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Überhangmandate

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Bundestagswahlen » Überhangmandate « Zurück Weiter »

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Christian_L
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 06. Juli 2009 - 11:12 Uhr:   

Ich habe eine Frage zu Überhangmandaten:
Angenommen Partei X erzielt in einem Bundesland Überhangmandate. Ist es dann richtig, dass nur Parteimitglieder von der Landsliste, die ein Direktmandat erzielt haben, in den Bundestag einziehen? Dann könnte man theoretisch mit einer gezielten Aktion verhindern, dass der Kanzlerkandidat von Partei X in den Bundestag kommt! (ganz viele Leute in seinem Wahlkreis dazu bringen gegen ihn zu stimmen)
Ist das korrekt?
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 06. Juli 2009 - 13:17 Uhr:   

Das ist korrekt, allerdings wäre der Kandidat dann trotzdem zum Kanzler wählbar. Und das ist nicht nur Theorie, der Bundestag hat schon mal jemanden gewählt, der nicht Mitglied des Bundestages war: 1966 den damaligen Minsterpräsident von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 12. September 2009 - 09:36 Uhr:   

Ich habe noch einmal eine Frage zu den externen bzw. internen Überhangmandaten. Externe Überhangmandate sind doch Mandate, die sofort "identifizierbar" sind, weil sie nur Direktmandate sein können, da die Partei auf Länderebene keine Listenmandate mehr erhält, weil alle ihr zustehenden Sitze durch Überhangmandate "abgedeckt" sind. Interne Überhangmandate können jedoch auch Listenmandate sein, sie sind nicht sofort "identifizierbar", sondern erst durch "interne" Verrechnung von Landeslisten miteinander "erkennbar."

Nun dachte ich immer, nur die CSU in Bayern könne externe Überhangmandate erzielen, weil sie ja nur in Bayern antritt, ihre Mandatsanteile also - im Gegensatz zur CDU - nicht mit anderen Landeslisten "verrechnet" werden können.

Nun habe ich im Parallelthread gelesen, dass möglicherweise doch auch bei der CDU - also in anderen Bundesländern - externe Überhangmandate anfallen können. Aber die CDU hat doch mehrere Landelisten. Wie kann dies dann möglich sein?
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Martin_D
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 12. September 2009 - 10:06 Uhr:   

Externe Überhangmandate gibt es dann, wenn die Partei im gesamten Bundesgebiet mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach nach Zweitstimmen zusteht:
Beispiel:
(Der Einfachheit halber rechne ich mit 100 Wahlkreisen und damit mit 200 Sitzen ohne Überhangmandate)

Die CDU gewinnt 70 Wahlkreise und 30 % aller Zweitstimmen. Nach ihrem Zweitstimmenergebnis stehen ihr 60 Sitze zu. Also bekommt sie bereits jetzt, bei der Verteilung der Sitze auf die Parteien und noch vor der Verteilung der CDU-Sitze auf die einzelnen Landeslisten, 10 Überhangmandate.
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hms
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 22. September 2009 - 23:56 Uhr:   

Generell habe ich die Frage, ob ein Mehrheitswahlrecht "ungerecht" ist. Soweit ich die Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verstanden habe, wollten sie Nachteile des vermeintlich "gerechten" Verhältniswahlrechtes (zu viele Parteien, wenig Einfluss des Bürgers auf die Wahllisten, instabile Regierungen, Anfälligkeit für extreme Populisten) aus der Weimarer Republik vermeiden, indem sie eine Mischung aus Mehrheitswahl und Verhältniswahl mit einer Prozentklausel eingeführt haben. Dadurch sind zugunsten der Regierbarkeit "Ungerechtigkeiten" vom Gesetzgeber offenbar gewollt. Warum wird nun aber durch komplizierte Auswertungsverfahren (die kaum jemand versteht von der Mehrheit der Wähler, die dadurch manipulierbar werden) versucht, eine nachgeschobene Gerechtigkeit wieder einzuführen, indem man das Ergebnis der Zweitstimmenverhältnisse als übergeordnet, ideal und gerecht bezeichnet? Wird dadurch nicht der gewollte Einfluss der Wähler auf die Auswahl ihres direkten Kandidaten, den sie im Gegensatz zum Listenkandidaten besser kennen, wieder aufgehoben? Die Listen werden von Wenigen aufgestellt, der Wähler kann sie nur als Ganzes ankreuzen. Könnte man das nicht ebenso als "ungerecht" bezeichnen? - Wenn ein Urteil/Beschluss zu Überhangmandaten gefällt werden soll, dann sollte man im Sinne des Grundgesetzes urteilen/beschließen. Und dazu müssen die obigen Fragen vorher beantwortet worden sein.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 00:35 Uhr:   

