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Landtagswahlrecht in Bayern und 5 %-H...

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Tim Spier
Veröffentlicht am Freitag, 25. April 2008 - 09:23 Uhr:   

Bekanntlich verfügt das bayerische Landtagswahlrecht ja über zwei Stimmen und eine 5 %-Hürde. Beim genauen Studium der Modalitäten dieser Sperrklausel ist mir die genaue Formulierung in Art. 14 Abs. 4 der Bayerischen Verfassung aufgefallen:

"Wahlvorschläge, auf die im Land nicht mindestens fünf vom Hundert der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen entfallen, erhalten keinen Sitz im Landtag zugeteilt."

Das bedeutet wohl, dass Erst- und Zweitstimmen für die Berechnung des Stimmenanteils zusammengerechnet werden. Da kleine Parteien üblicherweise mehr Zweit- als Erststimmen bekommen, führt dies dazu, dass sie in aller Regel deutlich mehr Zweitstimmen als 5 % erhalten müssen, um den mehrheitswahlrechtlichen "Malus" bei den Erststimmen wett zu machen.

Stimmt das faktisch? Gibt es noch andere Beispiele, für so eine auf alle Stimmen und nicht nur die Zweitstimmen bezogene Sperrklausel? Ist schon einmal eine Partei daran gescheitert, obwohl sie 5 % der Zweitstimmen hatte?

Mit drei Parteien, die knapp um 5 % (vermutlich der Zweitstimmen) in den Umfragen liegen, also FDP, Linke und Freie Wähler, könnte dies ja bei der Wahl im Herbst durchaus relevant sein. Wenn man bedenkt, dass eine 7,5 %-Hürde in Schleswig-Holstein schon einmal kassiert wurde, dann könnte diese Hürde, die ja bezogen auf die Zweitstimmen durchaus eine ähnliche Höhe annehmen kann, auch verfassungsrechtliche Bedenken aufwerfen.
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Tim Spier
Veröffentlicht am Freitag, 25. April 2008 - 09:53 Uhr:   

Um gleich noch einmal nachzulegen: 1990 hatten beispielsweise die Republikaner 4,9 % der Gesamtstimmen. Leider kann ich die Erst- und Zweitstimmen nirgends separat aufgeschlüsselt finden. Hat jemand die Daten? Das Scheitern der Partei an der 5 %-Hürde könnte ein Beispiel für diesen ungewöhnlichen Mechanismus sein. Ansonsten scheinen sich aber allgemein Erst- und Zweitstimmen nicht so weit voneinander zu unterscheiden, wie das etwa bei Bundestagswahlen der Fall ist. Zumindest die FDP hat auch anscheinend häufig mehr Erst- als Zweitstimmen - im Bund wohl undenkbar.
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Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Freitag, 25. April 2008 - 11:56 Uhr:   

@ Tim:

Ja, Erst- und Zweitstimmen werden zusammengezählt (sowohl bei der Berechnung der 5%-Hürde als auch insgesamt bei der Parteien-Sitzverteilung im Landtag).

Deine Prämisse, dass kleine Parteien überpropotional Zweitstimmen bekommen, stimmt jedoch (überaschenderweise) nicht.

Siehe hier:
http://www.landtagswahl2003.bayern.de/lw2003/990/akt/l2.html

Demnach hat die CSU in 2003 zwar 60,7% der Gesamtstimmen aber nur 59,3% der Erststimmen bekommen.
Hingegen war bei SPD, Grüne, FW, Rep, ÖDP FDP, und BP der Erststimmen-Anteil jeweils überproportional. (Die restlichen Kleinparteien sind jeweils bei unter 0,2%. Das ist also nur noch statistisches Rauschen).

Übrigens ist diese Tendenz (d.h. Kleinparteien überproprtional bei den Erststimmen) regelmäßig auch in früheren Landtagswahlen schon zu beobachten gewesen.

Wenn überhaupt, dann begünstigt dieser spezielle bayerische Mechanismus also die kleineren Parteien.

