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Verrechnung des Nichtwähleranteils

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Ulla (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 15. Juli 2006 - 18:13 Uhr:   

Hallo alle zusammen,

vor einiger Zeit habe ich im Zuge der Analysen zur Bundestagswahl 2005 mehrfach die Anregung gelesen, die "Nichtwähler zu repäsentieren".

Grundgedanke war wohl folgender:

Die Sitzverteilung findet nicht anhand der abgegebenen gültigen Stimmen als 100 % sondern anhand der Anzahl der Wahlberechtigten als 100 % statt. Wenn sich also zum Beispiel 30 % der Wahlberechtigten enthalten, wird die Anzahl der Mandate um 30 % reduziert.

Der Vorteil sei neben einer Kostenersparnis (weniger Abgeordnete, weniger Diätenzahlungen) die wachsende Motivation für die Parteien, nicht nur ihren Stimmenanteil zu maximieren, sondern auch sich zu bemühen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen.
Dies soll die Parteien näher an die Wähler binden.

Auf den ersten Blick denke ich, macht das Sinn (zumindest der letzte Punkt). Auf den zweiten ist es aber meines Erachtens nach schlicht weg nicht durchführbar, ja sogar unmöglich.

Die Gründe:

1.freie Wahl heißt für mich auch, nicht wählen zu müssen. Nun würde sich eine Wahlenthaltung aber dennoch auf das Ergebnis auswirken. Klar, das ist wohl ein eher kleineres Problem, aber es soll ja Menschen geben, die aus irgendwelchen religiösen Gründen oder so ganz bewusst nicht wählen gehen. Eine solche Verrechnung hat demnach doch gewisse Züge einer Wahlpflicht.

2. Die Direktmandate bleiben unangefochten bestehen, was bedeutet, dass die Dominaz von SPD und CDU noch deutlicher und zudem nicht proportional dargestellt wäre und außerdem würde die Anzahl der Überhangmandate sicher enorm anwachsen. Man müsste demnach entweder den anderen Parteien Ausgleichsmandate zugestehen (was die ganze Aktion mit Mandatsreduktion irgendwie rückgängig machen würde)oder auf das personalisierende Moment verichten, also das Wahlrecht ändern.

3. Die Fünf-Prozent-Klausel würde auch nicht mehr funktionieren, den 5 % der Wahlberechtigten ist schon leicht übertrieben.


Wahrscheinlich gibt es noch mehr Gründe, mir fallen sie nur im Moment nicht ein.

Einfacher wäre es sicher, den Wahlzettel um ein "Keine Partei" Kästchen zu ergänzen und die Stimmen dann als leere Stühle zu verrechnen.
Wenn man das überhaupt will.

Was meint Ihr dazu?
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Reiner Bienenhonig (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 15. Juli 2006 - 18:47 Uhr:   

Die Beträge, die ein Parlamentarier mehr oder weniger kostet, sind nichts im Vergleich zu den Kosten von Gesetzen, die wegen Arbeitsüberlastung schlampig kontrolliert und durchgewinkt werden.
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Ulla (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 15. Juli 2006 - 19:58 Uhr:   

Stimmt.
Aber so generell?
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Fragender (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 17. Juli 2006 - 00:19 Uhr:   

Ich brauche überhaupt kein "Keine Partei"-Kästchen, um die Sitzzahl der Wahlbeteiligung anzupassen. Dafür genügt schon eine "automatische Mehthode", wie zum Beispiel "für je 60.000 Stimmen gibts ein Mandat".
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Ulla (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 17. Juli 2006 - 15:44 Uhr:   

Die automatische Methode hat aber in der Weimarer Republik trotz Fehlen einer künstlichen Sperrklausel zu einer relativ hohen Anzahl nicht verwerteter Stimmen geführt.
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Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 17. Juli 2006 - 19:46 Uhr:   

Die automatische Methode kennt ein festes Stimmen-Sitz-Verhältnis und eine Rundungs-Regelung. Wenn für einen Sitz bspw. 60'000 Stimmen erforderlich sind, dann fallen, wenn eine Liste 75'000 Stimmen erhalten hat, die 15'000 Stimmen Überschuss gewissermassen weg. Auch wenn eine Liste bspw. nur 50'000 Stimmen erhalten hat, fallen diese weg, es sei denn, dass auch für eine Stimmenzahl, die keinen Anspruch auf einen Sitz begründet, ab der Hälfte oder nach überschreiten der Hälfte oder ab einem bestimmten höheren Quorum ein "aufgerundeter" Sitz zugeteilt wird. Schlimm sieht es aus, wenn überschüssige Stimmen wegfallen, also abgerundet wird. Ferner spielt es auch eine Rolle, ob die Stimmen über das ganze Bundesgebiet oder nur innerhalb von Wahlkreisen gezählt werden. Wenn man bspw. in der heutigen Bundesrepublik die automatische Methode bezogen auf die 16 Bundesländer einführen würde, dann würden sich die Rundungsprobleme verschärfen, weil der Stimmenüberschuss einer Liste in dem einen Bundesland nicht mit den Stimmenüberschüssen aus andern Bundesländern zusammengezählt werden könnte. Anders sähe es aus, wenn man das ganze Bundesgebiet als einen einzigen Wahlkreis betrachtete, dann könnten alle Stimmen bundesweit zusammengezählt werden, so dass am Ende höhstens ein Stimmenüberschuss pro Liste anfiele.
Daraus ersieht man aber auch, dass sich das Problem verschärft, wenn es mehr Parteien (Listen) gibt, was in der Weimarer Republik ja der Fall war. Dann fallen Überschüsse, die nicht mehr einen Sitzanspruch begründen, vielleicht zehnmal an statt nur fünf Mal.
Ausserdem kommt es darauf an, wieviele Stimmen verlangt werden, um einen Sitz zu begründen. Geht man davon aus, dass ein Parlament, um noch debattieren zu können, eine gewisse Grösse nicht überschreiten sollte, so kann man keine beliebig niedrigen Werte wählen.
Gehen wir davon aus, dass etwa 60% der Bevölkerung Deutschlands tatsächlich wählt. 60% von gut 80 Mio. Menschen sind etwa 48 Mio. Vielleicht ist dieser Wert etwas zu tief gegriffen, nehmen wir also den runden Wert 50 Mio. Unser Parlament soll ca. 500 bis 600 Sitze aufweisen; da die Stimmbeteiligung und die absolute Zahl der Stimmberechtigten schwankt, nehmen wir den Mittelwert als Richtwert. Wenn unsere Annahmen genau zuträfen, dann müssten 50'000'000 : 550 = 90909,09... Stimmen auf einen Sitz kommen. Das ist eine "krumme" Zahl, also runden wir auf 100'000 Stimmen pro Sitz. Dann erhält eine Liste für je 100'000 erhaltene Stimmen einen Sitz; bleibt ihr darüber hinaus ein Überschuss von wenigstens 50'000 Stimmen, erhält sie noch einen weiteren Sitz.
Wenn wir nun bundesweit verrechnen, so dass nur ein einziges Mal gerundet werden muss, und wenn es genau fünf Parteien gibt (CDU/CSU, FDP, Grüne, SPD, WASG), dann könnten maximal 5*49'999 = 249'995 Stimmen "verloren" gehen. Wenn aber noch kleinere Parteien und Splittergruppen antreten, die alle keine 50'000 Stimmen erhalten, oder aber wenn wir noch die Regel einführen, dass ab 50'000 nur aufgerundet wird, wenn bereits ein Sitz errungen wurde, dann können schnell auch einige hunderttausend Stimmen verloren gehen.
ABER: Die automatische Methode ist im Grunde die einzige Methode, die, wenn die Rahmenbedingungen gegeben sind, die möglichen Verzerrungen und Stimmenverluste auf das mathematisch Minimum reduziert. Da eine grosse Zahl von Stimmen auf ein verhältnismässig kleines Gremium abgebildet wird, muss notwendig gerundet werden; also treten notwendig Rundungsfehler auf. Diese können höchstens innerhalb des gegebenen Rahmens minimiert werden. Somit gehen notwendigerweise auch die Stimmen verloren, die gewissermassen weggerundet werden.
Das kann einem zwar leid tun, es ist aber unvermeidbar.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Montag, 17. Juli 2006 - 20:35 Uhr:   