"Soweit ich die Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verstanden habe, wollten sie Nachteile des vermeintlich "gerechten" Verhältniswahlrechtes (zu viele Parteien, wenig Einfluss des Bürgers auf die Wahllisten, instabile Regierungen, Anfälligkeit für extreme Populisten) aus der Weimarer Republik vermeiden, indem sie eine Mischung aus Mehrheitswahl und Verhältniswahl mit einer Prozentklausel eingeführt haben."

1. ging die Weimarer Repubblik nicht am Wahlrecht zugrunde. Im Kaiserreich gab es trotz absoluter Mehrheitswahl etwa gleich viele Parteien im Reichstag und es gibt reichlich Beispiele für stabile Demokratien mit vielen Parteien.
2. die "Väter des Grundgesetzes" regelten das Wahlsystem gar nicht im GG und vermieden sogar in der Absicht, eine Sperrklausel zu verhindern, eine Ermächtigung an den Gesetzgeber, eine Sperrklausel einführen zu können(wie es sie in vielen Landesverfassungen gibt, teilweise sogar zwingend vorgeschrieben). Später änderte man allerdings diese Auffassung und das Wahlgesetz für die erste Bundestagswahl enthielt dann doch eine Sperrklausel.
3. das Bundestagswahlrecht ist keine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl, sondern eindeutig Verhältniswahl.


"Die Listen werden von Wenigen aufgestellt, der Wähler kann sie nur als Ganzes ankreuzen. Könnte man das nicht ebenso als "ungerecht" bezeichnen?"
Direktkandidaten werden auch von wenigen aufgestellt. Hier hat man auch nur die Möglichkeit, den Bewerber "seiner" Partei zu akzeptieren oder die Partei zu wechseln oder gar keinen zu wählen. Die Auswahl ist bei der Erststimme sogar eher kleiner, denn in fast allen Wahlkreisen gibt es nur einen oder höchstens zwei aussichtsreiche Bewerber und es gibt nahezu immer weniger Kreiswahlvorschläge als Landeslisten, die man wählen kann.
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hms
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 01:09 Uhr:   

Danke für die ausführliche Antwort. Dass wir trotz Direktmandat noch ein übergeordnetes Verhältniswahlsystem haben, führt ja gerade zu den Überhangmandaten. Man könnte sie auch vermeiden, indem man die 299 Direktmandate läßt, wie sie sind. Weitere 298 oder 300 Mandate kämen entsprechend den Verhältnissen der Zweitstimmen hinzu. (299+300=599 ergibt eine ungerade Sitzanzahl ohne Überhangmandate). Dann würde man auch taktische Stimmabgaben und negative Auswirkungen der Zweitstimmen vermeiden. Und das Wahlsytem würde für fast alle Wähler verständlich sein.
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Cyrix
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 01:35 Uhr:   

@hms: Das wäre ein Grabenwahlsystem und hat nichts mehr mit einer Verhältniswahl zu tun.

In Deutschland gibt es bewusst eine Verhältniswahl, da die politischen Strömungen - das Meinungsbild der Bevölkerung - möglichst exakt sich im Parlament wiederfindet. Denn wir übertragen als Volk dem Parlament auf Zeit das Recht für uns politische Entscheidungen zu treffen. Also sollte das Parlament als Stellvertreter des Volks auch dieses widerspiegeln, was ein Mehrheitswahlrecht eben nicht tut.

