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Hare-Niemeyer vs. Sainte-Lague

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Oliver Witt
Veröffentlicht am Donnerstag, 05. Mai 2005 - 23:20 Uhr:   

Liebe Wahlrechtler,

wenn ich mir Hare-Niemeyer und Sainte-Lague anschaue, dann kann ich irgendwie keinen Unterschied entdecken, bzw. müsste Sainte-Lague minimal vom richtigen Ergebnis abweichen, da der Divisor (alle Stimmen)/(alle Sitze) gerundet wird.

Gegeben sei:
v: Stimmen für eine Partei
V: alle Stimmen
m: Sitze für eine Partei
M: alle Parlamentssitze
d: Divisor bei Sainte-Lague

Hare-Niemeyer sagt:
m = (v/V)*M

Sainte-Lague sagt:
d = V/M
m = v/d
==> m = v/(V/M) = v/v*M

Sieht für mich beides gleich aus, aber Sainte-Lague soll die Gleichheit der Wahl besser gewährleisten. Warum ist das so?

Da bei Sainte-Lague der Divisor gerundet wird, kann das Ergebnis doch nicht so exakt sein wie bei Hare-Niemeyer?

Und wenn ich die Sitze bei Sainte-Lague dann kaufmännisch runde, über 0,5 einen mehr, darunter einen weniger, schwankt dann nicht die Größe des Parlaments?

Beispiel:
Partei A: 3,4 Sitze --> 3 oder 3,6 S --> 4
Partei B: 4,4 Sitze --> 4 4,6 S --> 5
Partei C: 2,2 Sitze --> 2 1,8 S --> 2
---- -- ---- --
10,0 9 10,0 11

Kann mich jemand bitte aufklären?

Danke und viele Grüße

Oliver Witt
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AeD
Veröffentlicht am Donnerstag, 05. Mai 2005 - 23:35 Uhr:   

Der Divisor bei Sainte-Laguë richtet sich danach, die Sitzzahl zu treffen, nicht die Sitzzahl nach dem gewählten Divisor.
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Kai
Veröffentlicht am Freitag, 06. Mai 2005 - 10:31 Uhr:   

In der Theorie sind die Divisoren bei Hare-Niemeyer und Sainte-Lague ähnlich. Der Unterschied ist der, dass bei Sainte-Lague der Quotient immer mathematisch gerundet werden und dementsprechend notfalls der Divisor korrigiert werden muss, während bei Hare-Niemeyer der Divisor feststellt und dann notfalls anders gerundet wird.

D.h. bei Hare-Niemeyer gilt stets:

m=v/(V/M) + c = vM/V + c

bei Sainte-Lague gilt

m=v/[V/(M+d)] = v(M+d)/V = vM/V + vd/V

wobei c und d die entsprechenden Korrekturkonstanten sind und m stets mathematisch auf ganze Zahlen gerundet wird.

Während also die Ergebniskorrektur bei Hare-Niemeyer für alle Parteien um eine vom individuellen Ergebnis unabhängige konstante Sitzzahl erfolgt, fällt diese bei Sainte-Lague relativ aus.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Samstag, 07. Mai 2005 - 21:09 Uhr:   

Vielen Dank, jetzt hab ich Sainte-Lague verstanden.

Pukelsheim schreibt in "Mandatszuteilungen bei Verhältniswahlen: Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen": (http://www.math.uni-augsburg.de/stochastik/pukelsheim/2000a.html)

Sainte-Lague:
"Die so erhaltene Summe der _Abweichungsquadrate_ bildet ein globales Maß für Ungleichheit, das mit dem Grundsatz der Erfolgswertgleichheit bestens harmoniert. Wenn durch Übergang zu einer anderen Zuteilung die Summe der Abweichungsquadrate verkleinert werden kann, dann sollte das geschehen. Denn dann ist die bestehende Ungleichheit vermeidbar und die neue Zuteilung kommt der Erfolgswertgleichheit näher. Eben dies leistet die Divisormethode mit Standardrundung (Sainte-Laguë/Schepers)."

Über Hare/Niemeyer wird gesagt:
"Wir nennen die (vi / V) M Mandatsbruchteile den Idealanspruch der Partei i. Die Summe der _Abweichungsbeträge_ ist ein globales Maß dafür, ob die Mandatszahlen der Parteien den Idealansprüchen nahekommen. Dieses Abweichungsmaß wird minimiert von der derzeit gesetzlichen Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten (Hare/Niemeyer)."

Dazu hätte ich noch ein paar Fragen:

1. Es ist ja schön und gut, wenn durch das Bilden der Summe der Abweichungsquadrate die Erfolgswertgleichheit besser gewährleistet wird. Aber ich gewichte doch z. B. eine Abweichung von 0,3²=0,09 damit um das neunfache höher als eine Abweichung von 0,1²=0,01, anstelle um das Dreifache, wie es bei den Abweichungsbeträgen und Hare/Niemeyer der Fall ist. Aber mit welcher Berechtigung? Was kann eine große Partei dafür, dass die anderen zuwenig Stimmen haben, und die Abweichungen der kleinen Parteien damit zwangsläufig stärker von 1 abweichen?

2. Wenn bei Hare/Niemeyer die Mandatszahlen der Parteien den Idealansprüchen nahekommen, so liegt das doch auch im Interesse der Wähler? Meiner Ansicht nach vertritt Hare/Niemeyer durch den besseren Parteienproporz die Gleichheit und Gerechtigkeit der Wahl im allgemeinen, wohingegen Sainte-Lague die Gleichheit der Wählerstimmen zwischen den Parteien am besten gewährleistet. Aber ein Parlament soll doch die Allgemeinheit repräsentieren, was meines Erachtens nach über den individuellen Ansprüchen der Parteien und ihrer Wähler auf eine möglichst gerechte Repräsentation steht.

