ihre Direktmandate behalten dürfe. Das ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes. Einmal geschieht die Zuteilung nach § 32 ohne jeden Vorbehalt, zum anderen weiss man ohne diese Zuteilung ja gar nicht, welche Ausgangszahl für die Sitzverteilung zu Grunde zu legen ist. Bei einem gestrichenen Direktmandat würde die Ausgangszahl kleiner. Es ist klar, dass ein Vollausgleich vom Gesetzgeber gewollt ist, es steht ja auch klar im Gesetz. Von daher muss der Lückenschluss m.E. in jedem Fall durch weitere Ausgleichsmandate erfolgen. Man kann sich allenfalls darüber streiten, ob dann nur auf die nächstgrößere – also gerade – Zahl zu erhöhen ist, oder um noch einen Sitz mehr auf die nächste ungerade Zahl.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 12. März 2010 - 22:36 Uhr:   

§ 32 ist in der Tat ziemlich strikt formuliert, und insbesondere hat der Landeswahlausschuss gar keinen Zugriff auf die Direktbewerber. Die Ausgangszahl würde sich aber nicht verändern, und faktische Nichtzuteilung eines Direktmandats ist auch aus anderen Gründen möglich.

Der vom Gesetzgeber gewollte Vollausgleich ist insbesondere kein Mindestausgleich. Einen Mindestausgleich in solchen Fällen könnte man aber dadurch rechtfertigen, dass die Erhöhung auf ungerade Sitzzahl die am stärksten überhängende Partei systematisch benachteiligt, wenn sie nicht allzu stark ist. Ein Mindestausgleich in den seltenen Unterausgleichsfällen würde das wohl ungefähr kompensieren.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 14. März 2010 - 00:41 Uhr:   

Nach einer groben Abschätzung ist die Wahrscheinlichkeit für eine Unterzuteilung momentan ungefähr 0,32 %.

Ich hab 1 Million Wahlergebnisse durchgerechnet, mit der Basisannahme von 8'000'000 gültigen Stimmen, davon gemäß den neueren Umfragen 37% CDU, 33% SPD, 12% Grüne, 8% FDP, 6% Linke, 4% Sonstige. Je Kategorie hab ich zufällig (gleichverteilt) maximal 400'000 Stimmen addiert bzw. subtrahiert, wobei den Sonstigen immer mindestens 0 Stimmen bleiben und sie nie ein Mandat bekommen.

Zu jedem dieser Wahlergebnisse hab ich die Sitzverteilungen bei 1 bis 20 Überhangmandaten für die CDU ausgerechnet (unter der Annahme, dass immer die CDU am stärksten überhängt).

In den Fällen mit 5 Parteien im Landtag war die Wahrscheinlichkeit 0,46 %, bei 4 Parteien 0,22 % und bei 3 Parteien 0,001 %. Eine Unterzuteilung von mehr als 1 Mandat ist nie aufgetreten (dafür bräuchte es noch mehr Parteien).

Wenn man alle zugeteilten Mandate (ohne verbleibenden Überhang) und Idealansprüche addiert und vergleicht, bekommt die CDU systematisch 0,050 % zu wenige. Der verbleibende Überhang würde sehr viel weniger ausmachen.
 Link zu diesem Beitrag

Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Sonntag, 14. März 2010 - 09:22 Uhr:   

@RL
Wie sieht das in Fällen mit vielen Überhangmandaten aus (50-100)?
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 14. März 2010 - 14:55 Uhr:   

Kommt auf die sonstigen Umstände an. Bei sonst gleichen Bedingungen ändert sich erwartungsgemäß gar nichts (wobei da unrealistische Fälle dabei sind, in denen die CDU mehr Direktmandate bekommt, als es Wahlkreise gibt), außer dass die systematische Benachteilgung der CDU sinkt (weil sie mehr Mandate hat und der absolute Fehler ähnlich bleibt).

Der entscheidende Faktor ist ja der Zweitstimmenanteil, weil ein hoher Anteil erstens zu höheren Anteilen an dem zu wenigen Sitzbruchteil führt und zweitens größere Parteien bei Sainte-Laguë eher weit ab- (oder auf-)gerundet werden.

Wenn statt der CDU die Grünen überhängen würden, tritt Unterzuteilung praktisch nicht mehr auf (in keinem der 20 Millionen Fälle); die systematische Benachteiligung ist mit 0,19 % deutlich höher. Bei einer Ausgangsverteilung 50:24:10:8:6:2 (größte Partei hängt am stärksten über) ist die Wahrscheinlichkeit 1,82 % (2,13 % bei 5 Parteien, 1,65 % bei 4 und immerhin schon 0,68 % bei 3). Die systematische Benachteiligung ist dann weg bzw. schon eine minimale Bevorzugung, weil eine große überhängende Partei gute Chancen hat, auch den Zusatzsitz für die ungerade Sitzzahl zu bekommen.