Die Einfachheit eines Wahlsystems ist übrigens keine gute Maßzahl für die Güte desgleichen. So gesehen waren nämlich die Wahlen zur Volkskammer in der DDR wesentlich einfacher: Da standen die Ergebnisse nämlich schon vorher fest...

Cyrix
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 01:42 Uhr:   

Gerechtigkeit ist subjektiv, aber jedenfalls bedeutet die Einführung eines relativen Mehrheitswahlrechts in Einerwahlkreisen faktisch den Entzug des Wahlrechts für alle, die in unumstrittenen Wahlkreisen wohnen.

Solang für die Wahlentscheidung eher die Partei als die Person maßgeblich ist, ist der "Einfluss der Wähler auf die Auswahl ihres direkten Kandidaten" (Abgeordneten?) reine Fiktion. Und die Partei wird (auf höheren Ebenen zumindest) das beherrschende Kriterium sein, solang sich nicht zwei praktisch ununterscheidbare Scheinparteien herausgebildet haben. Das ist selbst in Ländern mit langer Mehrheitswahlrechtstradition meist noch nicht vollkommen erreicht.

Und auch im Idealfall ist die "Auswahl" in den meisten Fällen reine Fiktion. Tatsächlich geht es maximal um Abwahl oder Wiederwahl des Amtsinhabers, weil sich andere Personen in Wahlkreisen mit 100.000 Wählern selten ausreichend profilieren können.

Taktische Wahl erzwingt man erst recht, wenn die Erststimme überall eine potenzielle tatsächliche Wirkung hat. Außerdem steht man als Wähler kleinerer Parteien bei einem Grabenwahlsystem vor der taktischen Grundsatzentscheidung, ob man das hybride System akzeptiert und schizophren wählt, oder ob man seiner Partei nicht besser den Todesstoß versetzen sollte (was natürlich der eigentliche Zweck der Sache ist).

Überhangmandate in der jetzigen Art mit ihren speziellen taktischen Implikationen wird es ohnehin nicht mehr geben.
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hms
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 16:26 Uhr:   

Zu einer funktionierenden Demokratie gehört der aufgeklärte und reife Wähler. Den kann man nicht aus dem Hut zaubern. Das sieht man an den Versuchen, ein kompliziertes Wahlsystem in "unreifen" Ländern einzuführen. - Aber auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten gibt es den reifen Wähler nicht. Das führt dazu, dass in den meisten Fällen die Wähler betrogen, manipuliert und desinformiert werden: die Wahlkämpfe zeigen deutlich, dass die Parteien meist nicht ihr eigenes Programm erklären, sondern in desinformativer Weise das Programm der anderen Parteien, möglichst in populistischer Manier mit Hinweisen auf Nachtschwestern und Dachdecker, so dass bei der Wahl nicht der Wählerwille sondern das Ergebnis der Manipulation "ideal" abgebildet wird. (Cyrix: "In Deutschland gibt es bewusst eine Verhältniswahl, da die politischen Strömungen - das Meinungsbild der Bevölkerung - möglichst exakt sich im Parlament wiederfindet.") Außerdem kommen von 12 Parteien nur 3 bis 5 in den Bundestag, und das ist gewollt, um extremistische Randgruppen fernzuhalten - und das ist gut so. Es kommt also nicht zum exakten Abbild der Meinungen. Demokratie heißt, dass für vier Jahre die "Mehrheit" die Richtung bestimmt unter Kontrolle durch die Minderheit. - Meine Wahlmüdigkeit entspringt zum großen Teil dem unverstandenen Wahlsystem und dem Umstand, dass ich als Wähler vor der Wahl nicht weiss, welche Parteienkoalition ich wähle. Ich als Wähler fühle mich ohnmächtig und oft hinters Licht geführt. - Allein die Existenz dieses sehr guten Forums mit der riesigen Meinungsvielfalt, von juristischen Erörterungen bis zu laienhaften Vortellungen (bei den Wählern sind die Laien in der Mehrheit), beweist, wie kompliziert unser Wahlsystem ist.
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Cyrix
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 16:33 Uhr:   

@hms: Wenn du Regierungskoalitionen wählen willst, hast du das Wahlsystem nicht verstanden: Du wählst die Legislative, nicht die Exekutive...

