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Kommt ein mehrheitsbildendes Wahlrech...

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richards
Veröffentlicht am Montag, 19. September 2005 - 00:02 Uhr:   

Die Wahl ist geschlagen und das Bilden von Mehrheiten wird noch schwerer als bisher in der zeit der "Bundesratsblockade". Dreierkoalitionen sind aus meiner Sicht generell extrem schwierig und die großen 2 können sich noch nicht mal auf einen Kanzler / eine Kanzlerin einigen. Da wächst für die großen Parteien die Verlockung, Neuwahlen mit geändertem Wahlrecht herbeizuführen. Die Mehrheit, um das zu beschließen hätten sie. Für mich stellen sich drei Fragen:

1. Glaubt ihr, dass es zu zu einer solchen "mehrheitsbildenden" Wahlrechtsreform kommt?
2. Haltet ihr das für gut?
3. Wenn ja, welches Modell würdet ihr vorschlagen?

Für mich bieten sich einige Möglichkeiten an.

Die "technisch einfachste" ist wohl die, die bisherigen Einerwahlkreise beizubehalten und gleichzeitig ein GRABENWAHLSYSTEM einzuführen, bei dem nur mehr die übrigen 299 Sitze. Das würde dazu führen, dass sich die Stimmanteile der kleineren Parteien etwa halbieren.
Der Haken dabei ist der, dass das möglicherweise immer noch nicht dazu führt, dass sich mehr Zweierkoalitionen ausgehen. Dafür ist die massive Benachteiligung der kleineren Parteien schwer zu rechtfertigen.

Alternativ dazu fallen mir natürlich Modelle ein, die unabhängig von Wahlkreisen mehrheitsbildend wirken:
Dafür ist es meiner Meinung notwendig, dass der Wähler zusätlich zu seiner Erstpräferenz zumindest über ein "alternative vote" verfügt.
Ein selbst entwickeltes Modell möchte ich in den Grundzügen vorstellen:

Zunächst erhalten alle Parteien, die die Sperrklausel überwinden etwa 500 Mandate nach dem Verhältniswahlrecht zugeordnet (0,2% = 1 Mandat). Zusätzlich kommt es zu einer "Stichwahl" zwischen den beiden stimmenstärksten Parteien, bei der die Stimmen für die kleineren Parteien nach der Zweitpräferenz beziehungsweise Drittpräferenz an die großen Parteien zugeteilt werden.

Die Partei, die nach diesem Verfahren die Mehrheit der Stimmen erhält, erhält für ALLE diese Stimmen Mandate zugeordnet. Es ergeben sich zusätzliche Mandate, die die Mehrheitsbildung erleichtern. Das lässt sich am Beispiel der Ergebnisse der derzeitigen Bundestagswahl zeigen.

Beispiel:
------------------------------Variante 1----------Variante 2
----- --1.Wahl-Sitze-----"Stichwahl"-Sitze----"Stichwahl"-Sitze
Union --35,2%---176------50%-------250------48%------176
SPD ---34,2%---171------48%-------171------50%------250
FDP ---10%------50------------------50------------------50
Grüne --8%------40------------------40------------------40
Linke - -8,6%-- --43-------- ---------43------------------43
nicht zuordenbar----------2%------------------2%
Gesamt -----------------------------554-----------------559

Gewinnt in diesem Beispiel die Union aufgrund der Zweit- und Drittpräferenzen die "Stichwahl" (Variante 1), so erhält sie im Beispiel 84 zusätzliche Mandate. Sie kann mit der FDP eine Koalition bilden:
250 Mandate + 50 Mandate = 300 von 554 Sitzen (absolute Mehrheit)

Gewinnt die SPD die Stichwahl (Variante 2), so hat sie die Möglichkeit, gemeinsam mit den Grünen zu regieren:
250 Mandate + 40 Mandate = 290 von 559 Sitzen (absolute Mehrheit)

Bleibt noch ein Problem: Die zersplitterte Union müsste im gesamten Bundesgebiet als Einheit antreten, um überall von Stimmen der Zweitpräferenz profitieren zu können. Alternativ könnten Listengemeinschaften im Wahlrecht erlaubt und vorgesehen werden, wenn verschiedene Listen nicht in einem Wahlkreis gegeneinander antreten.