Ich persönlich würde daher immer noch Hare/Niemeyer den Vorzug geben - hierzu müsste jedoch sicherlich die geltende Rechtsprechung geändert werden - lasse mich aber gerne überzeugen.
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Sonntag, 08. Mai 2005 - 17:19 Uhr:   

Zur 1. Frage: Rechne das am besten mal an einem Beispiel durch, dann wirst Du sehen, dass auch bei Sainte-Laguë/Schepers der Erfolgswert eines Wählers kleinerer Parteien in der Regel stärker vom idealen Erfolgswert abweicht, als bei großen Parteien (als Beispiel etwa das Ergebnis der letzten Landtagswahl in Schleswig-Holstein, den Unterschied zwischen Hare/Niemeyer und Sainte-Laguë/Schepers könnte man sich z.B. an der Unterverteilung auf die Landeslisten der CDU bei der Bundestagswahl 2002 veranschaulichen).

Zur 2. Frage: Deine Ansicht würde zutreffen, wenn das Bundesverfassungsgericht als Maßstab der Wahlgleichheit die Gleichheit der politischen Parteien verwendet - macht es aber nicht:

"Hingegen bedeutet Wahlgleichheit bei der Verhältniswahl, daß jeder Wähler mit seiner Stimme den gleichen Einfluß auf die parteipolitische Zusammensetzung des Parlaments haben kann (vgl. BVerfGE 1, 208 <246 f.>; 16, 130 <139>; stRspr). Daraus ergeben sich Anforderungen einer spezifischen Erfolgswertgleichheit der Verhältniswahl für das Sitzzuteilungsverfahren nach der Stimmabgabe, in welchem die Zahlen der für die Listen abgegebenen Stimmen zueinander ins Verhältnis gesetzt und danach die in der Listenwahl zu vergebenden Sitze zugeteilt werden." (BVerfGE 95, 335 <353>)

[...] hierzu müsste jedoch sicherlich die geltende Rechtsprechung geändert werden [...]

Ja, die momentane Rechtsprechung sieht alle (!) „tradierten“ Zählverfahren als gleichwertig an (ohne sich mit ihnen jemals tiefer mathematisch auseinandergesetzt zu haben, siehe zuletzt in einem Schreiben im Januar dieses Jahres, obwohl dem Berichterstatter eine ausführliche Erläuterung vorlag, auf die er jedoch mit keinem Wort einging. Die dem Schreiben zugrunde liegende Beschwerde ist allerdings noch nicht entschieden.
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sebu
Veröffentlicht am Mittwoch, 18. Mai 2005 - 20:25 Uhr:   

ad 1: Wenn man die Formel genau ansieht, wird die quadrierte Abweichung noch mit der Stimmenzahl gewichtet - es geht also nicht nur die Abweichung ein, sondern auch "die Anzahl der von dieser Abweichung betroffenen". Dass groessere Abweichungen ueberproportional eingehen, haengt damit zusammen, dass man sich wohl "einen einfachen Fehler eher doppelt gefallen laesst, als einen doppelten einmal" (in Abschnitt 5 der erwaehnten Publikation). Diese gewichtete Summe ist bei S-L minimial.

ad 2: Wie von Matthias schon geschrieben hat man bei der Sitzverteilung mehrere Gruppen mit Anspruechen: (am wichtigsten) die Waehler, die Parteien und die Abgeordneten, entsprechend gibt es fuer jede der Gruppen "passende" Masse. Das waeren die Erfolgswerte, die Idealansprueche und die Vertretungsgewichte. In Deutschland ist lt. Gesetz der Erfolgswert ausschlaggebend, staende im Gesetz, dass die Parteien gleich zu behandeln sind, muesste man sich an den Idealanspruechen orientieren.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juli 2005 - 03:39 Uhr:   

Ich würde die Behauptung aufstellen, dass bei Hare die Wahrscheinlichkeit einer durch die abgegebenen Stimmen der Wähler nicht legitimierten Machtverschiebung geringer ist als bei Sainte-Lague.

Gibt es hierzu Statistiken? Sollte das nicht das einzig wahre Kriterium sein, anstatt einer möglichst idealen Erfolgswertgleichheit zwischen den Wählern der einzelnen Parteien?

Das BVerfGE macht es sich da wohl zu einfach.
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juli 2005 - 07:13 Uhr:   

Ich würde die Behauptung aufstellen, dass bei Hare die Wahrscheinlichkeit einer durch die abgegebenen Stimmen der Wähler nicht legitimierten Machtverschiebung geringer ist als bei Sainte-Lague.

Die Frage ist, wie definierst Du Machtverschiebung: Abweichung von der Gleichheit der Parteien (das haben wir ja schon festgestellt) oder der Gleichheit des Erfolgswertes oder Nichteinhaltung der Mehrheitsbedingung (die Sicherstellung dieser Bedingung – ohne eine Klausel wie bei Hare/Niemeyer oder einem ergänzten Sainte-Laguë – durch d’Hondt führt aber in der Regel zu stärkeren Machtverschiebungen als bei Hare/Niemeyer und Sainte-Laguë)?

Das BVerfGE macht es sich da wohl zu einfach.