Das Parlament soll in erster Linie eine Volksvertretung sein. Die 5%-Hürde ist im übrigen nicht zur Vermeidung extremer Parteien da, sondern soll einen Anreiz zur Zusammenarbeit, Schutz vor Zersplitterung liefern.

Unser Wahlsystem ist im übrigen nicht kompliziert. Eine Steuererklärung anzufertigen bedarf wesentlich mehr Verstand, und das müssen auch die meisten Leute im wahlfähigen Alter hinbekommen...


Cyrix
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hms
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 17:34 Uhr:   

Danke @Cyrix. Ok:
Das Parlament wählt die Exekutive. Aber eine undemokratische Partei untergräbt den Wählerwillen, wenn Parteidisziplin eingefordert wird, um bei diesem Vorgang "Stimmvieh" gleichzuschalten. Das Gewissen des Einzelnen wird ignoriert, es wird mit Parteiausschluss gedroht. Das ist fast so schlimm wie DDR-Verhältnisse. - Was nützt da das exakte Abbild des Wählerwillens? - Oder ich gebe als Wähler aus taktischen Gründen einer kleinen Partei eine Leihstimme, da sie vor der Wahl eine Koalitionspräferenz geäußert hat; nach der Wahl wechselt diese Partei aber in das andere Lager und nimmt meine Leihstimme mit. Dann bin ich doch frustriert, oder nicht? - Außerdem wähle ich nicht eine "Regierungskoalition" sondern eine "Parteienkoalition". Welche Gruppe die Mehrheit erhält, ist das Ergebnis der Wahl. Aber ich bin dann sicher, dass meine Stimme bei der Wahl der Exekutive nicht mißbraucht werden kann.
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Edeltraud Dietert
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. September 2009 - 17:43 Uhr:   

@hms

dann sind wir auf dem richtigen Weg, wenn wir durch die Einführung von Volksentscheid mit der Mehrheit der Erststimme parteilose und parteiabhängige Personen direkt in den Bundestag wählen.

Diese werden dafür sorgen müssen, dass auch die Laien verstehen, wie eine Krise entsteht und welche weitsichtig kalkulierten Lösungen möglich sind!
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Clovis
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 24. September 2009 - 00:39 Uhr:   

Guten Abend Thomas Frings

Ihre Aussage "das Bundestagswahlrecht ist keine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl, sondern eindeutig Verhältniswahl." ist falsch und zwar ziemlich offensichtlich.

Zum einen charakterisiert §1 des Bundeswahlgesetzes die Bundestagswahl als eine "mit der Personenwahl verbundene[n] Verhältniswahl", zum anderen widerlegt die Möglichkeit und die Existenz von Überhangmandaten und deren Zustandekommen aufgrund der mehrheitswahlrechtlichlichen Merkmale des Wahlrechts Ihre Aussage unmittelbar.

Da ich davon ausgehe, dass beide Punkte keine Neuigkeit für Sie darstellen, frage ich mich, warum Sie bewußt falsche Informationen ausstreuen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit,
Clovis
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 24. September 2009 - 10:07 Uhr:   

@Clovis
Was soll dieser Quatsch?

"Ihre Aussage "das Bundestagswahlrecht ist keine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl, sondern eindeutig Verhältniswahl." ist falsch und zwar ziemlich offensichtlich.
Zum einen charakterisiert §1 des Bundeswahlgesetzes die Bundestagswahl als" eine "mit der Personenwahl verbundene[n] Verhältniswahl","
Im Gesetz wird das Wahlsystem zutreffend als Verhältniswahl charakterisiert, Personenwahl steht dazu nicht im Widerspruch, von Mehrheitswahl ist da überhaupt nicht die Rede.


