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Neues Wahlrecht

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neuer
Veröffentlicht am Sonntag, 14. November 2004 - 22:10 Uhr:   

Hier mal ein Vorschlag für ein neues Landtagswahlrecht.
Ausgehend von 200 Sitzen und NRW.

Ganz NRW wird in 30 Wahlkreis à 5 Personen eingeteil (oder das entsprechende andere Bundesland in entsprechen weniger Wahlkreise).

Die Wahlkreise werden von einer unabhängigen Kommision, bestehen aus 10 Landtagsmitgliedern, 5 Innenministeriumsvertretern und 10 von allen Richtern NRWs gewählte Mitgliedern mit Befähigung zum Richteramt, eingeteilt. Die Anzahl an wahlberechtigten Einwohnern soll nicht um mehr als 15.000 vom Durchschnitt Abweichen. Neueinteilung bei mehr als 20% Abweichung vom Durchschnitt. Automatische Überprüfung vor jeder 2. Wahl.

In allen Wahlkreisen werden die Kandidaten nach STV gewählt. Jede Partei die schon einmal im Landtag vertreten war oder 2000 Unterschriften bekam kann in jedem Wahlkreis bis zu 10 Kandidaten aufstellen, mindestens jedoch in jedem 5 Kandidaten. Unabhängige Kandidaten dürfen Kandidieren, wenn sie 200 Unterschriften aus ihrem Wahlkreis sammeln.

Es werden also 150 Personen in 30 Wahlkreisen à 5 Personen nach STV gewählt.

An die Kandidaten mit den ersten 5 Präferenzen vergibt man auch automatisch je eine sogenannte besondere Stimme. Dabei werde nichtgewählte unabhängige Kandidaten nicht berücksichtigt.
Pro besondere Stimme an einen Kandidaten erhält eine Partei eine Parteistimme.
Aufgrund dieser Parteistimmen werden die 200 Sitze (minus gewählte unabhängige Kandidaten und Kandidaten von nicht die Sperrklausel überwindenden Parteien) nach Hare/Nimeyer verteilt. Von den an eine Partei vergebenen Sitzen werden die gewählten Wahlkreiskandidaten abgezogen, der Rest nach Landesreservelisten vergeben. Gibt es für eine Partei Überhangmandate wird die Zahl der Abgeordneten pauschal um 10 erhöht. Gibt es dann immer noch Überhangsmandate werden Ausgleichsmandate vergeben!

Die Landesreservelisten bilden alle nicht gewählten Wahlkreiskandidaten einer Partei und zwar in der Reinfolge der Anzahl der besonderen Stimmen!

Es gibt eine Sperrklausel, die übergangen wird wenn eine Partei entweder 5% aller Parteistimmen erhält oder 10% aller Parteistmmen in einem Wahlkreis oder 2 Wahlkreiskandidaten von der Partei gewählt sind.

Und hier eine (besonders aus Bayern) bekannte Regelung:

Erhält eine Partei mehr als die Hälfte aller Parteistimmen, so erhält dise soviele Zusatzmandate, das diese Partei die absolute Mehrheit im Parlament hat!
Noch ein wohl (einmaliger) Zusatz bei mir: Erhält eine Partei mehr als die Hälfte der Parteistimmen, so wird die Sperklausel nicht berücksichtigt. Dies hat ja nur die Begründung die stabilität und Handlungsfähigkeit des Landtags zu gewährleisten. Hat aber eine Partein eh die absolute Mehrheit ist diese Begründung ohne halt!


Was haltet ihr davon?
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 00:55 Uhr:   

Bei STV in diesem Vorschlag erhält man sehr viele Präferenzen, entsprechend langwierig wäre das Auszählen der Stimmen. Nimmt man an, ein SPD-Wähler hat als Präferenzen alle SPD-Kandidaten, dann alle Grünen und keine weiteren, und Grüne Wähler umgekehrt, und Ähnliches würde für Union und FDP gelten, reichen unter Umständen schon über 5% zum Erreichen des 5. STV-Sitzes. Beispiele:

1) SPD 45,0% Grüne 5,1% Union 40,0% FDP 9,9%
2) SPD 45,0% Grüne 5,1% Union 39,7% FDP 10,2%

Bei Beispiel 1 gehen 2 Sitze an die SPD und 2 an die Union. Dann werden die schwächsten gestrichen; die 5% Rest-SPD fallen an die Grünen, und 10,1% Grüne schlagen 9,9% FDP.
Bei Beispiel 2 gehen 2 Sitze an die SPD und einer an die Union, dann werden erst die SPD, dann die Grünen gestrichen, dann erhält die CDU ihren zweiten und die FDP den letzten Sitz.

Man müsste also unter Umständen einen Mechanismus einbauen, der verhindert, dass eine kleine Partei Überhangmandate produziert, sonst hätte man schnell einen aufgeblähten Landtag.

Diese Variante des Wahlrechts ohne Landeslisten sollte man im Hinterkopf behalten, um sie später mit anderen Varianten vergleichen zu können.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 13:19 Uhr:   

Ein solcher Versuch, einen Kompromiss zwischen Parteienproporz und STV herzustellen, entspricht leider nicht ganz der Intention von STV-Systemen, in denen man die Personen auch ohne Rücksicht auf ihre Partei einreihen können sollte. Unlogisch erscheint mir zudem die Variante, die Wertigkeit der ersten fünf für den Proporz gleich anzusetzen. Wenn schon kompliziert, dann könnte man da auch gleich ein Borda-Verfahren einbauen.
Hauptproblem eines solchen Systems ist jedoch die vergleichsweise geringe Transparenz. Die Gefahr, dass einem Wähler nicht klar ist, wie er seine Intention am besten zum Ausdruck bringen kann, ist sehr hoch.
Wir hatten vor einem halben Jahr oder so eine Diskussion über ein Verfahren, in dem man personenbezogenenes STV so verlängert, dass im Anschluss an die explizit genannten Bewerber noch Parteipräferenzen gereiht werden, um damit einen über die Wahlkreisebene hinausgehenden Ausgleich herzustellen.
Wenn es einen Verhältnisausgleich gibt, dann ist es übrigens gar nicht notwendig, dass die Einzelwahlkreise gleich groß sind.

@ Frank Schmidt:
Wenn man bei mehrstufigen Verfahren den Überhang in Grenzen halten oder vermeiden will, dann sollte man auf den unteren Ebenen ein Verfahren einsetzen, das zu Gunsten der Großen verzerrt, um so zumindest einen Überhang durch kleine Listen auszuschließen. Für Systeme auf STV-Basis hieße das dann, dass man kein Hare-STV verwenden sollte, sondern Droop-STV. Damit könnte eine 5,1%-Liste im obigen Beispiel keinen Sitz erringen. Für die Oberverteilung kann man dann immer noch ein neutrales Verfahren verwenden.

Gut am ursprünglichen Vorschlag ist die Abkehr vom Einerwahlkreis und die Möglichkeit der Personalisierung. Allerdings frage ich mich, ob es hier unbedingt STV sein muss oder ob nicht auch ein einfaches Häufelsystem mit Panaschieren ausreicht.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 15:53 Uhr:   

So, dann wage ich mich auch mal mit einem neuen Wahlsystem hervor, an dem ich schon seit einiger Zeit bastele. Der eine oder andere hier im Forum weiß davon vielleicht schon (Tschuldigung Frank Schmidt, dass ich mich noch nicht wieder gemeldet habe).

Ich habe als "Praktiker" Erfahrungen mit allen möglichen Wahlsystemen von (wortwörtlich) Schleswig-Holstein bis Bayern gesammelt und insbesondere im Straßenwahlkampf immer wieder erlebt, was es heißt diese Systeme, dem "einfachen" Bürger zu vermitteln. Und – um es kurz zu machen – fast alles, was bei uns zum Einsatz kommt ist vor allem VIEL ZU KOMPLIZIERT. Deshalb sollten ALLE Überlegungen vor allem auch berücksichtigen, dass die Verfahren gut verständlich sein müssen.

Gerade an diesem Punkt kranken auch immer wieder viele Überlegungen hier im Forum. Was hilft es uns nämlich, wenn wir am Ende das perfekte, mega gerechte und womöglich sogar noch im höchsten Maße personalisierte Wahlsystem haben, das Ganze aber so kompliziert ist, dass kaum noch ein Wähler durchsteigt und mitmacht?

Hier kommt deshalb mein Vorschlag, bei dem ich auf Kommentare und Verbesserungsvorschläge sehr gespannt bin. Am meisten würde es mich freuen, wenn sich vielleicht jemand die Mühe macht und das ganze etwa am Beispiel des Europawahlergebnisses einmal durchrechnet. Ich selber habe dafür leider in den letzten Wochen keine Zeit gefunden und kann deshalb noch nicht genau übersehen, welche Auswirkungen in meinem System z.B. der Wegfall der 5-Prozent-Hürde wirklich hat.

Der Übersichtlichkeit halber teile ich das Ganze übrigens auf. Es kommen jetzt also noch zwei Beiträge:
A. WAHLVERFAHREN
B. GLIEDERUNG DES WAHLGEBIETS
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 15:54 Uhr:   

A. WAHLVERFAHREN


A.1 – Grundüberlegungen:

- Die Wahlen sind frei, gleich, geheim, allgemein und direkt.

- Die Wähler haben Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments.

- Das Wahlsystem ist so einfach und klar, dass es jeder Wähler innerhalb weniger Minuten verstehen kann.

- Es gibt keinerlei Ausnahmen und Extraregeln wie z.B. die 5-Prozent-Hürde, Überhangmandate etc.


A.2 – Das Wahlsystem:

1. Der Bundestag besteht aus 450 Abgeordneten.

2. Die Wahl der Abgeordneten erfolgt in 17 Bundeswahlkreisen anhand von lose gebundenen Listenwahlvorschlägen.

3. Jeder Wähler hat drei Stimmen, die er für die Bewerber auf den Listenwahlvorschlägen abgibt.

4. Die drei Stimmen können für einen Bewerber oder für unterschiedliche Bewerber eines Listenwahlvorschlags oder für unterschiedliche Bewerber unterschiedlicher Listenwahlvorschläge abgeben werden.

5. Alle für die Bewerber eines Bundeswahlkreises abgegebenen gültigen Stimmen werden zunächst in den einzelnen Bundeswahlkreisen zusammengezählt.

6. Anhand der sich so ergebenen Gesamtzahlen der gültigen Stimmen werden die 450 Abgeordnetensitze nach dem System der Verhältniswahl auf die 17 Bundeswahlkreise verteilt.

7. Jetzt werden in den einzelnen Bundeswahlkreisen alle für die Bewerber eines Listenwahlvorschlags abgegebenen gültigen Stimmen zusammengezählt.

8. Die zu vergebenen Sitze werden dann nach dem System der Verhältniswahl auf die Listenwahlvorschläge verteilt.

9. Die auf die einzelnen Listenwahlvorschläge entfallenden Sitze erringen die Bewerber in der Reihenfolge ihrer Stimmen.

10. Sitze, die bei erschöpften Listenwahlvorschlägen nicht zugeteilt werden können, bleiben unbesetzt.


A.3 – Anmerkungen:

Zu 1: Eine spürbare Verkleinerung des Bundestages halte ich für absolut sinnvoll.

Zu 2.: Mehr zu den Bundeswahlkreisen im Kapitel "B. Gliederung des Wahlgebiets". Bezüglich der Listen würde ich mir ein möglichst weit gefasstes Recht zur Einreichung von Wahlvorschlägen wünschen, dass auch Einzelbewerber und Wählervereinigungen zulässt.

Zu 3./4.: Ich halte das für einen praktikablen, breiten Wählerschichten noch vermittelbaren Mittelweg zwischen reiner Listenwahl und STV auf der anderen Seite des Spektrums. Auch bei diesem relativ einfachen Verfahren wird wohl nur eine Minderheit der Wähler die ihnen gebotenen Möglichkeiten komplett nutzen, trotzdem sollten diese angeboten werden. Die Möglichkeit, direkt die Liste mit drei Stimmen zu wählen – wie es inzwischen bei niedersächsischen Kommunalwahlen möglich ist –, möchte ich aber nicht einräumen. Niemand kann gezwungen werden, "möglichst personalisiert" abzustimmen, ermuntert werden, auf dieses Recht zu verzichten, sollte er aber auch nicht.

Zu 6.: Dadurch, dass es keine "fixen Zuteilungen" der Mandate auf die Bundeswahlkreise gibt, wird ein Anreiz für eine hohe Wahlbeteiligung "vor Ort" gesetzt. Außerdem wird so ein möglichst gleich hohes Gewicht aller einzelnen Stimmen insgesamt sichergestellt Als Zuteilungssystem – auch später innerhalb der Bundeswahlkreise – böte sich das Sainte-Laguë-Verfahren an.

Zu 10.: Ein "Weiterreichen" unbesetzter Sitze an noch nicht gewählte Bewerber derselben Partei in anderen Bundeswahlkreisen, wie etwa bei Kommunalwahlen teilweise möglich, soll ausgeschlossen sein, da auch keine bundesweite Verrechnung der Gesamtzahl der Stimmen der Parteien erfolgt (diese würde insbesondere das Gewicht der "natürlichen" Sperrklausel – gewissermaßen der kleine Ersatz für die weggefallene 5-Prozent-Hürde – unterminieren). Nicht zuletzt aus Gründen der Klarheit und der Transparenz des Systems soll alles "vor Ort" in den einzelnen Bundeswahlkreisen angesiedelt bleiben. Auch eine ungleiche Behandlung von "zuviel" abgegebenen Stimmen für Einzelbewerber und "Gruppenlisten" kann so ausgeschlossen werden.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 15:55 Uhr:   

B. GLIEDERUNG DES WAHLGEBIETS


B.1 – Grundüberlegungen:

- Die Gliederung des Wahlgebiets spiegelt die auch im Parteiensystem manifestierten föderalen Traditionen der Bundesrepublik wider.

- Die Bundeswahlkreise sind im Hinblick auf die Wahlberechtigten möglichst gleich groß, damit kleine Parteien überall einigermaßen vergleichbare Hürden zur Überwindung der "natürlichen" Sperrklausel vorfinden.

- Die Anzahl der in den Bundeswahlkreisen zu wählenden Abgeordneten stellt sicher, dass die Wähler tatsächlich auf die personelle Zusammensetzung der entsendeten Abgeordneten spürbaren Einfluss nehmen können. (Erfahrungen bei Kommunalwahlen zeigen, dass den auf den Listen installierten "Spitzenkandidaten" in der Regel ein überproportional großer Anteil von Stimmen sicher ist. Der tatsächliche Wettbewerb unter den Kandidaten beginnt also in der Regel erst ab Listenplatz 2. Eine hohe Anzahl von Bundeswahlkreisen würde deshalb dazu führen, dass bei den kleineren Parteien oft nur "Spitzenkandidaten" auf den Listen Wahlchancen hätten.)

- Gleichzeitig sind die Bundeswahlkreise aber auch – insbesondere im Hinblick auf ihre Fläche – nicht so groß, dass in ihnen nicht noch eine effektive personalisierte Wahlkampfführung möglich wäre. (Anmerkung: So stellen die Bundeswahlkreise in der Regel homogene Bezirke im Hinblick auf die Presselandschaft und die Struktur der regionalen elektronischen Medien dar, über die der Großteil des Wahlkampfs "vor Ort" bestritten wird.)


B.2 – Der Zuschnitt der Bundeswahlkreise

1. Hansa
Besteht aus der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Schleswig-Holstein und dem Land Mecklenburg-Vorpommern.

2. Nordniedersachsen-Bremen
Besteht aus den niedersächsischen Regierungsbezirken Weser-Ems und Lüneburg sowie der Freien Hansestadt Bremen.

3. Hannover-Braunschweig
Besteht aus den niedersächsischen Regierungsbezirken Hannover und Braunschweig.

4. Westfalen-Lippe
Besteht aus den nordrhein-westfälischen Regierungsbezirken Münster, Arnsberg und Detmold, abzüglich der Landkreise und kreisfreien Städte des Ruhrgebiets (siehe BWK 5).

5. Ruhrgebiet
Besteht aus den Landkreisen und kreisfreien Städten des Kommunalverbandes Ruhrgebiet mit Ausnahme des Kreises Wesel. Der BWK umfasst somit die Städte Essen, Duisburg, Oberhausen und Mülheim des Regierungsbezirks Düsseldorf; den Kreis Recklinghausen sowie die Städte Gelsenkirchen und Bottrop des Regierungsbezirks Münster; den Kreis Unna und den Ennepe-Ruhr-Kreis sowie die Städte Dortmund, Bochum, Herne, Hamm und Hagen des Regierungsbezirks Arnsberg.

6. Düsseldorf
Besteht aus dem nordrhein-westfälischen Regierungsbezirk Düsseldorf, abzüglich der kreisfreien Städte des Ruhrgebiets (siehe BWK 5).

7. Köln
Besteht aus dem gleichnamigen nordrhein-westfälischen Regierungsbezirk.

8. Hessen
Besteht aus dem gleichnamigen Bundesland.

9. Rheinland-Pfalz-Saar
Besteht aus den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland.

10. Karlsruhe-Freiburg
Besteht aus den gleichnamigen baden-württembergischen Regierungsbezirken, die zu großen Teilen deckungsgleich sind mit dem alten Land Baden.

11. Stuttgart-Tübingen
Besteht aus den gleichnamigen baden-württembergischen Regierungsbezirken, die zu großen Teilen deckungsgleich sind mit den ehemaligen Ländern Württemberg und Hohenzollern.

12. Oberbayern
Besteht aus dem gleichnamigen bayerischen Regierungsbezirk.

13. Schwaben-Niederbayern-Oberpfalz
Besteht aus den gleichnamigen bayerischen Regierungsbezirken.

14. Franken
Besteht aus den bayerischen Regierungsbezirken Ober-, Unter- und Mittelfranken.

15. Sachsen-Anhalt-Thüringen
Besteht aus den Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen.

16. Sachsen-Lausitz
Besteht aus dem Bundesland Sachsen sowie der brandenburgischen Niederlausitz, bestehend aus den Landkreisen Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße, dem südlichen Teil des Landreises Dahme-Spreewald (Altkreise Luckau und Lübben) und der kreisfreien Stadt Cottbus.

17. Berlin-Brandenburg
Besteht aus den Bundesländern Berlin und Brandenburg abzüglich der Niederlausitz (siehe BWK 16)


B.3 – Anmerkungen:

Zu 1.: Notfalls könnte das Land Mecklenburg-Vorpommern auf die Bundeswahlkreise 1 und 17 aufgeteilt werden, um eine gleichmäßigere Gliederung des nördlichen und nordöstlichen Wahlgebiets zu erreichen. Dem BWK 17 würden dann die vorpommerschen Landkreisen Nordvorpommern, Rügen, Demmin, Ostvorpommern und Uecker-Randow zugeordnet.

Zu 5.: Für den Zuschnitt dient ausnahmsweise eine kommunale Gebietskörperschaft als Vorbild. Dieses erscheint mir aber als ausgesprochen sinnvoll, da das Ruhrgebiet längst eine eigenständige Region mit gewachsener Tradition und großem Zusammengehörigkeitsgefühl darstellt.

Zu 13.: Zudem könnte eine „Brücke“ zwischen Schwaben und den östlichen Bereichen mit Hilfe der oberbayerischen Landkreise Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen und Pfaffenhofen a. d. Ilm sowie der kreisfreien Stadt Ingolstadt gebildet werden.

Zu 16.: Die Region Lausitz mit der dort lebenden sorbischen Minderheit sollte unbedingt nur einem Wahlkreis zugeschlagen werden. Aufgrund traditioneller Bindungen schlage ich deshalb vor, die zu Brandenburg gehörende Niederlausitz dem Bundeswahlkreis 16 zuzuordnen. Zum einen soll so zukünftig zumindest die theoretische Chance eingeräumt werden, dass ein Abgeordneter der Sorben über eine „eigene sorbische Liste“ in den Bundestag gewählt werden könnte, was bei einer Aufsplittung des sorbischen Siedlungsraums auf zwei Bundeswahlkreise wohl dauerhaft ausgeschlossen wäre. Zum anderen wird sich aber auch der Druck auf die übrigen Parteien – insbesondere die Volksparteien – erhöhen, sorbische Kandidaten auf ihren Listen zu berücksichtigen, da ihre Volksgruppe als Wählerpotential deutlich an Attraktivität gewönne.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 16:53 Uhr:   

> 13. Schwaben-Niederbayern-Oberpfalz
> Besteht aus den gleichnamigen bayerischen Regierungsbezirken.
Und bildet also kein zusammenhängendes Territorium.

> Zu 1.: Notfalls könnte das Land Mecklenburg-Vorpommern auf die
> Bundeswahlkreise 1 und 17 aufgeteilt werden, um eine gleichmäßigere
> Gliederung des nördlichen und nordöstlichen Wahlgebiets zu
> erreichen. Dem BWK 17 würden dann die vorpommerschen Landkreisen
> Nordvorpommern, Rügen, Demmin, Ostvorpommern und Uecker-Randow
> zugeordnet.
Bis nach Mecklenburg und vor allem Vorpommern hat die Kenntnis verschiedener Wahlsysteme von Bayern bis Schleswig-Holstein also nicht gereicht. Die kreisfreien Städte Stralsund und Greifswald könnten nämlich anders als ihr Umland im Wahlkreis 1 verbleiben.

Das sind jetzt zwei Dinge, die wie Kleinigkeiten aussehen. Ich möchte das lieber mit dem Stichwort "Schlamperei" umschreiben. Wenn man sich schon hinsetzt und einen großen Entwurf vorstellt, dann sollte man eben auch auf die Details ein wenig achten.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 17:12 Uhr:   

Zu A:
Dass durch das Verfahren geschlossene Wahlkreise ohne Bundesausgleich entstehen, halte ich angesichts der Größe der Gebiete auch für unerheblich, in Ordnung.
Die Gesamtzahl der Abgeordneten hat mit dem Wahlsystem selbst nicht viel zu tun. Persönlich sehe ich nicht die Notwendigkeit, die Zahl der BT-Abgeordneten weiter zu reduzieren. Die gängige Argumentation ("Kosten reduzieren", "Verschlankung" usw.) ist in erster Linie dazu geeignet, das Parlament insgesamt zu schwächen. Deswegen sollte man mit solchen Forderungen, die immer auch einen Schuss Populismus in sich tragen, vorsichtig sein. Bei 600 Abgeordneten kommt ein Gewählter auf ca. 135.000 Einwohner.
Mein Hauptansatz der Kritik ist aber die willkürlich gewählte Anzahl von drei Stimmen je Wähler. Diese bei norddeutschen Kommunalwahlen in der Tat beliebte Variante einschließlich der kleinen Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens bewirkt erfahrungsgemäß eine Form des Wahlkampfes, die diesem System optimal gerecht zu werden versucht. Das heißt, die großen Parteien werden tatsächlich ihren Wahlkampf auf die regionalen Spitzenkandidaten konzentrieren, um diese als Stimmenfänger für die eigene Liste zu nutzen. Im Ergebnis wählt dann die übergroße Zahl der Wähler genau diese Leute mit drei Stimmen. Wer außer ihnen noch Sitze erhält, entscheidet ein geringer Teil der Gesamtwählerschaft, da die überzähligen Stimmen nirgendwohin transferiert werden. Dass man sich der Personalisierung als Wähler nicht entziehen kann, ändert dabei überhaupt nichts. Wenn dann aber einzelne Gewählte mit mickrigen Stimmenzahlen ins Parlament einziehen, wartet dort schon eine dankbare Schar messerwetzender Journalisten und hält ihnen ihre (angeblich) geringe Legitimation vor. Mit einer vergleichbaren Form der Personalisierung (eine obligatorische Personenstimme, aber Verhältnisausgleich unter Parteien) sind in Estland im Juni zwei Sozialdemokraten mit jeweils etwa 1000 Stimmen landesweit ins EP eingezogen, weil der Spitzenkandidat ihrer Partei, Toomas Hendrik Ilves, eben alleine Stimmen für drei Sitze gezogen hat.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 18:54 Uhr:   

@ Martin Jurgeit
Ein sehr ausführlicher und durchdachter Vorschlag.
Ich persönlich lehne ihn aber ab aus folgenden Gründen:
1. Ich bin für eine strikte Trennung der vertikalen Gewalten. Ein u.a. nach territorialen Kriterien gestaltet Wahlrecht verwischt aber die klare Trennung von lokalen, regionalen, nationalen und supranationalen Fragestellungen und Interessen.
Föderalismus ist mehr durch Stärkung der Landes- und Kommunalhoheit gedient.
2. Die Personelle Festsetzung des Parlaments könnte der Bürger auch durch allgemein zugängliche Vorwahlen der Parteilisten erreichen.
3. Ihr Vorschlag würde Wählen nicht einfacher machen, da er nur Wahlverfahren (die Bundestagswahl betreffend) tauscht mit einem anderen - doch die anderen Wahlen sind nicht berücksichtigt. Die Möglichkeiten der Komplikationen durch Verwechslungen bleibt bestehen.