Das BVerfG macht, wie ich oben ausführte, gegensätzliche Aussagen (da die Richter den Inhalt Ihrer Ausführungen nicht verstanden oder verstehen wollten). Einerseits definierte Karlsruhe einen Maßstab zur Bemessung der Wahlgleichheit bei Verhältniswahlen (Erfolgswertgleichheit), der gut begründet ist, andererseits lässt es jedes noch so stark verzerrende Verfahren (namentlich d’Hondt) zu, da „Weder mit dem Verfahren der mathematischen Proportion nach Niemeyer noch dem Höchstzahlverfahren nach d’Hondt kann eine absolute Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen erreicht werden.“ (BVerfGE 79, 169 <170>. Insofern macht es sich das BVerfG schon zu einfach – ich bin gespannt, ob die Richter in einem laufenden Verfahren (falls Sie es noch bis Oktober hinbekommen) diesen Unsinn ihrer Kollegen berichtigen und mehr als nur vier Absätze, wie bei der letzten Entscheidung, dazu schreiben.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juli 2005 - 17:54 Uhr:   

Machtverschiebung im Sinne von Koalitionsbildungen, die nach der absoluten Anzahl der Wählerstimmen für die koalierenden Parteien nicht zustande kommen dürften, d.h. die Nichteinhaltung der Mehrheitsbedingung.

Oder auch, dass potentielle Koalitionen verhindert werden, die durch mehr als 50% der Wählerstimmen legitimiert sind, aber dennoch weniger als 50% der Sitze erhalten.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juli 2005 - 18:10 Uhr:   

"Ich würde die Behauptung aufstellen, dass bei Hare die Wahrscheinlichkeit einer durch die abgegebenen Stimmen der Wähler nicht legitimierten Machtverschiebung geringer ist als bei Sainte-Lague."

Beweise?

Man könnte beide Verfahren auch kombinieren: Ein Mandat pro volle Hare-Quota und die Restmandate nach Sainte-Lague.
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libi
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Juli 2005 - 23:01 Uhr:   

Ein Problem von Hare-Niemeier sind doch auch die diversen Paradoxien, die es bei Saint-Lague in dem Maße nicht gibt.

Ich habe bei uns in Wuppertal mal die Ergebnisse durchgerechnet:

• Nach dem Wahlergebnis hatten CDU und FDP eine Ein-Stimmen-Mehrheit im Rat.
• Hätte die FDP 500 Wählerstimmen mehr erhalten (bei sonst unveränderten Stimmenzahlen), hätte die CDU einen Ratssitz an die Grünen verloren -> die Mehrheit wäre weg gewesen.
(• bei weiteren 500 FDP-Stimmen mehr wäre dieser Sitz von den Grünen zur FDP "gewandert").

Was für einen Sinn macht ein Wahlsystem, in dem eine Partei eventuell gezwungen sein könnte das Ergebnis anzufechten, in der Hoffnung WENIGER Stimmen zu bekommen und dadurch zur Mehrheit zu kommen ????
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juli 2005 - 22:57 Uhr:   

> "Ich würde die Behauptung aufstellen, dass bei Hare die
> Wahrscheinlichkeit einer durch die abgegebenen Stimmen der Wähler
> nicht legitimierten Machtverschiebung geringer ist als bei Sainte-
> Lague."
>
> Beweise?

Sieht man. Und danach fragte ich im nächsten Satz.

Zu den vermeintlichen "Paradoxien":

Hätte, hätte, hätte interessiert mich nicht wirklich. Wenn die CDU einen Sitz weggenommen bekam, hatte sie wohl einen Erfolgswert von über 1, auf den sie aber keinen Anspruch hat. Die FDP bekam wohl statt eines Restsitzes einen normalen Sitz und ihre Restmandate wurden nun abgerundet. Die Grünen lagen wohl mit ihren Restsitzen höher als die CDU. Richtig?

Wer seine Wahlentscheidung nach solchen Szenarien ausrichtet, ist doof. Neues Spiel, neues Glück. Aber Hare hat weniger mit Glück zu tun.

These: Wenn man jedem Wähler das Recht, so nah am Erfolgswert von 1 zu liegen wie möglich, zuspricht (durch Hare), minimiert dies die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von vom Wähler nicht legitimierten (sondern vielmehr durch die Wahlformel und die Anzahl der Abgeordneten bedingten) Machtverschiebungen.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juli 2005 - 23:11 Uhr:   

Redest Du von dieser Wahl?

http://www.wuppertal.de/allg_dienste/wahlen/kw04_www/

Deine Zahlen scheinen nicht zu stimmen.
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Norddeutscher Demokrat
Veröffentlicht am Samstag, 09. Juli 2005 - 18:21 Uhr:   

Wie kann man ein Wahlrecht schaffen, das sicherstellt, daß keine Koalition oder Einzelpartei im Parlament eine Mehrheit bekommt, die keine 50% der Wählerstimmen erhält und gleichzeitig jede Einzelpartei oder mögliche Koalition, die mehr als 50% der Wählerstimmen erhält auch eine Mandatsmehrheit erzielt. Denn nur dann wäre ja das Prinzip, daß sich die Mehrheit der Wähler auch im Parlament als Mehrheit abbildet stets gewährleistet.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Samstag, 09. Juli 2005 - 23:58 Uhr:   

@Norddeutscher Demokrat

Das geht nicht, es sei denn man bläht das Parlament entsprechend -notfalls bis zur Zahl der Wähler- auf.
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John Rawls
Veröffentlicht am Sonntag, 10. Juli 2005 - 00:42 Uhr:   

Oder fügt man eine Sonderregel hinzu, die genau das besagt.

In diesem Falle müsste man aber das freie Koalitionsrecht verzichten, denn das ginge nur, wenn jede Partei in jeder Konstellation einer wohldefinierten Koalition angehörte.

Für den Sonderfall: Eine Partei erzielt über 50% -> über 50% der Sitze ist es natürlich einfacher.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Sonntag, 10. Juli 2005 - 07:29 Uhr:   

Pukelsheim schreibt weiter über Sainte-Lague:

"Das vorstehende Ungleichheitsmaß [Summe der Abweichungsquadrate] bewertet den Gleichheitsanspruch der Wahlbürger nicht individuell, sondern vielmehr in der Summe der Ansprüche aller Wahlbürger im Blick auf den gleichheitsverwirklichenden Idealwert 1."