"zum anderen widerlegt die Möglichkeit und die Existenz von Überhangmandaten und deren Zustandekommen aufgrund der mehrheitswahlrechtlichlichen Merkmale des Wahlrechts Ihre Aussage unmittelbar."
Ein Überhangmandat ist eine Abweichung vom Proporz. Nur da, wo grundsätzlich Proporz angestrebt wird, kann man überhaupt von Überhangmandaten sprechen. Trotz Überhangmandaten sind Stimmen- und Mandatsanteil recht nah beieinander, was ganz anders wäre, wenn es sich wirklich um eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl handelte. Die Sperrklausel schränkt den Proporz stärker ein als es Überhangmandate tun. Sowohl von der Intention her als auch in der Praxis ist das Bundestagswahlrecht eindeutig der Verhältniswahl zuzurechnen.
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Martin_D
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 24. September 2009 - 12:08 Uhr:   

@Thomas Frings

Grundsätzlich ist das alles richtig.
Nur bei einer Aussage habe ich einen Einwand.

"Die Sperrklausel schränkt den Proporz stärker ein als es Überhangmandate tun."

Diese Aussage ergibt eigentlich erst dann einen Sinn, wenn man präzise definiert, was man unter starker oder schwacher Abweichung vom Proporz versteht. Wenn man darunter die maximale Differenz des Stimmenanteils zum Mandatsanteil meint, dann ist völlig offen, ob die Sperrklausel oder Überhangmandate eine größere Differenz bewirken.
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Kevin Matthes
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 24. September 2009 - 12:56 Uhr:   

@Thomas Frings

Theoretisch bestünde aber z.B. die Möglichkeit, dass eine Partei 299 Direktmandate erringt aber praktisch keine Zweitstimmen erhält. Das ist zwar extrem unwahrscheinlich, aber rein theoretisch besteht die Möglichkeit dazu. Vor diesem Hintergrund würde ich auch sagen, dass wir kein reines Verhältniswahlrecht sondern eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht haben. Dass die Sitzverteilung der Stimmenverteilung recht nahe kommt liegt am Verhalten der Wähler. Zwingend ist das aber nicht. Um ein Wahlrecht beurteilen zu können muss man meiner Meinung nach alle theoretisch möglichen Stimmverhalten berücksichtigen. Ein reines Verhältniswahlrecht haben wir meiner Meinung nach nicht.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 24. September 2009 - 13:15 Uhr:   

Dass Parteien 299 Überhangmandate bekommen, ist aber gerade eine eigentlich nicht gewollte Abweichung von der Verhältniswahl. Eher ein echtes Element der Mehrheitswahl sind die möglichen 299 Einzelkandidaten. Dafür müssen aber die Wähler optieren und scheiden dann aus dem Verhältniswahlsystem aus, das als solches erhalten bleibt.
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Edeltraud Dietert
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 25. September 2009 - 05:06 Uhr:   

Überhangmandate und negatives Stimmrecht

Stimmensplitting, sog. taktisches Wählen und vor allem die immer geringer werdende Wahlbeteiligung haben die sog. Überhangmandate bei den vergangenen Wahlen begünstigt. Im aktuellen 16. Deutschen Bundestag gibt es 16 Abgeordnete, denen der Einzug ins Parlament mit Überhangmandaten
gelungen ist. Überhangmandate entstehen, wenn
eine Partei in den Wahlkreisen eines
Bundeslandes mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Verhältnisausgleich über die Zweitstimme zustehen. Diese Sitze verbleiben dann dieser Partei und die Gesamtzahl der Sitze der Abgeordneten im Bundestag erhöht sich entsprechend. Die anderen Parteien erhalten jedoch dafür keine Ausgleichsmandate.

Und genau dies ist verfassungsrechtlich
problematisch. Denn die Überhangmandate können dazu führen, dass Parteien umso mehr (Direkt-) Mandate erhalten, je weniger (Zweit-) Stimmen sie erzielen. Das führt zu dem Effekt, dass sich die abgegebene Stimme gegen den Wählerwillen auswirkt:

1. indem eine für eine Partei abgegebene Stimme dieser einen Verlust an Mandaten einbringt oder
2. Stimmen, die nicht für eine Partei
abgegeben werden, dieser Partei mehr Sitze
einbringt.

http://www.anwalt.de/rechtstipps/wahlfehler-und-ihre-auswirkungen-urteile-des-bverfg_003360.html


Meine Lösung, ich kreuze auf der linken Seite meines Stimmzettels unter Erststimme die parteilose Person an!