Schreibt mir bitte eure Meinung zu diesem Modell. Mir gefällt das Gedankenspiel im Moment recht gut und ich seh keine Schwächen, die sich nicht lösen ließen.
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El Tres
Veröffentlicht am Montag, 19. September 2005 - 00:36 Uhr:   

Du gehst davon aus, daß es zwei Lager gibt. Aber eines hat der heutige Tag doch gezeigt: Die zwei Lager gibt es nicht mehr! Deswegen halte ich das Modell für Unsinn.
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richards
Veröffentlicht am Montag, 19. September 2005 - 15:03 Uhr:   

@el Tres

Auch wenn es 3 oder sonst wie viele Lager gibt, braucht es irgendwen der regiert. Dann sind zwar dann meine Beispielszahlen nicht richtig, aber darum geht´s ja nicht. Die dienen lediglich der Veranschaulichung des Prinzips. Für die Funktionsfähigkeit des Modells an sich ist die Zahl der Lager aber im Wesentlichen egal.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Montag, 19. September 2005 - 22:45 Uhr:   

Ich halte die Theorie für bedenkenswert. Es wird in Gesamtdeutschland wohl auf absehbare Zeit schwierig sein, aufgrund der Existenz der Linkspartei und - langfristig - eventuell einer rechtsextremen Partei - eine Mehrheit eines der bisherigen beiden "Lager" rot-grün bzw. schwarz-gelb zu erhalten. Bereits das Aufkommen der Grünen schwächte die FDP insofern, als sie nicht mehr alleine "Zünglein an der Waage" war, wenn keine Partei die absolute Mehrheit erringen würde, insfoern war bereits seit 1983 vorstellbar, dass die FDP irgendwann einmal in die Opposition gehen müsste. Trotz ihres überragenden Wahlergebnisses ist nicht abzusehen, dass sie da wieder herauskommt, es sei denn, es gäbe eine Realisierungschance für eine Ampel oder Jamaica-Koalition, also SPD, Grüne, FDP oder Union, FDP, Grüne. Beides sehe ich - auch mittelfristig - nicht. Insofern könnte eine große Koalition - ohne Merkel und Schröder - geschlossen werden, die zwei Aufgaben angeht: Föderalismusreform (vor allem Veränderung des sogenannten "Exekutivföderalismus und Einschränkung der Machtbefugnisse des Bundesrates bei gleichzeitiger Ausweitung eigener Rechte der Bundesländer und Abgrenzung der Aufgaben Bund-Länder) und Wahlrechtsreform in Richtung auf ein - wie auch immer geartetes - relatives oder absolutes Mehrheitswahlrecht samt Varianten (romanisches Wahlrecht etc.). Dies hielte ich für möglich, da dann absehbar nur Union und FDP im Bundestag vertreten wären. Außerdem ist das personalisierte Wahlrecht, welches wir haben, zum Teil kompliziert und nicht optimal, wie ja gerade diese Wahlrechtsseite zeigt (wenn man an die taktischen Ratschläge Dresden, negatives Stimmgewicht, Überhangmandate). Insofern halte ich diese Variante für gangbar. Denn sonst wird es vermutlich langfristig entweder große Koalitionen geben oder langfristig doch rot-rot-grün. Sollte dann langfristig auch noch die NPD ins Parlament kommen, sind rechnerisch nur noch große Koalitionen zur Mehrheitsbildung möglich. Seit 1983 kommen immer mehr Parteien ins Parlament, was ein Indikator für wachsende gesellschaftliche Spannungen im Zeitalter der Globalisierung ist. Insofern glaube ich, dass die Reform des Wahlrechts neben der des Föderalismus in der Tat jetzt angegangen werden könnte.
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El Tres
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 21:14 Uhr:   