Für mich klingt die Beschreibung nach dem, was Hare macht. Denn weiter oben führt er in seinem Text aus, dass lediglich die individuellen Erfolgswerte zweier Wählerstimmen durch Sainte-Lague so nah wie möglich zusammengebracht werden - für mich jedoch immer noch auf Kosten der grundgesetzlich verankerten *Allgemeinheit* der Wahl.

Mögliche Gesetzesformulierungen:

Wahlgesetz:
"Die Mandatszuteilung erfolgt nach der Hare-Quota, die die allgemeine Erfolgswertgleichheit am besten zu gewährleisten vermag und dadurch die Wahrscheinlichkeit nicht legitimierter Machtverschiebungen weitgehend reduziert.

Sollte die Sitzzuteilung nach Hare, unter Einbeziehung und Würdigung der grundgesetzlich garantierten Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung, nicht gewährleisten, dass sowohl eine Alleinregierung als auch alle möglichen Koalitionsregierungen, die bei Betrachtung der auf die (potentiell koalierenden) Partei(en) entfallenen Wählerstimmen gegenüber den Wählerstimmen der anderen im Parlament vertretenen Partei(en) eine Mehrheit haben, realisiert werden kann bzw. können, wird jeder Abgeordnete mit einer von Partei zu Partei unterschiedlichen, innerhalb einer Partei jedoch einheitlichen Stimmkraft (Hare/Witt-Verfahren) ausgestattet, die sich aus der rechnerischen Sitzanzahl geteilt durch die gerundete Sitzanzahl für seine Partei nach Hare ergibt. [Die Stimmkraft eines Parlamentariers, der ein nicht verrechenbares Direktmandat errungen hat, beträgt 1.]"

Geschäftsordnung:
"Falls nach einer Abstimmung mit gleicher Gewichtung der Abgeordnetenstimmen nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Abstimmungsresultat ein anderes wäre, falls man die Stimme jedes Abgeordneten mit der ihm zu übertragenden Stimmkraft nach Hare/Witt gewichten würde, ist die Abstimmung unter Einbeziehung der individuellen Stimmkräfte zu wiederholen."

(Dient der Sicherung der offiziellen freien Mandatsausübung eines Abgeordneten, welche über dem inoffiziellen Fraktionszwang steht.)

Geheime Abstimmungen sind durch eine elektronische Abstimmungsanlage zu realisieren. Wenn die Computeraversion (zwar nur ein Taschenrechner, aber naja) zu hoch sein sollte, kann man auf Lochkarten zurückgreifen. Das Endergebnis muß aufgrund des informellen Fraktionszwangs auf eine zu bestimmende Nachkommastelle gerundet werden.

Dumm nur, dass der rechte Flügel des BVerfGE jeden, der die Parlamentarische Demokratie auf diese Weise stärken will, aus nicht nachvollziehbaren Gründen im aktuellen Urteil über die Besetzung der Bundestagsausschüsse zum Verfassungsfeind abstempelt. (Denn was hindert einen Parlamentarier daran, mit 95% seiner Kraft die ganze Bevölkerung zu vertreten? Was soll das? Behinderte am besten auch gleich raus aus öffentlichen Ämtern?)

Ein gutes Beispiel für die geistige Armut in den Hirnen der Neo-Konservativen Chef-Ideologen.
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libi
Veröffentlicht am Sonntag, 10. Juli 2005 - 20:56 Uhr:   

@ Oliver Witt:
Sorry! Habe in meinem obigen Beitrag vergessen zu erwähnen, dass es die 1999-Kommunalwahl war.
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Aaron Rosenbaum
Veröffentlicht am Dienstag, 30. August 2005 - 11:56 Uhr:   

Ich habe ein ganz anderes Problem. Ich will echte Zahlen haben und zwar für v: Stimmen für eine Partei
V: alle Stimmen
m: Sitze für eine Partei
M: alle Parlamentssitze
angewandt auf die letzte Bundestagswahl 2002. Außerdem die absolute Anzahl aller Wählerstimmen, aller Wahlberechtigten und die Verteilung auf die einzelnen Parteien in absoluten Zahlen mit den dazugehörigen Sitzen.
Ich habe leider dazu im Internet nichts gefunden. Zwar lassen sich die Abgeordnetensitze der Parteien ausfindig machen, aber der Rest wird schwierig. Wer genauere Infos hat, bitte hier melden oder an
aaronrosenbaum@yahoo.de "Wahlrecht"
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Dienstag, 30. August 2005 - 12:05 Uhr:   

Wenn es nur für die letzte Bundestagswahl sein soll, dann wirst Du hier fündig: Bundestagswahl 2002 (oder auch beim Bundeswahlleiter), wenn es für alle Bundestagswahlen sein soll, empfehle ich Dir die Software BAZI der Universität Augsburg.
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Fragender
Veröffentlicht am Dienstag, 30. August 2005 - 16:47 Uhr:   

@Oliver Witt:
Ich kann weder im Bundesverfassungsgericht "Neo-Konservative Chef-Ideologen" erkennen, noch sehen, daß in o.g. Urteil (Du meinst wohl das zum Vermittlungsausschuß, der *kein* originärer Ausschuß des Bundestages ist) irgendwer zum Verfassungsfeind gestemnpelt wird.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Mittwoch, 07. September 2005 - 07:15 Uhr:   

Bei genauerem Hinsehen komme ich zu diesem Schluss.

Das Urteil ist hier zu finden:
http://www.wahlrecht.de/wahlpruefung/20041208.htm

Leider geht es über eine spezifische Regelung zur Frage der besten Besetzung des Vermittlungsausschusses hinaus, sondern belästigt den geneigten Leser vielmehr mit unhaltbaren Thesen wie dieser hier:

"a) Der Bundestag repräsentiert das deutsche Volk, jeder Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes und deshalb gleich (Art. 38 Abs. 1 GG)."