Was es vielleicht bräuchte, wäre ein Wahlverfahren, dass auf jeder Ebene gleichen Aufbau ermöglicht.
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 20:08 Uhr:   

@Immanuel Goldstein
zu 1.: Jetzt gibt es Landeslisten und Wahlkreise. Wo siehst du im neuen System ein "Verwischen" und im alten nicht?
zu 2.: Im einstufigen System einer personalisierten Wahl können nur die Wähler einer Partei die Rangfolge der Kandidaten beeinflussen. Ein zweistufiges System mit Vorwahlen und Hauptwahl macht es für den Wähler auch nicht leichter, ermöglicht aber, die Listenaufstellung kleiner Parteien zu sabotieren. Vorwahlen passen in ein Mehrheitswahlrecht; hier sind sie fehl am Platz.
zu 3.: Man kann natürlich Martin Jurgeit's System (oder ein anderes) auf jeder Ebene einführen, das können aber nur die betroffenen Länder tun.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 20:37 Uhr:   

Und negative Stimmen durch die Reihenfolge der Sitzverteilung
1. Oberverteilung auf Wahlkreise
2. Unterverteilung auf die Listen
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Montag, 15. November 2004 - 22:28 Uhr:   

Negative Stimmen könnte man durch die automatische Methode verhindern. Das Ergebnis sieht dann dem alten Reichstagswahlrecht sehr ähnlich. Deswegen habe ich mir mal angesehen, welche Parteien von der 5%-Hürde getroffen worden wären.

Immer über 5% wären neben SPD und Zentrum/BVP auch DNVP und KPD gewesen. Die Nazis hätten es Mai 24 geschafft, wären Dezember 24 und 28 mit 3% und 2,6% gescheitert und ab 30 immer deutlich mit dabei. Die DDP wäre ab 30 gescheitert, und die DVP ab 32.

Alles in allem war für das Scheitern der Weimarer Republik wohl kaum der Unterschied zwischen dem damaligen und dem heutigen Wahlrecht verantwortlich, sondern die Schwäche der jungen Demokratie und die Stärke ihrer Gegner von rechts und links.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 09:57 Uhr:   

Mörsberg schrieb:

"Die kreisfreien Städte Stralsund und Greifswald könnten nämlich anders als ihr Umland im Wahlkreis 1 verbleiben."
Peinlich. :-( Da hätte ich mir gestern beim Ausformulieren der Anmerkungen doch etwas mehr Zeit nehmen sollen.

"Persönlich sehe ich nicht die Notwendigkeit, die Zahl der BT-Abgeordneten weiter zu reduzieren. Die gängige Argumentation ("Kosten reduzieren", "Verschlankung" usw.) ist in erster Linie dazu geeignet, das Parlament insgesamt zu schwächen."
Ich besteite dieses Argument ausdrücklich und bleibe dabei, dass der Bundestag - auch im Vergleich zu anderen Parlamenten großer Demokratien - vollkommen überdimensioniert ist. Aber das hat tatsächlich nichts mit dem System als solchen zu tun und wäre ein eigenes Thema.
Ich bin auf die Abgeordnetenzahl allerdings auch ein wenig im Zusammenhang mit der Zahl der Bundeswahlkreise gekommen. Beim Pi-mal-Daumen-Überschlagen kam ich jetzt auf eine "natürliche" Sperrklausel in den Bundeswahlkreisen von ca. 4-6 Prozent, die bei deutlich erhöhter Abgeordnetenzahl natürlich steigen würde.

"Mein Hauptansatz der Kritik ist aber die willkürlich gewählte Anzahl von drei Stimmen je Wähler."
Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wer genau zum ersten Mal auf die Stimmzahl Drei im Zusammenhang mit Wahlen gekommen ist. Das Ganze hat aber bei nicht wenigen Wählern schon einen gewissen Gewöhnungseffekt und wäre deshalb meiner Meinung nach ganz gut zu vermitteln. Aber auch mir ist klar, dass das willkürlich ist und keineswegs perfekt. Die Erfahrungen bei Kommunalwahlen zeigen aber, dass viel mehr wohl nicht drin ist. Die Nutzung der Parteistimmen in Niedersachsen z.B. zeigt deutlich, dass schon diese eigeschränkten Mitwirkungsmöglichkeiten von den meisten Wählern nicht gewünscht werden.

"Wenn dann aber einzelne Gewählte mit mickrigen Stimmenzahlen ins Parlament einziehen, wartet dort schon eine dankbare Schar messerwetzender Journalisten und hält ihnen ihre (angeblich) geringe Legitimation vor."
Genauso könnte man aber heute auch schon vielen Abgeordneten vorwerfen, dass sie ja nur über sichere Wahlkreise oder Listenplätze eingerückt sind und so nur über geringe "persönliche" Legitimation verfügen. Meine Erfahrung in Niedersachsen zeigt außerdem, dass die Presse sich eher auf die hochgehäuffelten Kandidaten stürzt und ihren Erfolg über die Partei-Platzhirsche feiert. Und gerade diese positiven Beispiele, die mit einiger Sicherheit immer wieder auftreten werden, würden viel Leben in die Strukturen bringen.


Immanuel Goldstein schrieb:

"Ihr Vorschlag würde Wählen nicht einfacher machen, da er nur Wahlverfahren (die Bundestagswahl betreffend) tauscht mit einem anderen"

Ihre prinzipiellen Einwände kann ich durchaus nachvollziehen (auch wenn ich sie nicht teile). Dass Sie mein System aber auf eine Stufe mit dem heutigen BTW-System stellen, bei dem sich nachweislich ein Großteil der Wähler nicht einmal die Bedeutung von Erst- und Zweitstimme im Klaren ist (von den ganzen Ausnahmeregeln ganz zu schweigen), das kann ich natürlich nicht hinnehmen. ;-)
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 10:12 Uhr:   

Meine Unmassgeblichkeit hätte da auch den einen oder andern Vorschlag - wobei selbstredend jedes Wahlsystem durch ein anderes ersetzt werden kann gemäss jeweils den Absichten und Vorhaben bzw. politischen Standpunkten, die die das Wahlrecht beeinflussenden Kreise haben.
Zunächst legen wir die Wahlkreise fest: Jedes Bundesland und Deutschland als ganzes bilden je einen Wahlkreis.
Dann legt der Wahlgesetzgeber die anzustrebende Sitzzahl des Bundestages fest.
Anschliessend kann jede Partei eine Liste aufstellen, die maximal soviele Personen enthält, wie Sitze vergeben werden sollen.
Sodann wird die Zahl der Stimmen berechnet, die jeder Wahlberechtigte vergeben kann: Die Anzahl der Sitze gemäss obigem Beschluss wird durch die Anzahl Wahlkreise geteilt; die nächsthöhere ganze Zahl ist die Anzahl Stimmen.
Die Wahlberechtigten können ihre Stimmen einer beliebigen Auswahl Personen der vorgeschlagenen Listen geben. Kumulieren ist jedoch nicht gestattet.
Nach dem Wahlakt werden alle Stimmen für alle Kandidaten nach Ländern zusammengestellt und danach bundesweit zusammengerechnet.
Alle gültigen Stimmen werden zusammengezählt und durch das Produkt aus der Anzahl Sitze gemäss obigem Beschluss und der Anzahl Wahlkreise dividiert; die nächsthöhere ganze Zahl ist die Verteilzahl.
Nun werden Sitze wie folgt vergeben:
In jedem Bundesland werden die Stimmen für alle Kandidaten einer Liste zusammengezählt und durch die Verteilzahl dividiert; der ganzzahlige Teil des Ergebnisses ergibt die Anzahl Sitze.
Überzählige Stimmen, die in einem Land nicht zu einem Sitz reichen, werden auf den Bundeswahlkreis übertragen; die so aus jedem Bundesland übertragenen Stimmen werden für jede Liste zusammengezählt und wieder durch die Verteilzahl dividiert. Der ganzzahlige Teil des Ergebnisses ergibt eine zusätzliche Sitzzahl für die Liste; Reste über der Hälfte der Verteilzahl ergeben einen Restsitz.
Die Kandidaten werden wie folgt bestimmt: In jedem Wahlkreis sind die Bewerber mit der jeweils grössten Zahl Stimmen aus diesem Wahlkreis gewählt; wäre ein Kandidat so in mehreren Wahlkreisen gleichzeitig gewählt, so wird er in jenem Wahlkreis berücksichtigt, in dem er die meisten Stimmen erhielt, in den andern fällt er ausser Betracht.
Sonderregelung: Hat ein Kandidat (ggf. auch Einzelbewerber) in einem Bundesland soviele Stimmen erhalten, dass er die Verteilzahl erreicht hat, so gilt er in jedem Fall als gewählt, notfalls entstehen Überhangmandate. Die Stimmen eines so gewählten Kandidaten fallen aber für die Berechnung der einer Liste zustehenden Sitze fort, nur ein Stimmenüberschuss über die Verteilzahl hinaus kann auf die Liste übertragen werden.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 11:04 Uhr:   

@ Frank Schmitt
zu 1. Seh ich im alten leider noch viel mehr, sollte aber in einem Neuen wesentlich weniger vorkommen.

zu 2. Da Parteien offen stehen und keine Geheimlogen sind, kann man ja in eine Partei eintreten (und austreten) und bei der Auslese der Kandidaten von Parteiseite her teilnehmen. Die Bürger könnten durch Bestimmung der Reihenfolge per Vorwahl Einfluß auf die personelle Zusammensetzung in einem vernünftigen Maß haben.

@ Martin Jurgeit
Ihr System ist de facto besser als die Bundestagswahl, aber nicht so gut, dass Sie mich überzeugen können (wobei ich ihnen danken will für Ihre investierte Zeit und Ihren Mut zurn Diskussion; ich finde es sehr schön wenn man sich Gedanken über - notwendige - Weiterentwicklungen der demokratischen Institutionen und Gebräuche macht).

@ Philipp Wälchli
Auch ihr gut durchdachtes Wahlsystem kennt territoriale UNtergliederungen und kann in mir keinen Enthusiasmus entfachen.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 11:06 Uhr:   

Mörsberg schrieb:
"> 13. Schwaben-Niederbayern-Oberpfalz
> Besteht aus den gleichnamigen bayerischen Regierungsbezirken.
Und bildet also kein zusammenhängendes Territorium."

Auf den Punkt hatte ich gerade vergessen einzugehen. Auch mir war das ein Dorn im Auge. Das Problem ist aber, dass Schwaben mit Oberbayern zusammen einfach zu viele Wahlberechtigte hätte. Deshalb hatte ich hierzu oben eine Anmerkung geschrieben, wie man eine "Brücke" zwischen den beiden Teilen des Bundeswahlkreises bilden könnte. Vielleicht könnte man aber auch ohne diese auskommen. Auch heute sind Bremen und Bremerhaven durch ein vergleichbaren Korridor bei (Bundestags-)Wahlen getrennt.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 11:37 Uhr:   

"Beim Pi-mal-Daumen-Überschlagen kam ich jetzt auf eine "natürliche" Sperrklausel in den Bundeswahlkreisen von ca. 4-6 Prozent, die bei deutlich erhöhter Abgeordnetenzahl natürlich steigen würde."

Ich meinte natürlich, dass die Höhe der "natürlichen" Sperrklausel in meinem System bei mehr Abgeordneten sinken würde.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 11:56 Uhr:   

@Immanuel Goldstein:

1. Ich kann nicht ganz Ihre Aversion gegen die territoriale Gliederung eines Wahlgebiets nachvollziehen. Wir leben nun mal in einem föderalen Staat, der teilweise auch ein nach Regionen aufgesplittet Parteiensystem hervorgebracht hat. Regionale, auf ein Bundesland beschränkte Parteien hatten aber nur dann die Chance, sich durchzusetzen, wenn sie aus einem besonders großen Bundesland wie im Fall der CSU Bayern kamen, wo zeitweilig sogar in Konkurrenz zur Bayernpartei immer noch das bundespolitische Überleben möglich war.

2. Auch das Beispiel PDS zeigt, dass eine territoriale Gliederung sehr sinnvoll sein kann - und Sie werden mir wohl kaum unterstellen können, dass mir der politische Erfolg der PDS so sehr am Herzen liegt ;-) Aber dass die in einzelnen Bundesländern zweitstärkste politische Kraft im Bundestag praktisch nicht vertreten ist, ist aus meiner Sicht alles andere als sinnvoll und hat zu den politischen Verwerfungen diesen Jahren maßgeblich mit beigetragen.

3. Auch die Etablierung neuer politischer Kräfte erfolgt naturgemäß zunächst regional in einzelnen Bundesländern. Durch das derzeitige "bundesweite Plattbügeln" der Ergebnisse bei BTW werden neue Kräfte unverhältnismäßig stark blockiert. Diese regionale Komponente hat übrigens auch das Bundesverfassungsgesetz bei seinem jüngsten Urteil zur Parteienfinanzierung ausdrücklich mit ins Spiel gebracht.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 12:15 Uhr:   

@ Martin Jurgeit
zu 1. Ich bin für dezentrale Sturkturen,Föderalismus und Regionalismus. Sehe aber ein Zentralisierungsbestrebung wenn Wahlen einer höheren Ebene sich nach territorialen Gesichtspunkten gliedern (sieht man mal von den Problemen beim Wahlverfahren ab), da es den Parteien leichter ermöglicht parteiliche Bundesinteressen durch Landeswahlkampf in den Regionen zu verankern. Für mich bleibt der (gewiss reformbedürftige) Bundesrat garant der föderalen Interessen auf Bundesebene und gestärkte Landtage und Landesregierungen wären auch nicht schlecht.

zu 2. Das liegt aber an der 5%-Hürde, die ich auch ablehne. Das würde nebenbei auch Regionalparteien den Sprung ins Parlament ermöglichen.

zu 3. Auch dem Einwand könnte man durch Abschaffung der 5%-Hürde aus der Welt bringen. Und das Bundesverfassungsgericht soll Recht sprechen und Interpretieren aber nicht setzen.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 13:09 Uhr:   

@Immanuel Goldstein:
O.K. die Abschaffung der 5-Prozent-Hürde wäre eine Alternative. Für diesen radikalen Schritt wird es aber wohl kaum auf absehbare Zeit eine Mehrheit geben. Außerdem würde das wahrscheinlich sogar mir in dieser extremen Form zu weit gehen. Deshalb ja als Kompromiss meine Idee mit der regionalisierten, natürlichen Sperrklausel, die nur solche Parteien in den Bundestag brächte, die zumindest auf reginaler Ebene schon das Zeug für eine relativ breit verankerte Parlamentspartei haben.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 13:15 Uhr:   

@ Martin Jurgeit
In diesen Punkten unterscheiden wir uns halt: Sie streben mehr einen Kompromiß an, ich eine Alternative. Das sei beides keinem genommen.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 13:54 Uhr:   

@Philipp Wälchli:
Habe ich dein System richtig verstanden, dass es nur eine einzige bundesweite Liste der einzelnen Parteien gibt, die dann in den einzelnen Bundesländern zur Abstimmung gestellt wird (... "wäre ein Kandidat so in mehreren Wahlkreisen gleichzeitig gewählt, so wird er in jenem ...")? Warum gibt es dann überhaupt noch die Unterteilung des Wahlgebiets auf die Bundesländer? Macht das die Sache nicht unnötig kompliziert oder steckt dahinter ein tieferer Sinn?
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Mörsberg
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 16:23 Uhr:   

> Ich bin auf die Abgeordnetenzahl allerdings auch ein wenig im
> Zusammenhang mit der Zahl der Bundeswahlkreise gekommen. Beim
> Pi-mal-Daumen-Überschlagen kam ich jetzt auf eine "natürliche"
> Sperrklausel in den Bundeswahlkreisen von ca. 4-6 Prozent, die bei
> deutlich erhöhter Abgeordnetenzahl natürlich steigen würde.
Da komme ich auf etwas anderes. Bei 450 Abgeordneten verteilt auf 17 Wahlkreise liegt die ideale Größe eines Wahlkreises bei 26 oder 27 Sitzen. Damit beträgt die faktische Sperrklausel bei einem neutralen Verfahren etwa 1/52 bis 1/54, also weniger als zwei Prozent. Selbst mit d'Hondt läge man noch bei 3,7% im 26er-Wahlkreis. Allerdings sind das ja eh nur Durchschnittswerte, denn im Beispiel ist der Wahlkreis Hessen erheblich größer als der Wahlkreis Düsseldorf usw. Das ist dann übrigens doch ein Argument gegen das Fehlen eines bundesweiten Ausgleichs. Da müssten die Einzelwahlkreise dann eigentlich exakt gleich groß sein.

@Immanuel Goldstein
Zur territorialen Untergliederung: Da verstehe ich die vorgebrachten Einwände auch nicht so ganz. Zu berücksichtigen ist doch auch, dass hier Elemente einer Personalisierung des Wahlsystems vorgeschlagen werden. Wer sich so etwas in einem Land der größe Deutschlands auf Bundesebene wünscht, muss schon allein um der Übersichtlichkeit willen eine oder zwei Abstufungen einführen.
> es den Parteien leichter ermöglicht parteiliche Bundesinteressen
> durch Landeswahlkampf in den Regionen zu verankern.
Da versteh ich auch nicht ganz, wo das Problem ist. Die regionale Komponente aus dem Wahlrecht zu entfernen heißt doch, dass Parteien nur dann regionalspezifische Anliegen transportieren können, wenn sie sich als reine Regionalpartei verstehen. Resultat könnte dann ein regional differenziertes Parteiensystem nach spanischem Vorbild sein, weil die Wähler, deren Wunsch es nicht nur ist, jemanden aus einer bestimmten Partei, sondern auch aus ihrer Gegend zu wählen, um das sicherzustellen, ihre Regionalpartei wählen müssen. Den Ausgleich zwischen den Regionen teilweise auf die innerparteiliche Ebene zu verlagern, also etwa durch regionale Listen, hat sich doch bewährt.

@Philipp:
Die Zulässigkeit von Mehrfachkandidaturen würde das Problem des Stimmenfängereffektes möglicherweise verschärfen. Wenn man als Ausgleich das Kumulieren verbietet und die Listenlänge begrenzt, haben die Wähler wiederum zu geringe innerparteiliche Differenzierungsmöglichkeiten. Die Reihenfolge unter den Kandidaten einer Partei wird dann de facto nur durch die panaschierenden Wähler bestimmt.

Ich möchte ferner die Diskussion noch mit einem Link zu einem älteren Thema ergänzen. Man braucht ja nicht für jedes Detail das Rad neu zu erfinden. (Es handelt sich um ein zwei- oder dreistufiges Verfahren mit halbautomatischer Mandatszuteilung und möglicher Personalisierung durch STV mit abschließender Listenpräferenz.)
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 18:09 Uhr:   

@Mörsberg:

Deine Einwände gegenüber der Höhe der "natürlichen" Sperrklausel stimmen tatsächlich. Ich hatte bei ein, zwei Proberechnungen etwas kleinere Bundeswahlkreise erwischt. Es wäre deshalb vielleicht wirklich zu überlegen, auf d'Hondt umzusteigen, wenn man ausdrücklich eine realtiv effektive Hürde beibehalten wollte.

Den fehlenden bundesweiten Ausgleich würde ich zudem unbedingt der Übersichtlichkeit halber beibehalten wollen. Viel problematischer finde ich, dass das derzeitige System der Wahlkreiseinteilungen insbesondere bei den Direktmandaten immer wieder der aktuellen Zahl der lokalen Wahlberechtigten nachhinkt. Dieser Effekt wird teilweise sogar noch durch lokal äußerst unterschiedliche Wahlbeteiligungen verstärkt, der aber bei einem System ohne fixe Mandatszuteilung pro Bundeswahlkreis effektiv zurückgedrängt werden könnte.

Im Mittelpunkt steht für mich aber die Einfachheit eines Wahlsystems, auch wenn es dann vielleicht einige kleinere Unzulänglichkeiten hat.
Die schwierige Nachvollziehbarkeit ist übrigens auch ein Grund, warum ich mich mit dem "zwei- oder dreistufiges Verfahren mit halbautomatischer Mandatszuteilung und möglicher Personalisierung durch STV mit abschließender Listenpräferenz" (eine super Formulierung ;-) ) überhaupt nicht anfreunden konnte. Ich glaube, dass würde den Wählern - selbst in der einfachsten Variante - kaum noch vermittelbar sein.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 21:03 Uhr:   

@ Mörsberg
Ich bin kein Freund von personalisierten Wahlrechten (Sie ermöglichen starke Männer). Mir wären allgemein offenstehende Parteien lieber.
Sie schrieben:"Den Ausgleich zwischen den Regionen teilweise auf die innerparteiliche Ebene zu verlagern, also etwa durch regionale Listen, hat sich doch bewährt."
Das versteh ich jetzt nicht. Aber das spanische Modell (kombiniert z.B.mit dem niederländ.) ist doch auch nicht schlechter als das deutsche.
Grundsätzlich: regionale Interessen gehören zu Wahlen auf regionaler Ebene, Staatsinteressen zu Wahlen auf Staatsebene - und diese Grenzen sollten nicht verwischt werden.

@ Martin Jurgeit
Wenn wirklich Einfacheit angestrebt sein soll, wäre ein reines Verhältnisswahlrecht ohne gesetzte Hürden wohl das am leichtesten zu vermittelnde.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Dienstag, 16. November 2004 - 23:32 Uhr:   

@neuer


>Die Wahlkreise werden von einer unabhängigen Kommision[...] eingeteilt.


Gute Idee, obwohl es bei Verhälnisswahl nicht so wichtig ist wie bei Einerwahlkreisen.


>bestehen aus 10 Landtagsmitgliedern, 5 Innenministeriumsvertretern
>und 10 von allen Richtern NRWs gewählte Mitgliedern mit Befähigung
>zum Richteramt

Das halte ich für weniger gut.

Die 5 Innenmisteriumsvertreter würden effektiv der Regierungskoalition gehören, würden also nicht umbedingt die Unabhängigkeit der Kommission fördern.

Viel schlimmer sind allerding die 15 Richtervertreter. Ein Richter ist doch ein beruflicher Rechtsausleger. Wenn nun die Wahlentscheidung rechtlich vorgegeben wäre, dann könnte man sich die Wahl sparen. Wenn aber die Richter frei wählen dürfen, warum dann nicht auch die Klempner?

Und wieso sollen die Kommissare die Qualifikation zum Richteramt besitzen (also auf Deutsch Juristen sein) müssen? Wenn man Juristen etwas politisches zu entscheiden gibt werden sie genauso politisch entscheiden wie alle anderen Menschen. Das sieht man an den Verfassungsgerichten. Gerichte sind nicht der Neutralität sondern der Rechtskunde wegen mit Juristen besetzt: Es ist eben nützlich die Gesetze zu kennen die man auslegt. In einer Wahlkreiskommission hätte ich viel lieber Leute die die Prozentrechnung beherrschen, was ja sogar beim Bundesverfassungsgericht zweifelhaft ist. Wie wäre es wenn man von den Kommissaren ein Abitur mit Mathe-LK verlangt? Wenn's ein bischen mehr sein darf, wären Diplom-Mathematiker sicherlich besser als Volljuristen. Weil man die Kommissare niemals unpolitisch kriegt, kann man die Neutralität der Kommission nur durch eine qulifizierte Mehrheit erreichen. Es geht um eine Entscheidung, bei der ein Kompromiss fast aller definitionsgemäß die richtige Entscheidung ist. Daher kann die qualifizierte Mehrheit recht groß sein. Wenn Du bei 25 Komissaren bleiben willst, würde ich 20 Stimmen (80%) vorschlagen. Ich könnte mir aber eine kleinere Kommission vorstellen.

Zum eigentlichen Wahlverfahren:

Ein Problem liegt darin, dass Überhangmandate auf Lokalparteien entfallen könnten. Dann könnten durchaus hunderte Ausgleichsmandate erforderlich werden.
Das Verfahren mit den besonderen Stimmen ist auch nicht gut. Es bedeutet nämlich, dass man für das Wählen parteiunabhängiger Kandidaten mit einem teilweisen Verlust des Stimmrechtes bestraft wird. Andererseits kann man die Parteistimme auch nicht separat abfragen, weil dann jede halbwegs intelligente Partei Tarnlisten aufstellen würde.