Wenn man die Unsicherheit der Basisannahme verkleinert, indem man nur um jeweils ±200'000 Stimmen variiert, steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit einer Unterzuteilung, weil Linke und FDP dann sicherer im Landtag sind (auf 0,42 %), aber auch die Wahrscheinlichkeit bei 5 Parteien steigt auf 0,51 % (wobei mir unklar ist, ob das ein Randeffekt ist oder systematisch bedingt). Bei ±100'000 Stimmen ist die Wahrscheinlichkeit 0,50 % (0,52 % bei 5 Parteien).

Zu einem Patt bei der Sitzverteilung kommt es übrigens in grob 1 von 800'000 Fällen.
 Link zu diesem Beitrag

Kay Karpinsky
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 14. März 2010 - 15:30 Uhr:   

Die Bedeutung ungerader Sitzzahlen wird auch ein wenig überbewertet. Bei einem Parlament der Größe des NRW-Landtages werden sich potentielle Koalitionäre gut überlegen, ob sie sich wirklich auf eine Einstimmenmehrheit stützen wollen. Erpressbarkeit durch regionale Sonderinteressen bis hin zur Handlungsunfähigkeit ist da wahrscheinlich. In M-V hat die SPD 2006 bei kleinerem Landtag und rechnerischer Einstimmenmehrheit bei ungerader Sitzzahl aus solchen Erwägungen auf eine rot-rote Koalition verzichtet.
Es wäre die einfachste Lösung, im Ernstfall anstelle eines Unterausgleichs eine gerade Sitzzahl hinzunehmen.
 Link zu diesem Beitrag

Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 14. März 2010 - 15:45 Uhr:   

Richtig ist, dass eine ungerade Sitzzahl höchstens bei sehr kleinen Gremien (Gemeinderäte in kleineren Gemeinden) sinnvoll ist. Praktisch muss man heute ohnehin mit Pattsituationen rechnen, weil gewisse Koalitionen von vornherein ausscheiden. Andererseits kommen heute normalerweise viele Mehrheiten in Betracht; große Koalitionen, die teils nichtmal eine Zweidrittelmehrheit haben, sind auch kein größeres Problem mehr. Zudem können die konkreten Regeln gerade eine ungerade Sitzzahl verhindern, wenn z.B. eine Liste erschöpft ist.

Mit dem "Unterausgleich" (tatsächlich ist es selbst dann nicht unbedingt einer, wenn man davon ausgeht, dass der verbleibende Überhang ohne weitere Maßnahmen bestehen bleibt) hat das aber nichts zu tun. Der tritt genauso (sogar häufiger) auf, wenn man es bei einer geraden Sitzzahl belässt.
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 14. März 2010 - 16:35 Uhr:   

"Die Bedeutung ungerader Sitzzahlen wird auch ein wenig überbewertet."
Richtig.

"Bei einem Parlament der Größe des NRW-Landtages werden sich potentielle Koalitionäre gut überlegen, ob sie sich wirklich auf eine Einstimmenmehrheit stützen wollen. Erpressbarkeit durch regionale Sonderinteressen bis hin zur Handlungsunfähigkeit ist da wahrscheinlich."
Die bisherige Erfahrung spricht eher dagegen. Bisher ist noch nie eine Regierung mit Ein- oder Zweistimmenmehrheit an mangelnder Abstimmungsdisziplin im Parlamentsalltag gescheitert - auch nicht in relativ großen Landtagen wie in Niedersachsen. In MV gab es aber wohl in der Linkspartei unsichere Kantonisten, von daher verständlich, dass die SPD lieber eine GroKo machte. Das größere Problem bei einer kleinen Mehrheit ist die Wahl des Ministerpräsidenten. Bei einer schwarz-gelben oder rot-grünen Mehrheit würde man es wohl auch bei nur einer Stimme Mehrheit probieren und es würde wahrscheinlich auch klappen. Bei einer Stimme Mehrheit für Rot-Rot-Grün wäre es dagegen Selbstmord, zu versuchen, eine entsprechende Regierung zu bilden. Das Risiko wäre sehr groß, dass Rüttgers oder ein anderer CDU-Kandidat gewinnen würde im 2. Wahlgang. Schwarz-Grün mit einer Stimme Mehrheit würde dagegen auch dann sicher klappen, wenn nicht alle auf Linie wären, da wohl kaum SPD, FDP und Linkspartei denselben Gegenkandidaten wählen würden.

Beitrag verfassen
Beitrag:
Fett Kursiv Unterstrichen Erstelle Link Clipart einfügen

Benutzername: Hinweis:
Dies ist ein öffentlicher Bereich. Wenn Sie kein registrierter Benutzer sind, geben Sie lediglich Ihren Namen in das "Benutzername"-Eingabefeld ein und lassen das "Kennwort"-Eingabefeld leer. Die Angabe Ihrer E-Mail-Adresse ist freiwillig.
Kennwort:
E-Mail:
Optionen: HTML-Code anzeigen
URLs innerhalb des Beitrags aktivieren
Auswahl:

Admin Admin Logout Logout   Vorige Seite Vorige Seite Nächste Seite Nächste Seite