Zunächst mal spricht Art. 38 (http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/gg/art_38.html) stets von den Abgeordneten im Plural, woraus man bereits ein Verhältniswahlrecht herleiten kann, falls man davon ausgeht, dass *jeder* *Wähler* doch noch ein Fünkchen Freiheit besitzt, festzustellen, dass der Abgeordnete Hohmann vielleicht Adolf, Joseph oder Hermann, aber bestimmt nicht *mich* repräsentiert, und dieser Mangel jedoch dadurch geheilt wird, dass es zumindest einige Abgeordnete gibt, die hierzu in der Lage sind.

Somit kann den Abgeordneten in ihrer Gesamtheit dennoch, aber vor allem nur aufgrund des anzuwendenden Verhältniswahlverfahrens bescheinigt werden, das ganze Volk zu repräsentieren. Hiervon ausgenommen sind die Nichtwähler, aber das auch mit Recht, denn wer nicht zur Wahl geht, kann zum einen nicht angemessen repräsentiert werden, zum anderen kann man auch nicht vorab davon ausgehen, dass ein Nichtwähler nicht gewillt ist, die Wahlentscheidung der aktiven Wähler nicht mitzutragen. Vielleicht überlässt er dies bewusst den "Besserinformierten"? Eine Verpflichtung, Stühle unbesetzt zu lassen, erwächst daraus nicht.

Und selbst wenn man "jeder Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes" akzeptieren mag, "und deshalb gleich" muss er deswegen noch lange nicht sein, denn nichts logisch begründbares hindert einen Abgeordeneten daran, mit einer x-prozentigen Abweichung von der Stimmkraft 1 die annmaßende Behauptung zu erfüllen, das ganze Volk zu vertreten. Da müssen sich die Damen und Herren schon plausiblere Begründungen einfallen lassen, damit ich ihnen das abkaufe.

Weiter im Text: "So setzt sich insbesondere die Gleichheit der Wahl in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort und hält damit auch in den Verzweigungen staatlich-repräsentativer Willensbildungsprozesse die demokratische Quelle offen, die aus der ursprünglichen, im Wahlakt liegenden Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers fließt."

Richtig müßte es heißen: "So setzt sich insbesondere die Gleichheit der Wahl in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort, _trotz welcher_ auch in den Verzweigungen staatlich-repräsentativer Willensbildungsprozesse _in der Mehrzahl der Fälle_ die demokratische Quelle offen _bleibt_, die aus der ursprünglichen, im Wahlakt liegenden Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers fließt."

Oder für Pessimisten:
"So setzt sich insbesondere die Gleichheit der Wahl in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort und _macht_ damit in den Verzweigungen staatlich-repräsentativer Willensbildungsprozesse die demokratische Quelle _hin und wieder dicht_, die aus der ursprünglichen, im Wahlakt liegenden Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers fließt."

Das wäre eine stochastisch-faktisch richtige Beschreibung.

Probieren Sie mal, diese Auffassung im Wege der Verwirklichung des grundgesetzlich verankerten Widerstandsrechts geltend zu machen. Die Autoritäten werden ihnen normalerweise was anderes erzählen und sich auf eben jenen Mist berufen, den ich gerade kritisiert habe.

Dieser Satz bringt's auch nicht:
"Der Abgeordnetenstatus wird durch den Grundsatz demokratischer, formaler Gleichheit bestimmt. Dieser Status lässt Differenzierungen nur zu, wenn dafür besondere Gründe bestehen. Als solcher Differenzierungsgrund ist das Verfassungsgebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments anerkannt."

Dies diente in der Vergangenheit immer nur dazu, Leute aus irgendwelchen Ausschüssen rauszuschmeißen, und dadurch die Mehrheit adequat abzubilden, was auch wünschenswert ist. Jedoch erscheint mir die Realisierung des umgekehrten Falls, notfalls das Parlament (auch evtl. durch Einführung individueller Stimmkräfte) zu erweitern, nach der Lektüre dieser Tiraden als sehr unwahrscheinlich. Scheißegal, ob es dann besser funktionieren könnte, da es dann immerhin vom Wähler legitimiert wäre, Hauptsache ist wohl, dass noch irgendwas hinten bei raus kommt.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Mittwoch, 07. September 2005 - 10:57 Uhr:   

Neu:
Somit kann den Abgeordneten in ihrer Gesamtheit dennoch, aber vor allem nur aufgrund des anzuwendenden Verhältniswahlverfahrens bescheinigt werden, das ganze Volk zu repräsentieren; Nichtwähler eingeschlossen, denn wer nicht zur Wahl geht, kann zwar zum einen möglicherweise nicht angemessen repräsentiert werden, zum anderen kann man aber auch nicht vorab davon ausgehen, dass ein Nichtwähler nicht gewillt ist, die Wahlentscheidung der aktiven Wähler nicht mitzutragen. Vielleicht überlässt er dies bewusst den "Besserinformierten"? Oder könnte es nicht sein Ziel sein, seine Zweitstimme durch sein passives Verhalten analog zum Wahlverhalten des Volkes zu splitten? Eine Verpflichtung, Stühle unbesetzt zu lassen, erwächst daraus nicht.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. September 2005 - 10:54 Uhr:   

