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Archive through 31. März, 2003

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Landtagswahlen in Deutschland » Nachrücker-Problematik in Brandenburg » Archive through 31. März, 2003 « Zurück Weiter »

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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 17. Dezember 1999 - 14:12 Uhr:   

Erstaunliches lese ich da bei Euren Pressemitteilungen: Da beschließt der brandenburgische Landtag, eine Listenkandidatin nachrücken zu lassen - für ein direkt gewonnenes Überhangmandat!

So naiv und aus der Ferne fragt man sich: Gibt es eigentlich auch nur den Anschein einer Rechtsgrundlage für diese Entscheidung?
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 17. Dezember 1999 - 16:42 Uhr:   

Ja, der Fall ist durchaus kniffliger als es zunächst den Anschein hat. Zunächst einmal gilt in Brandenburg grundsätzlich die Regel, daß Überhangmandate durch Ausgleichsmandate kompensiert werden.

Es kann keinen Zweifel daran geben, daß im Falle von derart ausgeglichenen Überhangmandaten das BVerfG-Urteil zum Nachrücken in Überhangmandate nicht einschlägig ist. Sonst müßte man gleichzeitig mit dem Überhangmandat auch das/die entsprechende(n) Ausgleichsmandat(e) wegfallen lassen.

Wendet man die Ausgleichsmandatsregelung (also die Mandatszahl so lange erhöhen, bis die überhängende Partei nach der Niemeyerschen Verteilung auf so viele Mandate kommt, wie sie direkt gewonnen hat) auf das Brandenburgische Wahlergebnis an, so ergibt sich jedoch keine Änderung, weil der SPD ohnehin das nächste zu verteilende Mandat zu gestanden hätte.

Hinzu kommt aber noch, daß das Brandenburgische Landeswahlgesetz Ausgleichsmandate erst dann vorsieht, wenn mindestens drei Überhangmandate angefallen sind.

Wenn diese Ausnahmeregelung für bis zu zwei Überhangmandaten nicht existieren würde, wäre die Entscheidung des Brandenburgischen Landtages m.E. ganz klar in Ordnung.

Immerhin fällt durch die bloße Existenz einer Ausgleichsmandatsregelung das (ohnehin fragwürdige) Argument des BVerfG weg, wonach der Wähler bei seiner Stimmabgabe nicht habe erkennen können, daß er mit seiner Erststimme (zumindest indirekt) auch über die Zahl der einer Landesliste zustehenden Sitze entscheidet. Dies war jedoch das einzige verfassungsrechtliche Argument des BVerfG in seinem Nachrücker-Beschluß. Darüber hinaus argumentierte das Gericht nur aus der Systematik des BWahlG heraus.

Die Systematik des Brandenburgischen LWahlG weicht aber nun einmal hinsichtlich der Ausgleichsmandate vom BWahlG, so daß mir ein Nachrücken in formal nicht-ausgeglichene Überhangmandate zumindest dann vertretbar erscheint, wenn wie vorliegend das Überhangmandat nicht proporzverzerrend war.
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Januar 2000 - 22:30 Uhr:   

Da in Brandenburg bei bis zu 2 Überhangmandaten die Ausgleichsmandatregelung nicht angewendet wird(den Sinn dieser Regelung habe ich noch nicht verstanden), unterliegt das Überhangmandat der SPD nicht dem Verhältnisausgleich und wird nicht vom Zeitstimmenergebnis getragen (und ist auch proporzverzerrend - egal wie stark). Es ist folglich nach dem Nachrückbeschluss des BVerfG kein Nachrücken in das überhängende Mandat möglich.

Dass es bei Anwendung des Verhältnisausgleichs nicht zu einer anderen Sitzzahl gekommen wäre und ein Nachrücken dann rechtmäßig gewesen wäre, ist unbeachtlich.