Ob ein Mehrheitswahlrecht wirklich das richtige Zeichen wäre? Wenn die beiden großen beschließen, jetzt, wo sie nur noch 70% der Wählerstimmen haben, sich doch wieder 95% der Sitze unter den Nagel zu krallen, dann wird das die Politikverdrossenheit noch mehr steigern. Dann wären zwar die Grünen und die FDP weg, aber PDS und NPD wären sicher schnell mit großen Fraktionen dabei - und es bräuchte vielleicht trotzdem die große Koalition!
Und nur mal so nebenbei ein Blick auf die gewonnenen Wahlkreise diesmal:
CDU/CSU 149
RotRotGrün 149
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Kai
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 23:07 Uhr:   

Hallo Zusammen! Seit in Hamburg der Volksentscheid für ein neues Wahlrecht anstand, setze ich mich auch ein wenig mehr mit dieser Thematik auseinander. Dennoch würde ich mich in Sachen Wahlsysteme noch als Laie bezeichnen.

Einige Fragen tauchen bei mir jedoch immer wieder auf, die mir noch nie wirklich nachvollziehbar beantwortet wurden.

Meine Grundüberlegungen in Sachen Wahlsystem gehen immer davon aus, dass es um eine Entscheidung des Souveräns geht. Die Parteien sind für mich nur sekundär in ihrer grundgesetzlichen Rolle (Mitwirkung bei der politisches Willensbildung des Volkes) relevant.

Da wäre z.B. die Frage der Wahlberechtigung. Mir verschließt es sich immer noch, weshalb Deutsche mit Wohnsitz im Ausland (mit Ausnahme der dienstlich "Abwesenden") bei Wahlen zum Deutschen Bundestag wahlberechtigt sind. Aus meiner Sicht sollte nur der mit entschieden dürfen, der auch unmittelbar betroffen ist, sofern er das Wahlrecht dem Grunde nach besitzt.

Und da ist die immer wieder aufkommende Frage, warum ein Wahlsystem so "umständlich" sein muss. Mein eher prakmatischer Ansatz geht z.B. davon aus, dass die Anzahl der Sitze des Parlaments ein Fixum ist. Für den Deutschen Bundestag also immer 598.
Da die Bundesrepublik ein föderaler Staat ist, erscheint es mir als das Einfachste, die vorhandenen Sitze entsprechend der wahlberechtigten Bevölkerung den einzelnen Bundesländer zuzuordnen. Die aktuelle Zahl der Wahlberechtigten kann jeweils aktuell mit Abschluß der Wählerverzeichnisse ermittelt werden.

Bezogen auf die Wahl vom 18.09.05 ergebe dies folgende Sitzverteilung für die Länder.
Berlin 24, Brandenburg 21, Baden-Württemberg 73, Bayern 89, Bremen 5, Hessen 42, Hamburg 12, Mecklenburg-Vorpommern 14, Niedersachen 59, Nordrhein-Westfalen 129, Rheinland-Pfalz 30, Schleswig-Holstein 21, Saarland 8, Sachsen 32, Sachsen-Anhalt 20, Thüringen 19.

Die Wahlkreisaufteilung ergibt sich jeweils aus den Wahlberechtigten der letzten Wahl. Die Parteien und Kandidaten können nun in jedem Bundesland und/oder Wahlkreis antreten. Innerhalb der Bundesländer kann es Landeslisten geben. Der Verbund der Listen entfällt. Evtl. Speerklauseln werden nur auf Landesebene angewandt.

Warum kann ein Wahlsystem nicht so einfach sein? Nur deshlab nicht, weil Parteien Teile der Macht, die ihnen direkt nicht zusteht, an den Souverän abtreten müssen?
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richards
Veröffentlicht am Freitag, 23. September 2005 - 23:53 Uhr:   

@ Kai

Einige der Fragen, die du aufgeworfen hast, lassen sich wohl nie "wirklich nachvollziehbar baeantworten. Es wird zum Beispiel immer viele Meinungen geben, wer bei welcher Wahl wahlberechtigt sein soll, weils da nicht ein eindeutig objektives Kriterium gibt, sondern mehrere zum Teil widersprechende Kriterien (Wohnsitz, Staatsbürgerschaft, Alter..).