Ich habe daher folgenden Alternativvorschlag:

Alle Sitze werden in Wahlkreisen verteilt. Die Quote ist die landesweite Hare-Quote. Es werden zunächst möglichst viele Sitze nach STV vergeben, wobei Kandidaten unstreichbar sind, wenn sie einer am Verhältnissausgleich teilnehmenden Partei angehören und Sitze nur auf volle Quoten vergeben werden. Die jetzt noch nicht besetzen Sitze werden landesweit auf die am Verhältnissausgleich teilnehmenden Parteien verteilt. Dabei setzt man für jede Partei als Stimmenanzahl die Summe der Überschüsse ihrer Kandidaten an. Für (noch) nicht gewählte Kandidaten zählen alle Stimmen zum Überschuss. Die Sitze werden innerhalb der Parteien nach dem gleichen Prinzip auf die Wahlkreise unterverteilt. Damit steht in jedem Wahlkreis die Sitzzahl und die "richtige" Verteilung der Sitze auf die Parteien fest. Jetzt fährt man in den Wahlkreisen mit STV fort. Wenn eine Partei die ihr zustehende Sitzzahl erreicht hat, werden ihre restlichen Kandidaten alle gleichzeitig gestrichen. Sollten mehr Kandidaten als einer Partei noch zustehen gleichzeitig die Quote überschreiten, so sind die Kandidaten mit den kleinsten Überschüssen trotz Quote nicht gewählt.
Das Verfahren erfordert übrigens nicht, dass die Wahlkreise gleich groß sind, man kann also auch natürlich zusammenhängende Gebiete (z.B. Landkreise) nehmen.

@Martin Jurgeit

Muss der Wähler denn das Zuteilungsverfahren verstehen? Wer sich wirklich dafür interessiert wird es nachlesen. Für die Anderen reicht es, wenn sie wissen, wie man den Wahlzettel ausfüllt. Dafür wären die Anweisungen heute "Auf der rechten Seite genau ein Kreutz und links ist egal", bzw. aus Parteisicht "Beide Stimmen für die ABC!". Bei einem STV-artigen Verfahren wäre die Anweisung eben "1 für den Besten, 2 für den Zweitbesten u.s.w" bzw aus Parteisicht "All unsere Kandidaten vor allen anderen!"

Im Übrigen werden die wirklich Desinteressierten auch Dein Verfahren nicht verstehen. Als wir damals das Bundestagswahlrecht in der Schule behandelt haben (Doch,doch, es war schon ein Gymnasium...), hatten die meisten schon Schwierigkeiten mit dem Unterschied zwischen Hare/Nimeyer und d'Hondt. Sainte-Lague kannte der Lehrer selbst nicht und dass d'Hondt (Nur in der Besschreibung als Höchstzahlverfahren behandelt) irgendwie proportional ist, wurde auch nur an einem Beispiel vorgeführt. Wenn wirklich jeder Wähler das Wahlrecht verstehen soll, bleibt eigentlich nur relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen ohne Verhältnissausgleich. Offen gesagt hätte ich auch dann noch Zweifel.

@Philipp Wälchli

Die Anzahl der Stimmen pro Wähler scheint mir etwas willkürlich. Und warum soll Kummulieren verboten sein? Die Sonderregelung ändert für Pareikandidaten nur dann etwas, wenn es eine Sperrklausel gibt. Da auch ein Einzelkandidat formal eine Partei gründen kann, ist sie also ohne Sperrklausel überflüssig. Wenn es eine Sperrklausel gibt, finde ich die Sonderregel gut. Ansonsten ist das die halbautomatische Methode mit offenen Listen.

@Immanuel Goldstein


>Ich bin kein Freund von personalisierten Wahlrechten (Sie ermöglichen
>starke Männer).


Ich glaube nicht, dass "starke Männer" am Wahlrecht liegen. In der Regel haben sie sowieso eine eigene Partei. Gegen "starke Männer" hilft Wohlstand, allenfalls noch Bildung aber nicht das Wahlrecht.


>Mir wären allgemein offenstehende Parteien lieber.


Damit hätte ich ein Problem. Ich wähle zwar das kleinste Übel, würde ihm aber nicht beitreten wollen. Und wenn man die Vorwahlen für Nichtmitglieder öffnen würde, wäre das ein personalisiertes Wahlrecht mit zwei Runden, also bloß zusätzliche Arbeit.


>Sehe aber ein Zentralisierungsbestrebung wenn Wahlen einer höheren
>Ebene sich nach territorialen Gesichtspunkten gliedern (sieht man mal
>von den Problemen beim Wahlverfahren ab), da es den Parteien leichter
>ermöglicht parteiliche Bundesinteressen durch Landeswahlkampf in den
>Regionen zu verankern.


Den Zusammenhang verstehe ich nicht. Evtl. könnte eine regionalisierte Wahl umgekehrt Landesinteressen im Bund verankern. Aber nur wenn die Wähler das wünschen.

Aber unterstellt und nicht zugegeben eine Regionalisirung wäre schlecht: Die Wahlkreise müssen nicht zwangsläufig Gebiete sein. Man könnte das Volk auch nach Beruf, Alter oder Schuhgröße aufteilen. Wenn das auch schlecht ist kann man auch losen.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. November 2004 - 09:32 Uhr:   

Immanuel Goldstein schrieb:
"Wenn wirklich Einfacheit angestrebt sein soll, wäre ein reines Verhältnisswahlrecht ohne gesetzte Hürden wohl das am leichtesten zu vermittelnde."
Da kann ich uneingeschränkt zustimmen. Auf der anderen Seite kann ich aber auch sehr gut die Leute verstehen, die eine "Personalisierung" der Wahl wünschen. Und meine Überlegungen zielten halt in die Richtung ein möglichst einfaches System zu entwickeln, das trotzdem noch gewisse Elemente der "Personalisierung" enthält, die zudem noch in einem erkennbaren Rahmen greifen. Ich bin halt ein unverbesserlicher Kompromissler ;-)

gelegentlicher Besucher schrieb:
"Muss der Wähler denn das Zuteilungsverfahren verstehen?"

Als Zielvorgabe hier von mir ein uneingeschränktes JA! Wann immer ich mit Menschen über Politik sprechen, kommen immer wieder die Aussagen "Die drehen das am Ende eh so hin, wie es denen da oben gerade passt". Dieses Grundmisstrauen, das inzwischen einen GROSSTEIL der Menschen erreicht hat, kann man nur noch durch größtmögliche Transparenz bekämpfen und zwar gerade auch bei den Zuteilungsverfahren.

Nur ein kleines praktisches Beispiel aus meiner eigenen politischen Erfahrung. Bei der letzten Landtagswahl in Niedersachsen mit Gerhard Schröder holte die SPD auf der Höhe ihre Erfolge die absolute Mehrheit. Und wie üblich wurde deshalb sofort das Kommunalwahlrecht in Niedersachsen wieder auf d'Hondt umgestellt, weil man keine Rücksicht mehr auf einen kleinen Koalitionspartner nehmen musste. Bei der nächsten Wahl verbesserten zahlreiche kleinere Parteien ihren Stimmenanteil verloren aber Sitze oder flogen gleich ganz aus dem Kommunalparlament. Exakt einen solchen Fall gab es in meiner Heimatstadt. Noch heute sind viele Leute bei uns davon überzeugt, dass bei der Wahl betrogen wurde. Es war ihnen einfach nicht zu vermitteln, dass das am neuen Auszählverfahren lag und nichts mit Wahlbetrug zu tun hatte.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. November 2004 - 15:53 Uhr:   

@Martin Jurgeit:
Zum Thema der möglichen Verzerrung durch Mehrpersonenwahlkreise ohne Bundesausgleich hab ich das Verfahren am Beispiel des Ergebnisses der BTW 2002 durchgerechnet. In einzelnen Fällen stimmt die Einteilung nicht exakt, weil die Wahlkreise nicht immer Deine Grenzen beachten (z.B. ist der Main-Tauber-Kreis im WK Baden).

Bei 450 Sitzen beträgt die Zahl der in den Wahlkreisen zu vergebenden Mandate zwischen 20 (Düsseldorf) und 34 (HH/SH/MV). Nach Sainte-Laguë ergibt sich insgesamt folge Verteilung: SPD 181, CDU 137, CSU 42, GRÜNE 40, FDP 33, PDS 15, Schill 2.
Die Schill-Sitze entfallen auf HH/SH/MV und Berlin/BB. Die PDS erring nur in den Wahlkreisen HH/SH/MV, ST/TH, Sachsen/Lausitz und Berlin/BB Sitze. Dabei wirkt es sich aus, dass ihr relativ bester reiner Westwahlkreis (Ruhr) verhältnismäßig klein ist. Grüne und FDP sind überall vertreten, wobei die Verteilung bei den Grünen ungleichmäßiger ist (4 Sitze allein in Württemberg). Fast überall funktioniert die Rechnung mit dem Divisor 103.000. Am höchsten ist er in HH/SH/MV (wegen sechs erfolgreicher Listen), am niedrigsten in Württemberg, wo ziemlich viele Stimmen für Sonstige (REP, PDS, auch PBC usw.) die Mandate für den Rest billiger machen.
Verglichen mit einer bundesweiten Sainte-Laguë-Verteilung ergäben sich folgende Verschiebungen: SPD +7, CDU +4, CSU +2, GRÜNE +1, PDS -3, REP -3, Schill -2, NPD -2, Graue, Tierschutz, PBC und ÖDP je -1. Neutral ist das Verfahren für die FDP und alle Listen mit bundesweit weniger als 53000 Stimmen.
Man sieht, dass man über die Wahlkreiseinteilung schon einiges bewirken kann, zum Beispiel indem die Wahlkreise in den NPD-Hochburgen eher klein gehalten werden. Mit den Zahlen, die ich verwendet habe, ist die Einteilung außerdem PDS-unfreundlich.

Beim Bearbeiten des ganzen Tabellenkrams ist mir dann wieder die biproportionale Methode in den Sinn gekommen. Und ähnlich wie der gelegentliche Besucher bin auch ich dabei der Meinung, dass es unerheblich ist, ob jeder Wähler das Zuteilungsverfahren im Detail versteht oder nicht.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. November 2004 - 17:34 Uhr:   

Tja, und noch ein "ganz einfaches" Wahlverfahren:
Der Wahlrechts-Gesetzgeber beschliesst die Anzahl zu vergebender Sitze des jeweils zu wählenden Gremiums.
Anschliessend wird jeder Wahlberechtigten Person ein Wahlzettel zugeteilt; die Wahlzettel werden durch ein Zufallsverfahren mit Nummern versehen, die jeweils einem Sitz entsprechen. Bei 100 Sitzen werden also Wahlzettel mit den Nummer 1 bis 100 versehen, wobei nach Möglichkeit jede Nummer gleich oft vergeben werden sollte (was je nach Zahl Wahlberechtigter nicht genau aufgeht).
Die Parteien können soviele Kandidaten aufstellen, wie Sitze zu vergeben sind. Anschliessend werden wiederum durch Zufallsverfahren die Kandidaten einer jeden Partei auf die Sitze verteilt.
Beim eigentlichen Wahlakt kann jede wahlberechtigte Person für den Sitz stimmen, dessen Nummer auf ihrem Wahlzettel steht, und kann dabei unter den diesem Sitz zugelosten Kandidaturen auswählen.
Es gewinnt jeweils, wer am meisten Stimmen erhalten hat.
Dabei ist es gleichgültig, wo die Wahlberechtigten oder die Kandidierenden wohnen.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. November 2004 - 21:37 Uhr:   

@ gelegentlicher Besucher
Wenn es öffentliche Vorwahlen der Parteilisten gibt, dann ist eine Bundespartei (und ihre Liste) halt was ganz anderes als eine Landespartei,- liste oder eine Kommunalpartei,- liste.
Beispiel: Eine Bundes-SPD wäre etwas sehr unterschieliches und unabhängiges zu einer Bayern-SPD die sich wiederum mehr von einer München-SPD unterscheidet, und unabhängig wären alle voneinander.
Z.B. eine Bundestagswahl mit regionalen Einteilungen führt dazu das Landesparteien und Bundesparteien miteinander durch eine Landesliste verknüpft werden - und das gefällst mir als Dezentralist halt nicht.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. November 2004 - 21:56 Uhr:   

@ Philipp Wälchli
Ein schöner Vorschlag um die Territorailisierung zu verhindern und das Wahlrecht zu vereinfachen. Sie hängen nach meinem persönlichen Geschmack aber zu sehr an der Wahl von Personen. Klar das kann durchaus demokratisch sein. Aber auch Könige wurden manchmal gewählt, Magistrate der röm. Republik (Oligarchen), Abgeordnete der frühparlamentarischen Zeit (wieder Oligarchen), frz. Kaiser (Diktatoren),etc. und ein personalisiertes Wahlrecht schließt nunmal einen Übergang zu solchen Verhältnisse per Wahl nicht aus,da z.B. finanzzkräftige Einzelne oder Zusammenschlüsse loker Eliten (die einen aus ihrer Mitte zur Macht bringen wollen) durch ihren Geldeinfluß (Wahlkampfkosten) grundsätzlich Vorteil sind gegenüber anderen Einzelbewerben oder strukturschwachen Personenzusammenschlüssen (schönes Beispiel Britannien im 18.Jhdt. und 19.Jhdt).
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 11:05 Uhr:   

@Mörsberg:

Zunächst vielen Dank für das Durchrechnen, das doch einige interessante Einblicke gestattet. Wäre es vielleicht möglich, noch einige Einzelergebnisse hier zu posten oder mir die Zusammenstellungen, so als Datei angelegt, zuzumailen?

Insbesondere würde mich noch die genaue Verteilung der Mandatszahlen auf die Bundeswahlkreise interessieren. Bei der Größe der BWK müsste wohl tatsächlich nachgearbeitet werden. Ich ahnte ja schon, dass "Hansa" zu groß ausgefallen ist. Außerdem würde es wohl Sinn machen, das "Ruhrgebiet" um Gebiete wie LK Wesel, LK Mettmann, Wuppertal, Solingen und Remscheid zu erweitern. Wesel hatte ich eh' nur außen vor gelassen, um "Düsseldorf" als eigenen BWK zu retten. Jetzt könnte man dann die "Düsseldorfer Reste" (hoffentlich liest jetzt kein Düsseldorfer mit ;-) mit Köln zu einem BWK "Nordrhein" zusammenlegen. Damit (Vorpommern zu Berlin-Branderburg, Aufteilung von Düsseldorf auf das Ruhrgebiet und Nordrhein) habe ich die Hoffnung, dass die schlimmsten Ausreißer wegfallen und die Größen deutlich harmonischer ausfallen.

Ansonsten gefallen mir die errechneten Ergebnisse eigentlich sehr gut, wenn man ausdrücklich eine gewisse "Vorauswahl" durch die "natürliche" Sperrklausel wünscht. Insbesondere auch das Ergebnis der PDS halte ich für vertretbar, da sie jetzt mit Abgeordneten der Regionen vertreten wäre, in denen sie eine wichtige Größenordnung hat. Den westdeutschen Gliederungen kommt (oder vielleicht besser kam, wenn man die letzten Wahlen sieht) 2002 dieses Gewicht noch nicht zu. Außerdem hätte damals auch die Schill-Partei entsprechend ihrer damaligen Bedeutung (immerhin Regierungspartei in HH) durchaus eine, wenn auch bescheidene, Vertretung im Bundestag haben sollen. Also aus meiner Sicht wäre das durchaus ein ausgewogenes Abbild der damaligen Verhältnisse gewesen, das zum einen den krassen Ausreißer mit der PDS verhindert hätte, auf der anderen Seite aber auch eine zu starke Aufsplitterung der im Bundestag vertretenen Parteienlandschaft verhindert hätte, die für viele ja scheinbar immer noch ein großes Schreckgespenst ist.

Ich werde mir trotzdem noch einmal Gedanken über eine "biproportionale Methode" machen. Ich bin mir aber derzeit nicht sicher, wie ich diese mit meiner durchaus gewollten regionalen "Vorselektion" in Einklang bringen kann. Aber vielleicht könnte man ja in einer "zweiten Verteilrunde mit zusätzlichen Abgeordnetensitzen" nur solche Parteien mit ihren "Reststimmen" beteiligen, die schon in der "ersten Runde" zumindest ein Mandat gewonnen haben. Aber wie gesagt, da muss ich noch einmal genauer drüber nachdenken.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 14:16 Uhr:   

Wir könnten ein kleines Spielchen ausprobieren.

Nehmen wir mal an es gäbe zwei Pole:
-das bestehende Wahlverfahren mit seiner Personalisierung, Territorialisierung und einem verzerrenden Wahlverfahren zur Sicherung der parlamentarischen Arbeitsfähigkeit (Priorität von Tradition und Kompetenz)
-ein Wahlvefahren ohne Verzerrung, mit einer Gesamtbundeswahlliste und leichter Verständlichkeit (Priorität von Gerechtigkeit und Transparenz)

Erstellen wir nun eine Skala von 0 (absolut neues Wahlverfahren nach Verhältnisswahlrecht ohne geswetzte Hürden) und 100 (bestehendes Wahlverfahren).
Jeder könnte sich jetzt selbst einschätzen innerhlab dieser Skala:
Für mich käme 0 heraus; für Martin Jurgeit vielleicht 40 bis 60.
Wem es Spaß macht könnte man sich jetzt auch selbst innerhalb dieser Skala platzieren und seine Entscheidung vielleicht begründen.
Anhand der platzierungen ließe sich vielleicht ein allgemeines Stimmungsbild innerhalb dieses Forums bezüglich des Wahlverfahren bestimmen.

Es können auch Werte über 100 rauskommen (Sagen wir mal für ein tatsächliches Grabenwahlsystem 150, für ein reines mehrheitswahlrecht 200).
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 18:42 Uhr:   

@Immanuel Goldstein:
Interessante Idee. Das Problem ist nur, dass ich bei "meinem" Vorschlag ausdrücklich nicht ein System entwickelt habe, das ich für ideal halte, sondern eines, das ich für praktikabel halte. Und zwar sowohl im Hinblick auf die mögliche Einführung als auch eine möglichst große Akzeptanz bei den Wählern.
Wünschen würde auch ich mir vielleicht was ganz anderes, aber um Wunschdenken geht es mir halt ausdrücklich nicht.
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neuer
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 19:00 Uhr:   

Die Begründung, Stimmen die an unabhängige Kandidaten gehen wären als Parteistimme verloren ist falsch! Nichtgewählte unabhängige Kandidaten werden bei der Feststellung der 5-höchsten Präferenzen nicht gezählt!
ISt ein unabhängiger Kandidat gewählt, so hat man ja durch den schon einen vertreter.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 19:54 Uhr:   

@ Martin Jurgeit
Sie könnten ja zwei Voten abgeben. Eins in Bezug auf praktikabilität und eins in Bezug auf Ihre Wünsche.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 22:46 Uhr:   

@Immanuel Goldstein

Zum "Spielchen":
Die Frage ist ungünstig gestellt. Es sind nämlich eigentlich mehrere Fragen, deren Antworten nicht notwendig gleich sind.
1. Soll es eine Sperrklausel geben? Wie hoch soll diese gegebenenfalls ausfallen?
2. Soll es eine künstliche Mehrheitsverstärkung geben?
3. Soll die Wahl personalisiert sein?
4. Soll die Wahl regionalisiert sein?
5. Sollte ein neues Wahlrecht dem Alten ähnlich sein?
Ich antworte mal jeweils einzeln.
1. Das hängt auch von der Verfassung ab. Wenn es ein parlamentarisches System ist, d,h. wenn die Exekutive des Vertrauens der Legislative bedarf, dann ist eine ständige Mehrheit in der Legislative notwendig. In diesem Fall ist auch eine Sperrklausel nötig. Ich denke allerdings man könnte sie vermindern und über die Personalisierung Ausnahmen schaffen. Alternativ könnte auch an eine vom Volk gewählte Exekutive denken. Dann sind wechselnde Mehrheiten sogar wünschenswert und eine Sperrklausel überflüssig.

2. Nein

3. Ja, soweit das mit der Verhältnisswahl vereinbar ist. Dafür habe ich oben einen Vorschlag gemacht.

4. Ist mir im Prinzip egal. Für die Personalisierung ist aber wohl übersichthalber eine Regionalisierung erforderlich.

5. Ist mir völlig egal.



>Sie hängen nach meinem persönlichen Geschmack aber zu sehr an der
>Wahl von Personen. Klar das kann durchaus demokratisch sein. Aber
>auch Könige wurden manchmal gewählt, Magistrate der röm. Republik
>(Oligarchen), Abgeordnete der frühparlamentarischen Zeit (wieder
>Oligarchen), frz. Kaiser (Diktatoren),etc. und ein personalisiertes
>Wahlrecht schließt nunmal einen Übergang zu solchen Verhältnisse per
>Wahl nicht aus,da z.B. finanzzkräftige Einzelne oder Zusammenschlüsse
>loker Eliten (die einen aus ihrer Mitte zur Macht bringen wollen)
>durch ihren Geldeinfluß (Wahlkampfkosten) grundsätzlich Vorteil sind
>gegenüber anderen Einzelbewerben oder strukturschwachen
>Personenzusammenschlüssen (schönes Beispiel Britannien im 18.Jhdt.
>und 19.Jhdt).


Ich fühl' mich davon mal mitangesprochen. Eine Listenwahl schließt einen derartigen Übergang (zur Scheindemokratie) auch nicht aus. Die Frage ist, ob ein personalisiertes Wahlrecht eine derartige Entwicklung begünstigt. Ich meine das Gegenteil. Wer sich nämlich den Staat unter den Nagel reißen will braucht dazu eine Parlamentsmehrheit. Dazu muss er der Mehrheit der Abgeordneten etwas (a) anzubieten oder (b) anzudrohen haben. (a) hat mit dem Wahlrecht nichts zu tun. (b) könnte man dagegen sehr gut durch eine geschlossene Liste erreichen, von der man jemanden bei der nächsten Wahl ausschließen kann. Wer sein Mandat dagegen direkt vom Wähler ableitet kann es auch frei ausüben. Was Britannien angeht: So war es. Aber es ist nicht so, dass die Briten vorher eine richtige Demokratie gehabt hätten, die dann durch Personalisierung in eine Krise geraten wäre. Das House of Commons hatte auch vorher keinen Regionalproporz gehabt (obwohl das Problem mit den rotten boroughs zunahm). Daran hatte sich vorher niemand gestört, weil es die im Wesentlichen einheitlichen Interessen einer Bevölkerungsschicht (wohlhabend aber nicht adelig) vertrat. Daher war man auch mit "virtueller Repräsentation" zufrieden, die ja ohnehin genauso abstimmte, wie es reale Repräsentation getan hätte. (Das Amerikanische Bürgertum mit seinen anderen Interessen bestand dagegen auf realer Repräsentation, was einer der Gründe für die Unabhängigkeit war.) Mit Aufkommen der Industrialisierung zerbrach dieser Konsens, was zu einer Verfestigung des Parteiensystems, d.h. zu jeweils einheitlichen Abstimmungen der beiden Parteien führte. Durch allgemeines Wahlrecht, Neuziehung der Wahlkreise und Geheimwahl konnte das Problem auf das noch heute übliche Maß beschränkt werden (was natürlich nicht so schnell ging wie es sich jetzt liest.). Langer Rede kurzer Sinn: Die Personalisierung hat das Problem weder verursacht noch seine Lösung verhindert.


>Wenn es öffentliche Vorwahlen der Parteilisten gibt, dann ist eine
>Bundespartei (und ihre Liste) halt was ganz anderes als eine
>Landespartei,- liste oder eine Kommunalpartei,- liste.[...]
>Z.B. eine Bundestagswahl mit regionalen Einteilungen führt dazu das
>Landesparteien und Bundesparteien miteinander durch eine Landesliste
>verknüpft werden - und das gefällst mir als Dezentralist halt nicht.


So weit ich weiß, gibt es Vorwahlen bisher nur in den USA. Dort ist eine Partei etwas ganz anderes als in Europa, insbesondere haben Parteien keine Mitglieder. (Die Party affiliation wird gegenüber dem Staat erklärt, kann von der Partei nicht verhindert werden und zieht auch kein Beitragspflicht nach sich.) Die Parteitage sind für einzelne Themen durch Vorwahlen bestimmt also reine Formalien mit allerdings hohem Werbeeffekt. Die National Commities sind zwischen den Wahlen praktisch bedeutungslos. Ein Analogon einer Bundespartei gibt es also eigentlich nicht. Man kann allerdings nicht gleichzeitig europäische (zwischen den Wahlen relevante) Parteien und amerikanische Vorwahlen haben. Auch hatt Frank Schmidt Recht, wenn er darauf hinweist, dass man bei allgemein zugänglichen Vorwahlen die Listenaufstellung der kleinen Parteien sabotieren könnte.
Was meine Sie also mit Vorwahlen? Und: Nach welchem Verfahren sollen die Vorwahlen eine (geordnete) Liste ergeben?

@neuer

>Die Begründung, Stimmen die an unabhängige Kandidaten gehen wären als
>Parteistimme verloren ist falsch! Nichtgewählte unabhängige
>Kandidaten werden bei der Feststellung der 5-höchsten Präferenzen
>nicht gezählt!
>ISt ein unabhängiger Kandidat gewählt, so hat man ja durch den schon
>einen vertreter.