Die Rundungsverluste sind tatsächlich unvermeidbar, das ist bei jedem System so. In Weimar kam aber auch die Sperrklausel, die es gab, dazu, die Mindeststimmen für die Wahlkreissitze.
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Fragender (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 17. Juli 2006 - 21:22 Uhr:   

@Martin Fehndrich / Philipp Wälchli

Mir ging es nur darum, eine Möglichkeit zu haben, daß sich die Wahlbeteiligung auf die Mandatszahl auswirkt. Um die konkrete Ausgestaltung ging es mir überhaupt nicht. Die 60.000 Stimmen sind aus dem Reichstagswahlgesetz entlehnt. Wenn ich mir z.B. das (bisherige) Hamburger Wahlrecht angucke, 121 Sitze mit 5%-Hürde, so könnte man das mit einer automatischen Methode koppeln. Also: Man braucht 5% der gültigen Stimmen um an der Verteilung teilzunehmen (wenn man eine relative Grenze haben will) und erhält dann für z.B. jeweils 7.500 Stimmen (und evtl. für einen 3.750 Stimmen übersteigenden Rest) einen Sitz.
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Olaf
Veröffentlicht am Freitag, 11. August 2006 - 17:30 Uhr:   

Hallo,

zu dem Problem gibt es schon eine Lösung - auch wenn diese jetzt wieder (aus allen anderen als demokratischen Gründen) abgeschafft wird.

Das russische Wahlsystem hat die Besonderheit eines Kandidaten "GEGEN ALLE".

D.h., wer mit den zu wählenden Kandidaten nicht einverstanden ist, kreuzt den Punkt "GEGGEN ALLE" an.

Erreicht "GEGEN ALLE" mehr als 50%, muß die Wahl in dem Bezirk wiederholt werden - aber die bisher angetretenen Kandidaten sind für die Wahlwiederholung gesperrt - die Parteien müssen neuen Kandidaten aufstellen.

Das finde ich ein gute Alternative. Da davon in Russland rege Gebrauch gemacht wurde und das Wahlsystem zur Machtsicherung Putins "Einiges Russland" umgestellt wird alá DDR mit reiner Listenwahl, wird auch diese Regelung abgeschafft.
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mma
Veröffentlicht am Freitag, 11. August 2006 - 18:46 Uhr:   

@Olaf

Wieso sollten mit diesem Verfahren die Nichtwähler besser repräsentiert werden?
Bei der Wiederholungswahl, wenn nur noch die zweite Garnitur der Parteien randarf, dürfte die Wahlbeteiligung sinken, d. h. es gibt sogar noch mehr Nichtwähler, und das Problem ihrer Nichtberücksichtigung gewinnt noch an Gewicht.
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Freitag, 11. August 2006 - 22:13 Uhr:   

"Gegen alle" macht eigentlich nur Sinn in Wahlkreisen mit einem starken Kandidaten klar unter 50 Prozent und einer zersplitterten Opposition, die ihn loswerden will, aber von denen keiner die Chance hat, selbst zu gewinnen.

Oder natürlich, wenn die Wähler die Ansicht haben, es seien doch alle korrupt, und es "denen da oben" mal richtig zeigen wollen. (Und dann taucht so ein Kandidat auf, der so nett mit einem redet und auch gegen die da oben zetert, und sobald der die Stimme hat, wird er schlimmer als die anderen, womit die ursprüngliche Ansicht wiederhergestellt ist...)
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Olaf
Veröffentlicht am Samstag, 12. August 2006 - 13:28 Uhr:   

Über die Konsequenzen, wenn "GEGEN ALLE" gewinnt, kann man ja sicherlich diskutieren. Wichtig ist aber, das man seine abweichende Meinung dokumentieren kann und nicht nicht wählt ("kein Interesse" oder ungültig wählt ("zu dumm zum wählen").

