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Bundestagswahlrecht: Petition

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Baldini2010 (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. Dezember 2005 - 18:15 Uhr:   

Mich würde interessieren, ob die Betreiber und Besucher der Netzseite es für u.U. sinnvoll halten, zu folgendem Sachverhalt eine Petition an den BT zu richten.

Dass die Problematik des negativen Stimmgewichts bis 2009 beseitigt sein muss, ist unter den MdB jetzt hoffentlich endlich Konsens - auch mit Blick auf die Wahlfarce im Wahlkreis Dresden I. Bei einer Beibehaltung der Struktur des gegenwärtigen Systems dürfte sich die Verrechnung interner Überhangmandate als die praktisch einzige Möglichkeit herausstellen. Für die Landesverbände der Parteien kann dies aber keine zufriedenstellende Lösung sein, da die aus Überhangmandaten resultirende ohnehin bereits bestehende Verzerrung des Länderproporzes nochmals deutlich verschärft würde.
Die Einführung von Bundeslisten kann dieses Problem selbstverständlich nicht beseitigen. Die Proporzverzerrung zugunsten der Landesverbände mit einer im Verhältnis zur Zweitstimmenanzahl übermäßig hohen Anzahl an Direktmandaten und zulasten der übrigen Landesverbände bliebe erhalten. Bundeslisten machen auch deswegen keinen Sinn, weil sie den Prozess der Kandidatenaufstellung schlichtweg erschweren - ohne dass Bundeslisten im Vergleich zu verbundenen Landeslisten mit Verrechnung interner Überhänge etwaige Vorteile verschaffen. Zunächst müssten sich die Landesverbände darauf verständigen, welcher Landesverband welchen Listenplatz besetzt. Danach würden die Kandidaten in den Landesverbänden genauso für die Besetzung der vorgesehenen Bundeslistenplätze gewählt wie gegenwärtig für die Besetzung der Landeslisten. Um einigermaßen Gerechtigkeit zwischen den Landesverbänden herzustellen, müssten diese im Vorfeld der Wahl über die Stärkeverhältnisse zwischen den Ländern diskutieren, über die bekanntlich allein vom Wähler am Wahltag entschieden wird.
Eine weitere Möglichkeit besteht in einer Nichtzuteilung interner Überhangmandate, die die gegenwärtige Form der Personalisierung des Verhältniswahlrechts vollends ad absurdum führen würde.
Bei Beibehaltung der Grundstrukturen des gegenwärtigen Systems bliebe dann noch die Vergabe EXTERNER Überhangmandate als theoretischer aber praktisch nicht umsetzbarer Ausweg. Wenn auch nur ein einziger Landesverband 1,5-mal so viele Direktmandate erringt, wie Proporzmandate auf ihn entfallen (was sehr realistisch ist), würde sich der BT von 598 auf ca. 900 Mitglieder vergrößern.

Wenn man aber auch nicht zu einem Verhältniswahlrecht ohne jegliche Entscheidungsmöglichkeit des Wählers über die personelle Zusammensetzung des BT übergehen will, verbleibt nur noch die Einführung eines Systems mit übertragbarer Einzelstimmgebung (STV) als wirklich saubere Lösung. Hierauf soll sich meine Petition beziehen.
Es versteht sich von selbst, dass es keinen Sinn macht, den Wählern in NRW die Möglichkeit zu verschaffen, womöglich 100 Kandidaten nach ihren Präferenzen durchzunummerieren. Daher sollte das Wahlsystem folgende Struktur haben:

Das Bundesgebiet wird in Wahlkreise unterteilt. Die Anzahl könnte z.B. bei 50 liegen. Die Landesgrenzen sind einzuhalten. Der Wähler hat eine Stimme für eine Wahlkreisliste. Daneben hat er die Möglichkeit, die Kandidaten, der von ihm gewählten Wahlkreisliste nach seinen Präferenzen durchzunummerieren. Die Wahlkreislisten einer Partei in einem Bundesland bilden einen Listenverbund. Die Listenverbünde einer Partei sind verbunden.
Vergabe der Mandate: Einer Partei werden idealerweise unter Verwendung des Sainte-Lague/Schepers-Verfahrens nach ihrem bundesweiten Listenstimmenanteil Mandate zugeteilt. Die Anzahl der Mandate wird in einem zweiten Schritt auf die Listenverbünde (unter)verteilt. Die Anzahl der Mandate eines Listenverbundes wird auf die Wahlkreislisten (unter)verteilt. Zum Zuge kommen diejenigen Wahlkreiskandidaten, die im Rahmen der übertragbaren Einzelstimmgebung die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Der Gesetzgeber müsste noch entscheiden, ob ein Verzicht auf den Gebrauch der Möglichkeit der übertragbaren Einzelstimmgebung als Zustimmung zur Listenreihenfolge gewertet wird, oder ob allein jene Wähler, die von dem System Gebrauch machen, über die Kandidatenfrage entscheiden sollen.

Durch den Zusammenschluss der Wahlkreislisten einer Partei in einem Bundesland zu einem Listenverbund, wird der Länderproporz ideal erfüllt. Die Wahlkreisgrößen sind insofern von eher untergeordneter Bedeutung, dass große Unterschiede nicht zu Verzerrungen führen können. Ein Argument gegen deutlich unterschiedliche Wahlkreisgrößen kann das Ziel bilden, den Wählern nicht allzu unerschiedliche starke Partizipationsmöglichkeiten bzgl. der peronellen Zusammensetzung des BT zu verschaffen.
Bei kleinen Parteien kann es jedoch zu Kandidatenproblemen kommen. Sind die Wahlkreise nicht groß genug, könnte es für einen für seine Partei wichtigen Kandidaten unabhängig von den Kandidatenpräferenzen der Parteianhänger im entsprechenden Wahlkreis schwierig werden, ein Mandat zu erhalten, da die Wahlkreislistenstimmen schlichtweg nicht ausreichend sind. Daher sollte es einer Partei erlaubt sein, für benachbarte Wahlkreise eine gemeinsame Liste aufzustellen - mit einer Beschränkung der Kandidatenanzahl nach oben. Es könnte auch darüber nachgedacht werden, im Rahmen einer Kandidatenmindestanzahl kleine Parteien faktisch zur Aufstellung einer gemeinsamen Liste für benachbarte Wahlkreise zu zwingen.
Es sei nebenbei darauf hingewiesen, dass o.g. Kandidatenproblem bereits im gegenwärtigen System vorkommt. Ein in Bremen kandidierender Spitzenpolitiker der FDP hat faktisch keine Chance auf ein Bundestagsmandat.
Ein letzter Punkt: Es müsste darüber diskutiert werden, ob ein Ersatz für die im gegenwärtigen System bestehende Grundmandatsklausel durch eine andere Alternativklausel geschaffen werden soll, um einer Partei wie die CSU auch bei katastrphalem Abschneiden den Einzug in den BT zu sichern. Folgendes wäre denkbar: Eine Partei, die nicht mindestens 5% der abgegebenen gültigen Wahlkreislistenstimmen auf sich vereinigt, benötigt in 1 Wahlkreis mindestens 50% oder in 3 Wahlkreisen mindestens 40% der abgegebenen gültigen Listenstimmen.