Stimmt, das hatte ich übersehen es mildert das Problem. Aber: Wenn es viele Ausgleichsmandate gibt, ist die verlorene besondere Stimme mehr wert als der so erhaltene Vertreter.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 23:27 Uhr:   

@ gelegentlicher Besucher
Erst mal ein Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Zu den Punkten 1 bis 5 sage ich jetzt nichts, weil ich nach Meinungen gabeten hab nicht um sie zu beurteilen sondern aus Interesse. Ich würde mich aber sehr über Vorschläge zur Modifikation des Spielchen freuen.
Es gab in der englischen Bevölkerung (auch in der Elite) keinen Konsens über das Wahlverfahren und Wahlrecht (Leveller- (Ausweitung des Wahlrechts, Neuziehung der Wahlkreise) und True Leveller-Bewegung (allgemeines Stimmrecht für Männer und Verhältnisswahl) im 17.Jhdt. zum Beispiel wurden durch die Personalisierung des Parlaments (in Verbund mit dem Militär, das sich vor interner Demokratisierung scheute) niedergehalten; im 18.Jhdt. wurden Wilkiten und radikale Reformer ebenfalls durch das Parlament unterdrückt (Wilkes musste viermal gewählt werden bevor er z.B. sein Mandat, das ihm das Parlament immer wieder aberkannt hat, antreten durfte und Thomas Paine wurde angeklagt und verurteilt, etc.)). In den Kolonien (zumindest Eigentümer- und Charterkolonien) konnten sich die Kolonisten eh ihr eigenen Wahlrecht geben und ausüben (was häufig an der rel. Gemeindezugehörigkeit durch Kooption gebunden war). Allg. gehen Historiker auch davon aus, dass nicht die Industrialisierung sondern die Entwicklung einer Konsumgesellschaft (siehe Brewer) zur Ausbildung von Parteien führte.

Kleine Parteien kann man auch unter heutigen Bedingungen "stürmen" und instrumentalisieren (in einer Stadt wie München reichen eigentlich 50 stramm organisierte Menschen aus um in FDP, Grüne oder PDS (da sogar nur 20) die Schlüsselpositionen zu übernehmen - es ist halt nur einfach nicht interessant im Normalfall eine kleine Partei zu übernehmen).
Der Unterschied wäre, dass auch "weniger politische Bürger" (schwächer organisiert, vielleicht nur einmal im Jahr eingreifend) Einfluß nehmen könnten und somit die Wahrscheinlichkeit einer "trojanischen Pferdliste" sogar unwahrscheinlicher ist.

Um Vorwahlen in der Parteien einzuführen, könnte man z.B. zwischen Mitgliedern und Sympathisanten differenzieren - wobei letztere ihre Angehörigkeit gegenüber dem Staat, dem Land und der Kommune (auch voneinander abweichend) erklären könnten. Sympathisanten dürften dann über die Reihenfolge der Liste mitentscheiden, wohingegen Mitglieder Kandidaten nominieren könnten, über Finanzen und Inhalte entscheiden könnten. Ich kann mir aber auch andere Systeme vorstellen.

P.S. Wissen eigentlich inzwischen den Unterschied zwischen Oligarchen und Aristokraten? Kleiner Tip: Oligarchen gibt es nur, wenn sie herrschen. Als Sproß einer Adelsfamilie (wenn auch in der Erbfolge erst auf Platz 16) ist mir der Unterschied schon wichtig - und ich bin trotzdem Demokrat.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 23:41 Uhr:   

Zu Krïterium Nr. 1 sei bemerkt, dass dies nicht nur eine Frage der verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Ordnung ist, sondern auch und vor allem der politischen Kultur.
Es gibt Länder, in denen es in einem Parlament keine klaren Mehrheiten gibt, sondern sich Abgeordnete verschiedener Fraktionen je nach Thema und eigener Haltung bzw. meist auch in Abhängigkeit von Interessen der Wählergruppen, die sie vertreten bzw. zu vertreten vorgeben, ihres Wahlkreises usw. zu wechselnden Mehrheiten zusammenfinden. Wieder in andern Ländern bestehen Parteien, die geschlossene Kampffronten bilden, geschlossen auftreten, geschlossen abstimmen und Abweichler als Verräter betrachten; die politische Debatte ist dann meist auch geprägt von Vorwürfen an die andern Parteien, grundsätzlich wird einander nichts vorenthalten, was sich irgendwie gegeneinander verwerten liesse.
Die meisten Länder dürften dann irgendwo zwischen diesen Extremen liegen, so dass z. B. die Fraktionen im Parlament in der Regel geschlossen stimmen, es aber bei "Gewissensfragen" o. dgl. schon mal Abweichler geben kann.
Je nach dem sieht dann auch die gesetzliche Ordnung der Parlamentsarbeit anders aus. In gewissen Parlamenten ist eine einheitliche Stimmabgabe der Fraktionen / Parteien / Listen vorgeschrieben, in andern nicht; in einigen gibt es die Möglichkeit, freie Abstimmungen auf Antrag durchzuführen, wobei sich die Modalitäten deutlich unterscheiden können.
Ist in einem Land die Idee, dass Parteien nach Möglichkeit geschlossen agieren sollten, nicht sonderlich tief verwurzelt, dann kann es dort schon sein, dass Regierung und Parlament unabhängig voneinander vom Volk gewählt werden, wobei sich unterschiedliche Mehrheiten ergeben können, aber auch Mitglieder der Regierung aus derselben Partei andere Standpunkte als Mitglieder des Parlamentes aus ihrer Partei vertreten usw.

Streichen wir einmal alle folgenden Kriterien wie Regionalisierung, Personalisierung, Ähnlichkeit mit dem bestehenden System usw. und lassen nur zwei bestehen, nämlich: Parteienproporz und Einfachheit, so müsste ein Wahlsystem folgendermassen aussehen:
Bundesweiter Wahlkreis mit Parteilisten; jede wahlberechtigte Person kann nur für eine Liste stimmen; Berechnung der Sitze jeder Liste nach einem gerechten Verfahren wie Hare, St. Lague o. dgl., keine Ausnahmen, Sonderregelungen, Sperrklauseln u. dgl. Verteilung der Sitze an Personen einfach entsprechend der Listenrangfolge.
Möchte man den Parteienproporz nicht stören, aber einen Einfluss der Wählenden auf die Personenauslese ermöglichen, wäre denkbar, z. B. Streichungen auf einer Liste zuzulassen, Ändern der Reihenfolge, Kumulieren von Namen innerhalb der Liste, jedoch nicht etwa Panaschieren mit andern Listen.
Auch das Aargauer System käme in Frage, das das Verändern der Listen zulässt, wodurch nur die Reihenfolge der Kandidaten verändert wird, nicht aber der Parteienproporz; daneben Listenstimmen, die allein die Sitzverteilung auf die Listen bestimmt, wobei Wahlzettel ohne Listenbezeichnung zwar durch die aufgeführten Kandidaten Einfluss auf die personelle Besetzung, nicht aber auf die Verteilung auf die Parteien ausüben können. Bei diesem System können allerdings Wähler einer Liste die Zusammensetzung der Abordnungen anderer Listen beeinflussen, was eher als missbräuchlich erscheinen könnte. Daher wäre wohl eher ein Verfahren vorzuziehen, bei dem nur innerhalb der gleichen Liste personelle Veränderungen erlaubt sind.
Bei einem solchen reinen Listenwahlsystem wäre grundsätzlich auf eine feste Sitzzahl abzustellen, die nicht durch irgendwelche Überhangmandate verändert werden könnte. Eventuell wäre es denkbar, bei der Vergabe von Bruchteilsansprüchen auf Sitze ein Auf- bzw. Abrunden zuzulassen in dem Sinne, dass ein Restsitz nicht vergeben oder ein Sitz zusätzlich anfallen würde.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. November 2004 - 23:47 Uhr:   

@ Philipp Wälchli
Ein wunderschöner Vorschlag.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Freitag, 19. November 2004 - 18:36 Uhr:   

So jetzt meine Meinung zu den fünf Punkten:

1. Soll es eine Sperrklausel geben? Wie hoch soll diese gegebenenfalls ausfallen?
2. Soll es eine künstliche Mehrheitsverstärkung geben?

Ich meine, dass diese beiden Punkte im Prinzip zusammengehören, deshalb behandele ich sie en bloc.
WÜNSCHENSWERT wäre für mich, dass man auf diese Dinge komplett verzichtet. Ich bin auch davon überzeugt, dass dieses keineswegs zu unregierbaren Verhälnissen führen würde.
DURCHSETZUNGSFÄHIG wäre aber wohl nur eine abgemilderte Form, wie ich sie in meinem Konzept versucht habe einzubauen, da es in großen Teilen der derzeitigen politischen Klasse kaum eine Bereitschaft gibt, auf Mittel zu verzichten, die ihre Macht so effektiv gegen neue politische Kräfte abschirmen wie die 5-Prozent-Klausel.


3. Soll die Wahl personalisiert sein?

WÜNSCHENSWERT wäre für mich eine möglichst große Personalisierung. Es war ja gerade das große Unglück Deutschlands, dass wir immer wieder viel zu starke Parteien hervorgebracht haben, die alle Macht an sich gerissen haben und hinter denen die einzelnen Abgeordneten und Parteimitglieder sich wunderbar verstecken konnten. Und in der Tendenz gilt das immer noch. Auch heute sind die einzelnen Abgeordneten im Grunde nur Stimmvieh für ihre Partei-/Fraktionsführungen.
DURCHSETZUNGSFÄHIG wird aber wohl nur eine abgemilderte Form sein, die sich - wie in meinem Model - beispielsweise an der norddeutschen Kommunalwahlpraxis orientiert. Und zwar nicht nur wegen der Gegenwehr der Parteiapparate, sondern leider auch wegen der - drastisch ausgedrückt - "Faulheit der Wähler". Ich hatte hierzu unlängst ein sehr ernüchterndes Gespräch mit dem Wahlamtsleiter einer großen württembergischen Stadt, der dem dortigen Kommunalwahlsystem kaum noch eine Chance gibt, da es gerade bei jüngeren Wählern dramatisch an Akzeptanz verliert, ja geradezu abschreckend auf viele Jungwähler wirke.


4. Soll die Wahl regionalisiert sein?

WÜNSCHENSWERT wäre das für mich das auf jeden Fall. Am liebsten wären mir wohl kleine Wahlkreise, in denen nur ein Abgeordneter gewählt wird. Alle Bewerber wären parteilos und würden nur Kraft ihrer persönlichen Ansichten und Überzeugungen gewählt. Und im Parlament würden sie dann als wirklich unabhängige Abgeordnete, also auch unabhängig von ihrer lokalen Wählerschaft, nur im Interesse des großen Ganzen wirken.
REALISTISCH ist das natürlich nicht. Deshalb halte ich meinen Vorschlag von oben für relativ praktikabel.


5. Sollte ein neues Wahlrecht dem Alten ähnlich sein?

IM PRINZIP wäre das eigentlich völlig egal.
DURCHSETZUNGSFÄHIG wäre ein neues Wahlsystem aber wahrscheinlich nur, wenn es den Wählern zumindest gewisse Anknüpfungspunkte liefert. Vielleicht könnte man ja einzelne Punkte auch Schritt für Schritt einführen. Auch das Zurücknehmen gewisser Reformen, die sich in der Praxis nicht bewähren, müsste ohne weiteres möglich sein. In den ersten Jahren der Bundesrepublik wurde ja auch viel rumexperimentiert. Erst in den letzten 20, 30 Jahren hat sich das Ganze so verfestigt, dass kaum noch Änderungen möglich scheinen.
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J.A.L.
Veröffentlicht am Freitag, 19. November 2004 - 19:58 Uhr:   

" Es war ja gerade das große Unglück Deutschlands, dass wir immer wieder viel zu starke Parteien hervorgebracht haben, die alle Macht an sich gerissen haben und hinter denen die einzelnen Abgeordneten und Parteimitglieder sich wunderbar verstecken konnten."

Und ich halte gerade das für das größte Glück, dass uns starke und selbstbewusste Parteien vor a) geltungsbedürftigen Politclowns b) einer nur den wohlhabenden offen stehenden Honoratiorenversammlung als Parlament bewahrt haben.

Dies muss ich allen Personalisierungsjublern entgegen halten, die sich von einer möglichst kleinkarierten Personalisierung im Einmannwahlkreis gewaltige Wunderergebnisse für die öffentlichen Angelegenheiten erwarten und dabei, wie mein Vorredner zerknirscht zugeben musste, über den Willen und die Bedürfnisse des Volkes mit beachtlicher Arroganz hinweg gehen.
Merke: Es ist den Bürgern ganz überweigend absolut gleichgültig, wer im Parlament beschließt, entscheidender ist, was dort beschlossen wird. Eine darauf gerichtete Wahl garantieren Parteien.

Ich werde in diesen Tagen hier mal meine Vorstellungen eines "Wahlsystems" darlegen, die dem noch stärker Rechnung tragen.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Samstag, 20. November 2004 - 00:36 Uhr:   

@Immanuel Goldstein


>Zu den Punkten 1 bis 5 sage ich jetzt nichts, weil ich nach Meinungen
>gabeten hab nicht um sie zu beurteilen sondern aus Interesse.


Tu'n Sie sich keinen Zwang an. Ich habe kein Problem damit, dass meine Meinung beurteilt wird. Umgekehrt beurteile ich auch bedenkenlos fremde Meinungen.


>Es gab in der englischen Bevölkerung (auch in der Elite) keinen
>Konsens über das Wahlverfahren und Wahlrecht (Leveller- (Ausweitung
>des Wahlrechts, Neuziehung der Wahlkreise) und True Leveller-Bewegung
>(allgemeines Stimmrecht für Männer und Verhältnisswahl) im 17.Jhdt.
>zum Beispiel wurden durch die Personalisierung des Parlaments (in
>Verbund mit dem Militär, das sich vor interner Demokratisierung
>scheute) niedergehalten


Die Levellers wollten das Wahlrecht allerdings ganz erheblich ausweiten, nämlich auf alle nicht bettelnden Männer. Dass die True Levellers (Diggers) Verhältniswsahl gewollt hätten scheint mir (obwohl ich es nicht sicher widerlegen kann) sehr zweifelhaft. Begründung: in "The True Levellers Standard Advanced" taucht die Forderung nicht auf. Bliebe die Möglichkeit, dass es eine weniger wichtige Forderung war. Das glaube ich aber nicht, weil es um 1650 schlecht denkbar gewesen wäre. Der moderne Parteibegriff existierte überhaupt noch nicht. Mathematische Verfahren, die für ein Listenwahlrecht brauchbar sind, wurden erst gegen 1790 für die Sitzverteilung des US-Repräsentantenhauses auf die Einzelstaaten erfunden. Ich glaube darum, dass man um 1650 die Idee eines Listenwahlrechtes noch nicht haben konnte. Und STV wurde sowieso erst gegen 1850 von Thomas Hare erfunden. Nebenbei bemerkt wahren die True Levelles nicht eine Partei wie die Levellers sondern eine kleine religiöse Sekte mit utopisch-sozialistischen Ideen. Ihre politische Bedeutung lag im wesentlichen darin, dass man sie mit den Levellers in Verbindung bringen und diese damit diskreditieren konnte.

Dass die Levellers durch die Personalisierung niedergehalten wurden halt' ich für'n Gerücht, der Hinweis auf das Militär kommt schon eher hin (Obwohl die Levellers natürlich selbs mit der New Model Army zusammenhingen.). Zwischen 1640 und 1660 fanden schlicht und einfach überhaupt keine Wahlen statt (Long Parliament). Außerdem kam dann noch der Bürgerkrieg dazwischen. Mit der Personalisierung hatte das alles nichts zu tun.


>im 18.Jhdt. wurden Wilkiten und radikale Reformer ebenfalls durch das
>Parlament unterdrückt (Wilkes musste viermal gewählt werden bevor er
>z.B. sein Mandat, das ihm das Parlament immer wieder aberkannt hat,
>antreten durfte und Thomas Paine wurde angeklagt und verurteilt, etc.

Da habe ich keine Ahnung von. Aber es klingt Plausibel. Nur: Eine Liste wäre genauso einfach zu unterdrücken gewesen.


>In den Kolonien (zumindest Eigentümer- und Charterkolonien) konnten
>sich die Kolonisten eh ihr eigenen Wahlrecht geben und ausüben (was
>häufig an der rel. Gemeindezugehörigkeit durch Kooption gebunden
>war).


Den Gesetzen der Kolonialparlamente wurde allerdings regelmäßig der Royal Assent verweigert. Außerdem konnte sich der König bei Bedarf Steuern in den Kolonien vom britischen Parlament genehmigen lassen.


>Kleine Parteien kann man auch unter heutigen Bedingungen "stürmen"
>und instrumentalisieren


Jein. Die Parteien können Aufnahmen ja auch verweigern. Außerdem könnten gekaperte Ortverbände ausgeschlossen und neugegründet werden, womit der gekaperte Name auch Futsch wäre. Das Manöver ist also möglich aber nicht lohnend.


>Um Vorwahlen in der Parteien einzuführen, könnte man z.B. zwischen
>Mitgliedern und Sympathisanten differenzieren - wobei letztere ihre
>Angehörigkeit gegenüber dem Staat, dem Land und der Kommune (auch
>voneinander abweichend) erklären könnten. Sympathisanten dürften dann
>über die Reihenfolge der Liste mitentscheiden, wohingegen Mitglieder
>Kandidaten nominieren könnten, über Finanzen und Inhalte entscheiden
>könnten.

Interessanter Ansatz. Aber:
Nach welchem Verfahren sollen die Symphatisanten die Liste ordnen? Und:
Wie soll man die Listenreihung von den Inhalten trennen?


>P.S. Wissen eigentlich inzwischen den Unterschied zwischen Oligarchen
>und Aristokraten? Kleiner Tip: Oligarchen gibt es nur, wenn sie
>herrschen.

Ach so! Dann sind Aristokraten also Leute die von Oligarchen abstammen :) Das ist allerdings etwas konterintuitiv. Ich denke auch dass persönliche Schuld nicht erblich ist und kann mir daher keine Situation vorstellen, in der das Wort in dieser Bedeutung nützlich wäre.

@J.A.L

>Und ich halte gerade das für das größte Glück, dass uns starke und
>selbstbewusste Parteien vor a) geltungsbedürftigen Politclowns b)
>einer nur den wohlhabenden offen stehenden Honoratiorenversammlung
>als Parlament bewahrt haben.


b) stimmt, über a) könnte man lange und fruchtlos streiten. Aber im Gegenzug haben wir praktisch bedeutungslose Parlamente bekommen, die die Entscheidungen der Exekutive unüberprüft abnicken. Dadurch versammelt sich in den Händen Weniger mehr Macht als ich für gut halte.


>Dies muss ich allen Personalisierungsjublern entgegen halten, die
>sich von einer möglichst kleinkarierten Personalisierung im
>Einmannwahlkreis gewaltige Wunderergebnisse für die öffentlichen
>Angelegenheiten erwarten


"Personalisierungsjubler" und "kleinkariert" sind inhaltslose Beleidigungen. Von gewaltigen Wunderergebnissen hat niemand gesprochen. Und Personalisierung ist nicht das Gleiche wie Einmannwahlkreise.


>und dabei, wie mein Vorredner zerknirscht zugeben musste, über den
>Willen und die Bedürfnisse des Volkes mit beachtlicher Arroganz
>hinweg gehen.


Ich antworte mal auf den argumentativen Kern, obwohl ich die Beleidigungen sehr wohl bemerkt habe:

Selbstverständlich hat das Volk das Recht ein Wahlrecht einzuführen oder zu behalten das mir nicht gefällt. Aber erstens muss ich dieser Entscheidung nicht zustimmen und zweitens halte ich sie nicht für sicher. Das Volk in Hamburg hat sich kürzlich für Personalisierung entschieden. Anderes Beispiel: In Irland sind regierungsinitiierte Volksentscheide zur Abschaffung von STV zweimal gescheitert, obwohl STV ursprünglich ein Diktat der -höflich ausgedrückt- unbeliebten Briten war. In der kanadischen Provinz British Columbia hat sich die citizens assemly (zufällig ausgeloste Bürger) kürzlich für STV entschieden. (Der Volksentscheid dazu steht noch aus.) Personalisierung ist also häufig (sicher nicht immer) vom Volk gewünscht. Was nicht gewünscht ist, ist Komlexität des Wahlzettels. Diese kann mit STV und ähnlichen Verfahren minimiert werden.


>Merke: Es ist den Bürgern ganz überweigend absolut gleichgültig, wer
>im Parlament beschließt, entscheidender ist, was dort beschlossen
>wird. Eine darauf gerichtete Wahl garantieren Parteien.


Nicht wirklich. Parteien werden ja letztendlich auch nicht von Programmen sondern von Personen bestimmt. Und da man nicht alle Fragen der Wahlperiode im Vorhinein kennt, muss man letzendlich irgendwelchen Personen vertrauen.

@Philipp Wälchli
Wenn man keine Personalisierung will, sind starre Bundeslisten natürlich die konsequente Lösung. Wenn man Personalisierung will, ist eine Bundesliste wohl zu unübersichtlich. Mir ist nicht klar, wie man die Streichungen in das Wahlergebnis übersetzen würde. Listeninternes Kummulieren und Panaschieren scheint mir aus Sicht des Wählers schon komplizierter als listeninternes STV - und das bei geringerer Personalisierungswirkung.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Samstag, 20. November 2004 - 13:01 Uhr:   

@J.A.L.:
Es war gerade das - schon zu Zeiten des Kaiserreichs - sich herausbildende System "starker Parteien", das durch das Weimarer Wahlsystem noch verstärkt die Entstehung totalitärer Parteien wie der NSDAP und KPD/SED ungemein föderte. Ich bin davon überzeugt, dass solche Parteiapparate in den USA z.B. kaum vorstellbar wären. Und da, wo sich Teile der Parteigliederungen auch in Amerika gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu "verselbständigen" drohten, wurden diese Tendenzen durch "Personalisierung" sehr effektiv bekämpft.
Das insbesodere an der derzeitigen Wahlkampffinanzierung in Amerika viel zu kritisieren ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Aber für diese Verhälnisse einer gewissen "demokratischen Grundsicherheit" nehme ich gerne auch den einen oder anderen Politclown in Kauf. Wobei sich der Politclown Schwarzenegger gerade als ziemlich "brauchbar" erweist ;-) Und wo steht eigentlich geschrieben, dass mich unser Parteiensystem vor Westerwelle bewahrt hätte ;-)
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Samstag, 20. November 2004 - 16:01 Uhr:   

Nur zur Begriffsklärung:
Kumulieren bedeutet, einer Person auf einer Liste mehrere Listenplätze (meist 2 bis 3, in der Regel nach oben beschränkt, so dass nicht etwa jemand eine Liste von 50 Zeilen mit dem immer gleichen Namen versehen kann!) zu geben, so dass diese innerhalb der Rangfolge dieser Liste weiter nach vorne kommt.
Panaschieren bedeutet hingege eben gerade das Mischen von Kandidaturen von zwei oder mehr verschiedenen Listen. Bei einem System, das nur Veränderungen der Rangfolge der Personen innerhalb einer Liste, für die sich die Wählenden zu entscheiden haben, zulässt, kann Panaschieren gar nicht erfolgen (und wer es doch tut, macht damit einfach seine Stimmabgabe ungültig).
Streichen einer Person innerhalb einer solchen Liste bewirkt, dass sie eine Stimme weniger erhält und in der Rangfolge dieser Liste abrutscht. Im Grunde ist es eine negative Präferenzstimme: Indem ich z. B. die Kandidaten 1 bis 10 auf einer Liste streiche, erhalten die Kandidaten ab Nr. 11 indirekt mehr Stimmen und rutschen in der listeninternen Rangfolge nach vorne.