Als politisch interessierter und aktiver Bürger fällt es mir auch immer schwerer, meine Stimme zu vergeben und das kleinere Übel ist heute oft genug ein großes Übel.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Sonntag, 13. August 2006 - 10:57 Uhr:   

Vielleicht sollte man sich wieder einmal überlegen, wozu Wahlen dienen? Wahlen dienen doch wohl unbestreitbar in erster Linie dazu, funktionierende Organe (Behörden) zu bestellen.
Man darf doch wohl davon ausgehen, dass der Erhalt der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Organe grundsätzlich einmal vor jeglicher andern politischen Zielsetzung stehe; denn ohne einen funktionierenden Staat lässt sich auch keine Politik betreiben, ja, es wird sogar sehr einschneidende Probleme im Alltag geben, etwa mangelnde Versorgung, Plünderungen u. dgl. Was in einem Land geschieht, dessen Staat zusammengebrochen ist, kann man ja an verschiedenen Beispielen gut erkennen, es sei nur einmal auf Länder wie Somalia oder Kongo (Zaire) verwiesen.
Dieser Ansatz wird auch aus den Notstandsbestimmungen deutlich, lassen diese es doch zu, dass bspw. die Wahlperiode verlängert wird oder eine Regierung Kompetenzen erhält, die sie sonst nicht hat, nur um die Funktionsfähigkeit des Staates auch unter aussergewöhnlichen Umständen zu gewährleisten. Mit andern Worten wird also in einem solchen Falle in Kauf genommen, dass eine Regierung amtiert, die nicht mehr durch eine ordentliche Wahl legitimiert ist oder die sogar inzwischen nicht mehr von einer Mehrheit getragen wird. In Notfällen erscheint es also besser, dass eine Regierung im Amt ist, die auch nicht demokratisch gebildet wurde, als dass gar keine Regierung im Amt wäre.
Daher sollen Wahlen in erster Linie einmal zur Bestellung funktionsfähigker Organe (konkret in Deutschland: Bundestag) führen.
Wenn nun aber Regelungen eingeführt werden, die eine erfolgreiche Wahl erschweren oder verunmöglichen, kann dies ohne weiteres zur Folge haben, dass ein funktionsfähiges Organ nicht mehr bestellt werden kann. Solche Klauseln können bspw. sein:
- "Gegen alle" Option,
- Mindestwahlbeteiligung,
- Kürzung der Sitzzahl entsprechend der Nicht-Wahlbeteiligung.
Die beiden ersten Klauseln können dazu führen, dass eine Wahl immer wieder verschoben wird, bis endlich ein gültiges Ergebnis vorliegt. Gerade die in den ehemaligen Ostblock-Staaten häufigen Mindestwahlbeteiligungsklauseln haben da für viel Umtrieb geführt. Eine Sitzkürzung entsprechend dem Nichtwähleranteil gefährdet zwar nicht unmittelbar die Gültigkeit der Wahl, kann aber zu extremen Schwankungen der Organgrössen führen und bei Unterschreiten gewisser Mindestsitzzahlen die Funktionsfähigkeit ernsthaft beeinträchtigen oder gefährden. Ein Bundestag, der nur aus 150 Mitgliedern bestünde, wäre bspw. kaum noch in der Lage, nur die erforderlichen, unabdingbaren Ausschüsse und Delegationen zu bestellen. (Schon der Schweizer Nationalrat mit 200 Sitzen mutet jedem Mitglied im Schnitt 2 bis 3 zusätzliche Aufgaben zu.) Dann müssten bspw. Delegationen in interparlamentarische Versammlungen wie z. B. in den Europarat als "kleinstes Übel" aufgegeben werden, um wenigstens die "heimischen" Ausschüsse besetzen zu können.
Mit andern Worten wird durch solche Vorschläge bzw. Regelungen eine neue Zielsetzung von Wahlen eingeführt; statt der klassischen und wesenmässig naheliegenden Zielsetzung, dass Wahlen zu funktionsfähigen Gremien führen, wird also eine Zielsetzung eingeschmuggelt, die etwa darin besteht:
- "die Politiker" also solche zu "bestrafen";
- die Funktionsfähigkeit der politischen Institutionen zu beeinträchtigen, was indirekt die Staatstätigkeit überhaupt gefährdet;
- oder aber zu Mechanismen zu führen, die demokratisch nicht mehr legitimiert oder doch höchst problematisch sind.
Zum letzten Punkt möchte ich folgendes Ausführen:
Was geschieht, wenn bspw. eine Wahl wegen Verfehlens einer Mindestwahlbeteiligung ungültig ist? Regelmässig wird die Wahl dann zu einem späteren Zeitpunkt erneut durchgeführt, wobei aber ungewiss bleibt, ob dann die Mindestbeteiligung erreicht wird. Unterdessen bleiben einfach die bisherigen Behörden im Amt, denn die Staatstätigkeit kann ja nicht einfach eingestellt werden. Damit amtieren aber Leute, die nicht mehr demokratisch legitimiert sind. Wenn schlimmstenfalls über längere Zeit bei immer neuen Versuchen keine gültige Wahl zustande kommt, dann bleiben die alten Behörden im Amt, ohne ordentlich gewählt zu sein. Namentlich wenn noch personelle Ausfälle etwa durch Tod, Rücktritte, Verlust der Wahlfähigkeit u. dgl. hinzukommen, stellt sich auch die Frage, wie diese Vakanzen gefüllt werden: Werden sie nicht gefüllt, kann die Funktionsfähigkeit des Staates betroffen sein, werden sie aufgefüllt, kann dies nur durch eine Nachrücker-Regelung oder ein anderes, nicht auf Wahl beruhendes Bestellungsverfahren geschehen. Wenn etwa ein Minister geht, der (nicht mehr demokratisch legitimierte) Ministerpräsident einen Nachfolger vorschlägt und der (möglicherweise ebenfalls nicht mehr durch Wahl demokratisch legitimierte) Staatspräsident diesen dann einsetzt, mag es formal mit der Verfassung zugegangen sein, faktisch kann aber der so ernannte Nachfolger keinerlei Legitimation mehr beanspruchen, da seine Legitimation nicht höher sein kann als jene derjenigen, die ihn eingesetzt haben. Bei einem Minister, der nur ausführendes Organ ist, mag dies noch angehen, doch bei Parlamentsmitgliedern, die vielleicht durch Nachnomination seitens der Parteigremien ohne jegliche Wahl bestellt wurden, die aber über Gesetze, Verträge, Grundsatzentscheide, evtl. sogar die Verfassung entscheiden, wird dies grösseren Anstoss erregen.
Falls sogar die politischen Institutionen zu funktionieren aufhören oder faktisch handlungsunfähig werden, kann der Fall eintreten, dass der Verwaltungsapparat zwar weiterläuft, was an und für sich weder ein Vor- noch ein Nachteil ist. Denn die Verwaltung soll ja eigentlich apolitisch nur das ausführen, was die Politik durch Gesetze, Staatszielbestimmungen, Bürgeranträge, Regierungsweisungen usw. vorgab. Wenn dieser Zustand aber längere Zeit anhält, dann wird die Verwaltung ohne eine politische Steuerung agieren. Damit wird sie notwendigerweise entweder anstehende Aufgaben nicht anpacken, da diese politischer Natur sind und folglich nicht Verwaltungssache, oder aber die anstehenden notwendigen Entscheidungen auf andere Weise mindestens faktisch fällen, womit sie sich selbst politische Kompetenz anmasst. Dies kann schlimmstenfalls in die bürokratische Diktatur führen.
Somit ergibt sich, dass die Alternativen zu einer Wahl in jedem Fall schlimmer sind als eine Wahl selbst - sogar dann, wenn die Wahl mit deplorabler Wahlbeteiligung stattfand oder ein Ergebnis zeitigte, das den "reinen" Volkswillen nicht wiedergibt.
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Olaf
Veröffentlicht am Sonntag, 13. August 2006 - 11:26 Uhr:   