Es fällt mir übrigens keine gute Begründung ein, woran es liegt, dass die kleinen bei den Erststimmen so gut abschneiden.
(Aber immerhin zeigt es, dass die bayerischen Wähler den abweichenden Wahlmechanismus begriffen haben und ihre Erststimmen "rational" vergeben. Denn anders als bei der Bundestagswahl sind Erststimmen für Kleinparteien bei der Landtagswahl ja durchaus faktisch sitzverteilungsrelevant).
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Freitag, 25. April 2008 - 17:39 Uhr:   

Die CSU schnitt bei Erststimmen noch nie besser ab als bei Zweitstimmen. Absolut hatte sie zwar auch schon mehrfach mehr Erststimmen, aber wegen des relativ hohen Anteils ungültiger Zweitstimmen stand sie bei Erststimmen prozentual immer schlechter da. Die SPD hatte bei Erststimmen immer einen höheren Anteil, z.T. aber nur minimal. Bei FDP und Grünen ist das Bild gemischt. Die FDP war 1962, 1966, 1970 und 1982 bei Zweistimmen besser, ansonsten bei Erststimmen. Die Grünen hatten 1986, 1990 und 1998 einen höheren Anteil bei den Erststimmen, ansonsten umgekehrt. Die Reps bekamen 1990 4,999% Erst- und 4,70% Zweitstimmen.

Ich glaube ehrlich gesagt eher nicht, daß die bayerischen Wähler das Wahlsystem verstanden haben. Die Verteilung der Zweitstimmen auf die Kandidaten spricht eher dagegen. Da werden z.B. bei der CSU meist Stimmkreisbewerber gewählt, die ohnehin über Erststimmen sicher gewählt sind.
Ich denke, es ist vor allem die Personalisierung der Zweitstimme der Grund ist für das relativ schlechte Abschneiden kleiner Parteien bei den Zweitstimmen, im Gegensatz zu allen anderen Ländern wählt man ja mit der Zweitstimme eine bestimmte Person. Die CSU hat halt am ehesten die bekannten Gesichter, die den anderen Parteien weitgehend fehlen.

Wegen der verfassungsmäßigen 5%-Hürde können ja übrigens auch Direktkandidaten nur in den Landtag einziehen, wenn die Partei 5% bekommt. Sonst bekommen sie keinen Sitz, selbst wenn sie die (relative) Mehrheit im Stimmkreis haben sollten. So ein Fall ist aber noch nie eingetreten. 1962 holte die Bayernpartei zwar bei 4,8% einen Stimmkreis (Dillingen), aber weil damals noch die Hürde von 10% in einem Regierungsbezirk galt, zog die BP doch in den Landtag ein, die GDP aber mit 5,1% nicht.
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Tim Spier
Veröffentlicht am Freitag, 25. April 2008 - 19:09 Uhr:   

Danke für die Informationen. Vermutlich ist dieses bayerische Unikum dann doch nicht so relevant für die kommende Landtagswahl. Aber interessant allemal.
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juwie
Veröffentlicht am Samstag, 26. April 2008 - 00:37 Uhr:   

Für die Diskrepanz von Erst- und Zweitstimme gibt es m.E. zwei mögliche Erklärungen.
Dafür ist aber zunächst eine kurze Erklärung der Eigenheiten des Bayerischen Landtagswahlrechts erforderlich :

1. Das Wahlgebiet (Bayern) ist in 7 Wahlkreise (= Regierungsbezirke) eingeteilt.
2. In jedem Wahlkreis ist eine der Bevölkerung entsprechende Zahl von Abgeordneten zu wählen (z.B. Oberbayern: 57, Oberpfalz: 17).
3. Die Hälfte der Sitze in jedem Wahlkreis wird in Stimmkreisen vergeben.
4. Auf dem Stimmzettel für die Zweitstimme sind die Direktkandidaten der anderen Stimmkreise des Wahlkreises aufgeführt (nicht aber jener des eigenen Stimmkreises) sowie so viele weitere "reine Listenkandidaten", dass insgesamt die Sitzzahl des Wahlkreises erreicht wird.
5. Die Sitzverteilung unter den Parteien wird über deren Gesamtsstimmenzahl (Erst- und Zweitstimme) im Wahlkreis ermittelt.
6. Davon werden die direkt im Stimmkreis (mit Erststimme) gewonnen Mandate abgezogen.