Parteilose Personen erkennen Sie in Ihrer Stimmliste auf der linken Seite beginnend
unterhalb der Partei-Liste der rechten
Seite auf dem Stimmzettels. z.B. Im Wahlkreis
212 auf Stimmliste Erststimme ab Platz 14.
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Joe
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 25. September 2009 - 10:42 Uhr:   

@Thomas Frings, @Clovis
Hallo.
Während ich Thomas Frings eigentlich voll zustimme und der Meinung bin unser Wahlsystem sehr eindeutig ein Verhältniswahlrecht ist, hat mir der letzte Eintrag von Edeltraud Dietert ein wenig Anlass zum Nachdenken gegeben.

Ich denke in einer - in der Praxis (bis jetzt) nicht relevanten Ecke - verbirgt sich tatsächlich ein Teil Mehrheitswahlrecht. Die Erststimmen für Kandidaten, die an eine Landesliste angeschlossen sind, machen das Wahlrecht nicht zu einem Mehrheitswahlrecht. Die Direktmandate werden ja bei der Sitz-Verteilung berücksichtigt.

Nehmen wir jedoch an, dass die Mehrheit sich entscheidet nicht an Parteien gebundene Kandidaten zu wählen. Dann wären vermutlich auch
mehrere dieser Kandidaten erfolgreich. Die Zweitstimmen dieser Wähler würden dann bei der Sitzverteilung der _übrigen_ Sitze nicht berücksichtigt. In diesem Fall wäre ein Teil des Bundestags (bis 299 Sitze) per Mehrheitswahl gewählt, der Rest per Verhältniswahl. Also (in einer kleinen bizarren Ecke) scheint das aktuelle Wahlrecht doch eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht zu sein :-).
Güße, Joe
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Clovis
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 25. September 2009 - 15:49 Uhr:   

Guten Tag Thomas Frings!

Also gut, ich entschuldige mich dafür, Ihnen eine fiese Absicht unterstellt zu haben, das war in der Tat Quatsch.

Ich bleibe aber dabei, dass es sich bei dem Bundestagswahlrecht nicht um eine reine Verhältniswahl handelt. Es wäre mir wurscht, wenn man die Aussage rein beschreibend verstünde, wie Sie das wahrscheinlich tun.

Es ist mir aber wichtig, dass die Aussage nicht in einem normativen Sinn zu verstehen ist. Daher ist auch die Formulierung aus &1 BWahlG, die von einer mit "Personenwahl verbundenen Verhältniswahl" spricht, nichts als ein Name, dessen Bedeutung durch die nachfolgenden Regelungen definiert wird und kein Begriff, der irgend eine normative Bedeutung aus einer anderen Quelle, ausser diesem Gesetz bezieht.

Das vorausgeschickt, ist doch wohl klar, dass mit "Personenwahl" nichts anderes gemeint sein kann, als die in §5 BWahlG festgeschriebene Vergabe der Direktmandate nach dem Prinzip der Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen gemäß den abgegebenen Erststimmen. (Was denn sonst?)

Darüber hinaus ist es natürlich völlig richtig, dass die typischen Besonderheiten der Mehrheitswahl durch den nachgeschalteten Mandatsausgleich gemäß Zweitstimmenproporz fast vollständig verwischt werden und das Wahlsystem als Ganzes den Charakter einer fast reinen Verhältniswahl annimmt.