Das ist ja grundsätzlich richtig. Aber es kann auch nicht sein, dass eine Wahlbeteiligung unter 50% (wie in Sachsen Anhalt und bei immer mehr Wahlen) keinerlei Konsequenzen hat. Immer mehr Wähler gehen ja nicht aus Desinteresse nicht zur Wahl, sondern weil die (demokratischen) Alternativen fehlen.

Die Parteien beklagen die sinkende Wahlbeteiligung immer einige Tage nach der Wahl - aber das war es auch schon. Und wie legitimiert ist ein Parlament bei einer Wahlbeteiligung unter 50%? Darüber kann man schon streiten. Das Einhalten der Wahlprogramme wird ja nicht einmal mehr ansatzweise und/oder mit einer Schamfrist probiert (siehe derzeitige Koalition etc.), die Unterschiede zwischen den klassischen Parteien sind bestenfalls noch marginal - primäres Ziel ist nur der Machterhalt. Der Wähler, der sich daran nicht beteiligen möchte, hat keine echte Chance, die Parteien haben keine wirklichen Konsequenzen aus ihrem (nicht) Handeln zu befürchten.

Was ich auch innerhalb einer der Organisationen (Kandidatenauswahl etc.) selbst alles erlebt habe, wie Leute zu Funktionen etc. kommen, das läßt einen schon (ver)zweifeln. Und leider wird es immer mehr die Regel.
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Sonntag, 13. August 2006 - 13:07 Uhr:   

Was ist Ihre Meinung zum Hamburger Wahlrecht? (Das durch Volksentscheid beschlossene, nicht die von der CDU geplante Änderung)
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Sonntag, 13. August 2006 - 13:52 Uhr:   