Und gleich noch ein Entwurf eines Wahlrechts:
Wir Teilen ganz Deutschland einem einzigen Wahlkreis zu. In diesem können sich Parteien mit Listen melden, auf denen soviele Kandidaturen stehen dürfen, wie Sitze zu vergeben sind.
Nun wird es traditionell: Jede Wahlberechtigte Person hat zwei Stimmen. Die Erststimme gilt für die Parteien (Listen), die Zweitstimmen für die Personen.
Nun machen wir es so, dass bei der Erststimme eine Reihe von Vergleichen stattzufinden hat. Das sähe dann etwa so aus:
Vergleich SPD mit CDU, SPD mit FDP, SPD mit Grünen usw. (Am besten wohl in einem Quadratgitter. Bei jedem Vergleich muss man angeben, ob welche Partei man der jeweils andern vorzieht.
Für jede Bevorzugung bei einem Vergleich erhält die Liste der betreffenden Partei einen Punkt, die nicht gewählte Liste einen Punkt Abzug; kein Kreuz beim entsprechenden Vergleich ergibt keinen Punkt für beide. Zur Verteilung der Sitze auf die Listen werden alle erhaltenen Punkte aus allen Vergleichen von allen gültigen Wahlzetteln zusammengezählt, davon werden jeweils die negativen Punkte abgezogen. Der Saldo wird nach einem neutralen Verfahren wie Hare, St. Lague o. dgl. zur Sitzberechnung herangezogen. Sollten negative Saldi entstehen, so wird zu allen Saldi der Betrag des grössten Negativsaldos hinzugerechnet, so dass nur positive Saldi entstehen (mit Ausnahme der schlechtest platzierten Liste, die auf 0 fällt).
Für die Auswahl der Personen wird die Anzahl Wahlberechtigter Personen durch Anzahl Sitze so geteilt, dass möglichst gleich grosse Gruppen entstehen. Nach Bestimmung aller Gruppengrössen werden die Wahlberechtigten durch Losverfahren einer Gruppe zugeteilt, ebenso durch Losverfahren je eine Kandidatur einer jeden Liste.
Auf dem Wahlzettel werden nun wiederum die Kandidaturen einander gegenübergestellt. Die Berechnung erfolgt wie oben geschildert, so dass jede Kandidatur einen Saldo erhält.
Innerhalb der einer Liste zugewiesenen Sitze werden die Kandidaturen entsprechend der Höhe ihres individuellen Saldos geordnet und erhalten entsprechend einen Sitz zugewiesen bzw. landen als Überzählige auf der Warteliste, falls nach der Wahl ein Sitz frei werden sollte.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Samstag, 20. November 2004 - 18:58 Uhr:   

@Philipp Wälchli
Zur Begriffsklärung Kumulieren/Panaschieren:
Ihre Definition soll mir auch recht sein. Ich hätte die Verteilung auf verschiedene Personen auch schon als Panaschierung bezeichnet. Aber Wortdefinitionen sind Willkür und lohnen daher keine Diskussion.

Zur Handhabung der Streichungen:
Dann sind die Streichungen natürlich ein Einfluss zusätzlich zu den Präferenzstimmen und müssten daher zahlenmäßig beschränkt werden. Damit wird das Verfahren schon wieder kompliziert... Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Spitzenkandidaten überproportional oft gestrichen werden. Das könnte unerwartete Effekte geben.

Zum Entwurf mit den Quadratgittern:
Sie wollen damit wahrscheinlich nur die Komplexität der bisherigen Vorschläge parodieren. Ich beantworte den Vorschlag aber trotzdem:
Für die Wähler ist das wohl der bisher komlizierteste Vorschlag. Zumindestens mir geht es allerdings wirklich um Gerechtigkeit, die ich (in gewissen Grenzen) mit Komplexität bezahlen würde. Dieser Vorschlag ist dagegen komplex und ungerecht. Eröterung: Im Quadratgitter könnte der Wähler theoretisch nicht antisymmetrische (Partei A über Partei B und Partei B über Partei A) oder nicht transitive (A über B, B über C aber C über A) Ordnungen angeben. Zum Verständniss ist es hilfreich, diese Möglichkeit erst einmal wegzuidealisieren. Dann kann man die Gitterausfüllungen auch aus einer Durchnummerierung ersehen. Und dann erkännt man das Wesen des Zuteilungsverfahrens auf die Parteien: Sitzzuteilung nach Borda-Score. Das wäre allerdings pervers: Eine Partei könnte von einer absoluten Mehrheit besser als alle anderen Parteien bewertet werden, während eine andere Partei die Sitzmehrheit bekäme. Die eigentliche Personalisierung wäre bei hoher Komplexität ziemlich ineffektiv. Es geht bei der Personalisierung schließlich darum, Kandidaten einer Partei mit einander zu vergleichen. Der Umweg über den Vergleich mit fremden Kandidaten (samt der dann erfolgversprechenden strategischen Spielchen) wäre wohl tatsächlich für kaum einen Wähler nachvollziebar.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Samstag, 20. November 2004 - 23:17 Uhr:   

@ Gelegentlicher Besucher
"Long Parliament"(ab 3.11.1640) wurde durch die Armee zum "Rumpfparlament" (6.10.1648) geschrumpft, das wurde Cromwell zerschlagen und durch das "Saints' Parliament" (20.4.1653) ersetzt, dass wurde dann auch abgeschafft (12.12.1653), später der "Rumpf" restauriert (3.9.1658), der dann gewzungen wurde das "Long Paliament" wieder herzustellen (Februar 1660) - Wahlen gab es für Großbritannein keine aber für einige City-Councils.
Der Vorschlag des "True Leveller Convent of London" bezog sich auf London - wo es während Bürgerkrieg und Republik wahlähnliche Veranstaltungen gab und bezog sich auf den Vorschlag von Wahlen von verschiedenen "Groups of Agitators" (siehe Winstanley).

Alle Aristokraten sind natürlich erst Oligarchen - bloß bleiben ihre Nachfahren ihnen verpflichtet, da sie meist Namen (häufig auch Titel), Vermögen (ich und fast dreißig andere müssen nicht arbeiten und kriegen trotzdem ca. 4000 Euro monatlich aus dem Familienvermögen und -einkommen) und Einfluß (selbst wenn sie nicht mehr herrschen) erben. Unter meinen Ahnen werden sie einige Massenmörder (sowohl für das Osmanische Reich, als auch für das dt. Kaiserreich und seine Verbündeten und für das dritte Reich) finden - und natürlich trägt meine Familie dafür immer noch Verantwortung, schließlich haben meine Ahnen sich unglaublich (und v.a. durch Verbrechen) bereichert (Vorraussetzung für meine 4000 Euro im Monat und Grund für viel Streit in meiner Familie). Selbst in Ländern wie Österreich, wo der Adel offiziell abgeschafft ist, ist es ein Unterschied ob sie z.B. als Sobieski (Anrede: euer kgl. Hoheit und Majestät), als Betschew (Anrede: euer Hochwohlgeboren) oder Beresowski (Anrede: Sie Parvenü) ein Hotelzimmer buchen. Die Masse der Menschen entscheidet nach und während einer Oligarchie, ob sich daraus eine Aristokratie (meist mit eigenem Erziehungsideal) entwickelt. Aristokraten können Demokraten, Republikaner, Anarchisten, Faschisten, Nazis, Kommunisten, Oligarchen, Monarchisten, etc. sein - Oligarchen sind immer Oligarchen.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Sonntag, 21. November 2004 - 19:02 Uhr:   

Nur ein paar Anmerkungen:
Die Begriffe "Kumulieren" und "Panaschieren" werden ganz allgemein so gebraucht, wie meine Wenigkeit es ausgeführt hat. Dafür spricht auch allein schon die Wortbedeutung: "Kumulieren" = "Häufen", "Panaschieren" = "Mischen". Innerhalb einer Liste ist es nun einmal schwer, etwas zu mischen. Und natürlich wird man Begriffe, die eine geläufige Bedeutung haben, auch so definieren können, dass sie etwas anderes oder gar Gegenteiliges bedeuten sollen, nur werden das vermutlich die meisten Leute dann nicht so leicht verstehen und kaum übernehmen wollen.

Zu meinen Vorschlägen möchte ich allgemein bemerken, dass sie einfach nur Vorschläge sind, wie man etwas (auch) anpacken könnte. Das heisst nicht, dass ich diese Vorschläge gut oder besser als andere finde, zumal es mir widerstrebt, ein Wahlrecht unabhängig davon zu konstruieren, wie die Verhältnisse in einem Land sind. In manchen Ländern gibt es z. B. eine hohe Analphabetenquote. Will man diese Leute nicht einfach vom Wahlrecht ausschliessen, muss man einerseits politische Institutionen schaffen, die auch unter diesen Bedingungen sinnvoll arbeiten können, anderseits muss man auch ein Wahlverfahren (oder allgemeiner: Bestellungsverfahren) konstruieren, das auch Analphabeten eine Beteiligungsmöglichkeit bietet und das zugleich möglicher Agitation vorbeugt, was zugegebenermassen schwierig ist.
Längerfristig können daran nur Bestrebungen zur Hebung des Bildungsniveaux' etwas ändern, dann kann man auch die politischen Institutionen und das Wahlrecht verändern.

Zu meiner letzten Skizze:
Die Ideen dahînter sind etwa folgende: Es soll ein Wahlrecht konstruiert werden, das deutschen Wählenden ein wenig bekannt vorkommt. Daher soll es eine listenbezogene und eine personenbezogene Komponente haben wie bisher.
Eine weitere Idee ist die, territoriale Wahlkreise aufzugeben.
Schliesslich kommt die Idee der Binarisierung hinzu: Wir splitten das gesamte Auswahlverfahren in binäre Entscheidungen auf.
Vielleicht könnten wir das Verfahren noch ein wenig vereinfachen:
Statt dass alle alle Parteien vergleichen können, gehen wir wieolgt vor:
Wir stellen die vollständige Anzahl aller binären Vergleiche auf, dann teilen wir die Wählerschaft durch Losverfahren in Gruppen nach Möglichkeit gleicher Grösse auf (leichte Abweichungen je nach Zahl gemeldeter Listen und registrierter Wahlberechtigter sind möglich). Jede Gruppe erhält nun einen Wahlzettel, auf dem sie einen Vergleich zwischen zwei Parteien / Listen vornehmen kann.
Für die Auswahl von Abgeordneten dividieren wir ebenfalls alle möglichen Zweiervergleiche und losen dann aus, so dass die Wahlberechtigten jeweils einen Vergleich zweier Parteien und zweier Personen auf ihrem Wahlzettel vorgelegt erhalten, aber gruppenweise verschiedene.
Hier ergibt sich nun ein Problem, das sich lösen liesse, wenn man zu Wahlautomaten übergehen würde: Für Vergleich 1 werden im voraus Vergleiche zufällig auf die Wählenden verteilt. Für Vergleich 2 würde der Wahlautomat zwei zufällig ausgewählte Kandidaturen der bevorzugten Liste präsentieren.
Wer wollte, könnte die Wahlautomaten bundesweit online vernetzen und dabei je nach Wahlbeteiligung und aktuellem Stand Differenzen zwischen den verschiedenen Gruppen ausgleichen, so dass bestimmte Vergleiche, die schon häufig auftraten, gesperrt werden, bis andere aufgeholt haben, so dass im Verlauf des Wahltages alle Vergleiche etwa gleich oft vorgenommen wurden.
Damit haben wir nun aber natürlich nicht mehr die klassische Wahl, sondern eine Art Stichprobe im Grossen: Statt dass wir alle Wähler u allem befragen, legen wir ihnen gruppenweise ein stichprobenartige Entscheidung vor, die binär zwischen zwei Alternativen zu fällen ist.

Zur Einordnung dieses und anderer Vorschläge möchte ich noch dies anmerken: Die Zahl grundsätzlich verschiedener Verfahren ist begrenzt. Das ist so, weil die Welt ein begrenzter Raum ist, in dem es eine begrenzte Zahl Fälle gibt.
Wir können etwa die folgenden grundsätzlich verschiedenen Verfahrensweisen ausmachen:
Wahlen nach dem Verfahren "EWG" (Einer Wird Gewinnen): Wir stimmen einer einzigen Liste oder einer einzigen Kandidatur.
Wir stellen eine Rangfolge auf.
Wir stimmen gegen eine Liste oder einen Kandidaten.
Wir ziehen eine Stichprobe.
Wir vergleichen paarweise.
Wir losen aus.
Wir verzichten auf eine Wahl und setzen auf andere Bestellungsverfahren (Kooptation, Ernennung, Designation usw. Vgl. eigenen Diskussionsfaden hierzu.).
In Europa dominieren Verfahren nach dem Prinzip EWG. Letztlich sind auch Listenwahlen nur etwas kompliziertere Anwendungen von EWG.
Man könnte auch ein Wahlsystem konstruieren, in dem es eine Stimme für und eine Stimme gegen jemand gibt. Im geltenden deutschen Wahlrecht würde das dann vier Stimmen ergeben: Eine Stimme für eine Liste, eine Stimme gegen eine Liste, eine Stimme für einen Wahlkreiskandidaten, eine vierte Stimme gegen einen andern Wahlkreiskandidaten. Stimmen gegen eine Liste / Kandidatur würden dann einfach von den erhaltenen positiven Stimmen abgezogen, wobei man noch eine Regelung für negative Saldi finden müsste (z. B. Ausgleichen auf 0 für die tiefste Zahl und Anheben der übrigen Saldi um den gleichen Betrag).
Idee dahinter wäre es, dass man nicht nur seiner Präferenz Ausdruck verleihen können sollte, sondern dass man auch angeben können sollte, wen man ganz bestimmt nicht will. Einen Versuch wäre ein solches Verfahren gewiss einmal wert.
Meine Idee der paarweisen Vergleiche hängt mit der Überlegung zusammen, dass es meist einfacher ist, zwei Dinge zu betrachten als eine Vielzahl. Es handelt sich also um den Versuch, eine Entscheidung zu strukturieren und zu modularisieren, auf diese Weise auch ein Stück weit transparent zu machen, was in einem EWG-System nicht geht.
Dabei habe ich bewusst in Kauf genommen, dass es Verstösse gegen Transitivität geben kann. Wie bemerkt gehe ich von paarweisen Vergleichen aus. Dabei kann der Fall eintreten, dass A vor B, B vor C, aber C vor A. mathematisch formuliert erscheint A > B > C bei C > A als Unsinn. In einem Verfahren der Rangfolgebestimmung müsste man sich entscheiden, ob A an den Anfang oder C vor A gesetzt werden solle.
Eine solche Sichtweise geht davon aus, dass politische Ansichten sich auf einem Kontinuum bewegen. Diese Auffassung teile ich entschieden nicht. Was mathematisch Unsinn ist, braucht es im menschlichen Leben nicht zu sein (nur nebenbei bemerkt: Die Trinitätslehre widerspricht jeder Mathematik und Logik, wird aber von mehr als einer Milliarde Menschen als Grundüberzeugung ihrer Religion geglaubt). Politische Auffassungen können Sprünge und Brüche aufweisen und tun dies oftmals auch. Ich möchte nur auf eine Erscheinung hinweisen, die besonders in der Schweiz immer wieder zu beobachten ist: Die Verbindung der Extreme. Wenn wir A, B und C als Parteien links der Mitte einstufen und D, E und F als rechts der Mitte, dann ergeben sich oft Konstellationen, in denen A und B eine Vorlage ablehnen, die von D, E und F unterstützt wird, aber das linke Extrem F unterstützt diese Vorlage, obwohl sie augenscheinlich von rechts stammt. Oder wenn A, B, D und E sich auf einen Kompromiss der Mitte einigen, stimmen die Extreme links und rechts, C und F, dagegen. In den 1980er Jahren z. B. setzten sich in der Schweiz die Grünen auf der Linken und zugleich gewisse Parteien auf der äussersten Rechten für mehr Umweltschutz ein, obwohl sie in so ziemlich jeder andern politischen Frage gegensätzlicher Auffassung waren.
Gewisse Inkonsistenzen der Politik halte ich daher für normal, weil das Leben an sich inkonsistent ist, und sehe keinen Grund, sie künstlich ausmerzen zu sollen.

Als letzte Bemerkung möchte ich noch anfügen, dass selbstredend im realexistierenden Arbeiter-, Bauern- und Bürgerstaat Schweiz die Herren Sobieski, Betschew und Beresowski allesamt nur mit "Herr" angeredet werden, auch ein ehemaliger Student hier war bloss "Herr Habsburg". (Übrigens scheinen die Schwinger und das Militär Ungarn zu sein, denn dort heisst Otto Rhis "Rhis, Otto".)
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Sonntag, 21. November 2004 - 19:44 Uhr:   

@Philipp Wälchli
Wenn in deinem ersten Modell die Wahlbevölkerung den einzelnen Sitzen zugelost wird, ergeben sich sehr ähnlich zusammengesetzte Gruppen. Kleine Parteien werden nirgendwo die für die Wahl nötige Stimmenmehrheit erreichen. Das Wahlrecht begünstigt also ein Zweiparteiensystem; kleineren Parteien bleibt nur die Wahl, in einer der großen Parteien aufzugehen oder fast ohne Aussicht auf Erfolg anzutreten.

Jede Gruppe wählt dann also zwischen zwei Kandidaten der Großen und ein paar anderen. Da jede der Großen ein breites Spektrum abdeckt, können ihre Kandidaten in der Mitte stehen oder auch nicht. Stehen bei beiden Parteien 2/3 in der Mitte, ergibt sich folgendes Bild:
4/9 wählen zwischen Mitte, Mitte und anderen, Ergebnis wohl: Mitte
2/9 wählen zwischen Mitte, Links und anderen, Ergebnis wohl: Mitte
2/9 wählen zwischen Mitte, Rechts und anderen, Ergebnis wohl: Mitte
1/9 wählen zwischen Links, Rechts und anderen, Ergebnis: ?

Bei diesem letzten Neuntel hätte ein populärer Kandidat von einer der kleinen Parteien vielleicht eine Chance. Er würde von den Großen aber als Störer ohne Chance heruntergemacht werden. Und auch wenn es einen Kandidaten der kleinen Parteien gibt, der es schaffen könnte, müßte er erstmal einer solchen Gruppe zugelost werden. Außerdem: ein solcher Kandidat könnte es sich viel leichter machen, indem er sich auf der Bundesliste einer der Großen aufstellen läßt.

(Mitte kann vieles bedeuten. Natürlich kann man es wie Kohl und Bush machen und die eigene rechte Position als Mitte definieren. Kohl ist damit 16 Jahre lang durchgekommen.)

(Dein "Saldo"-Modell dagegen begünstigt eine Aufspaltung von Parteien - damit alle Splitter das schöne Resultat beim Vergleich gegen die anderen kriegen - sowie viele Müll-Vorschläge - wenn alle die ablehnen, stehen die vorher schlechtesten Normalparteien besser da und bekommen mehr Sitze. Lehnt man den Müll deswegen nicht ab, kriegt auch der Müll Sitze)
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Sonntag, 21. November 2004 - 23:38 Uhr:   

Erstens ist nicht ausgemacht, wie jedes Mal zufällig ausgeloste Gruppen sich verhalten würden. Die Theorie des Zufalls besagt, dass sich längerfristig ein Ausgleich einstellt, dass aber kurzfristig die Abweichungen gross, ja enorm sein können. Das könnte bedeuten, dass in extremis eine Wählergruppe ausgelost wird, die nur aus Anhängern ein und derselben Partei besteht.
Auf den Gedanken, Wahlkreise gleichsam auszulosen, hat mich folgendes gebracht: Hier wird seit langem immer wieder diskutiert, wie Wahlkreise gebildet werden müssten. Dabei sind verschiedenste Kriterien diskutiert und kritisiert worden. Vorwürfe wie Wahlkreisgeometrie, Gerrymandering, Hochburgbildung, Manipulation, Willkür usw. kommen nie ans Ende, wenn territoriale Wahlkreise gebildet werden. Daher gibt es nur zwei mögliche Auswege: Auf Wahlkreise entweder ganz Verzichten oder aber ein Kriterium an die Zuordnung von Wählenden auf "Kreise" zu nehmen, das menschlichem Einfluss gänzlich entzogen ist - und dieses ist nun mal ausschliesslich der Zufall.
Wie man im übrigen zur Neunte-Theorie gelangt, ist meiner Wenigkeit völlig uneinsichtig.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Montag, 22. November 2004 - 01:09 Uhr:   

@Philipp Wälchli


>Die Begriffe "Kumulieren" und "Panaschieren" werden ganz allgemein so
>gebraucht, wie meine Wenigkeit es ausgeführt hat.


Nach kurzer Überprüfung muss ich Ihnen Recht geben. Ich habe bisher meine Definition für die Übliche gehalten und dabei an das Mischen verschiedener Kandidaten gedacht. Nun frage ich mich welche Worte ich noch anders verstehe als der Rest der Menschheit. Gruselige Vorstellung.


>Dabei habe ich bewusst in Kauf genommen, dass es Verstösse gegen
>Transitivität geben kann. Wie bemerkt gehe ich von paarweisen
>Vergleichen aus. Dabei kann der Fall eintreten, dass A vor B, B vor
>C, aber C vor A. mathematisch formuliert erscheint A > B > C bei C
>A als Unsinn. In einem Verfahren der Rangfolgebestimmung müsste man
>sich entscheiden, ob A an den Anfang oder C vor A gesetzt werden
>solle.
>Eine solche Sichtweise geht davon aus, dass politische Ansichten sich >auf einem Kontinuum bewegen.
>Diese Auffassung teile ich entschieden nicht.


Eine Entfernungsabschätzung auf einem politischen Kontinuum ist eine aber bei weitem nicht die einzige Möglichkeit eine transitive Liste zu erstellen. Ich selbst vertrete z.B. durchaus Meinungen, die im bestehenden Parteiensystem politisch nicht zusammenpassen. Das hindert mich aber nicht bei der Wahl Einzelfragen nach Wichtigkeit zu ordnen. Zwei Parteien ordne ich dann nach der wichtigsten Frage in der sie sich unterscheiden. Die so erhaltene Ordnung ist transitiv, auch wenn ich im gegenwärtigen Wahlsystem nur das maximale Element angeben kann. (Manchmal gewichte ich auch. Das ändert aber nichts an der Transitivität.) Prinzipiell muss man bei einer Wahl manche Meinungen übergehen, denn wenn sich alle einig währen bedürfte es ja keiner Wahl. Da scheint es doch sinnvoll zunächst die in sich widersprüchlichen Meinungen zu übergehen. Probleme wie die von Ihnen beschriebene Verbindung der Extreme machen es oft unmöglich gesamtgesellschaftlich eine transitive Ordnung zu erstellen (Condorcet-Paradoxon). Aber mir ist niemand begegnet der nicht individuell transitiv ordnen konnte. Die Möglichkeit der intransitiven Stimmabgabe ist aber nicht mein Hauptproblem mit dem "Gitterverfahren". Mein Hauptproblem ist, dass eine Partei von einer Mehrheit der Wähler über allen anderen Parteien bewertet werden kann, während eine andere Partei die Mehrhei der Sitze bekommt.


>Was mathematisch Unsinn ist, braucht es im menschlichen Leben nicht
>zu sein


Doch! Wo die Mathematik der Realität zu widersprechen schein liegt der Fehler entweder in der Modellbildung oder in der Beobachtung. Aber nichts widersprüchliches existiert.


>nur nebenbei bemerkt: Die Trinitätslehre widerspricht jeder
>Mathematik und Logik,


Nein.


>wird aber von mehr als einer Milliarde Menschen
>als Grundüberzeugung ihrer Religion geglaubt).


Z.B. von mir. Aber der scheinbare Widerspruch ist keiner. Die Einheit liegt in der Substanz, die Dreiheit in der Beziehung. Ein Wesen, drei Personen. Als Mensch (Ein Wesen, eine Person) kann ich das nicht vollständig verstehen. Aber so weit wie ich es verstehen kann, ist es vollkommen logisch. Zum Vergleich: Ein Tier hat ein Wesen und null Personen. Das kann ich auch nicht ganz nachvollziehen. Deshalb schließe ich noch lange nicht auf 1=0. Warnung: Die Begriffe "Person" und "Substanz" sind hier theologisch-fachsprachlich verwendet. Sie bedeutet nicht das gleiche wie im allgemeinen Sprachgebrauch oder der modernen Philosophie, sondern in etwa "beziehungshabendes Etwas" (Person) und "Summe der sich nicht aus Beziehungen ergebenden Eigenschaften" (Substanz). Jetzt bin ich allerdings sehr weit weg vom Thema...

@Immanuel Goldstein

>Der Vorschlag des "True Leveller Convent of London" bezog sich auf
>London - wo es während Bürgerkrieg und Republik wahlähnliche
>Veranstaltungen gab und bezog sich auf den Vorschlag von Wahlen von
>verschiedenen "Groups of Agitators" (siehe Winstanley).


Das klingt sehr interessant. Ich kann dazu im Internet leider nichts finden. Können Sie mir zu dieser Frage ein Buch/einen Artikel empfehlen? Es geht mir dabei nicht um die Diggers im Allgemeinen sonder speziell um diesen Vorschlag.


>Sobieski (Anrede: euer kgl. Hoheit und Majestät), als Betschew
>(Anrede: euer Hochwohlgeboren) oder Beresowski (Anrede: Sie Parvenü)


Ich würde diese Herren nur dann nicht mit "Herr" anreden, wenn es Damen sind :).


>Alle Aristokraten sind natürlich erst Oligarchen - bloß bleiben ihre
>Nachfahren ihnen verpflichtet,


Ich habe es wohl doch noch nicht ganz verstanden. :) Liegt der Unterschied darin, dass man die Oligarchen samt Nachwuchs hingerichtet hat und die anderen Aristokaten nicht?
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Montag, 22. November 2004 - 01:22 Uhr:   

@Philipp Wälchli

>Die Theorie des Zufalls besagt, dass sich längerfristig ein Ausgleich
>einstellt, dass aber kurzfristig die Abweichungen gross, ja enorm sein
>können. Das könnte bedeuten, dass in extremis eine Wählergruppe
>ausgelost wird, die nur aus Anhängern ein und derselben Partei besteht.