Art. 38 I GG lautet: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."
"Sie" sind zweifellos "die Abgeordneten des Deutschen Bundestages", etwas anderes, worauf sich das Pronomen beziehen könnte, ist nicht auszumachen; soweit dürfte wohl noch allgemeine Übereinstimmung herrschen. Nun stellt sich aber die Frage, wie die Aussagen über die Abgeordneten zu verstehen seien. Ich will hier ganz entschieden nicht mit Logik argumentieren, denn Logik ist eine Sache, sprachliche Strukturen sind eine andere Sache und von Logik strikt zu unterscheiden. Schon in einer Einführungsvorlesung in Logik wird im allgemeinen das Beispiel gebracht, dass "und" sowie "oder" in Logik und Sprache unterschiedlich gebraucht werden und daher viele "und" in der Sprache in logischer Betrachtung eigentlich "oder" sind usw.
Es gibt nun genau zwei Möglichkeiten, diesen Plural im 2. Satz von GG 38 I aufzufassen: Einerseits gibt es den individuellen oder distributiven Plural, anderseits den kollektiven Plural. Ein Kollektiver Plural ist z. B. "die Deutschen" im Sinne von "das deutsche Volk, die Einwohnerschaft Deutschlands" u. dgl. Beim kollektiven Plural liegt also der Fall vor, dass eine zu einer Gesamtheit zusammengefasste Gruppe nicht als Gruppe, sondern gleichsam als Summe ihrer Mitglieder aufgefasst wird. Beim individuellen oder distributiven Plural hingegen gilt die Aufmerksamkeit einer Vielzahl von Individuen, die nicht zu einer Gesamtheit oder Gruppe zusammengefasst sind oder das auch gar nicht können. Hinzu kommt die Eigenart der Sprache, dass in solchen Fällen auf weitergehende Kennzeichnungen wie "alle ..." u. dgl. verzichtet werden kann. Andere Bedeutungen des Plurals gibt es in der deutschen Sprache nicht, es kann daher nur eine Entscheidung für den einen oder aber den andern Fall (an dieser Stelle logisch exklusives Oder) geben, tertium non datur.
Wenn wir nun die Formulierung anschauen, dann heisst es zunächst, die Abgeordneten verträten das ganze Volk; das liesse sich immerhin als kollektiver Plural auslegen. Sogleich folgt aber, dass die Abgeordneten nicht an Aufträge und Weisungen gebunden, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen seien. Das lässt sich nun aber nicht als kollektiver Plural interpretieren. Denn Gewissen kann immer nur einem individuellen Bewusstsein zukommen, keinem Kollektiv; es wäre auch unsinnig zu meinen, dass die Abgeordneten insgesamt nicht an Aufträge und Weisungen gebunden wären (als Kollektiv), abr die einzelnen könnten es sein (individuell), sondern es ist offensichtlich, dass diese beiden Klauseln die jeweils einzelnen Abgeordneten als Individuen im Auge haben müssen.
Dann kann aber nicht mehr behauptet werden, der Satz enthalte einen kollektiven Plural; nimmt man an, dass die erste Klausel betreffend Vertretung des ganzen Volkes kollektiv gemeint sei, dann hätte aber der Verfassungsgeber nahtlos im selben Satz vom kollektiven zum individuellen Plural gewechselt, was als Satzbruch doch etwas zu grob erscheint, dass man es dem historischen Verfassungsgeber unterstellen kann.
Anerkennt man aber, dass es sich hier nicht um einen kollektiven Plural handelt, dann fällt auch O. W.s Argumentation in sich zusammen und das BVG hat recht. Die Klausel betreffend Vertretung des ganzen Volkes soll ja doch vor allem die einzelnen Abgeordneten daran mahnen, sich dem Gemeinwohl verpflichtet zu fühlen, auch wenn das nicht wirklich einklagbar sein kann.
Übrigens spricht der 1. Satz, wie bereits anderswo erwähnt, davon, dass die Wahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein müssen, ausdrücklich jedoch nicht von einer Verhältnismässigkeit o. dgl. Das GG lässt somit die Wahl des Verfahrens grundsätzlich offen.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. September 2005 - 17:52 Uhr:   

Nun steht in Art. 38 jedoch "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."

Würdest Du mir meiner Behauptung zustimmen, dass "ihre*m* Gewissen" wiederum einen Hinweis darstellt, dass es geboten wäre, hier den kollektiven Plural anzuwenden, da es ansonsten "ihre*n* Gewissen" (wie z.B. auch "ihren Bieren") heißen müsste, sollte, und wohl auch ohne weiteres könnte, um den nötigen Grad an Distributivität festzustellen?

Würdest Du mir zustimmen, dass Deine Interpretation weiter hergeholt ist als meine?

Herr Hohmann vertritt oder repräsentiert mich jetzt aber immer noch nicht, was tun?

Wie ist deine Meinung zu dem übrigen, d.h. ab Abs. 7?
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Freitag, 09. September 2005 - 00:19 Uhr:   

Nun ja, wenn jemand, der elementare Regeln der deutschen Sprache nicht versteht, sich mit einem studierten Philologen streitet, dann ist es nicht eben wahrscheinlich, dass seine Interpretation die richtige sei.
Aber das Problem liegt ja wohl tiefer: Gehen wir an den Anfang dieser Debatte, dann formuliert er nämlich dort: "wenn ich mir Hare-Niemeyer und Sainte-Lague anschaue, dann kann ich irgendwie keinen Unterschied entdecken, bzw. müsste Sainte-Lague minimal vom richtigen Ergebnis abweichen, da der Divisor (alle Stimmen)/(alle Sitze) gerundet wird."
Bezeichnend ist, dass darin vom "richtigen" Ergebnis die Rede ist. Wahlen dienen im Allgemeinen dazu, ein Ergebnis zu erzeugen; um das Ergebnis festzustellen, gibt es verschiedene Wahl- und Zählverfahren. Wer aber von einem gleichsam gegebenen "richtigen" Ergebnis ausgeht, wird auch keine Mühe haben, das Grundgesetz so zu interpretieren, dass immer das herausschaut, was er von vornherein als "richtig" deklariert hat. Von da aus ist es dann kein weiter Weg mehr, Verfassungsrichtern, die nicht diesem vorgefassten Urteil folgen, ideologische Verblendung unterzuschieben.