Bei den beschriebenen Problemen (wobei sich gewiss darüber streiten liesse, ob es sich wirklich um Probleme handle) dreht es sich allerdings nicht um Fragen des Wahlrechts oder Wahlsystems, auch nicht um Sachen, die sich mittels Wahlen lösen liessen. Durch eine Wahl kann bspw. ein Parlament bestellt werden. Mancherorts können auch Regierungen, bestimmte Fachausschüsse oder einzelne Amtsträger gewählt werden. Man kann aber gewiss auch darüber geteilter Meinung sein, ob es sinnvoll sei, bspw. den Vorsteher eines Zivilstandsamtes vom Volk wählen zu lassen.
Damit will ich einmal verdeutlichen, dass eine Wahl eine sehr beschränkte Bedeutung hat. Eine Wahl ist kein Allheilmittel für politische Probleme. Nehmen wir als Beispiel einmal die Ereignisse in der Weimarer Republik. 1932 wurde drei Mal der Reichstag gewählt. Bei den beiden ersten Wahlen legten die erklärt systemfeindlichen Kräfte, die Kommunisten zur Linken (Rätesystem) und die NSDAP zur Rechten (diktatorisches System) kräftig zu, die Hauptträgerparteien der bisherigen Republik, SPD und Zentrum, verloren. Eine tragfähige parlamentarische Mehrheit konnte auch durch eine wiederholte dritte Wahl im November nicht erreicht werden. Hingegen verlor die NSDAP deutlich an Stimmen, zu Gunsten einer rechtsbürgerlichen Kraft.
Trotz dieses Einbruchs war die NSDAP knapp drei Monate nach dieser Wahl in der Regierung, zunächst mit zwei Ministern plus Kanzler. Bei der schon nicht mehr wirklich freien Neuwahl im März 1933 erreichte die NSDAP zwar wieder ein glänzendes Ergebnis, aber gleichwohl keine Mehrheit; genau genommen reichte es auch nicht für eine Mehrheit zusammen mit dem Koalitionspartei DNVP plus Splittergruppen (Stahlhelm u. ä. Zusammenschlüsse), eine (recht knappe) Mehrheit konnte nur dadurch erreicht werden, dass mittels eines Geschäftsordnungstricks die Mandate der Kommunisten für erloschen erklärt wurden.
Kurz gesagt: Wenn Wahlen in der deutschen Geschichte je für sich allein genommen entscheidend waren, dann doch wohl am ehesten die beiden Reichtagswahlen von November 1932 und März 1933. Beide Male hatte die Mehrheit der Stimmenden nicht die NSDAP gewählt - gleichwohl gelangte die NSDAP in die Regierung und schliesslich zur alleinigen Macht.
Man mag berechtigterweise einwenden, dass damals besondere Umstände herrschten und ausserdem auch nicht alles verfassungsmässig ablief. Gleichwohl soll das Beispiel zur Warnung dienen:
Durch Wahlen wird keine differenzierte Meinung ausgedrückt, durch Wahlen wird kein "Wählerauftrag" erteilt (auch wenn dies immer wieder so konstruiert wird), durch Wahlen werden oft nicht einmal politische Probleme gelöst, sondern erst verursacht. Durch Wahlen erreicht man bestenfalls ein getreues Abbild der politischen Kräfteverhältnisse innerhalb des Volkes. Wenn aber im Volk keine klare Mehrheit auszumachen ist, dann bringt auch eine Wahl keine Entscheidung.
Unter dem Aspekt der getreuen Abbildung betrachtet dürfte die letzte Bundestagswahl durchaus eine gute Wahl gewesen sein. Allerdings war bei einer derart gespaltenen Situation in der Bevölkerung auch nicht zu erwarten, dass durch die Neuwahl klare Mehrheiten geschaffen werden. In einer parlamentarischen Demokratie ist es nun aber eben gerade nicht der Sinn einer Wahl, Mehrheiten zu schaffen, sondern die Kräfteverhältnisse zu ermitteln und nachher im Parlament zu entscheiden, wie es politisch in der gegebenen Situation weitergehen soll.
Wollte man in eine Wahl mehr hineinlegen als die Ermittlung der aktuellen Kräfteverhältnisse und der Bestellung eines Parlamentes, dann müsste man in irgend einer Form die Möglichkeit schaffen, die Wählenden den Gewählten auch so etwas wie einen Auftrag mitzugeben, also eine Art gebundenes Mandat zu schaffen.
Andere Wege wären auch, die Wähler direkt zu bestimmten politischen Entscheidungen zu befragen, wobei verschiedene Formen denkbar sind, etwa nur Volksabstimmungen über prinzipielle Fragen, deren Ausführung Parlament und Regierung überlassen bliebe, oder aber nur Abstimmungen über konkrete Vorlagen, die Zulassung politischer Initiativen des Volkes oder eine stärkere Einflussnahme auf die personelle Zusammensetzung des Parlamentes, etwa durch eine ungebundene Wahlliste o. dgl.
Wenn man schliesslich argumentiert, dass die bestehenden Parteien keine wählbaren Optionen böten, dann bleibt einem immer noch unbenommen, selbst eine Partei zu gründen. Bei über 50% Nichtwähleranteil sollte es ja auch nicht schwierig werden, genügend Leute zu finden, die sich dabei beteiligen wollen. Der Aufstieg der Grünen beweist im übrigen, dass eine solche Neugründung durchaus möglich ist und Erfolg haben kann; auf Länderebene und darunter gab es ausserdem weitere Neugründungen, wenn auch meist kurzlebige. Gewiss erfordert ein solcher Anfang einen Effort und ist mit Aufwand verbunden; wer aber konstant klagt, die übrigen Parteien seien nicht wählbar, braucht sich aber nicht zu wundern, wenn ihm vorgehalten wird, man könne ja selbst eine wählbare Alternative gründen, denn immerhin sind ja politische Parteien unter dem gegenwärtigen politischen System jederzeit neu zu gründen.
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Ulla Niemann
Veröffentlicht am Montag, 14. August 2006 - 09:11 Uhr:   

Theoretisch ja. Parteien kann man neu gründen und man kann auch an Wahlen teilnehmen. Das kostet aber eine Menge Geld und der Erfolg ist einem bei hoher Politik/Parteienverdrossenheit keinesfalls sicher.

Kleines Beispiel: Bei der LT Wahl 2006 in Rheinland-Pfalz lag die Wahlbeteiligung bei grade mal 58,2 Prozent und das obwohl Grüne, FWG, WASG und die Rechten ein Protestpotenzial hätten auffangen können. Aber alle genannten Gruppierungen haben den Einzug ins Parlament nicht geschafft.

Was ich sagen will ist folgendes: Wenn sich die Menschen aus Unzufriedenheit weiter von der Politik entfernen, entfernen sie sich auch von potentiellen Protestparteien. Deshalb ist es wichtig, dass die etablierten Parteien die Bedenken der Wahlbevölkerung ernst nehmen, ihr Handeln verständlich machen und sich auch außerparlamentarische Kritik stellen.

Da aber die etablierten Parteien aufgrund des Verrechnungssystems auch bei sinkender Wahlbeteiligung nicht um ihre Pfründe fürchten müssen, sehen sie offenbar derweilen keinen Anlass dazu.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Montag, 14. August 2006 - 14:59 Uhr:   