Es ist auch richtig, dass die 5%-Hürde als reines Proporzkriterium eine stärker proporzverzerrende Wirkung hat, als die Überhangmandate, zumindest in dem Sinne, dass sie in der Vergangenheit schon mehrfach mehrheitsbeschaffend gewirkt hat, während das bei den Überhangmandaten noch nie der Fall war.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit,
Clovis
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 25. September 2009 - 17:04 Uhr:   

@Joe
"Nehmen wir jedoch an, dass die Mehrheit sich entscheidet nicht an Parteien gebundene Kandidaten zu wählen. Dann wären vermutlich auch
mehrere dieser Kandidaten erfolgreich. Die Zweitstimmen dieser Wähler würden dann bei der Sitzverteilung der _übrigen_ Sitze nicht berücksichtigt. In diesem Fall wäre ein Teil des Bundestags (bis 299 Sitze) per Mehrheitswahl gewählt, der Rest per Verhältniswahl. Also (in einer kleinen bizarren Ecke) scheint das aktuelle Wahlrecht doch eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht zu sein"

Wie schon gesagt, spielen Einzelbewerber in der Praxis keine Rolle und es ist seit Inkrafttreten des Bundeswahlgesetzes 1956 noch nie einer auch nur in die Nähe eines Sieges im Wahlkreis gekommen. Aber selbst wenn das in nennenswerter Anzahl der Fall wäre, würde man nicht von einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl sprechen können. Wenn ein Wähler einen Direktkandidaten wählt und der gewinnt, dann zählt die Erststimme nicht, so daß deren Stimmen bei der Verteilung der Sitze nach Zweitstimmen nicht mitzählen. Wenn man von 45 Mio. gültigen Zweitstimmen ausgeht, dann sind, wenn man von 4% Stimme für Splitterparteien ausgeht, im Mittel ca. 72000 Zweitstimmen für einen (zusätzlichen) Sitz erforderlich. Die Zahl der Stimmen, die man für ein Direktmandat braucht, liegt nicht drastisch darunter. Bei 45 Mio. gültigen Stimmen gäbe es durchschnittlich ca. 150000 gültige Stimmen im Wahlkreis. Wenn man unterstellt, daß man etwa 35-40% fürs Direktmandat braucht, wären das in einem durchschnittlichen Wahlkreis 52500 bis 60000 Erststimmen. Bekommt ein Einzelbewerber mehr als etwa 48%, hat er bei durchschnittlicher Wahlkreisgröße sogar mehr Erststimmen als Zweitstimmen für einen Proporzsitz erforderlich wären. Um einen nennenswertes Mehrheitswahlelement hinzubekommen, müßten schon Einzelbewerber in sehr großer Zahl gewählt werden, die aber wiederum nicht zu nahe an 50% herankommen dürfen. Das ist völlig irreal. Von den 60 Einzelbewerbern im Jahr 2005 bekamen 50 weniger als 1% und keiner erreichte wenigstens Platz 2.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 25. September 2009 - 20:48 Uhr:   

Thomas Frings liegt leider richtig - Einzelbewerber spielen wirklich keine Rolle und das hat auch Gründe:

Einzelbewerber sind definitiv benachteiligt, wie ich in meiner Petition
=> http://buergerfraktion.unabhaengige.info/2006/Petitionen/Petition-Wahlrecht-Zweitstimme.pdf
=> http://buergerfraktion.unabhaengige.info/2006/Petitionen/Bundestag-07-11-11-gesamt.pdf
beschrieben habe. Den für Parteien günstigen Teil meines Antrags hat man 2008 bei der Änderung des BWG übrigens berücksichtigt, den für Einzelbewerber wie üblich nicht.

Festzustellen bleibt: (Etablierte) Parteien haben sich das Wahlrecht nach ihren Wünschen geformt.
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Sirius3100
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 26. September 2009 - 11:24 Uhr:   

Die Gefahr wenn der entsprechende Paragraph gestrichen würde, wäre dass die Parteien dass durchaus ausnutzen könnten, indem sie einige ihrer Kandidaten als Unabhängige antreten lassen könnten um sich mehr "Überhang"-Mandate zu sichern (ob das ganze dann wirklich gemacht würde wäre wieder eine andere Frage, die Möglichkeit bestände jedoch).
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 26. September 2009 - 12:10 Uhr:   

@Sirius3100
Diese Gefahr sehe ich durchaus, doch solche "Unabhängige" wären dann auch relativ unabhängig von ihrer Partei. Das übertriebene Denken in Parteistrukturen würde dadurch gelöst.

Es wäre m. E. einen Versuch wert!

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