Nicht Wirklich. Der Ausgleich stellt sich für große Zahlen (nicht nur für große Zeiten) ein. Krass unrepräsentative Auslosungen haben eben einfach eine (im Vergleich zu repräsentativen Auslosungen) sehr niedrige Entartungsfunktion. Wenn man die "Wahlkreise" also nicht sehr klein machen will, dann sind nichtrepräsentative Wahlkreise extrem unwahrscheinlich, d.h. kommen höchstens alle paar Dekaden mal vor.


>Vorwürfe wie Wahlkreisgeometrie, Gerrymandering, Hochburgbildung,
>Manipulation, Willkür usw. kommen nie ans Ende, wenn territoriale
>Wahlkreise gebildet werden.


Diese Vorwürfe hören auch dann auf, wenn ein Verhältnisswahlrecht die genaue Wahlkreiseinteilung unwichtig macht.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Dienstag, 23. November 2004 - 15:20 Uhr:   

>Eine Entfernungsabschätzung auf einem politischen Kontinuum ist eine >aber bei weitem nicht die einzige Möglichkeit eine transitive Liste >zu erstellen.
>Probleme wie die von Ihnen beschriebene Verbindung der Extreme >machen es oft unmöglich gesamtgesellschaftlich eine transitive >Ordnung zu erstellen (Condorcet-Paradoxon). Aber mir ist niemand >begegnet der nicht individuell transitiv ordnen konnte.

Ich behaupte auch nicht, dass es einem Menschen nicht möglich sei, Parteien transitiv zu ordnen, ich behaupte nur, dass es leichter fällt, in einem binären Vergleich zwei Dinge vergleichend zu bewerten. Im übrigen sehe ich auch keine Notwendigkeit, ein Verfahren zu schaffen, das die Wählenden dazu zwingt, eine transitive Ordnung aufzustellen. Das Wahlgeheimnis verwehrt uns den Einblick in die individuelle Entscheidfindung der Wählenden; wir wissen daher nicht, wie sie im gegenwärtigen Wahlsystem nach dem Prinzip EWG zu ihrer Auswahl gelangen. Vielleicht machen sie ihr Kreuz nach ästhetischen Gesichtspunkten oder haben vor dem Gang zur Wahl gewürfelt? Wer will solcherlei Entscheidungsmechanismen ausschliessen?

>Die Möglichkeit der intransitiven Stimmabgabe ist aber nicht mein >Hauptproblem mit dem "Gitterverfahren". Mein Hauptproblem ist, dass >eine Partei von einer Mehrheit der Wähler über allen anderen >Parteien bewertet werden kann, während eine andere Partei die >Mehrheit der Sitze bekommt.

Mit Verlaub halte ich dieses Problem nicht für überaus gewichtig. Auch in den meisten heute geltenden Wahlsystemen gibt es Konstellationen, in denen eine Partei zwar die Mehrheit der Stimmen erhalten hat, aber deswegen nicht die Mehrheit der Sitze bekommt. Realistisch betrachtet stellt sich dieses Problem für deutsche Bundestagswahlen wohl ohnehin nicht, weil da ohnehin immer Koalitionen eine Mehrheit erhalten. Alle parteienbezogenen Mehrheitsklauseln sind deswegen schon mal ziemlich unrealistisch; in verschiedenen andern Diskussionsfäden wurde dies ja auch schon breit und kontrovers durchdebattiert.
Zudem muss ich betonen, dass es, wenn man sich für ein wie von mit beschriebenes System entscheidet, etwas grundsätzlich anderes gibt als das bisherige Stimmensystem: In einem System mit binären Vergleichen kann keine Partei "die Mehrheit der Stimmen" holen, jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Wir machen etwas anderes: Wir zerlegen das Auswahlproblem in eine Reihe binärer Entscheidungen anhand von Einzelvergleichen jeweils nur zweier Parteien.
Nehmen wir ein System mit den Parteien A, B, C, D und E. Betrachten wir nun einmal nur Partei A:
Partei A wir je einmal verglichen mit partei B, mit C, D und mit E. Sie kann also in 4 Vergleichen maximal 4 Punkte holen. Jede andere Partei kann ebenfalls maximal nur 4 Punkte holen. Nun gibt es natürlich eine Reihe Vergleiche, bei denen Partei A nicht betroffen ist, z. B. beim Vergleich von B und C.
Diese Vergleiche schaden A nur indirekt, insofern z. B. Partei B aus dem Vergleich mit C einen Punkt holen könnte. Zu erwägen gälte es, ob man Wahlzettel gelten lassen soll, in denen einer oder mehrere Vergleiche nicht beantwortet wurden. Damit könnte, wer A allen andern vorzieht, nur die Vergleiche ausfüllen, an denen A beteiligt ist, und dabei jeweils A ankreuzen, was 4 Punkte für A ergäbe, die andern Parteien hingegen unberührt liesse.
Letztlich sind das aber Nebensächlichkeiten. WENN wir uns dafür entscheiden, ein solches System anzuwenden, DANN müssen wir auch sehen, was wir gemacht haben. Es geht hier mehr um ein statistisches Verfahren: Wir schauen, welche Partei bzw. Liste bei einer Reihe Einzelvergleichen wie gut abschneidet. Das ist eher einer Marktbefragung oder einer statistischen Auswertung vergleichbar als einem Wahlsystem nach dem Prinzip EWG. Man kann dies natürlich NICHT wollen (politische Entscheidungen sind immer WILLENSENTSCHEIDE!), aber WENN wir uns dafür entschieden haben, DANN müssen wir auch die Konsequenzen tragen und dürfen nicht nachträglch einwenden, es passe uns dies oder jenes Ergebnis nicht, weil wir es an Kriterien messen, die einem andern System entnommen sind.

>>Was mathematisch Unsinn ist, braucht es im menschlichen Leben nicht
>zu sein
>
>Doch! Wo die Mathematik der Realität zu widersprechen schein liegt >der Fehler entweder in der Modellbildung oder in der Beobachtung. >Aber nichts widersprüchliches existiert.

Es gibt nun einmal per definitionem Dinge, die alogisch (oder auch: vorlogisch), irrational, inkommensurabel oder einfach unbekannt sind und die sich daher der mathematischen bzw. logischen Formulierung entziehen. Dazu gehören z. B. die mathematischen Axiome, die einer vor-logischen Ebene angehören und selbst nicht mathematisch herleitbar sind (was übrigens mit jedem Prinzip der Fall ist, auch als "Problem der Letztbegründung" bekannt), nichtsdestotrotz aber durchaus einleuchten. Dazu gehören auch Gefühle, der Zufall und eine Menge mehr. Un-Sinn meint nicht: Widerspruch, sondern etwas, was sich im eben genannten Sinne der sinnvollen logischen Formulierung entzieht. Gerade politische Entscheidungen lassen sich zum grössten Teil nicht logisch begründen (im Sinne einer logisch zwingenden Folgerung), weil sie ihrem Wesen nach Willensentscheidungen sind; wollen aber kann man selbst Unmögliches!

>>nur nebenbei bemerkt: Die Trinitätslehre widerspricht jeder
>>Mathematik und Logik,
>
>Nein.
>
>>wird aber von mehr als einer Milliarde Menschen
>>als Grundüberzeugung ihrer Religion geglaubt).
>
>Z.B. von mir. Aber der scheinbare Widerspruch ist keiner. Die >Einheit liegt in der Substanz, die Dreiheit in der Beziehung. Ein >Wesen, drei Personen. Als Mensch (Ein Wesen, eine Person) kann ich >das nicht vollständig verstehen. Aber so weit wie ich es verstehen >kann, ist es vollkommen logisch.

Wenn man es so formuliert, ist die logische Abbildung kein Problem. Nur handelt es sich dabei um eine Beschreibung, die höchst verdächtig nach Modalismus riecht - und der Modalismus ist seit dem Konzil von Nikaia 325 eine allgemein verurteilte Häresie.
Die orthodoxe Trinitätslehre mathematisch oder logisch korrekt zu formulieren, ist bisher meines Wissens nicht gelungen. Das ist auch nicht erstaunlich, weil sie etwas wiederzugeben versucht, was seinem Wesen nach vor-logisch ist, nämlich eine Glaubenserfahrung. Refrain: siehe oben!
In der originalen Definition ist von "homoousion" (ungefähr: wesensgleich) und "hypostasis" die Rede. "Person" ist die ziemlich missglückte lateinische Übersetzung von hypostasis. Ein anderer Vorschlag, der immer wieder durch die theologische Literatur geistert, ist lateinisch "subsistentia". Substantia und subsistentia sind nun aber nicht so leicht unter einen logischen Hut zu bringen.

>Zum Vergleich: Ein Tier hat ein Wesen und null Personen. Das kann >ich auch nicht ganz nachvollziehen. Deshalb schließe ich noch lange >nicht auf 1=0. Warnung: Die Begriffe "Person" und "Substanz" sind >hier theologisch-fachsprachlich verwendet. Sie bedeutet nicht das >gleiche wie im allgemeinen Sprachgebrauch oder der modernen >Philosophie, sondern in etwa "beziehungshabendes Etwas" (Person) >und "Summe der sich nicht aus Beziehungen ergebenden Eigenschaften" >(Substanz).

Gerade dieses Beispiel zeigt, wie nützlich binäre Vergleiche sein können: Ich kann mir leicht vorstellen, dass gegen die Behauptung, ein Tier besitze kein "beziehunghabendes Etwas", heftiger Widerspruch von Tierfreunden, Grünen, Umweltschützern, Biologen usw. usf. erhoben werden wird.
Nun haben wir ein Problem der Betrachtung: Betrachten wir die Menschheit insgesamt, pauschal, und vergleichen wir sie mit allen Tieren insgesamt, pauschal, dann klingt diese Behauptung glaubwürdig.
Vergleichen wir aber in einem binären Vergleich Katze X und Mensch Y, dann sieht es anders aus. Denn Katze X ist sehr menschenfreundlich, zutraulich und reagiert mit Symptomen, die wir von eifersüchtigen Ehemännern kennen, auf das Eintreffen der neuen Freundin des jüngsten Sohnes. Mensch Y geht zweimal die Woche einkaufen, ist mürrisch, erhält oder schreibt nie Briefe und hält sich am liebsten in seinem Zimmer auf, ohne gestört zu werden.
In einem solchen binären Vergleich könnte man leicht zum Schluss gelangen, dass Katze X mehr Person besitze als Mensch Y.
Die Überlegung, dass ein konkreter Vergleich von bloss zwei Dingen leichter falle als der pauschale Vergleich mehrerer Dinge, ist einer der Gründe, aus dem man zu einem solchen System der Wahl mittels Vergleichen gelangt. Ähnliche Überlegungen liegen aber auch modernen Benutzerführungen oder den als "Wizard" bezeichneten Programmen zugrunde. Deren Zielsetzung ist es übrigens, die Anwendung einfacher zu machen.

>Der Ausgleich stellt sich für große Zahlen (nicht nur für große >Zeiten) ein. Krass unrepräsentative Auslosungen haben eben einfach >eine (im Vergleich zu repräsentativen Auslosungen) sehr niedrige >Entartungsfunktion. Wenn man die "Wahlkreise" also nicht sehr klein >machen will, dann sind nichtrepräsentative Wahlkreise extrem >unwahrscheinlich, d.h. kommen höchstens alle paar Dekaden mal vor.

Jein. Denn je grösser die Zahl, desto grössere und krassere Abweichungen können vorkommen. Stellt sich auch die Frage, was eine grosse Zahl sei. Nehmen wir mal 60 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland, dann ist das keine aus zufallstheoretischer Sicht sonderlich beeindruckende Zahl. Anders sieht es aus, wenn wir die Wahl wiederholen: Da jedes Mal 60 Millionen Zulosungen stattfinden müssen, haben wir nach 100 Wahlen 6 Milliarden Zulosungen durchgeführt, nach 100000 Wahlen 6 Billionen. Wächst die Zahl Wahlberechtigter im Laufe der Zeit an, so fallen diese Zahlen entsprechend höher aus. 1 Billion Zulosungen ist nun aber bereits eine sehr viel grössere Zahl als 60 Millionen. Nur: Bei gleichbleibender Wahlperiode brauchen wir schon für die 6 Milliarden Zulosungen einen Zeitraum von 400 Jahren.

>>Vorwürfe wie Wahlkreisgeometrie, Gerrymandering, Hochburgbildung,
>>Manipulation, Willkür usw. kommen nie ans Ende, wenn territoriale
>>Wahlkreise gebildet werden.
>
>Diese Vorwürfe hören auch dann auf, wenn ein Verhältnisswahlrecht >die genaue Wahlkreiseinteilung unwichtig macht.

Diese Bemerkung scheint mir nun, mit Verlaub, rein beckmesserischer Natur zu sein. Ich sagte, dass es zwei Möglichkeiten gebe, den genannten Vorwürfen gegen territoriale Wahlkreise zu begegnen: Wahlkreise aufzuheben oder aber auf ein Kriterium abzustellen, das menschlichen Einfluss auf die Bildung von Wahlkreisen ausschliesst. Da historisch gewachsene Grenzziehungen nicht wirklich menschlichem Einfluss entzogen sind, kann nur der Zufall die zweite Möglichkeit bilden.
Ein Verhältniswahlrecht, das die genaue Wahlkreiseinteilung unwichtig macht, degradiert entweder die Wahlkreise zu reinen Stimmgebungs- bzw. Zählkreisen, die für die Sitzverteilung keine Rolle spielen, oder aber es sieht einen landesweiten Verhältnisausgleich vor, wobei letztlich die Wahlkreise als Wahlkreise ebenfalls aufgehoben werden. Welche andere Möglichkeit es gibt, Wahlkreise als echte Wahlkreise aufrecht zu erhalten, aber deren Zuschnitt ohne Einfluss aufs Ergebnis zu lassen, entgeht meiner offensichtlich beschränkten Fassungskraft, so dass ich annehme, dass besagte Bemerkung einfach nur dazu dienen sollte, meine Grundaussage zu diskreditieren.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Dienstag, 23. November 2004 - 15:57 Uhr:   

> Da historisch gewachsene Grenzziehungen nicht wirklich menschlichem
> Einfluss entzogen sind, kann nur der Zufall die zweite Möglichkeit
> bilden.
Selbst wenn wir die erste Feststellung akzeptieren und Verwaltungsgrenzen als Einteilungskriterium ablehnen, glaube ich nicht, dass der Zufall die einzige Chance ist, sich hier menschlicher Willkür zu entziehen. Es reicht doch auch ein abstrakter Algorithmus, der angewendet auf eine konkrete Topographie nur eine Lösung für die Aufteilung der Wahlberechtigten auf Wahlkreise zulässt. Ich sehe nicht, dass dieses unmöglich sein sollte.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Dienstag, 23. November 2004 - 23:15 Uhr:   

Tja, das Problem bei einem Algorithmus ist nur: Er ist von Menschen gemacht und von Menschen ausgewählt. Folglich kann er auch nicht vom Verdacht menschlicher Willkür frei sein.
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Immanuel Kant i. A. Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. November 2004 - 11:05 Uhr:   

@ gelegentlicher Besucher
Mein Bruder weilt gerade in Varna und kann der oben genannten Bitte selbst nicht nachkommen. Er bat mich um Vertretung. Ich bitte um Entschuldigung für die leichte Verzögerung.
Leider nur drei Artikel aus der regionalen Abspaltung des "Moderate " - "The London Moderate" (Ausgabe 2, 5, und v.a.6), erhältliche Abschriften (auf Mikrofilm) in den meisten (Staats- und Universitäts-) Archiven in London (auch Cambridge?) und ich glaube es gab zumindest mal eine Erwähnung bei Spence "Pig's Meat" (Vol. I-III 1793-1795; zur Zeit in München leider vergriffen, aber prinzipiell erhältlich). Im Netz finde ich auch nichts.
Ausgabe 2: Vorschlag Einheitwahllisten (vorher intern durch Wahl der Agitatores und unter Ihnen festgesetzt) - viele lustige Paralellen zum DDR-Wahlverfahren. Zustimmung durch eigene Gremien.
Ausgabe 5: Vorschlag (unter Mitwirkung des sog. Tyranipocriten) zur Wahl zwischen verschiedenen Agitatores-Group (aber nicht nach Inhalt sondern nach Armeeabteilungen getrennt) - Gewinnergruppe soll doppelt so viele Abgeordnete stellen wie Verlierergruppe. Ablehnung durch eigene Gremien.
Ausgabe 6: Vorschlag: Pro Sitz (im City Council) zweitausend Stimmen (Nennung bzw. Schreibung eines Namen pro Wähler - keine vorgegebenen Listen). Ablehnung durch eigene Gremien.

Denn Streit Oligarchie/Aristokratie verstehe ich nicht so ganz. Das ist halt eine persönliche Betrachtungsfrage - ich glaube Todor nimmt es aber zu persönlich.
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neuer
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. November 2004 - 22:48 Uhr:   

Ich habe hier mal einen neuen Vorschlag:

Ein Art Grabenwahlsystem, das viel Kritik am vorherigen Vorschlag auflößt.

20 Wahlkreise à 5 Kandidaten nach STV.
Das sind also 100 Wahlkreiskandidaten.
Jede Partei die für die Teilnahme an der Verhältniswahl zugelassen ist kann 5 offizielle Wahlkreiskandidaten ihrer Partei aufstellen.

Parteikandidaten werden nicht gegenüber Unabhängigen bevorzugt, und auch Wahlrechtlich hat es keine Bedeutung, ob jemend offzieller Kandidat und von welcher Partei ist. Es dient nur zur besseren orientierung der Wähler, weshalb Kandidaten einer Partei als solche deutlich gekenzeichnet werden und untereinander stehen.
Desweiteren können sich unabhängige Kandidaten aufstellen, wenn sie 300 Unterschriften von Einwohnern aus dem Wahlkreis haben, in dem sie kandidieren wollen. Walvorschläge müssen spätestens 5 Wochen vor der Wahl eingehen.

UNABHÄNGIG davon, also ohne Verhältnisausgleich, werden weitere 110 Abgeordnete gewählt und zwar nach Verhältniswahlrecht mit offenen Listen (unabhängige Kandidaten sind hier NICHT zugelassen). Hierzu kann jeder Partei, die 2000 Unterschriften gesammelt hat
oder
innerhalb der letzten 30 Jahre schon einmal im Landtag saß oder derzeitig im Landtag oder Bundestag sitzt, antreten.

Es gibt dafür Wahlkreisverhältnislisten, für die sich jedes Mitglied einer Partei bewerben (Vor-Kandidat) kann, außerdem können sich nach den Regelungen der Partei auch Nichtmitglieder Bewerben (Vor-Kandidat). Danach wird zwieschen allen Vor-Kandidaten eine Vor-Wahl durchgeführt. Daran teilnehmen kann jeder sog. Sympathisant. Parteimitglieder gelten automatisch als Sympatisanten ihrer Partei und jeder kann höchstens für eine Partei Sympathisant sein ( ist eine Person in mehreren Parteien, muss diese sich entscheiden). Dabei wird nach Wahl durch Zustimmung gewählt. Die 6 Personen mit den meisten Stimmen sind dann Kandidaten auf der Verhältniskandidatenliste des Wahlkreises für ihre Partei. Treten weniger als 6 Personen an, so sind diese automatisch Kandidaten und somit auf der Kandidatenliste. Die Reinfolge der Kandidaten wird nach den Regelungen der Partei festgelegt, da diese ja eh weniger Bedeutung erhält, bei offenen Listen.


Jeder hat EINE Verhältnisstimme, die er einer Partei oder einem Kandidaten geben kann. Die Stimmen für einen Kandidaten einer Partei, werden zu den Stimmen selbiger gezählt. Nach Sant Lägue werden dann landesweit die Sitze verteilt. Es werden nur Parteien mit entweder
5% der Landesweiten verhältnisstimmen oder
10% der Stimmen in einem Wahlkreis oder
2 STV-Wahlkreiskandidaten
berücksichtig.
Die einer Partei zugesprochenen Kandidaten werden durch 20 (Anzahl der Wahlkreise und Wahlkreisverhältnislisten) geteilt. So viele volle Kandidaten der Partei stellt jede Wahlkreisverhältnisliste. Es sind die Kandidaten mit den meisten Stimmen gewählt. Die überig bleibenden Sitze einer Partei werden belegt durch die Verhältniskandidaten mit den meisten Stimmen landesweit, die noch übrig sind.


Bei der (richtigen) Wahl erhält jeder 2 Zettel:

Wahlkreiswahl:
Einen für die Wahlkreiskandidaten, auf dem nach STV gewählt wird.

Verhältnisstimme:
Auf dem Zweiten stehen die einzelnen Parteien drauf und unter dem jeweiligen Parteinamen die Kandidaten der Parteiwahlkreisliste. Hinter jedem Parteinahmen und Kandidaten ein Kreis zum Ankreuzen.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Donnerstag, 25. November 2004 - 22:14 Uhr:   

@Philipp Wälchli


>[...]entgeht meiner offensichtlich beschränkten Fassungskraft[...]


Falls es so ausgesehen hat als würde ich Ihre Intelligenz anzweifeln tut mir das Leid. Ich halte Sie vielmehr für einen hochintelligenten Menschen. Ich glaube, dass Sie sich in einigen in diesem Thread diskutierten Fragen irren. Aber die einzige Möglichkeit sich nie zu irren ist nicht zu denken. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht auch auf die zahlreichen Irrtümer hinweisen, die mir in diesem Forum schon nachgewiesen wurden.

Zur Frage der ausgelosten Wahlkreise:
Es gibt eben Wahrscheinlichkeiten die so niedrig sind, dass man ihre Fälle getrost ignorieren kann. Rechnen wir doch einmal etwas konkreter:

Ich rechne mit 40 Millionen gültigen Stimmen (für eine Bundestagswahl recht wenig) und 600 Sitzen (derzeitige Sollgröße des Bundestages: 598 Sitze). Dann würden in einem ausgelosten Einerwahlkreis durchschnittlich 66666 gültige Stimmen abgegeben. (Und 2/3 eines Wählers die ich mal unter den Tisch fallen lasse.)

Nun habe eine Partei 5 Millionen Stimmen (12.5%, entspricht also etwas mehr als FDP oder Grüne). Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Partei einen der Sitze gewinnt? Die relative Mehrheit beträgt mindestens 16667 Stimmen. Um die Rechnung zu vereinfachen tue ich so als wäre diese Bedingung nicht nur notwendig sondern hinreichend. Damit erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit natürlich. Nun berechne ich zunächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei genau 16667 Stimmen bekommt.
[Leider unterstützt das Forum keine Formeln aber die Meisten können hier wohl ohnehin LaTeX lesen.]

Sie ist \frac{{5000000 \choose 16667}\times {35000000 \choose 49999}}{{40000000 \choose 66666}}\approx 9.5 \times 10^{-1670}

(Für die numerische Auswertung habe ich Mathematica verwendet.)Noch mehr Stimmen sind noch unwahrscheinlicher. Aber auch darüber gehe ich hinweg und setze für jede Stimmenzahl größer 16667 die gleiche Wahrscheinlichkeit an (Wobei natürlich die Anzahl der Stimmen der Partei nicht die Gesamtzahl der Stimmen im "Wahlkreis" übersteigen kann.) Dann kann ich mein Ergebnis noch mit der Anzah der in Frage kommenden Stimmenzahlen (49999) multiplizieren und bekomme eine (wie gesagt zu hohe) Wahrscheinlichkeit von ca.
6.4 \times 10^{-1672}

Ich habe mich also geirrt: So etwas kommt nicht alle paar Dekaden sondern alle paar Weltalter vor. Die Wahl in gelosten Einerwahlkreisen würde also zweifellos ein Zweiparteiensystem erzwingen.

Zum von mir geäußerten Vorwurf der Mehrheitsumkehr im Quadratgitterverfahren sagten Sie:


>Mit Verlaub halte ich dieses Problem nicht für überaus gewichtig.
>Auch in den meisten heute geltenden Wahlsystemen gibt es
>Konstellationen, in denen eine Partei zwar die Mehrheit der Stimmen
>erhalten hat, aber deswegen nicht die Mehrheit der Sitze bekommt.


In einem herkömmlichen Verhältniswahlrecht kann eine knappe Mehrheit in eine knappe Minderheit verwandelt werden. Beim Quadratgitterverfahren (also im wesentlichen Sitzzuteilung nach Borda-Score) kann die Mehrheit dagegen beträchtlich sein.
Beispiel:

20 Stimmen: A>B>C>D
10 Stimmem: B>C>D>A
Punkte aus den Vergleichen:
A:B 20-10=10
A:C 20-10=10
A:D 20-10=10
B:C 20+10=30
B:D 20+10=30
C:D 20+10=30
Aufsummierung der Punkte:
A:10+10+10=30
B:-10+30+30=50
C:-10-30+30=-10
D:-10-30-30=-70
Addiere 70 für positive Saldi und erhalte die Berechnungsgrundlage für die Sitzverteilung:
A:100
B:120
C:60
D:0

A bekommt also bei 2/3 der Erstpräferenzen etwa 5/14 der Sitze.