Leider will es mir nicht gelingen, das Lamento richtig ernst zu nehmen: Wie gesagt, die Grünen haben den Aufstieg von der Neugründung bis zur mitregierenden Partei geschafft. Auf unterer Ebene gibt es ja noch mehr Beispiele dafür, zuletzt etwa die Schill-Partei in HH und andere.
Niemand hat gesagt, dass die Gründung einer Partei keinen Einsatz (persönlich und finanziell) verlange, aber wenn man mit den etablierten Parteien nicht zufrieden ist, dann darf doch immerhin noch soviel verlangt werden, dass man selbst eine Alternative vorschlägt, mit der man zufrieden sein kann. Andernfalls müsste man sich die Frage stellen lassen, was man denn eigentlich als Alternative erwarte: Vielfach höre ich (nicht allein, aber auch in diesem Forum) zwar den Vorwurf, dass die Politik alles schlecht mache, höre aber sehr unklare oder gar keine Antworten darauf, was man denn konkret besser oder jedenfalls anders machen müsse.
Im übrigen scheitern Parteien nicht an einer Hürde, die irgendwie vom Himmel fällt, sondern daran, dass zuwenige Leute sie gewählt haben. Wenn also die Wähler mit den etablierten Parteien unzufrieden sind, weshalb wählen sie dann nicht Grüne, FWG, WASG oder Rechte? Vielleicht weil ihnen diese Parteien auch nicht passen? Aber welche Partei passt ihnen denn dann? Wenn man das wüsste, könnte man eine solche Partei ja gründen.
Bleibt eine andere Alternative: Kann es sein, dass die Leute, die so klagen, im Grunde nicht mit den Parteien unzufrieden sind, sondern das politische System überhaupt ablehnen? Falls dem so sein sollte, stimme ich der Klage insofern zu, als innerhalb eines republikanisch-parlamentarischen Systems tatsächlich keine Möglichkeit vorgesehen ist, mittels Wahlentscheidung gegen dieses System zu stimmen. Das deutsche Grundgesetz sieht dagegen noch weitere Sicherungen vor: Parteien, die gegen das republikanisch-parlamentarische System stehen, sind an sich nicht zulässig und können verboten werden; eine Änderung des Grundgesetzes, das dieses System aufgäbe, ist unzulässig; schliesslich ist sogar die Selbsthilfe gegen solchen Umsturz erlaubt. Persönlich möchte ich beifügen, dass ich meinesteils eine solche Forderung nach Systemwechsel zu einem antiparlamentarischen System ebenfalls nicht unterstützen, sondern mit jedem legitimen Mittel bekämpfen würde.
Das deutsche Wahlrecht lässt aber noch eine weitere Alternative zu, nämlich die Kandidatur als Einzel- oder Minderheitenkandiat(in). Dies bedingt keine Parteineugründung, sondern nur die Einhaltung der Anmeldevorschriften, dürfte also insgesamt etwas einacher und günstiger sein als eine Parteigründung.
Schliesslich bleibt es immer auch noch möglich, einer Partei beizutreten und zu versuchen, innerhalb derselben Einfluss zu nehmen, um die Partei in die richtige Richtung zu bewegen.
Ferner steht einem auch die Möglichkeit offen, ausserparlamentarisch zu operieren, etwa über Publikationen, Mediendiskussionen, Petitionsrecht, in den Ländern, Kreisen, Gemeinden usw. teilweise auch mittels Volksbegehren, ferner mit Demonstrationen oder auch mit persönlichen Briefen an Abgeordnete usw. Es ist also falsch zu behaupten, es gäbe keine ausserparlamentarischen Möglichkeiten, auf die Politik Einfluss zu nehmen. Diese gibt es allerdings schon seit jeher, man müsste sich nur einmal zusammenreissen und selbst aktiv werden.
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Ulla Niemann
Veröffentlicht am Montag, 14. August 2006 - 17:51 Uhr:   

Lieber Philipp,

theoretisch haben Sie sicherlich recht. Ich befürchte allerdings, dass in dieser Diskussion die Theorie von der Realität überhohlt wurde.

Wie Sie sicherlich bereits aus dem Thread-eröffnenden Beitrag von mir entnommen haben, bin ich keinesfalls systemfeindlich eingestellt. Ich nutze auch die mir zur Verfügung stehenden Kritikmittel. Zum Beispiel bin ich selbst parteifreies Gemeinderatsmitglied, beteilige mich an Petitionen und habe für ein Bürgerbegehren Unterschriften gesammelt. Bei der Wahrnehmung solcher Alternativen werden aber auch deren Grenzen deutlich und ich frage mich hin und wieder (vorallem im Gemeinderat) ob man nicht nur als Marionette der oberen Gremien mitspielen darf, da der Handlungsspielraum durch Gesetzte, Verordnungen und Pflichtaufgaben doch extrem gering ausfällt.

Allerdings müssen Sie und ich uns auch eingestehen, dass nicht jeder diese Möglichkeiten im gleichen Maße nutzen kann wie wir.
Als Akademiker ist man informiert über Petitionsrecht, das Recht sich zu Ausschüssen nominieren zu lassen, Wahlvorschläge einzureichen und weiteres. Das Problem ist nur, der Anteil der Akademiker unter den Nichtwählern ist ziemlich gering.

Will man nun versuchen die Nichtwähler mit den herrkömmlichen Mitteln der Wahl zu Wählern zumachen, rollt man den Stein zwar den Berg hinauf, er wird jedoch von selbst wieder runter kommen.

Eine Motivation der Nichtwähler denke ist, ist nur dann möglich, wenn diese nicht mehr denken "die da oben machen ohnehin was sie wollen", sondern wenn durch eine gewisse Rückbindung eine Art ideele Verbindung entstünde. Dazu ist es nicht notwendig und meiner Meinung nach auch nicht sinnvoll ein imparatives Mandat einzuführen. Einfacher wäre es, die Politiker wieder näher an die Lebenswelten der Bürger heranzuführen. Zum Beispiel durch eine Anpassung der Diäten,oder eine Rentenregelung die den selben Bedingungen unterliegt, wie die anderer.

Ich denke nicht, dass alles in der Politik falsch läuft. Ich denke nur, es könnte durch eine Stärkere Rückbindung besser laufen.

Dazu wäre sicher eine Gewichtung der Nichtwähler von Nutzen.

Wie diese aussehen könnte, hatte ich hier zur Diskussion gestellt. Von einer Demontage des Staates war zumindest von meiner Seite nie die Rede.

Nichts für Ungut,

Ulla
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Montag, 14. August 2006 - 18:23 Uhr:   

Ich denke nicht, dass es hilft, Nichtwähler dadurch zu belohnen, dass ihre fehlenden Stimmen eine Auswirkung haben. Die Parteien wird es wenig stören, und sie werden einfach so weitermachen wie bisher.