Dies wäre ein personalisiertes Verhältniswahlrecht, welches diese Bezeichnung auch wirklich verdient. Das Argument, manche Wähler könnten mit diesem System überfordet werden, ist nicht ansatzweise haltbar. WIRKLICH kompliziert sind aufgrund ihrer enormen Unausgegorenheit die neuen Kommunalwahlsysteme einiger Bundesländer, die ihren Bürgern die angebliche Genialität des neuen "modernen" Kommunalwahlrechts vorgaukeln. Nicht auszudenken, was aber alles beachtet werden muss: Verschenken von Stimmen an einen populären Kandidaten, die dieser gar nicht braucht, Verschenken von Stimmen an einen aussichtslosen Kandidaten, Listenmanipulationen etc. etc. etc.
Natürlich bin ich realistisch und weiß, dass ein einzelner Normalbürger faktisch kaum eine Chance hat, über eine Petition etwas zu bewegen. Die Volksverdrossenheit unter den politischen Eliten ist einfach zu stark, als dass man bereit ist, ernsthaft über Vorschläge aus dem gemeinen Volk nachzudenken. Unterbreitet hingegen ein bekannter Professor einen viel weniger guten Vorschlag, wird auf breiter Front in den politischen Gremien und den Medien darüber diskutiert. Wenn man kein bekannter Wissenschaftler ist, wird man nicht richtig ernst genommen, und sei der Vorschlag noch so gut.

Trotzalledem würden mich eure Bewertungen interessieren.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. Dezember 2005 - 20:36 Uhr:   

Eine deutliche Verschärfung stellt eine interne Verrechnung allerdings nicht da, die Verzerrung durch die Überhangmandate selbst liegt eine Ordnung darüber. Also wenn die Saar-SPD vier statt drei Sitze hat, ist das eine Verzerrung von 33%. Wenn bei allen SPD-Landesverbänden die Überhangmandate abgerechnet werden, liegt man bei rund 5% Verzerrung.

Zum Wahlsystemvorschlag: Erstmal ist zu begrüßen, daß man nur noch eine (übertragbare) Stimme hat (oder les ich Listen- und Wahlkreisstimme. Nur eine Stimme. Mehr braucht man nicht).


Zweitens gemeinsame Liste für mehrere Wahlkreise macht für kleine Parteien auch Sinn. Die sinnvolle Wahlkreisgröße hängt nämlich von der der Größe der jeweiligen Partei ab.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. Dezember 2005 - 20:59 Uhr:   

@Baldini:

Allein, um negative Stimmgewichte zu vermeiden, auf ein STV-System zu wechseln, halte ich für übertrieben. Wenn man im übrigen die Grundstruktur des geltenden Wahlsystem für gut befindet, dann wäre die listenverbindungsinterne Verrechnung der Überhangmandate die beste Möglichkeit. Das Problem der zusätzlichen Verzerrung des Länderproporzes ist m.E. vernachlässigbar.

Ansonsten habe ich aber durchaus Sympathien für STV und halte es auch den hierzulande üblichen Verfahren mit Kumulieren & Panaschieren überlegen (u.a. aus den von dir genannten Gründen). Nicht so gut gefällt mir an deinem Vorschlag, daß man nicht "Panaschieren" kann. Durch diese Beschränkung wird ein erheblicher Teil des Potentials von STV verschenkt. Die zusätzliche Listenstimme könnte man trotzdem beibehalten, aber nur zur (bundesweiten) Restverwertung der per STV nicht verbrauchten Stimmenbruchteile (was zugegebenermaßen recht kompliziert wäre). Dann sollte natürlich die Listenstimme nicht durch Ankreuzen, sondern ebenfalls durch Numerieren vergeben werden, so daß sie auch verwertet werden kann, wenn die erstpräferierte Partei an der Sperrklausel scheitert.

Eine Petition für ein solches Verfahren halte ich dennoch nicht für sinnvoll. Bevor man STV für Parlamentswahlen (und andere Mehrpersonenwahlen) propagiert, sollte es erstmal bei Bürgermeisterwahlen und ähnlichem etabliert werden, wo derzeit völlig sinnloser Weise in zwei Wahlgängen gewählt wird, was unnötige Kosten und Verzerrungen verursacht. Erst wenn sich die Leute an diese einfache Form einer übertragbaren Stimmgebung gewöhnt haben, kann man sich an kompliziertere Sachen heranwagen.

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