>Zudem muss ich betonen, dass es, wenn man sich für ein wie von mit
>beschriebenes System entscheidet, etwas grundsätzlich anderes gibt
>als das bisherige Stimmensystem: In einem System mit binären
>Vergleichen kann keine Partei "die Mehrheit der Stimmen" holen,
>jedenfalls nicht im klassischen Sinne. [...] Man kann dies natürlich
>NICHT wollen (politische Entscheidungen sind immer
>WILLENSENTSCHEIDE!), aber WENN wir uns dafür entschieden haben, DANN
>müssen wir auch die Konsequenzen tragen und dürfen nicht nachträglch
>einwenden, es passe uns dies oder jenes Ergebnis nicht, weil wir es
>an Kriterien messen, die einem andern System entnommen sind.

Ja, aber das ist ein ganz erhebliches wenn. Dieses Verfahren schränkt die möglichen Willensäußerungen des Wähletrs extrem stark ein (effektives Zwangskumulieren) und ist daher nicht zur Feststellung eines Volkswillens geeignet. Oder krasser ausgedrückt: Es wäre unvernünftig dieses Wahlverfahren zu wollen.


>Es geht hier mehr um ein statistisches Verfahren: Wir schauen, welche
>Partei bzw. Liste bei einer Reihe Einzelvergleichen wie gut
>abschneidet. Das ist eher einer Marktbefragung oder einer
>statistischen Auswertung vergleichbar als einem Wahlsystem nach dem
>Prinzip EWG.


Jein. Das Problem liegt ja nicht so sehr in den Vergleichen als solchen, sondern viel mehr in der Art in der die Vergleiche in eine Sitzverteilung umgerechnet werden.


>Es gibt nun einmal per definitionem Dinge, die alogisch (oder auch:
>vorlogisch), irrational, inkommensurabel oder einfach unbekannt sind
>und die sich daher der mathematischen bzw. logischen Formulierung
>entziehen.


Unbekannt lasse ich gelten. Inkommensurabel evtl. auch, wenn es z.B. um Emotionen geht, aber nicht für rationale Erwägungen. Ebenso könnte etwas alogisch in dem Sinne sein, dass es mit Logik nichts zu tun hat. ABER: Was widersprüchlich ist, ist falsch.


>Dazu gehören z. B. die mathematischen Axiome


Jein. Mathematische Axiome sind zwar definitionsgemäß nicht logisch begründet aber logisch formuliert. Und wenn man in seinem Axiomensystem einen Widerspruch entdeckt muss man es ändern oder aufgeben. Außerdem sind viele (nicht alle) Axiomensystem eigentlich bloß Definitionen nach dem Muster "Eine Menge, die die Bla-Axiome erfüllt ist ein BLA".


>Dazu gehören auch Gefühle, der Zufall und eine Menge mehr.


Gefühle:ja. Der Zufall ist zwar nicht vorhersagbar aber durchaus logisch. Deshalb kann man ja Statistik betreiben.

>Un-Sinn meint nicht: Widerspruch, sondern etwas, was sich im eben
>genannten Sinne der sinnvollen logischen Formulierung entzieht.

Ok.

Zum Trinitätslehre:

Den Modalismusvorwurf kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wenn man sich "Person" als "Erscheinungsform" übersetzt ist das natürlich Modalismus. Aber das wäre falsch, zumahl die Beziehung ja auch zwischen den göttlichen Personen stattfindet und es kirchliche Lehre ist, dass die Unterschiedenheit von der Beziehung kommt.

Zumindestens in der katholischen Kirche (bei den Protestanten kenne ich mich weniger aus) gilt Weltkatechismus, can. 252:

>Die Kirche verwendet den Begriff "Substanz" (zuweilen auch mit
>"Wesen" oder "Natur" wiedergegeben), um das göttliche Wesen in
>seiner Einheit zu bezeichnen; den Begriff "Person" oder
>"Hypostase", um den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist in ihrer
>realen Verschiedenheit voneinander zu bezeichnen; den Begriff
>"Beziehung", um zu sagen, daß ihre Verschiedenheit in ihren
>gegenseitigen Beziehungen liegt.


Sie werden oben sicher meine Einschränkung "Als Mensch (Ein Wesen, eine Person) kann ich das nicht vollständig verstehen. Aber so weit wie ich es verstehen kann[...]" bemerkt haben. Das meine ich auch so, kein Mensch kann die Dreienigkeit vollständig logisch erfassen. Aber einerseits ist das die Unzulänglichkeit des Menschen,nicht der Logik und andererseits ist eine gewisse Annäherung durchaus möglich.

Zur Verdeutlichung ein etwas profaner Vergleich, der allerdings nicht ganz trifft, weil Menschen die Unverständnis aus eigener Kraft beheben konnten: Vor der Bornschen Wahrscheinlichkeitsinterpretation hatten die Physiker Probleme mit dem scheinbaren "Welle-Teilchen-Dualismus" des Lichts. Das Problem war, dass keins der beiden Worte das Verhalten des Lichts richtig beschrieb. Man konnte das Verhalten des Lichts also nicht logisch fassen. Aber: Wer erklärt hätte, das Verhalten des Lichts widerspräche der Logik, der hätte sich geirrt. Das Problem lag eben beim Menschen und nicht bei der Logik.

Und darum bestehe ich auch darauf, dass die Behauptung
>Die Trinitätslehre widerspricht jeder
>Mathematik und Logik

falsch ist. Mit "Die Trinität kann logisch nicht vollständig verstanden werden" wäre ich dagegen einverstanden.

@Immanuel Kant
Danke. Das klingt tatsächlich so, als ob die Leute so etwas wie Verhältniswahl gewollt aber noch nicht gekannt hätten. Ich habe die Artikel der Liste meiner guten Absichten hinzugefügt. :)
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Donnerstag, 25. November 2004 - 22:59 Uhr:   

Ich habe noch etwas vergessen:

Zu Wahlkreisen und Verhältniswahl:
So gesehen sind die Wahlkreise derzeit in Deutschland aufgehoben. Es regt sich außer ein paar Wahlrechtsfetischisten (wie mir) ja niemand auch nur darüber auf, dass sie nicht gleich groß sind. Im Übrigen bringt Gerrymandering in Mehrmannwahlkreisen mit Verhältniswahl auch ohne zentralen Ausgleich fast nichts mehr. Man müsste ja eine Partei sehr knapp unter einem weiteren Sitzanspruch halten. Dazu sind Umfragen lange vor der Wahl aber einfach nicht gut genug. Bei Mehrheitswahl ist Gerrymandering die Regel. Bei einer Verhälniswahl habe ich noch nie davon gehört.

Zur Person der Katze:
Es gibt einen qualitativen Unterschied: Katzen können ohne Beziehungen auskommen. Beziehungslose Menschen werden dagegen wahnsinnig. Entsprechend gehen Katzen auch nur dann Beziehungen ein, wenn man sie mit Futter besticht. Die Beziehung der Katze ist also eine eher akzidentielle Angelegenheit, ähnlich wie die Beziehung eines Menschen zu einem als schön empfundenen Gegenstand. Menschliche Beziehungen sind dagegen die Verwirklichung des menschlichen Wesens. Oder Anders ausgedrückt:Ein Mensch hat eine Person in der seine Natur verwirklicht ist. Dagegen hat die Katze nicht Person sondern nur triebhaftes Verhalten.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Freitag, 26. November 2004 - 18:00 Uhr:   

>Zur Frage der ausgelosten Wahlkreise:
>Es gibt eben Wahrscheinlichkeiten die so niedrig sind, dass man ihre >Fälle getrost ignorieren kann.

Jein. Gewisse Fälle sind zwar unwahrscheinlich. Diese werden dann meist in den Medien vermeldet als "1x in 1Mio. Jahren". Allerdings besagt die Wahrscheinlichkeitstheorie, dass das Eintreten dieses Falles jetzt ebenso wahrscheinlich ist wie morgen oder in 2Mio. Jahren. Das ist die alte Frage im KKW-Streit: Ein schwerer Störfall mit verheerenden Folgen ist zwar extrem unwahrscheinlich, doch er kann ebensogut heute oder morgen eintreten wie erst in 2 Millionen Jahren.

>Rechnen wir doch einmal etwas konkreter:
>Ich rechne mit 40 Millionen gültigen Stimmen (für eine >Bundestagswahl recht wenig) und 600 Sitzen (derzeitige Sollgröße des >Bundestages: 598 Sitze). Dann würden in einem ausgelosten >Einerwahlkreis durchschnittlich 66666 gültige Stimmen abgegeben.

Dies ist alles für sich genommen mathematisch korrekt. Doch es entspricht nicht dem geschilderten Ansatz: Wir losen eben nicht die abgegebenen Stimmen Sitzen zu, sodern wir losen WAHLBERECHTIGTE zu vergebenden Sitzen zu. ("Wahlkreise" sind es nur rechnerisch, da ja eben die Wahlberechtigten landesweit auf zu wählende Sitze verteilt werden, also eigentlich Wählergruppen oder im Sinne der Statistik "Klassen" bilden, jedoch keine territorial bestimmten Kreise.)
Damit erübrigt sich die nachfolgende Rechnung bereits. Denn selbst wenn wir annehmen, dass die so ausgelosten Gruppen weitestgehend homogen seien, so heisst das noch lange nicht, dass auch die eingehenden Stimmen homogen verteilt sind. Denn die Mobilisierung verschiedener Wahlberechtigter wird verschieden sein. Und wir wissen nicht, wie sich die Wahlberechtigten in concreto verhalten werden, da es zur Zeit kein System in der Wirklichkeit gibt, das entsprechende Erfahrungswerte liefern könnte, die wir bloss noch auf unser Modell umzurechnen brauchten.
Ich kann daher folgende Beispielrechnung aufstellen: Nehmen wir an, von rund 80 Mio. Einwohnern der BRD seien rund 60 Mio. wahlberechtigt. Bei 600 zu vergebenden Sitzen werden also 100'000 Wahlberechtigte einer Gruppe zugeteilt, anders ausgedrückt: Je 100'000 wählen einen Sitz.
Betrachten wir nun eine beliebige Gruppe dieser 600, so haben wir da vielleicht effektiv abgegebene Stimmen von nur 10'000 Personen. In einer andern Gruppe haben wir vielleicht 99'999 abgegebene Stimmen. Je nach dem, wieviele Stimmen nun tatsächlich eingehen und welche Gruppen sich wie stark mobilisieren liessen, werden die Ergebnisse verschieden ausfallen.
Selbst wenn wir davon ausgehen, dass sich Mobilisierungsgrad usw. gleichmässig über alle Gruppen verteilen, werden Unterschiede auftreten. Und wie gesagt: Wir losen nicht eingegangene Stimmen zu vergebenden Sitzen zu, sondern abzugebende Stimmen zu vergebenden Sitzen. Das ist ein systematischer Unterschied.

>A bekommt also bei 2/3 der Erstpräferenzen etwa 5/14 der Sitze.

Nein. Denn in dem von mir beschriebenen Verfahren gibt es keine Erstpräferenzen, sondern gleichwertige binäre Vergleiche. Wenn man von einer vorgegebenen Reihung ausgeht, dann trifft der Vorwurf zu. Aber er ist systemfremd. Ich betone, dass ich NICHT von einer Reihung oder von einem transitiven System ausgehe.

>Das Problem liegt ja nicht so sehr in den Vergleichen als solchen, >sondern viel mehr in der Art in der die Vergleiche in eine >Sitzverteilung umgerechnet werden.

Alternativ habe ich eine Stimmenverrechnung vorgeschlagen, bei der nur Punkte für eine Bevorzugung in einem Vergleich vergeben werden. Damit kann die schlechteste Partei nur auf 0 fallen, wenn sie tatsächlich in keinem Vergleich obsiegt hat und dies bei allen abgegebenen Stimmen.
Kommt noch hinzu die Frage, ob nicht beantwortete Vergleiche zulässig sein sollen. Aus demokratietheoretischen Erwägungen bin ich eher dafür, strikte gehandhabt verlangt das System aber eher nur die Wertung vollständig ausgefüllter Zettel.
Je nach dem verändern sich damit dann auch die Auswirkungen auf die Sitzverteilung.

>Dieses Verfahren schränkt die möglichen Willensäußerungen des >Wähletrs extrem stark ein (effektives Zwangskumulieren) und ist >daher nicht zur Feststellung eines Volkswillens geeignet.

Das ist ein Vorwurf, der meines Erachtens auf eine ganze Menge realexistierender Wahlverfahren noch viel eher zutrifft. Das geltende deutsche Wahlrecht schränkt ja die Wahl gerade mal auf das Ankreuzen einer Partei ein und lässt keine differenziertere Aussage zu, einmal von der Problematik der Überhangmandate abgesehen. Für Wahlsysteme wie in England oder den USA gilt sogar die Feststellung, dass es Wahlkreise geben kann, in denen die Wähler der Minderheit gar nicht zu wählen brauchen, weil sie ohnehin bedeutungslos sind.
Im übrigen schliesst jedes Verfahren immer zwingend alle andern Arten von Willenskundgebung aus. Das ist zwangsläufig so.
Wir könnten natürlich auch ein Verfahren konstruieren, bei dem die Wahlberechtigten nach mehreren verschiedenen Verfahren wählen. Für jedes Verfahren wird getrennt die Sitzverteilung ermittelt. Dann nimmt man einfach den Durchschnitt aller so ermittelten Sitzverteilungen und rundet sie auf ganze Sitze. Das wäre ein theoretischer Kompromiss ...

Zum Thema Trinitätslehre möchte ich nur bemerken, dass mir nicht allein sämtliche verbindlichen Bekenntnistexte bekannt sind, sondern dass ich die allermeisten davon auch bereits selbst ins Deutsche übersetzt habe. Und eine Auffassung der Trinität, die leugnet, dass den drei Hypostasen Eigenständigkeit ohne Aufgabe der Einheit zukomme, kann gewiss nicht Anspruch darauf erheben, orthodox zu sein.
Wenn man aber davon ausgeht, dass 1 zugleich 3 ist und 3 zugleich 1 sind, bekommt man erhebliche denkerische Probleme. Das bedeutet nicht, dass dies nicht möglich sei. Nur liegt es ausserhalb unserer logischen Möglichkeiten, bei denen im allgemeinen stets 1 auch 1 zu sein pflegt.

Auch das Problem der Person eines Tieres möchte ich, da sachfremd, hier nicht weiter diskutieren, nur soviel anmerken, dass es heute genug ernstzunehmende Stimmen gibt, die die strikte Trennung zwischen Mensch und Tier bestreiten. Z. B. geht man davon aus, dass Menschenaffen eine Intelligenz besitzen, die der eines Siebenjährigen gleichkomme. Sie liessen sich also theoretisch einschulen. Für Tiere wie Elefanten, Wale oder eben Menschenaffen stellt sich sehr ernsthaft die Frage, ob sie wirklich bloss instinktgeleitete Wesen seien ohne emotionale Bindungen.
Umgekehrt lassen sich heute Menschen wie der Oklahoma-Attentäter ausmachen, die Beziehungen scheuen (vielleicht werden sie nicht dadurch verrückt, sondern sie meiden Menschen, weil sie verrückt sind), Anachoreten, die sich selbst einmauern liessen, hat es im übrigen im Abendland und anderswo seit langem gegeben. (Meine Konfession hat allerdings alle monastischen Formen seit jeher abgelehnt.)

Zu den Wahlkreisen in Deutschland ist natürlich noch anzumerken, dass sie durchaus eine Rolle spielen können und somit nicht wirklich abgeschafft sind, nämlich immer dann, wenn Überhangmandate entstehen. Soweit ich im Augenblick sehe, haben Überhangmandate bisher nie eine Mehrheit im Bundestag gekippt, aber ausgeschlossen ist es nicht. Extremszenarien sind zumindest denkbar, etwa dass die Wähler einer grossen Partei A konsequent die Zweitstimme A geben und die Erststimme dem kleinen Koalitionspartner B. Wenn die Wähler der andern Parteien nicht ebenso stimmen, kann dies durchaus dazu führen, dass A und B eine erdrückende Mehrheit bekommen, obwohl sie nach Zweitstimmen eigentlich in der Minderheit wären.
Das ist zum Glück nicht eingetreten, aber was nicht ist, kann immer noch werden. So betrachtet halte ich das Thema nicht nur für eine Sache der Puristen, Wahlrechtsfetischisten, Querulanten, Nebelwerfer, Buschkrieger und wie sie alle noch mit schönen Namen bedacht sein mögen, sondern durchaus für anstössig.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Samstag, 27. November 2004 - 23:29 Uhr:   

@Philipp Wälchli

>Wir losen nicht eingegangene Stimmen zu vergebenden Sitzen zu, sondern
>abzugebende Stimmen zu vergebenden Sitzen. Das ist ein systematischer
>Unterschied.

Das ist wahr. Ausserdem ist an meiner Rechnung genau genommen noch falsch, dass ich von genau 4 relevante Parteien ausgegangen bin und daraus die Midestgröße der relativen Mehrheit abgeleitet habe, die ja bei mehr Parteien auch kleiner ausfallen könnte. Es ging eben um eine schnelle Abschätzung. Da sie davon offenbar noch nicht überzeugt sind, rechne ich noch einmal:

Ich basiere meine Rechnung auf dem Zweitstimmenergebnis der Bundestagswahl 2002 und 598 Wählergruppen, die je einen Abgeordneten wählen:

Wahlberechtigte: 61432868
Nichtwähler und ungültige Stimmen: 13436388
Gültige Stimmen: 47996480
Stimmen für die SPD: 18488668
Stimmen für die CDU/CSU: 18482641
Stimmen für die Grünen: 4110355
Stimmen für die FDP: 3538815
Stimmen für die PDS: 1916702
Stimmen für sonstige Parteien: 1459299

Die größte kleine Partei wahren also die Grünen. Frage: Wie wahrscheinlich wäre es gewesen, dass die Grünen in einer der gelosten Wählergruppen die relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten hätten? Zur Vereinfachung berechne ich eine auf jeden Fall größere Wahrscheinlichkeit (obere Schranke) und nicht die gesuchte Wahrscheinlichkeit selbst. Eine Wählergruppe hätte (auf ganze Wähler gerundet) \frac{61432868}{598}\aprox 102730 Wähler. Für die relative Mehrheit bräuchten die Grünen definitionsgemäß mehr Stimmen in der Wählergruppe als jede andere Partei. Es stellt sich allerdings die Frage, wie ich mit den Sonstigen umgehen soll. Wenn eine der sonstigen Parteien eine relative Mehrheit in der Wählergruppe hat, dann haben die Grünen definitionsgemäß keine. Die Wahrscheinlichkeit für eine relative Mehrheit der Grünen wird also leicht überschätzt, wenn ich einfach unterstelle, dass keine der sonstigen Parteien eine relative Mehrheit hat. Da ich wie gesagt nur eine obere Schranke suche, mache ich es so. Die sonstigen Stimmen sind also alle erfolglos und es ändert bei einer relativen Mehrheitswahl nichts, wenn ich sie einfach rechnerisch zu den nicht abgegebenen Stimmen zähle. Zu einer relativen Mehrheit sind also mindestens 1/5 der gültigen abgegebenen nichtsonstigen Stimmen der Wählergruppe erforderlich. Fragt sich als nächstes, wie viele Stimmen das sind.
Bei allen Wahlberechtigten (also bundesweit) geben 14895687 Wähler ihre Stimme nicht, ungültig oder für sonstige Parteien ab. (Nachfolgend zur Abkürzung verlorene Stimmen genannt.) In einer Wählergruppe gibt es also durchschnittlich rund 24909 verlorene Stimmen. Insgesamt gibt es aber eine statistische Verteilung. Ich unterscheide nun zwei Fälle:
Fall 1: Es gibt 50000 oder weniger verlorene Stimmen in der Wählergruppe. Somit sind für die relative Mehrheit 10546 oder mehr Stimmen erforderlich.
Fall 2: Es gibt mehr als 50000 verlorene Stimmen in der Wählergruppe. In diesem Fall nehme ich (evtl. fälschlich,denn es geht mir ja nur um eine obere Schranke für die Grünengewinnwahrscheinlichkeit) eine relative Mehrheit der Grünen an.

Wie wahrscheinlich ist nun Fall 2? Dazu berechne ich zunächst die Wahrscheinlichkeit für genau 50000 verlorene Stimmen. In diesem Fall enthält die Wählergruppe 50000 der bundesweit 14895687 verlorenen und 52730 der bundesweit 46537181 nicht verlorenen Stimmen insgesamt 102730 der bundesweit 61432868 Wahlberechtigten. Wahscheinlichkei dafür:

\frac{{14895687 \choose 50000 }\times{46537181\choose 52730}}{{ 61432868 \choose 102730 }} \aprox 1.1 \times 10^{-6232}

Die Wahrscheinlichkeiten für noch höhere Anzahlen verlorener Stimmen sind natürlich noch kleiner. Ich setze sie aber gleich an. Es gibt 102730-50000=52730 solche Anzahlen. Die Wahrscheinlichkei für Fall 2 ist also kleiner als 52730\times 1.1 \times 10^{-6232} \aprox 5.6\times 10^{-6228}

Bleibt Fall 1 zu untersuchen.
In diesem Fall sind für die relative Mehrheit mindestens 10546 Stimmen erforderlich. (Durchschnittlich haben die Grünen 6874 Stimmen pro Wählergruppe.)Ich unterstelle (fälschlich, denn s.o.), dass diese notwendige Bedingung auch hinreichend ist. Nun berechne ich zunächst die Wahrscheinlichkeit für genau 10546 Stimmen:
In diesem Fall enthält die Wählergruppe 10546 der bundesweit 4110355 Grünwähler und 92184 der bundesweit 57322513 Wahlberechtigten die nicht grün wählen, insgesamt 102730 der bundesweit 61432868 Wahlberechtigten. (Dabei ignoriere ich, dass die Randbedingung des vorliegens von Fall 1 die Anzahl der möglichen Kombinationen einschränkt. Das führt zu einer leichten Überschätzung der Wahrscheinlichkeit, die mich nicht stört, weil s.o.) Die Wahrscheinlichkeit für genau 10546 Grünwähler ist also

\frac{{4110355 \choose 10546} \times {57322513 \choose 92184}}{{ 61432868 \choose 102730 }} \aprox 1.7 \times 10^{-400}

Die Wahrscheinlichkeiten für noch höhere Anzahlen von Grünwählern sind natürlich noch kleiner, aber ich setze sie als gleich an (Begründung: s.o.) Es gibt hier insgesamt 102730-10546+1=92185 zu berücksichtigende Anzahlen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Grünen im Fall 1 eine relative Mehrheit bekämen wäre also kleiner als
92185\times 1.7 \times 10^{-400}\aprox 1.6 \times 10^{-395}

Im Rahmen der Rechengenauigkeit ändert es nichts mehr dies mit der Wahrscheinlichkeit für Fall 1 (Im Rahmen der Rechengenauigkeit 1) zu multiplizieren und die (wesentlich kleinere) Wahrscheinlichkeit für Fall 2 dazuzuzählen. Die Wahrscheinlichkeit für eine relative Mehrheit der Grünen wäre also kleiner als 1.6 \times 10^{-395}

Das ist zwar wesentlich mehr als in meiner Überschlagsrechnung aber immer noch lächerlich wenig. Zur Veranschaulichung: Bei 598 Wählergruppen/Wahl, 1 Wahl/ 4 Jahre und einem Alter der Erde von knapp 5 Milliarden Jahren käme das durchschnittlich etwa alle 850000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 0000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Erdalter mal vor.

Die Grünen sind hier nur als größte der kleinen Parteien beispielhaft ausgewählt. FDP und PDS würde es natürlich ebenso ergehen.

Zum Gittersystem:
Ich hatte behauptet, das Gitterverfahren schränke die möglichen Willensäußerungen des Wählers extremein und sei daher zur Feststellung eines Volkswillens ungeeignet. Darauf sagten Sie:


>Das ist ein Vorwurf, der meines Erachtens auf eine ganze Menge
>realexistierender Wahlverfahren noch viel eher zutrifft. Das geltende
>deutsche Wahlrecht schränkt ja die Wahl gerade mal auf das Ankreuzen
>einer Partei ein und lässt keine differenziertere Aussage zu, einmal
>von der Problematik der Überhangmandate abgesehen. Für Wahlsysteme
>wie in England oder den USA gilt sogar die Feststellung, dass es
>Wahlkreise geben kann, in denen die Wähler der Minderheit gar nicht
>zu wählen brauchen, weil sie ohnehin bedeutungslos sind.
>Im übrigen schliesst jedes Verfahren immer zwingend alle andern Arten
>von Willenskundgebung aus.