Im Gegensatz sollten potentielle Wähler dadurch belohnt werden, dass sie spezifische Kandidaten unterstützen können, die dann auch gewählt werden - so entstünde eine Rückbindung.
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Alfred Mayer
Veröffentlicht am Montag, 14. August 2006 - 18:42 Uhr:   

Lieber Herr Wälchli. Leider ist nicht möglich, mit Aussicht auf ein Ergebnis auf Ihre frommen Ansichten zu antworten.
Treten Sie doch einer etablierten Partei bei und versuchen Sie, dort als Einzelkämpfer auch nur ein einziges Anliegen durchzusetzen !
Daß man als Einzelkandidat zur Wahl zugelassen werden könnte, trifft allenfalls für Kommunalwahlen zu, wenn Sie wissen was das ist.
Wir haben einen modernen Feudalstaat. Die bestehenden Parteien haben Bestandsschutz durch die 5%Klausel. Die Grünen, die eine nicht zu überbietende Medienaufmerksamkeit hatten und haben, haben nach 20 Jahren immer noch geschafft, in allen Parlamenten vertreten zu sein. Ihr Beispiel Schillpartei ist zum Totlachen. Das war eine Eintagsfliege.
So lange eine Partei von der 5%Klausel bedroht ist, wird sie nicht mal von allen ihren Anhängern gewählt, weil sie den Verlust ihrer Stimme und damit ihrer Mitwirkungsmöglichkeit bei der Wahl der sonstigen Parteien befürchten müssen. Statt aussichtlos eine Umweltpartei oder besonders sozial engagierte Partei zu wählen, vrsuche ich halt lieber, unter den verbleibenden Übeln das geringste zu fördern.
Ein guter, in einer echten Demokratie zwingender Ausweg wäre das Alternativstimmen-Wahlrecht. Vgl. an anderem Ort dieses Forums:
http://www.wahlrecht.de/forum/messages/172/2548.html?1155212634
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Montag, 14. August 2006 - 19:00 Uhr:   

Also, warum denn so giftig? Jede Wette, daß alle Parteien, die derzeit nicht im BT sind, es auch bei Alternativstimmengebung nicht wären. Die Grünen waren übrigens auch mal unter 5%.

Wenn man einer kleinen Minderheit angehört, wie es mir als Liberalen ja auch ergeht, kann man dafür nicht das Wahlrecht verantwortlich machen.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Montag, 14. August 2006 - 23:45 Uhr:   

Auf An- bzw. Ausfälle, die sich allein schon durch ihren Tonfall selbst abqualifizieren, will ich nicht eingehen.
Ich halte nur folgendes fest:
Die Argumentation beginnt sich im Kreis zu drehen. Das Grundproblem der ganzen Debatte ist nämlich folgendes: Wir sollen die Nichtwähler berücksichtigen. Nur - wie soll man etwas berücksichtigen, worüber man im Grunde nichts weiss? Antwort kann eigentlich nur sein: gar nicht.
Ich gehöre zu den seltenen Leuten, die keinen Kaffee trinken. Der Grund dafür ist der, dass mich Kaffeegeruch seit jeher schon gegen den Wind angewidert hat. Nun kann es tatsächlich vorkommen, dass ein Meinungsforschungsinstitut meine Meinung über Kaffeegeschmack erfahren will. Nur ist das etwa so sinnvoll wie Eis nach Grönland zu tragen. Meine Antwort auf die Frage nach dem Geschmack jeglicher Kaffeemischung wird nämlich uniform ausfallen, dass sie überaus widerlich schmeckt.
Nun haben wir unterdessen allerdings schon einige verschiedene Deutungen der Wahlabstinenz gehört, etwa
- Überforderung,
- keine wählbare Alternative,
- Unzufriedenheit mit der Politik überhaupt,
- Unzufriedenheit mit den Politikern
usw.
Daneben wären aber auch andere Gründe denkbar, z. B. schlicht Desinteresse.
Wie immer dem nun auch sei:
Fest steht, dass wir es nicht wirklich wissen. Wer wählt, äussert eine Meinung. Wer nicht wählt, äussert eben gerade keine Meinung. Vielleicht hat er eine, aber bringt sie nicht zum Ausdruck.
Berücksichtigen können wir aber stets nur Meinungen, die wir kennen. Daher sehe ich nach wie vor keinen Sinn darin, Nichtwähler berücksichtigen (wie denn?) zu sollen.
Mag sein, dass sie oder wenigstens ein Teil von ihnen gleichwohl eine Meinung haben. Wenn ja, dann sind aber Wahlen kein geeignetes Instrument, diese zu erfahren. Also können wir uns ggf. Gedanken machen, welche andern Instrumente etwa geeignet wären. Einige habe ich bereits erwähnt, etwa Volksrechte, Petitionen, Demonstrationen usw.
Jeglicher Vorschlag dieser Art wurde aber bisher abgeschmettert als untauglich oder "theoretisch".
Dann heisst dies aber, dass es schlicht KEIN Mittel gibt, die Meinung der Nichtwähler zu erfahren. DANN gibt es aber auch keine Möglichkeit, diese nicht bekannte Meinung zu berücksichtigen.
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Ulla Niemann
Veröffentlicht am Dienstag, 15. August 2006 - 08:28 Uhr:   

Nicht schlecht, wir nähren uns meiner Ausgangsfrage. Wenn ich den Thread richtig resümiere (wenn nicht, bitte ich um Verbesserung), dann sind wir uns in etwa einig über folgende Punkte:

a) es gibt Nichtwähler
b) ihr Anteil steigt
c) wir wissen nicht genau, wer sie sind (ein wenig Licht ins Dunkel bringen da Falter/Schoen: Handbuch empirische Wahlforschung)
d) sie fallen aus der Repräsentation raus und haben daher keinen Einfluss auf das Wahlergebnis oder die Politik.

Nicht geeiningt haben wir uns darüber, ob Nichtwähler überhaupt berücksichtig werden sollen/wollen.

Wenn ja gibt es die Möglichkeit der zu Beginn angesprochenen Verrechnung (mit den erklärten Problemen) oder die einer (optimierten) automatischen Methode.

Wenn nein, ist die Diskussion überflüssig.

Ich kann mit dem Ergebnis leben, auch wenn ich mir kreativere Gedankenspiel für Verrechnungsmodi gewünscht hätte.