Zu einem anderen Ergebnis (bei Einlegung einer Wahlprüfungsbeschwerde - wovon ich ausgehe)könnnten die brandenburgischen Verfassungsrichter nur kommen, wenn sie der alten Rechtsprechung des BVerfG hinsichtlich der Entweder-Oder-Entscheidung beim Wahlsystem (Verhältnis- oder Mehrheitswahl) folgen. Dann könnten sie die Zwei-Überhangsmandats-Freigrenze-Regelung inzident als verfassungswidrig ansehen und das Ex-Hildebrandt-Mandat so dem Verhältnisausgleich unterziehen, mit der Folge, dass der Nachrückbeschluss des BVerfG nicht mehr einschlägig ist. Das glaube ich jedoch nicht.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 31. März 2000 - 17:16 Uhr:   

Ich hatte zunächst die selbe Meinung zu diesem Thema wie Du. Dann habe ich mir aber noch einmal die Begründung des Nachrücker-Urteils genau durchgelesen und festgestellt, daß das BVerfG fast ausschließlich von der Systematik des Bundeswahlgesetzes her argumentiert. Sowas ist
grundsätzlich schon recht problematisch, weil man dem Gesetzgeber dabei häufig unterstellt, sein Gesetz aufgrund einer Systematik aufgebaut zu haben, die dieser in Wahrheit nie im Blick hatte.

Wenn der Brandenburgische Gesetzgeber eine uneinheitliche Nachrückerregelung für ausgeglichene und nicht-ausgeglichene Überhangmandate für schädlicher ansah als einen "Bestandschutz" für nicht-ausgeglichene Überhangmandate, dann kann man dem Gesetzgeber diese Regelung nicht mit dem merkwürdigen Argument aus der Hand schlagen, diese Überlegung widerspreche der vom Gesetzgeber selbst verfolgten Systematik des Wahlgesetzes. Denn was systemgerecht oder nicht ist, kann der Gesetzgeber eigentlich nur selbst beurteilen.

Nein, man müßte dazu schon einen Verstoß gegen die Verfassung behaupten können. Der vom BVerfG im Nachrückerurteil angenommene Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundatz scheidet hier jedoch wie gesagt aus. Und ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz kommt auf Grundlage der Auffassung der vier die Überhang-Entscheidung von 1997 tragenden Richter ebenfalls nicht in Frage.

Mag sein, daß Karlsruhe aufgrund seiner (m.E. unsinnigen) Vorliebe für das Systemgerechtigkeitsargument im Falle des Falles so entscheiden würde, wie Du argumentierst. Aber zu behaupten, es habe bereits in seinem Nachrücker-Beschluß von 1998 so entschieden, überstrapaziert meiner Meinung nach die Tragweite der Begründung dieses Beschlusses. Das BVerfG hatte bei seiner Entscheidung eine Rechtslage wie in Brandenburg überhaupt nicht im Blick, so daß man die Entscheidung aufgrund der nun einmal geringfügig unterschiedlichen Gesetzessystematik nicht einfach auf die Brandenburgischen Verhältnisse übertragen kann.

Das Brandenburgische Landesverfassungsgericht ist darum frei in seiner Entscheidung und kann so oder so entscheiden. Da es sich nicht um eine Normenkontrolle handelt, sondern nur um eine Wahlprüfungsbeschwerde, könnte es die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Nachrückens in ausnahmsweise nicht-ausgeglichene Überhangmandate sogar grundsätzlich offen lassen und lediglich entscheiden, daß zumindest dann kein Verfassungsverstoß gegeben ist, wenn das nicht-ausgeglichene Überhangmandat wie vorliegend nicht proporzverzerrend ist.

Aber wie es ausschaut, wird das LVerfG ja leider eh nicht entscheiden müssen. Weißt Du schon irgendetwas Neues zu dem Verfahren?
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Dienstag, 31. Oktober 2000 - 08:55 Uhr:   

Das Brandenburgische Landesverfassungsgericht hat inzwischen entschieden.