Eine Frage kann ich aber beantworten. Nämlich, warum der Verbund der Listen sinnvollerweise nicht entfallen sollte. Dein Modell würde zum Beispiel im Grenzgebiet zwischen Bremen und Niedersachsen dazu führen, dass eine Stimme für eine Partei diesseits und jenseits der Landesgrenze sehr viel mehr oder weniger wert sein könnte. Wer 2 Wohnsitze hat (vor allem also die Wohlhabenderen) kann bei nur 5 Mandaten in Bremen relativ gut ausrechnen, ob er in der Stadt seine Lieblingspartei wählen soll oder doch lieber ausserhalb der Stadtgrenze. Favorisiert man eine Partei, die deutlich unter 10% liegt, so sollte man auf jeden Fall in Niedersachesen wählen, da die partei sowieso 0 Mandate erhält. Ähnliches gilt bei etwa 20% (fast sicher 1 Mandat), bei 40% (fast sicher 2 Mandate) u.s.w. . Favorisiert man aber eine Partei, deren Stärke bei etwa 10, 30 oder 50% liegt, so hat man überproportionale Chancen mit der Stimmabgabe in Bremen "seiner" Partei zu einem zusätzlichen Mandat zu verhelfen.

Ergebnis: Das "gleiche Wahlrecht" aller Bürger ist nicht mehr gegeben, da einzelne Wähler sich und Ihnen nahestehenden Parteien einen signifikanten Vorteil verschaffen könnten.

Das Problem ist auf internationaler Ebene sehr real: Bei US-Präsidentenwahlen lassen sich in Florida sehr viele Wähler eintragen, die ihr Ferienhäuschen dort 4 Jahre lang nur sehr selten sehen. In Florida ist ihre Stimme einfach mehr wert. Und wer sichs richten kann, der tuts oft genug auch.

Das Problem des derzeitigen deutschen Wahlrechts liegt meines
Erachtens nicht in der zu großen sondern in der mangelnden Verbindung der Wahlkreise. In Österreich gibt es das Problem der Überhangmandate beispielsweise auch deshalb nicht, da hier auf Wahlkreis- und Landesebene nicht alle Mandate vergeben werden. Statt dessen haben die Parteien eine Bundesliste, über die alle Verzerrungen auf Länderebene in einem dritten bundesweiten Zuordnungsverfahren ausgeglichen werden.

@ El Tres

Du hast völlig recht, dass ein Mehrheitswahlrecht, bei dem alle Mandate in Einerwahlkreisen vergeben werden, Unsinn ist. Das schaltet kleinere Parteien (und auch deren bereichernde Ideen) aus und garantiert, wie dein Beispiel zeigt, trotzdem keine klare Mehrheiten. Aber so ein Modell hat hier sowieso niemand vorgeschlagen.

Die Frage ist lediglich, was dann? Die derzeitigen Kräfteverhältnisse erlauben, wie bereits mehrfach gesagt, nur eine 2-Parteien Koalition (schwarz-rot).

Eine große Koalition auf lange Sicht wäre mir aus der österreichischen Erfahrung heraus aber ein Gräuel. Wir hatten das 13 Jahre lang und bereits in der zweiten Legislaturperiode ist dieses System von innen heraus verfault. Für ganz einfache Gesetzesbeschlüsse hat diese Koaliton oft mehrere Legislaturperioden gebraucht, große Würfe waren sowieso nicht drin, und zwischenzeitlich hat man halt alles, was in diesem System so an Verfassungswidrigkeiten zusammengekommen ist, mit 2/3 Mehrheit im Verfassungsrang einzementiert. Hinter den Kulissen wurde zwischen roten und schwarzen Ministerien so viel sabotiert wie nur möglich, weil eigentlich konnten sich die Regierungspartner sich ja eh nicht ausstehen und hatten ausser dem Machterhalt keine gemeinsamen Ziele.
Das Land wartete jahrelang nur mehr auf den unvermeidlichen Zusammenbruch dieses Systems, die Haider-FPÖ legte inzwischen von 9 auf 27% der Wählerstimmen zu.