Vielen Dank Philipp u.a., dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir darüber nachzudenken.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Dienstag, 15. August 2006 - 09:57 Uhr:   

Nun muss ich doch noch einmal etwas klarstellen, auch auf die Gefahr hin, wieder einmal als böser Mensch dazustehen:
Es ist klar, dass es Nichtwähler gibt. Eine Wahlbeteiligung ALLER Wähler ohne Ausnahme gibt es vielleicht einmal in einer Kleinstgemeinde, aber sonst nicht.
Hingegen ist noch nicht einmal wirklich erwiesen, dass die Nichtwählerquote dauerhaft ansteigt. Aus andern Ländern wissen wir bspw., dass häufige Wahlen in Folge die Beteiligung eher sinken lassen. Wenn etwa in Frankreich nationale, regionale und kommunale Wahlen ins selbe Jahr fallen (was auch schon vorkam), dann nimmt in der Regel die Beteiligung von der ersten bis zur letzten Wahl stetig ab. Die Länder, die insgesamt wohl die grösste Einflussmöglichkeit des Bürgers auf die Politik einräumen, nämlich neben Parlamentswahlen auch Regierungswahlen, Beamtenwahlen, teilweise Volksabstimmungen usw., liegen die Wahlbeteiligungen sogar regelmässig unter 50%. Offenbar wird dies aber in den betreffenden Ländern nicht wirklich als Problem empfunden.
Es stimmt auch nicht, dass wir nicht wissen, wer nicht wählt. Durch einen Abgleich der Listen der Wahllokale über die Wähler mit den Listen der Wahlberechtigten lassen sich die Nichtwähler einwandfrei identifizieren.
Die entscheidende Frage ist vielmehr die, was diese Nichtwähler denn eigentlich politisch wollen. Die Antwort auf diese Frage kennen wir nicht.

Erst wenn wir die Frage in dieser Form stellen, kommt die ganze Scheinheiligkeit der Debatte ans Licht: Sollen wir also eine Nicht-Meinungsäusserung "verrechnen"?
Natürlich können wir ein System einführen, bei dem die Parlamentsgrösse von der Wahlbeteiligung abhängt. Die Frage ist bloss die: Was wird damit repräsentiert? Was wird damit politisch gewonnen? Ist es, mit andern Worten, sinnvoll, Nichtwähler auf diese Weise "berücksichtigen" zu wollen?
Es wurde von anderen Diskussionsteilnehmern schon darauf hingewiesen, dass eine solche Kürzung der Sitzzahl auch Effekte haben kann, die den Intentionen ihrer Urheber zuwiderlaufen. Meinerseits muss ich wiederum darauf hinweisen, dass bei einer Kürzung der Sitzzahlen unter gewisse Minima auch die Funktionsfähigkeit der Parlamente in Frage gestellt wird, damit letztlich die politische Steuerung des Staates überhaupt. Übrigens würde dies die Regierungen nicht tangieren, da diese ja indirekt bestellt werden. Wenn man den Parteien unterstellt, nur so etwas wie Versorgungsstellen in Mandaten zu sehen, dann muss man davon ausgehen, dass sie einfach die Parlamentsverwaltungen aufblähen würden, mit dem Hinweis auf (dannzumal durchaus echte) Überlastung der Parlamentarier, sprich: 50 Abgeordnete beschäftigen dann einfach 300 Parlamentsangestellte, die ihnen den Papierkram abnehmen sollen; weitere 100 werden parlamentarische Staatssekretäre, der Rest der nicht Versorgten wird dann noch auf Regierungsposten geschoben.

Es ist einfach unmöglich, eine Nicht-Meinungsäusserung in eine Meinungsäusserung umzuwandeln. Das ist letztlich kein politisches Problem, sondern ein schlichtes logisches, genauer gesagt eigentlich kein Problem, sondern eben logisch unmöglich. Die Kürzung der Sitzzahlen nach dem Nichtwähleranteil wäre daher bloss eine Scheinlösung.
Wenn man die Nichtwähler politisch berücksichtigen will (die Frage bleibt bestehen, ob man dies will bzw. soll), dann kommt man nicht darum herum, sich Gedanken darüber zu machen, wie man ihre politische Meinungsäusserung erhalten kann. Entsprechende Anregungen meinerseits wurden bisher immer (und teilweise in rüdem Ton) abgeschmettert.
Natürlich kann man den Nichtwählern auch einfach eine Meinung zuschreiben; dies bliebe aber eine reine Unterstellung und diente als solche bloss der politischen Manipulation.
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Alfred Mayer
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. August 2006 - 23:51 Uhr:   

Sehr geehrter Herr Wälchli
Ihrer Äußerung vom 15.8. kann ich nur zustimmen.
Ich finde überhaupt nicht schlimm, wenn jemand nicht zur Wahl geht. Bei allen Wahlberechtigten, die sich verständlicherweise nicht laufend über die Politik informieren wollen, haben ja auch keine echte Wahlmöglichkeit. Wie sollen sie erkennen, wer ihre Interessen gut vertritt ? Ich finde sehr vernünftig, das Wählen den politisch Informierten zu überlassen.
Selbstverständlich will ich damit das allgemeine Wahlrecht nicht antasten.
Also bedeutet "Nichtwählen" nicht zwangsläufig Unzufriedenheit.
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Richard Seyfried
Veröffentlicht am Mittwoch, 09. Mai 2007 - 23:23 Uhr:   

Der Aussage von Alfred Mayer u.a., dass Nichtwählen nicht zwangsläufig Unzufriedenheit signalisiert, stimme ich vollinhaltlich zu. In einem Land mit zwei Parteien wird ein Wähler selbstverständlich eher wählen, wenn er eine Partei mit der Schulnote 4 und eine andere mit der Schulnote 6 beurteilen würde, als wenn er beide etwa mit zwei bewerten würde. Wahlbeteiligung hängt von der Unterscheidbarkeit und nicht von der Qualität der Politik ab.
Wenn man mit allen Parteien unzufrieden ist, kann das durch Nichtwählen also nicht sinnvoll ausdrücken. Will man den Wählern die Möglichkeit geben, ihre generelle Unzufriedenheit auszudrücken, um damit etwas zu bewirken, greift tatsächlich nur der Vorschlag von Ulla, ein leeres Kästchen "Keine Partei" zu schaffen. Das könnte auch durchaus sinnvoll sein, sei es, um etablierte Parteifunktionäre zu engagierter Arbeit zu "motivieren", oder aber um zu verhindern, dass diffuser Protest radikalen Parteien zugute kommt.

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