Nun ist in Artikel 38 I GG zwar vom Gewissen im Singular die Rede, daher "ihrem Gewissen" und nicht "ihren Gewissen", doch entspricht das genau der von mir dargelegten Bedeutung des Satzes und folgt daraus keineswegs, dass man einen kollektiven Plural ansetzen müsste. Gewissen ist in der deutschen Sprache ohnehin ein Wort, das ganz selten in der Mehrzahl auftreten kann. Zudem handelt es sich in diesem Satz um einen sogenannten generischen Singular, eben gerade weil das Gewissen jedes einzelnen Abgeordneten gemeint ist. Dann müsste auch der Singular stehen, wenn es sich um ein Wort handelte, das ohne weiteres im Plural stehen kann (was bei "Gewissen" eben meist nicht der Fall ist).
Und wie bereits dargelegt, ginge der Satz in seinen übrigen Teilen nicht auf, wenn man aus dem Gewissen oder aus dem ersten Satzteil einen kollektiven Plural herauslesen wollte.
Meine Interpretation ist daher nicht weit hergeholt und nicht weiter als eine andere, sondern die einzige, die den Regeln der deutschen Syntax standhalten kann.
Im übrigen kommt noch ein Denkfehler hinzu: Die Aussage, dass die Abgeordneten des deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes seien, heisst nicht, dass Herr Hohmann O. W. repräsentieren soll (von Repräsentation ist im übrigen in diesem Satz keine Rede, sondern von Abordnung und Vertretung, was nicht dasselbe wie Repräsentation zu sein braucht). Vielmehr meint das Grundgesetz, dass jeder Abgeordnete sich als Vertreter des ganzen Volkes zu verstehen habe. Das bedeutet eben nicht, dass Wähler X oder Wähler Y sich durch Abgeordneten Z vertreten fühlen sollen, sondern dass Abgeordneter Z (und ebenso alle anderen Abgeordneten) sich als Vertreter des ganzen deutschen Volkes (verstanden als KOLLEKTIV; hier kommt das ins Spiel, aber nur hier!)zu verstehen und zu gebärden haben. Und dieses Volk nun schliesst grundsätzlich auch die nicht Wahlberechtigten ein. Etwas weniger pathetisch liesse sich das auch so sagen, dass die Abgeordneten (und zwar jeder einzeln) auf das Gemeinwohl, Allgemeininteresse usw. zu achten habe.
Die "Logik" läuft eben gerade in umgekehrter Richtung, als O. W. uns das weismachen will.
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Steve
Veröffentlicht am Freitag, 09. September 2005 - 18:46 Uhr:   

Weiß jemand in welcher Größenordnung die Wahrscheinlichkeit liegt, dass ein Wähler bei der Bundestagswahl 2005 mit seiner Stimme der Partei schadet, die er am besten findet?
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Freitag, 09. September 2005 - 20:52 Uhr:   

@Steve
Das kommt darauf an, in welchem Bundesland und welche Partei man wählt (siehe dazu die Tipps und Trick zur Bundestagswahl 2005). Wähler der kleineren Parteien werden das Problem nicht (bzw. nur in einem sehr unwahrscheinlichen Fall) haben. Am besten haben es die Wähler im Wahlkreis 160, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit schon vorher wissen, ob die eigene Stimme ihrer Partei schaden wird.
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Oliver Witt
Veröffentlicht am Samstag, 10. September 2005 - 05:24 Uhr:   

"Nun ja, wenn jemand, der elementare Regeln der deutschen Sprache nicht versteht,"

Meine Deutschkenntnisse wurden in der Regel und im Durchschnitt als sehr gut bis gut beurteilt.

[Pöbelei gelöscht.]

"Bezeichnend ist, dass darin vom "richtigen" Ergebnis die Rede ist. Wahlen dienen im Allgemeinen dazu, ein Ergebnis zu erzeugen; um das Ergebnis festzustellen, gibt es verschiedene Wahl- und Zählverfahren. Wer aber von einem gleichsam gegebenen "richtigen" Ergebnis ausgeht,"

Wenn man den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und der korrekten Abbildung der jeweiligen Mehrheit wie vom BVG vorgegeben anerkennt, so wie ich, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass es bereits bei der Konstituierung eines Parlaments auch möglich sein muss, das Sitzzuteilungsverfahren nach den konkreten Gegebenheiten und somit erst im Nachhinein festzulegen.

Das wurde auch in in o.g. Urteil zumindest für Ausschüsse bestätigt: "Das Bundesverfassungsgericht hat die parlamentarische Praxis anerkannt, nach der die Zählverfahren bei einem Beschluss nach § 57 Abs. 1 GOBT auch gerade im Hinblick darauf ausgewählt werden dürfen, ob das gewählte Verfahren die die Bundesregierung tragende politische Mehrheit im Bundestag abbildet (vgl. BVerfGE 96, 264 <283>)."

Ich hätte diese Wahlmöglichkeit jetzt aber gern nicht nur für Ausschüsse, sondern im Ernstfall auch für das ganze Parlament, denn, wie du schon ahnst, geht alle politische Macht vom Volke aus. Und falls alle drei gängigen Verfahren nicht in der Lage sind, das Problem zu lösen, sehe ich keinen anderen Weg, als entweder das Parlament zu erweitern oder individuelle Stimmkräfte einzuführen.

Nichtsdestotrotz stimmt mir das BVG insoweit zu, dass es unter bestimmten Bedingungen möglich ist, dass sich das Verteilungsverfahren nach dem legitimierten und "richtigen" Ergebnis richtet und nicht etwa umgekehrt.