Ihr Deutschen müsst uns diesen Schwachsinn nicht nachmachen. Handlungsunfähige große Koalitionen sind verlorene Jahre. Überlegt euch rechtzeitig, wie handlungsfähigere Mehrheiten entstehen können!

@ Bernhard Nowak

Du hast völlig Recht, dass eine Vereinfachung der Entscheidungsprozesse nicht nur Reformen beim zur Zeit nicht zufriedenstellenden Bundestagswahlrecht erfordert, sondern vor allem auch eine Föderalismusreform. Die Blockademöglichkeit durch den Bundesrat ist ein Hemmfaktor für die politische Entwicklung. Den Ländern im Gegenzug direkte Kompetenzen zu übertragen schafft einen Ausgleich, wodurch niemand das Gesicht verliert und alle zustimmen können.

Ähnliches wär übrigens auch auf EU-Ebene dringend fällig, wo der Rat der Regierungen als Quasi-Parlament auch keine zufriedenstellende Lösung ist und nationale Blockaden immer wieder gemeinsamen Fortschritt verhindern.
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Hadrian Silberer
Veröffentlicht am Samstag, 24. September 2005 - 18:29 Uhr:   

Die Spekulationen über möglichst komplizierte, mehrheitsbildende Wahlrechte sind ja schön und gut, mißachten jedoch zweierlei:

1. Eine Demokratie sollte auf seine Bürger ausgerichtet sein. Ein Recht, besonders ein Wahlrecht, kann nicht gerecht sein, wenn es fast niemand versteht.

2. Unsere parlamentarische Demokratie hat im Gegensatz zur Präsidialdemokratie zum Ziel, alle Vertreter der Bevölkerung zu berücksichtigen. Das Parlament ist ein Spiegel der Gesellschaft, kein Kanzlerwahlverein. Wer ein mehrheitsbildendes Wahlrecht fordert in einer Parteiendemokratie, die durch einen eigenen Artikel im Grundgesetz gewährleistet wird, ist in meinen Augen kein Demokrat.
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Charlotta
Veröffentlicht am Samstag, 24. September 2005 - 19:29 Uhr:   

Die beiden großen Parteien haben die letzten drei Jahre schlecht gearbeitet und deshab haben sie nun ein Problem.
Weder die schwarze Blockadepolitik im Bundesrat noch die innerparteilichen Streitereien der SPD zeugten davon, dass die Parteien das Beste für Deutschland wollten.

In der Situation ist alles besser (ein Jahr Stillstand, Neuwahlen, wirklich alles) als das Wahlrecht so zu ändern, dass die Egoismen der Parteien auch noch belohnt werden.

Wenn die großen Parteien wieder das Wohl von Deutschland im Auge haben, werden sie auch wieder gewählt.

Dann kommen wir mit dem bestehenden Wahlrecht auch gut klar.
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Sonntag, 25. September 2005 - 02:37 Uhr:   

Ich habe mir mal richards' Vorschlag aus dem ersten Beitrag angesehen. Es gibt drei Möglichkeiten:

1) Eine Partei hat die absolute Stimmenmehrheit. Dann erhält sie wie jetzt auch die absolute Sitzmehrheit, nur etwas größer.

2) Keine Partei ist in der Nähe, allein eine Mehrheit zu erreichen (jetzige Situation). Dann zahlt es sich aus, wenn die Wähler den kleineren Parteien eines Lagers zuerst mehr Stimmen geben, und dann dem Seniorpartner die Zweitpräferenz; dadurch erhält das Lager eine größere Mehrheit. Es gibt dadurch wahrscheinlich eine Regierung aus einem Senior- und einem Juniorpartner. Es würde sich für den Seniorpartner auszahlen, sich zu spalten; es könnten sogar beide Bruchstücke zusammen stark genug werden, um zusammen die Regierung zu stellen.

3) Eine Partei hat fast die absolute Mehrheit der Stimmen. Dann zahlt es sich für Wähler, die den Juniorpartner in der Regierung sehen wollen, nicht aus, dem Seniorpartner die Zweitpräferenz zu geben; dann würde dieser nämlich die Mehrheit erhalten und keinen Koalitionspartner brauchen. Dadurch kann es zu der erwünschten Koalition kommen, aber vielleicht erhält dadurch das Minderheitslager die Mehrheit der Präferenzstimmen und erhält dadurch die Sitzmehrheit. Das könnte sogar passieren, wenn die Partei mit den meisten Stimmen im jetzigen Wahlrecht eine absolute Sitzmehrheit erhielte.