Dann folgt das ausschlaggende: Aufgefüllt wird über die erfolgreichsten Listenbewerber, wobei deren Gesamtstimmenergebnis (!) zugrunde gelegt wird. D.h. ein "reiner" Listenkandidat hat nur dann eine Chance in den Landtag einzuziehen, wenn er für eine Partei kandidiert, die mehr Sitze gewinnt als Direktmandate im Wahlkreis zu verteilen sind (was nur für die CSU zutrifft). Kandidaten anderer Parteien müssen entweder ihren Stimmkreis gewinnen oder eine große Zahl von Erststimmen in ihrem Stimmkreis sowie Zweitstimmen im Rest des Wahlkreises gewinnen. Reine Listenkandidaten haben schon bei der SPD keine Chance (den Fall "Günther Koch" lassen wir jetzt mal außen vor). Bei den Grünen kann die Frauenquote nur zum Zug kommen, wenn auch in der Hälfte der Stimmkreise Frauen nominiert wurden (wobei wir die unterschiedlichen Erfolgsaussichten in den einzelnen Stimmkreisen hier außen vor lassen).

Insofern kann es für einen Wähler, der seinen Stimmkreis möglichst stark im Maximilianeum vertreten sehen möchte, durchaus rational sein, seine Erststimme einer Partei zu geben, die den Stimmkreis gewiss nicht gewinnen wird. Denn damit vergrößert er die Chance, dass der unterlegene Direktkandidat aus dem eigenen Stimmkreis ausreichend Gesamtstimmen gewinnt, um zu den erfolgreichen Listenkandidaten seiner Partei zu gehören.

Andererseits sollte man die wahlrechtlichen Kenntnisse der Bürger auch nicht überschätzen (nach meiner Erfahrung hier in Bayern wissen selbst formal hoch gebildete und politisch interessierte Personen nicht, wie das bayerische Wahlrecht funktioniert - aber das ist selbstverständlich keine repräsentative Stichprobe). Darum noch ein anderer Erklärungsversuch:

An der Spitze der CSU-Wahlkreislisten stehen regelmäßig die prominentesten Politiker des Regierungsbezirks (im weitaus größten Wahlkreis Oberbayern war dies seit des 60er Jahren immer der Ministerpräsident). Vielleicht verstärkt auch dieser Promi-Effekt den Zug zur CSU-Wahlkreisliste.
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Christian Schmidt (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 13. Mai 2008 - 14:27 Uhr:   

juwie schrieb:

> Insofern kann es für einen Wähler, der seinen Stimmkreis möglichst stark im Maximilianeum vertreten sehen möchte, durchaus rational sein, seine Erststimme einer Partei zu geben, die den Stimmkreis gewiss nicht gewinnen wird. Denn damit vergrößert er die Chance, dass der unterlegene Direktkandidat aus dem eigenen Stimmkreis ausreichend Gesamtstimmen gewinnt, um zu den erfolgreichen Listenkandidaten seiner Partei zu gehören.

CS: das gilt aber nur fuer Waehler denen es nur um Lokalkandidaten geht und denen die Parteien egal sind.

Auch die Behauptung das die bayerischen Wähler das Wahlsystem nicht so verstanden haben ist schlichtweg falsch. Wie Florian schrieb ist das Stimmensplitting in bayern viel geringer als z.B. bei Bundestagswahlen, weil die bayrischen Waehler sehr wohl den Wert ihrer Erststimme kennen.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 13. Mai 2008 - 17:52 Uhr:   

"das gilt aber nur fuer Waehler denen es nur um Lokalkandidaten geht und denen die Parteien egal sind."
Natürlich ist den meisten Wählern die Partei nicht egal, die Personen oft aber auch nicht. Das kann man gerade bei den Freien Wählern schön sehen. Deren Stimmkreiskandidaten bekommen nicht selten weit mehr Erststimmen als die FW Zweitstimmen im Stimmkreis bekommen.


"Auch die Behauptung das die bayerischen Wähler das Wahlsystem nicht so verstanden haben ist schlichtweg falsch. Wie Florian schrieb ist das Stimmensplitting in bayern viel geringer als z.B. bei Bundestagswahlen, weil die bayrischen Waehler sehr wohl den Wert ihrer Erststimme kennen."
Richtig ist, daß bei Landtagswahlen insgesamt weniger gesplittet wird. Falsch ist es aber, allein daraus zu schließen, daß die Wähler das Wahlsystem verstanden hätten, zumal der deutlichen Mehrheit der Wähler ja nichtmal die meistens gegebene praktische Wertlosigkeit der Erststimme bei der Bundestagswahl bewußt ist.