"wird auch keine Mühe haben, das Grundgesetz so zu interpretieren, dass immer das herausschaut, was er von vornherein als "richtig" deklariert hat."

Erzähl das nicht mir, sondern den neo-konservativen Chef-Ideologen.

Pöbelei gelöscht.

"Nun ist in Artikel 38 I GG zwar vom Gewissen im Singular die Rede, daher "ihrem Gewissen" und nicht "ihren Gewissen", doch entspricht das genau der von mir dargelegten Bedeutung des Satzes und folgt daraus keineswegs, dass man einen kollektiven Plural ansetzen müsste."

Warum nicht? "Ihrem" könnte ja sonstwer sein. Ein weiblicher Gott, oder so. Oder eine direkte Ansprache an den geneigten Leser.

"Gewissen ist in der deutschen Sprache ohnehin ein Wort, das ganz selten in der Mehrzahl auftreten kann."

Wunderbar. :-)

"Zudem handelt es sich in diesem Satz um einen sogenannten generischen Singular,"

Wow, da gibt es tatsächlich einen Google-Eintrag zu. Und zwar exakt einen. [prust]

"eben gerade weil das Gewissen jedes einzelnen Abgeordneten gemeint ist. Dann müsste auch der Singular stehen, wenn es sich um ein Wort handelte, das ohne weiteres im Plural stehen kann (was bei "Gewissen" eben meist nicht der Fall ist)."

Geht schon, wenn man nur will.

"Und wie bereits dargelegt, ginge der Satz in seinen übrigen Teilen nicht auf, wenn man aus dem Gewissen oder aus dem ersten Satzteil einen kollektiven Plural herauslesen wollte."

Doch, sogar noch besser.

Pöbelei gelöscht.

"Im übrigen kommt noch ein Denkfehler hinzu: Die Aussage, dass die Abgeordneten des deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes seien, heisst nicht, dass Herr Hohmann O. W. repräsentieren soll"

Ich hätte nichts dagegen, aber, ganz unter uns, der Junge kann's nicht.

Pöbelei gelöscht.

"Vielmehr meint das Grundgesetz, dass jeder Abgeordnete sich als Vertreter des ganzen Volkes zu verstehen habe."

Hey, da bin ich ja voll begeistert, dass das da drin steht, sozusagen als Handlungsdirektive für die Abgeordneten, die ja nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Ich bin sicher, wenn das nicht drin stünde, hätte Herr Hohmann schon die ersten Öfen wieder angeschmissen, aber so hat uns dieser Satz nochmal davor bewahrt, da er Herrn Hohmann unmissverständlich klar macht, was zu tun ist. [tätschel]

Und Du meinst, dass ich einen einklagbaren Rechtsanspruch darauf habe, dass die Opposition zu 51% mit den Regierungsparteien stimmt, und die Regierung zu 49% mit der Opposition?

"Das bedeutet eben nicht, dass Wähler X oder Wähler Y sich durch Abgeordneten Z vertreten fühlen sollen,"

Genau, das wäre ja noch schöner. Wo kämen wir da denn hin? ;-)

"sondern dass Abgeordneter Z (und ebenso alle anderen Abgeordneten) sich als Vertreter des ganzen deutschen Volkes"

"Das ganze Volk wird durch die Abgeordneten vertreten" ist eine äquivalente Formulierung für den Satz aus dem GG. Beachte bitte die allgemeine Formulierung "*die* Abgeordneten" im Gegensatz zu "alle Abgeordnete". Dass Mengenangaben bereits erfunden worden sind, wird durch das Attribut "ganze" im gleichen Satz deutlich.

Pöbelei gelöscht.

(Beitrag nachträglich am 22., Juni. 2006 von admin editiert)
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Samstag, 10. September 2005 - 11:40 Uhr:   

Auf soviel persönliche Anwürfe von Seiten O. W.'s antworte ich nicht eingehend: Wer die Person angreift, weil ihm die Argumente ausgehen, qualifiziert sich hinreichend selbst.
Im übrigen werden einfach die Argumente wieder so gewendet, dass die petitio principii wiederum herausschauen muss. (Hatten wir das in Deutschland nicht schon? Erinnert mich irgendwie an Debatte mit Faschisten.)

Im übrigen wähle ich nicht in Deutschland, werde daher auch nicht in Deutschland vertreten, weder durch den Bundestag insgesamt noch durch seine einzelnen Mitglieder. Aber auch in unserer Verfassung wie in den meisten der Welt steht derselbe Satz, dass die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes seien. Dieser wird in allen Ländern rund um die Welt gleich ausgelegt, nur O. W. hat sich seine eigene Auslegung und Logik zurechtgezimmert.

Darüber mag er selbst bestimmen, wie ER etwas auffasst (richtig braucht es deswegen nicht zu sein); aber über einen Punkt hat er nicht zu bestimmen: Wenn er mich nochmal duzt, werde ich ihn verklagen.
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Tim R.
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 06. Oktober 2009 - 18:23 Uhr:   

könnte mir jemand ein Beispiel nennen bei dem die beiden Wahlverfahren auf unterschiedliche Ergebnisse kommen.
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nowhereman
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 06. Oktober 2009 - 19:17 Uhr:   

Bundestagswahl 2009 - vorläufiges Endergebnis vom 27.09.09
Sitzzahl SPD wäre 1 Sitz höher bei Hare-Niemeyer
Sitzzahl CSU hätte rechnerisch einen Sitz nach Zweitstimmen verloren, allerdings überwögen wie bisher die gewonnenen Direktmandate 45, es bliebe also bei 45 Mandaten.
Folge: Bundestag hätte 623 Abgeordnete statt 622.
siehe www.wahlrecht.de/bundestag/2009/btwahl09-zwischenstand.xls
(einfach die Nachkommazahlen von SPD und CSU
anschauen im Feld Idealanspruch)

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