Ich würde es insgesamt so sehen, dass dieser Vorschlag mehr als das jetzige Wahlrecht anfällig ist für taktisches Wählen.

Was richards' Verweis auf die österreichische Situation angeht:
In Frankreich hat LePen's Front National kaum Möglichkeiten gehabt, ins Parlament, und noch weniger, in die Regierung zu kommen, und trotzdem wurde sie immer stärker, bis Le Pen sogar Jospin im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl überholte und die Stichwahl erreichte.

In Großbritannien sind es die Liberal Democrats, die nur wenige Sitze erreichen, und nie für die Regierungsbildung gebraucht werden, und trotzdem werden sie von vielen gewählt, auch dort, wo ihr Kandidat keine Siegchancen hat, und erreichen fast 2/3 der Stimmenzahl des Wahlsiegers Labour.

In Deutschland wiederum war es PDS-Wählern immer klar, dass ihre Partei im Bund nicht in die Regierung kommt, und trotzdem wurde die PDS im Lauf der Zeit stärker. Dabei wurden in Berlin mehrmals Sitze neu zugeschnitten; am schwersten wirkte sich dabei wohl aus, dass es im Herzen Berlins jetzt zwei benachbarte Wahlkreise gibt, die teils im Ost- und teils im Westteil der Stadt liegen. Würden sie sich an der früheren Grenze orientieren, hätte die PDS wahrscheinlich 2002 wieder 3 Wahlkreise gewonnen und damit den Einzug in den Bundestag erreicht.

Ich denke, diese Beispiele zeigen, dass sich Wähler einer kleineren Partei nicht abschrecken lassen, wenn sie von den größeren enttäuscht sind, egal welches Wahlrecht es gibt.

Zur jetzigen Situation: ich denke, es gibt eine große Koalition unter Merkel, bei der beide Partner gleich stark sind, weil es die stabilste mögliche Koalition ist. Zusammen können sie ein Kompromissprogramm durchziehen, das im Bundesrat keine Probleme haben wird, und die Föderalismusreform durchführen. Sie werden 4 Jahre lang durchhalten, damit sich Deutschland wirtschaftlich erholen kann und es den Leuten besser geht; ansonsten würden beide abgestraft. Das können sie jetzt besser machen, weil niemand die Lösungsvorschläge blockiert. Und während den 4 Jahren wird sich das Spektrum neu organisieren, so dass am Ende die Ampel oder Jamaika vernünftige Alternativen zur großen Koalition sein werden. Würde die große Koalition noch länger weitermachen, würde sie wahrscheinlich in 8 Jahren abgestraft...
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André
Veröffentlicht am Mittwoch, 28. September 2005 - 15:35 Uhr:   

Kennt jemand eine Internet Quelle für einen Gesetzentwurf zur einführung des Mehrheitswahlrechts zum Deutschen Bundestag aus den 60er Jahren (Große Koalition) ???
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richards7
Veröffentlicht am Sonntag, 02. Oktober 2005 - 01:17 Uhr:   

@Charlotta

Du hast völlig recht, dass die beiden großen Parteien in den letzten Jahren schlecht gearbeitet haben und daher zurecht abgestraft wurden.

Das gegenwärtige Problem ist, dass gerade das derzeitige Wahlrecht kombiniert mit dem schlechten Wahlergebnis der Großparteien eben diesen Parteien ein nahezu sicheres Regierungsticket verschafft, und zwar beiden. Um die Auflösung dieses Paradoxons ging es mir in meinem Vorschlag.

Insofern geht deine Kritik am Thema vorbei, wenn du schriebst:
"In der Situation ist alles besser (ein Jahr Stillstand, Neuwahlen, wirklich alles) als das Wahlrecht so zu ändern, dass die Egoismen der Parteien auch noch belohnt werden."