Das Nachrücken für das Überhangmandat ist ungültig, die brandenburgische SPD-Abgeordnete Angelika Thiel-Vigh muß ihr Landtagsmandat zurückgeben.
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Montag, 11. März 2002 - 22:58 Uhr:   

Hier ist das Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 12. Oktober 2000 – VfGBbg 19/00 – im Volltext.
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Kristina
Veröffentlicht am Sonntag, 30. März 2003 - 17:16 Uhr:   

Hi,
habe zufällig das Thema: Nachrücken bei Überhangmandaten in meiner Hausarbeit. Das BVerG hält das Nachrücken bei Überhangmandaten ja für verfassungswidrig. Ist dies denn strittig? Habe zu diesem Thema bis jetzt kaum Literatur gefunden und auch keine abweichenden Meinungen. Wäre schön, wenn mir jemand weiterhelfen könnte.
MfG Kristina
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Sonntag, 30. März 2003 - 19:25 Uhr:   

Es gibt einige Besprechungen der Nachrücker-Entscheidung, die - wenn ich mich recht erinnere - ihr im Ergebnis allesamt zustimmen. Allerdings wird die Begründung des Gerichts teilweise kritisiert. Sehr ausführlich z.B. von Bausback in seinem Buch "Verfassungsrechtliche Probleme des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag" (in Kurzform in einem Artikel von ihm in den BayVBl.).

Außerdem gibt es ein Urteil des OVG Schleswig-Holstein, wonach das Nachrücken in Überhangmandate im dortigen Kommunalwahlrecht (das Ausgleichsmandate vorsieht) rechtmäßig ist. Das Urteil wurde in NordÖR veröffentlicht.

Eine kritische Besprechung der BVerfG-Entscheidung aus Sicht eines Mathematikers findet sich hier:

http://www.math.uni-augsburg.de/stochastik/pukelsheim/2000b.html
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Montag, 31. März 2003 - 02:13 Uhr:   

@Kristina
ergänzend zu Wilko, der Aufsatz von Bausback ist in BayVBl 1998, S. 657-660.

Dazu, neben dem Aufsatz von Pukelsheim, noch (nicht vollständig) folgende Aufsätze und Entscheidungsbesprechungen zu dem Beschluss 2 BvC 28/96:

Joachim Lege, Jura 1998, S. 462-470
Christofer Lenz, NJW 1998, S. 2878-2879
Erich Röper, ZRP 1999, S. 48-49
Markus Winkler, JA 1999, S. 190-192
Michael Sachs, JuS 1999, S. 816-817
Helmut Nicolaus, JuS 2000, S. 436-441
Paul Schumacher, DVBl 2001, S. 800-802

es ist, wie Wilko schon geschrieben hat, ebenfalls Kritik dabei. Meiner Meinung nach bringen die Aufsätze einer Hausarbeit – außer ein paar Fußnoten – allerdings nicht viel. Auch ist das eigentliche rechtliche (nicht nur politische) Problem im BWahlG das ÜM an sich, das wohl nicht das Thema der Arbeit ist.

Zum Urteil des OVG Schleswig (2 L 25/00):
Ulrich Mann, NordÖR 2001, S. 71-73
(da hatte das VG Verständnisprobleme).

Zum Urteil LVerfG BB (VfGBbg 19/00):
Matthias Rossi, LKV 2001, S. 258-260.

Viel Spass und eine kleine Bitte noch, falls eine der Angaben nicht korrekt ist, bitte eine Mail an mich.
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Kristina
Veröffentlicht am Montag, 31. März 2003 - 12:12 Uhr:   

Vielen Dank für Ihre Hilfe,
einige Fundstellen sind mir neu! Aber das Problem ist wirklich, dass ich nicht weiß, ob ich zusätzlich die Verfassungmäßigkeit der Überhangmandate ansich prüfen muss. Im Sachverhalt scheidet ein Abgeordneter mit Direktmandat aus, sein Listennachfolger fragt an, ob er nach dem Ausscheiden für diesen in den Bundestag einziehen könnte. Dabei verfügt seine Partei über fünf Überhangmandate. Schwierig erscheint mir bereits der Aufbau, da meiner Ansicht nach, eine Wahlprüfungsbeschwerde aufgrund der Fragestellung nicht in Betracht kommt. Nochmals herzlichen Dank für Ihre Mühe.

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