Auch in anderen Bundesländern mit Zwei-Stimmen-System wird bei Landtagswahlen weit weniger gesplittet als bei Bundestagswahlen, besonders deutlich ist der Unterschied bei den Grünen und vor allem bei der FDP.

Beispiel Schleswig-Holstein:

Landtagswahl 2005
jeweils Erst-/Zweitstimmen

CDU 43,4/40,2
SPD 41,1/38,7
FDP 6,2/6,6
Grüne 5,4/6,2


Bundestagswahl 2005
CDU 42,8/36,4
SPD 44,5/38,2
FDP 3,8/10,1
Grüne 4,3/8,4
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Mitdenker
Veröffentlicht am Dienstag, 13. Mai 2008 - 18:19 Uhr:   

Thomas,

Du hast Dir gerade ein Extrembeispiel herausgesucht. Beide Wahlen waren extrem spannend. Besonders bei der Bundestagswahl kam es zur Stimmenteilung.


Allgemein,

Aus einer Verhaltensweise der Wähler können, im Falle der Landtagswahlen in Bayern, nur mittelbar herausgefunden werden. Manche folgen der Empfehlung des Stimmkreiskandidaten, welchen Wahlkreiskandidaten sie wählen könnten. Andere tun dies nicht.
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juwie
Veröffentlicht am Dienstag, 13. Mai 2008 - 20:03 Uhr:   

Selbst auf die Gefahr hin, dass mir "Wählerbeschimpfung" unterstellt wird:

Hinsichtlich der Ignoranz von Wähler rate ich dringend dazu, sich mal die Ergebnisse folgender Untersuchung anzuschauen:

Reuband, Karl-Heinz: Politische Ignoranz und vorgetäuschtes Wissen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 32 (2001): 812-821.

Außerdem gibt es noch eine Studie, die beweist, dass "eigentlich" noch weniger Wähler wissen, welche Stimme bei Bundestagswahlen die wichtigere ist. Im Rahmen einer Panel-Befragung blieben die Einschätzungen nämlich nicht stabil. (Leider finde ich die bibliographischen Angaben gerade nicht, hat vielleicht einer der Mitdiskutanten sie zur Hand - sind ja doch einige sehr kompetent).
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Mitdenker
Veröffentlicht am Dienstag, 13. Mai 2008 - 23:13 Uhr:   

Es sollte in Bayern eine klare Trennung, zwischen den Stimmen der Stimmkreis und der Wahlkreise geben. Der Vorsprung der Stimmkreisbewerber ist selten aufzuholen.

Wer ein Direktmandat holt, sollte gewählt sein. Dies gilt unabhängig davon, wie die Listenstimmen ausfallen.
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Florian das Original (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. Mai 2008 - 13:02 Uhr:   

@ juwie, Thomas et al:

Ihr habt sicher recht, dass das formale Wissen des bayerischen Wählers über das bayerische Wahlsystem nicht sehr ausgeprägt ist.

Entscheidend scheint mir aber folgendes zu sein:
Die zur Wahl stehenden Politiker kennen das System natürlich sehr wohl - und verhalten sich entsprechend.
Wahlplakate bei bayerischen Landtagswahlen sind z.B. vollkommen anders gestrickt als bei der BTW.
Es gibt massenhaft Plakate, auf denen sich der örtliche Direktkandidat präsentiert. Gelegentlich auch Kandidaten aus den Nachbarbezirken (die auf Zweitstimmen hoffen).
Bei einer Fahrt über den Münchner Mittleren Ring lernt man so die Gesichter der ganzen oberbayerischen Politprominenz kennen.
Entsprechend ist die LTW stark personalisiert.

Ich persönlich finde das übrigens sehr symphatisch. Mir gefällt das bayerische Wahlrecht daher auch sehr gut. Aus theoretischen Gründen mag man da Probleme und Ungereimtheiten sehen. Aber im Ergebnis führt das bayerische Wahlrecht bei den Politikern zu Verhaltensweisen, die mir gut Gefallen.

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