Eine Stärkung der Großparteien an sich ist in meinem Vorschlag nirgends vorgesehen. Die größten Verschiebungen würden sich voraussichtlich zwischen siegreicher und unterlegener Großpartei ergeben. Das Risiko tatsächlich nicht an der Macht beteiligt zu sein, würde für die Großparteien sogar steigen.

@Frank Schmidt

Du hast völlig richtig erkannt, dass es in meinem Modell die Möglichkeit gibt, durch taktisches Wählen zwei Parteien und nicht nur einer zu einem zusätzlichen Stimmgewicht zu verhelfen. Ich sehe darin aber keinen Nachteil, da dieses taktische Wählen das Wahlergebnis tendenziell entzerrt und nicht verzerrt. Kleine Parteien werden durch die Stichwahl, an der sie nicht teilnehmen geringfügig benachteiligt. Im Gegenzug werden sie aber durch taktisches Wählen bevorzugt, da ein Wähler, dem eine große und eine kleine Partei etwa gleich nahe stehen, mit höherer Wahrscheinlichkeit die kleinere Partei als erste Wahl ankreuzt, um beiden Parteien zu nutzen.
Dieser ausgleichende Effekt des taktischen Wählens ist in meinem Modell durchaus beabsichtigt und meines Erachtens kein Nachteil. Es liegen ja keinerlei Paradoxons vor wie im derzeitigen Wahlrecht. Man kann dem, den man wählt, nur nützen.

@Hadrian

"Ein Recht, besonders ein Wahlrecht, kann nicht gerecht sein, wenn es fast niemand versteht."

Ich kenn kein Wahlrecht, das in seinen Details und konkreten Auswirkungen von der Bevölkerung mehrheitlich verstanden wird.

Selbst im mutmaßlich einfachsten Wahlrecht, einem reinen Verhältniswahlrechts, muss man zwischen verschieden Verfahren zur genauen Berechnung der Mandate wählen. Und die beherrscht, wenns hoch geht, ein Prozent der Bevölkerung.

Und zum Thema traditionelles Mehrheitswahlrecht sag ich nur "Wahlkreiseinteilung". Komplizierte Rechenverfahren, Raumanalysen oder vielleicht auch politisch motivierte Grenzziehungen. Jedensfalls braucht man nach jeder Volkszählung einen Rattenschwanz an Gesetzen und Verordnungen allein schon um die neuen Wahlkreisgrenzen abzusegnen.

@ Hadrian,

Du schreibst:
"Wer ein mehrheitsbildendes Wahlrecht fordert in einer Parteiendemokratie, die durch einen eigenen Artikel im Grundgesetz gewährleistet wird, ist in meinen Augen kein Demokrat."
Was immer du beziehungsweise das Grundgesetz genau unter "Parteiendemokratie" verstehen, drei Dinge möchte ich unabhängig von der genauen Interpretation klarstellen:

1. Die "Parteiendemokratie" wird in meinem Vorschlag in keiner Weise eingeschränkt, da nachweislich keine einzige Partei dadurch aus dem Parlament rausfliegt. Insofern ist deine plumpe Beleidigung schlicht Unsinn.

2. Wird die "Parteiendemokratie" im Sinn von Parteienvielfalt (das ist ein durchaus schützenswerter Bereich) durch die derzeitige 5% Hürde sehr wohl eingeschränkt. Und die wurde genau wegen der mehrheitsbildenden Wirkung eingeführt. Deutschland wäre nach deinen Kriterien also allein aufgrund der 5%-Hürde keine Demokratie, wenn ich das richtig verstehe.

3. Fände ich es sowieso höchst wünschenswert und notwendig, dass die von dir verteidigte reine "Parteiendemokratie" in Deutschland endlich beschnitten wird, und zwar durch Volksabstimmungen und Volksbegehren. Ich finde das sogar sehr demokratisch. Gerade Wahlrechtsänderungen sind ein Thema, bei dem Volksabstimmungen verpflichtend vorgeschrieben werden könnten. Dann gibt es wenigstens keine Änderungen, die einzelne Parteien nur wegen des eigenen Vorteils beschließen.

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