Beim Gitterverfahren ist es aus zwei Gründen viel schlimmer:

Erstens muss man im Gitterverfahren alle Parteien bis auf eine unterstützen. (Ja, es wäre keine Stimme im herkömmlichen Sinne, aber die Problematik ist die Gleiche: Eine erzwungene Handelung die der Partei nützt.) Ich sehe schon einen Unterschied zwischen der Unmöglichkeit der Partei meiner Wahl zu helfen und dem Zwang einer verfeindeten Partei zu helfen. Wenn Wählen z.B. bedeutete entweder die NPD oder die DVU zu unterstütze,n würde ich mir sehr ernshaft überlegen ob ich die Teilnahme an der Wahl noch mit meinem Gewissen vereinbaren könnte.
Zweitens würde das Gitterverfahren die taktische Spaltung von Parteien profitabel machen. Es würden also sehr viele Parteien existieren. Das würde wiederum dazu führen, dass die Punktzahlen aus den Vergleichen zwischen den ernsthaften Parteien klein gegen den Punktesockel aus dem Vergleich mit den Schrottparteien wäre. Die ernsthaften Parteien wären also zwangsläufig im Ergebnis etwa gleich stark. Dabei nehme ich an, dass die Vergleiche zwischen den Schrottparteien von den Wählern zufällig (z.B. durch Müntzwurf) entschieden würden. Ohne diese Strategie wären die Schrottparteien selbst vertreten. Dann würde das Wahlergebnis nicht mehr von den Wählern sondern von der Anzahl der Tarnlisten bestimmt. So oder so würde das Wahlergebnis nicht mehr von den Wählern bestimmt.

Natürlich könnte man das vermeiden, wenn man unvollständige Wahlzettel zuließe. Aber dann würde sich das Verfahren nur durch die verwirrende Gestaltung von einem herkömmlichen Häufelsystem unterscheiden.


>Wir könnten natürlich auch ein Verfahren konstruieren, bei dem die
>Wahlberechtigten nach mehreren verschiedenen Verfahren wählen. Für
>jedes Verfahren wird getrennt die Sitzverteilung ermittelt. Dann
>nimmt man einfach den Durchschnitt aller so ermittelten
>Sitzverteilungen und rundet sie auf ganze Sitze. Das wäre ein
>theoretischer Kompromiss ...


Dazu fällt mir die folgende etwas drastische Metapher ein: Wenn ich Milch in eine Jauchegrube gieße wird sie dadurch keine Milchgrube.

Zur Dreieinigkeit:

>Und eine Auffassung der Trinität, die leugnet, dass den drei
>Hypostasen Eigenständigkeit ohne Aufgabe der Einheit zukomme, kann
>gewiss nicht Anspruch darauf erheben, orthodox zu sein.

Ja.


>Wenn man aber davon ausgeht, dass 1 zugleich 3 ist und 3 zugleich 1
>sind, bekommt man erhebliche denkerische Probleme.


Ja, aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Dreieinigkeit ist eben in verschiedenen Weisen 1 und 3. Dass wir diese Weisen nicht ganz (wohl aber ansatzweise, nämlich wie in einem früheren Beitrag erklärt) verstehen können zwingt uns noch lange nicht auf 1=3 zu schließen. Die Tatsache, dass etwas in verschiedenen Weisen 1 und 3 ist, stört unsere Logik überhaupt nicht; sie gilt ja auch z.B. für ein Kleeblatt. Die Tatsache, dass wir diese Weisen (anders als beim Kleeblatt) nicht ganz verstehen, hat mit der Anzahl der Personen nichts zu tun. Oder anders ausgedrückt: Aus mangelnder Beschreibbarkeit lässt sich noch lange kein Widerspruch konstruieren.

Allgemeiner:
Logisch nicht beschreibbares existiert. Logisch widersprüchliches existiert nicht.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Freitag, 01. Juli 2005 - 16:40 Uhr:   

"Logisch widersprüchliches existiert nicht."
Logisch widersprüchliches ist aber äußerbar und kann somit Einfluß ausüben - spricht dann doch zumindest für eine indirekte Existenz.

Wobei Begriff Existenz bereits eine Haltung zeigt, die einen ontologischen Realismus als Hintergrund aufweist. Ich glaube persönlich zwar auch eine Wirklichkeit außer mir - würde sie aber nicht als Argument verwenden, da sie nicht beweisbar ist.

Allgemeiner: Alles Informationsgebende schafft Realität, aber nicht alle Realität schafft Information.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Sonntag, 03. Juli 2005 - 01:37 Uhr:   

@Immanuel Goldstein

Zu Ihrem ersten Absatz:

Logisch widersprüchliches kann in der Tat ausgesagt werden. Die Aussage bezeichnet dann aber nichts. Konkret: Natürlich kann ich "quadratischer Kreis" oder "ehrlicher Minister" sagen. Aber das führt nicht zur tatsächlichen Existenz dieser Objekte. Es ist auch wahr, dass widersprüchliche Aussagen reale Wirkungen haben können. Man darf aber die Bezeichnung nicht mit dem Bezeichneten verwechseln. Die Vorstellung von einem ehrlichen Minister ist etwas anderes als der ehrliche Minister selbst. Die Bezeichnung hat Folgen (und existiert daher) das vorgeblich Bezeichnete nicht.

Ihr Argument würde wenn es zuträfe auch zu viel beweisen. Ich kann z.B. behaupten ich hätte Geld, das ich in Wahrheit nicht habe. Das kann reale Folgen haben; die Existenz dieses Geldes gehört leider nicht dazu.

Ich fürchte, dass ich Ihre beiden letzten Absätze nicht ganz verstanden habe. Darum bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob Sie von mir eine Antwort erwarten und was ggf. die Frage ist.

Ich versuche daher in die grobe Richtung zu antworten und hoffe damit das gemeinte Problem zu treffen.

Vorrede: Meine metaphysischen Ansichten (anders als die meisten modernen Philosophen halte ich "metaphysisch" nicht für ein Schimpfwort) sind etwa wie folgt:

Ich kann ehrlich gesagt nicht genau definieren, was das Wort "existiert" bedeutet. Das liegt meiner Meinung nach nicht daran, dass die Bedeutung des Wortes unklar wäre. In der Tat wird sie von fast jedem Menschen verstanden; man muss schon philosophisch ziemlich verbildet sein um zu behaupten man verstünde sie nicht (Sie haben das auch nicht behauptet; ich spreche hier allgemein). Das eigentliche Problem ist, dass jede Begriffserklärung letztendlich zirkulär sein oder auf nicht definierte Begriffe zurückgehen muss. Man kann also letztlich überhaupt kein Wort vollständig definieren.

Die Unmöglichkeit der Definition ist aber nicht die Unmöglichkeit der Erklärung. Man kann eine Sprache nämlich auch anhand ihrer Verwendung erfassen. Das liegt daran, dass die Sprache ein Abbild der gemeinsamen Welt ist. Ein Kind kann seine erste Sprache ja nur lernen, weil es die in den Wortbedeutungen enthaltenen Unterscheidungen selbst treffen kann.

Ich glaube an eine objektive Realität. Verdeutlichung: Der Baum vor meinem Fenster existiert. Wenn ich aufstehe und weggehe existiert er immer noch. Er würde auch dann existieren, wenn niemand von seiner Existenz wüsste (was allerdings aufgrund der göttlichen Allwissenheit unerfüllbar ist).

Ich glaube darüber hinaus an eine objektive Strukturiertheit der Welt. Verdeutlichung: Auch wenn niemand die Unterscheidung träfe wäre die Welt immer noch z.B. in Bäume und Nichtbäume eingeteilt.

Einige in der Welt objektiv gegebenen Unterscheidungen bilden in der Sprache Wortgrenzen andere nicht. Das ist unwesentlich. Man kann auch andere Unterscheidungen denken und bei Bedarf benennen. Daher kann man z.B. auch fremde Sprachen lernen. An eine Begrenzung des Denkens durch die Sprache glaube ich nicht. Die Saphir-Worf-Hypothese halte ich für pseudowissenschaftlichen Quatsch.

Obwohl ich die Welt für objektiv strukturiert halte, glaube ich nicht an eine Ideenwelt. Verdeutlichung: Es existiert kein abstrakter Baum von dem der Baum vor meinem Fenster ein Abbild wäre. Die Teilung in Bäume und Nichtbäume ist ein Teil der Struktur der Welt und nicht einer Zusatzwelt.

Obwohl ich Generalien (wie z.B. "Baum") keine eigenständige Existenz zubillige, glaube ich durchaus an die Existenz immaterieller Objekte, die keine Generalien sind, z.B. Gottes oder der Zahl 5.

Etwas konkreter zu Ihrem Beitrag:
Es ist wahr, dass sich die Existenz einer Welt außer mir nicht beweisen lässt. So gesehen lässt sich aber überhaupt nichts beweisen, noch nicht einmal die Existenz meiner selbst. Ich bin aber unfähig meine Nichtexistenz zu denken. Ich kann nicht an meiner Existenz zweifeln und tue es daher auch nicht. (Beiläufig gesagt ist das Decarts Argument; cogito ergo sum ist nicht die petitio principii als die es gelegentlich abgetan wird.) An allen anderen Thesen kann ich zweifeln. Da man aus nichts auch nichts folgern kann, wäre das allerdings das Ende meines Denkens.

Alles was ich über meine eigene Existenz in diesem Moment hinaus glaube ist eben Glauben. Ich gebe Ihnen also zu, dass ich an die Existenz einer Welt außer mir bloß glaube und nicht darum weiß. Das gilt konkret übrigens auch für Ihre Existenz. Ich glaube auch bloß (und weiß nicht), dass nichts Widersprüchliches existiert.

Aber das ist alles intellektuelle Masturbation. Es lohnt sich nicht den Gedanken weiter zu verfolgen, da man eben nicht weiter kommen kann.

Praktisch handelt jeder zumindestens so, als ob er noch mehr glauben würde. Man findet vielleicht Philosophieprofessoren die einem erklären, dass das Gravitationsgesetz ein soziales Konstrukt ist. Aber keiner davon ist bereit ohne Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen. Schon allein das Wort Argument setzt voraus, dass mindestens zwei intelligente Wesen existieren und dass sie eine gemeinsame Denkmethode verwenden. Jeder der überhaupt argumentiert verwendet nicht beweisbare Prämissen. Und in der Praxis versteht man unter einem Beweis eben etwas, das diese Pramissen verwenden darf.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 05. Juli 2005 - 17:19 Uhr:   

@gelegentlicher Besucher
Hab nur kurz Zeit (verzeihen sie daher die knappe Antwort):

- Sprache ist auch meiner Meinung keine Begrenzung des Denkens, aber (meiner sophistisch-skeptischen Grundausrichtung folgend) vielleicht Symbole (diesen Begriff verwende ich jetzt mehr intuitiv; Sprache ist nur ein Symbolsystem unter anderen)

- Metaphysik ist eine der schönsten Künste die es gibt; sie schafft aber nur Kunstwerke und hat eher eine desintegrierende Funktion (trotzdem oder gerade deswegengenieße ich jede mir gebotene metaphysische Schrift auch wenn ich sie inhaltlich ablehne)

- Struktriertheit der Welt wäre schön und würde das Erkennen erleichtern (und mich wie jeden anderen erfreuen) darf aber nicht a priori angenommen werden

- Geld ist eine Form des gegenseitigen Vertrauens und daher eine seltsame Existenzform, da sie vom Glauben abhängt

- bei den Generalien sind wir uns ja einig

- Beweisen ist keine Notwendigkeit (wenn überhaupt möglich), spiel aber als Antrieb dennoch eine Rolle (dazu demnächst mehr)

Muss jetzt los - bis dann
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Sole
Veröffentlicht am Dienstag, 05. Juli 2005 - 23:26 Uhr:   

"Ihr Argument würde wenn es zuträfe auch zu viel beweisen. Ich kann z.B. behaupten ich hätte Geld, das ich in Wahrheit nicht habe. Das kann reale Folgen haben; die Existenz dieses Geldes gehört leider nicht dazu."

So ähnlich hat mal der Neue Markt existiert.
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Torsten Schoeneberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 06. Juli 2005 - 17:20 Uhr:   

@gelg. Besucher:
Obwohl ich Generalien (wie z.B. "Baum") keine eigenständige Existenz zubillige, glaube ich durchaus an die Existenz immaterieller Objekte, die keine Generalien sind, z.B. Gottes oder der Zahl 5.

Das erstaunt mich. Zählen Sie dazu auch den "Kreis"? Ich vermute das, weil Sie oben einem "quadratischen Kreis" die Existenz abgesprochen haben, was witzlos wäre, wenn Sie schon einem Kreis die Existenz absprächen.
Dann sprechen Sie "dem Baum" keine Existenz zu, aber "dem Kreis". Ich würde doch eher dem "Kreis an sich" noch weniger (wenn überhaupt) Existenz in Ihrem Sinne (als Bezeichnetes) zusprechen als einem "Baum an sich", entsprechend auch der Zahl 5 und anderen mathematisch-logischen "Objekten".

Und weiter gefragt: Die Bezeichnung hat Folgen (und existiert daher) das vorgeblich Bezeichnete nicht. Sie trennen also eine Bezeichnung von einem Bezeichneten, und zwar so stark, daß beides jeweils existieren kann ohne das andere (zu beiden Fällen haben Sie Beispiele gegeben). Erstaunlicherweise ist aber auch diese Trennung nicht absolut; denn an einerr Stelle lassen Sie einen Schluß von einer Eigenschaft der Bezeichnung ("logisch widersprüchlich") auf eine Eigenschaft des Bezeichneten ("nicht existent") zu. Wieso ist dieser Schluß zugelassen?

Meine private Verständlichmachung (Definition ist in der Tat unmöglich) des Begriffs "Existenz" ist übrigens "Wirkung" (und zwar letzten Endes immer auf mich, dessen Existenz ich als einziges voraussetze). Die Begriffe können dann äquivalent benutzt werden: d.h. wo Sie sagen ''Die Bezeichnung hat Folgen (und existiert daher)'' würde ich formulieren: hat Folgen (das heißt gleichbedeutend: existiert).
Eine Unterscheidung zwischen einer "strukturierten wahrnehmbaren" und einer "nicht strukturierten, nicht wahrnehmbaren" Welt, wie er oft zu finden ist, wird dann sinnlos.

(Ständig den Administratoren fürs Zulassen solcher Diskussionen dankend ...)
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juli 2005 - 02:48 Uhr:   

@Immanuel Goldstein & Sole
Geld ist tatsächlich kein besonders gutes Beispiel gewesen. Anderes Beispiel: Wenn ich in einem Flugzeug von "der Bombe in meinem Handgepäck" rede kann das reale Folgen haben (z.B. eine Haftstrafe) aber glücklicherweise nicht die Existenz des damit bezeichneten Gegenstandes verursachen. Was ich mit beiden Beispielen eigentlich sagen will: Ich kann über viele nicht existente Dinge Aussagen machen. Daher kann man von Aussagbarkeit nicht auf Existenz schließen. Widersprüchliche Dinge sind dabei nur ein Sonderfall und die Möglichkeit widersprüchlicher Aussagen erlaubt keinen Schluss auf die Möglichkeit widersprüchlicher Objekte.

@Immanuel Goldastein:
"
Struktriertheit der Welt wäre schön und würde das Erkennen erleichtern (und mich wie jeden anderen erfreuen) darf aber nicht a priori angenommen werden
"

Warum nicht? Man hat ja gar keine Wahl als entweder die Strukturiertheit oder die Unstrukturiertheit anzunehmen. "Neutralität" in dieser Frage würde praktisch alle anderen Fragen unentscheidbar machen und damit einer Verweigerung des Weiterdenkens gleichkommen. Da liegt es doch nahe auch intellektuell den Glauben zuzugeben der sich praktisch ohnehin im Handeln und Denken jedes Menschen zeigt.

"
Beweisen ist keine Notwendigkeit (wenn überhaupt möglich), spiel aber als Antrieb dennoch eine Rolle (dazu demnächst mehr)
"

Darauf freue ich mich schon. Einen Beweis ohne irgendwelche Grundannahmen halte ich wie gesagt für unmöglich. Mit Grundannahmen werden Beweise möglich. In der Frage der Notwendigkeit würde ich Beweisen als Aspekt von Denken sehen. Man kann sicherlich mehr oder weniger denken aber überhaupt nicht zu denken widerspräche der menschlichen Natur.

@Torsten Schoeneberg
"
Zählen Sie dazu [zu den immateriellen existierenden Objekten --gB] auch den "Kreis"? Ich vermute das, weil Sie oben einem "quadratischen Kreis" die Existenz abgesprochen haben, was witzlos wäre, wenn Sie schon einem Kreis die Existenz absprächen.
Dann sprechen Sie "dem Baum" keine Existenz zu, aber "dem Kreis". Ich würde doch eher dem "Kreis an sich" noch weniger (wenn überhaupt) Existenz in Ihrem Sinne (als Bezeichnetes) zusprechen als einem "Baum an sich", entsprechend auch der Zahl 5 und anderen mathematisch-logischen "Objekten".
"

Existenz ist nicht gleichbedeutend mit Bezeichenbarkeit oder gar Bezeichnetheit. Etwas was nicht existiert ist allerdings nicht bezeichenbar. (Der vorhergehende Satz ist übrigens interessant, weil seine logische Form völlig anders ist als seine sprachliche Form. Das Subjekt ist widersprüchlich.)

Wenn ich eine Verdeutlichung geben soll, würde ich sagen ein Objekt (etwas existierendes) ist ein Teil der Welt, der durch die Struktur der Welt von anderen Teilen unterschieden ist und mit diesen in Beziehung steht. Diese Formulierung kommt mir aber weniger klar vor als das dadurch "verdeutlichte" Wort. Mit Beziehung meine ich nicht nur soziale Beziehungen sondern z.B. auch physikalische Wechselwirkungen u.s.w.

Ich würde vielen Kreisen Existenz zubilligen aber der Kreisidee genauso wenig wie der Baumidee. Die Zahl 5 ist nicht ganz mit der Kreisidee vergleichbar. "Kreis" ist eine Sammelbezeichnung, "5" nicht. Außerdem steht die 5 in bestimmten Beziehungen zu anderen Zahlen (z.B. 2*5=10) und sogar zu materiellen Objekten (Eine menschliche Hand hat z.B. meistens 5 Finger.). Diese Beziehungen ändern sich auch nicht, wenn sie keiner kennt.

"
Sie trennen also eine Bezeichnung von einem Bezeichneten, und zwar so stark, daß beides jeweils existieren kann ohne das andere (zu beiden Fällen haben Sie Beispiele gegeben). Erstaunlicherweise ist aber auch diese Trennung nicht absolut; denn an einerr Stelle lassen Sie einen Schluß von einer Eigenschaft der Bezeichnung ("logisch widersprüchlich") auf eine Eigenschaft des Bezeichneten ("nicht existent") zu. Wieso ist dieser Schluß zugelassen?
"

Nichtexistenz ist keine Eigenschaft, weil es ja nichts gibt, dessen Eigenschaft sie sein könnte. Ich bezeichne nicht ein Objekt mit einer widersprüchlichen Bezeichnung und schließe dann, dass ihm die Eigenschaft Nichtexistenz zukomme. Ich stelle vielmehr fest, dass eine Bezeichnung widersprüchlich ist und schließe daraus, dass sie die Eigenschaft hat nichts zu bezeichnen. Das ist eine Aussage über die Bezeichnung selbst.

Zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem gibt es aber durchaus eine Beziehung. Die Bezeichnung vertritt sozusagen das Bezeichnete in der Aussage. Wenn ich sage "Das Fenster ist ungefähr rechteckig" ist das eine Aussage über das Fenster und nicht über die Zeichenkette "Das Fenster". Der Beziehung zwischen den Zeichen entspricht eine Beziehung zwischen den Bezeichneten. Eine wahre Aussage ist ein Bild der Struktur der Welt. Eine falsche Aussage ist kein Bild der Struktur der Welt. Eine widersprüchliche Aussage kann nicht wahr sein und daher auch kein Bild der Struktur der Welt sein.

Wenn Sie das anders sehen hätte ich eine Frage: Akzeptieren Sie den sog. ontologischen Gottesbeweis und wenn nein warum nicht? Ich denke er beruht auf einer Verwechselung von Bezeichnung und Bezeichnetem. Aber das setzt voraus, dass da ein Unterschied besteht.

"
Meine private Verständlichmachung (Definition ist in der Tat unmöglich) des Begriffs "Existenz" ist übrigens "Wirkung" (und zwar letzten Endes immer auf mich, dessen Existenz ich als einziges voraussetze). Die Begriffe können dann äquivalent benutzt werden: d.h. wo Sie sagen ''Die Bezeichnung hat Folgen (und existiert daher)'' würde ich formulieren: hat Folgen (das heißt gleichbedeutend: existiert)
"

Da kann ich ehrlich gesagt wenig mit anfangen. Wenn in China ein Sack Reis umfällt hat das für mich keine Folgen. Der Sack existiert trotzdem. Mehr noch: Es existieren Objekte außerhalb meines Lichtkegels. Diese können auf mich noch nicht einmal potentiell Folgen haben.

"
Eine Unterscheidung zwischen einer "strukturierten wahrnehmbaren" und einer "nicht strukturierten, nicht wahrnehmbaren" Welt, wie er oft zu finden ist, wird dann sinnlos.
"

Wenn ich existieren als auf meinem Tisch liegen verdeutliche werden noch viel mehr Fragen sinnlos... Im Ernst: Die Frage scheint dann nur darum sinnlos, weil die Annahme der Äquivalenz von Existenz und Wahrnehmbarkeit bereits eine Entscheidung dieser Frage ist. Man kann jede Frage, die man entscheiden kann, auf ähnliche Weise sinnlos machen. Reine Sprachregelungen können ganz allgemein keine echten Probleme lösen.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juli 2005 - 17:30 Uhr:   

"Darauf freue ich mich schon. Einen Beweis ohne irgendwelche Grundannahmen halte ich wie gesagt für unmöglich. Mit Grundannahmen werden Beweise möglich. In der Frage der Notwendigkeit würde ich Beweisen als Aspekt von Denken sehen. Man kann sicherlich mehr oder weniger denken aber überhaupt nicht zu denken widerspräche der menschlichen Natur."

Es geht bei den vom mir vertretenen Beweisverständniss um einen Aspekt der als relativ verstandenen Ästhetik. Ein Beweis implementiert ein Kombination aus reproduzierbaren bzw. darstellbaren Daten und Schlussfolgerungen über diese. Da Schlussfolgerungen für mich v.a. ein Element der Rhetorik und weniger der Logik (egal obe zweiwertig oder nicht, egal ob mit tertium non datur oder nicht) sind, müssen Beweise für den Betrachter stimmig sein und deshalb meist vermeintlich "Wahrheitsgemäßes" wiedergeben - aber eigentlich gefallen sie ihm nur. Ein Beweis ist also das erfolgreiche Überzeugen des entscheidungsbefugten Betrachters.
Man konnte ja auch im diesem Sinne beweisen dass, die Erde sich nicht um die Sonne dreht, da Gegenstände senkrecht und nicht versetzt herunterfielen (ergo hielt sich das geozentrische Paradigma trotz der Gegenargumente von Kopernikus und Gallileis - es brauchte er ein neues Weltbild - Newtons - und eine neue wiss. Ästhetik - die Funktionsmathematik um diese Argumente in den Stand von Beweisen zu heben). Beweise sind überzeugungsfähige Argumente, die aus Konventionsgründen nicht mehr widerlegbar sind.
Kennen Sie eine objektives Beweisverfahren, das unabhängig von Weltbildern und Ästhetitik funktioniert?
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juli 2005 - 17:42 Uhr:   

Ergänzung
Aussagen sind Kombinationen von "Symbolen", außerhalb von "Symbolen" (ich hoffe sie verstehen was meine Intension in Hinsicht auf diesen Begriff ist) existiert für den Menschen nichts. Es mag vielleicht per se existieren und sogar Relevanz besitzen, aber weder ist es erkennbar (ja nicht mal erahnbar) noch kann es weitergegeben werden.
Um den Sophismus noch mal zu Wort kommen zu lassen:
1. Nichts existiert
2. Selbst, wenn es existiert kann es nicht wahrgenommen werden
3. Selbst wenn es wahrgenommen werden kann, lässt es sich nicht mitteilen

ergänzend
zu 1. nicht Vergessen dass ist keine Aussage über onotologische Realität sondern eine Prämisse zum Symbolaustausch bzw. Gespräch
zu 2. das heißt nicht, dass nichts wahrgenommen wird (bitte jetzt nicht mit Descartes darauf reagieren - das schießt am Ziel vorbei, da Descartes stillschweigend eine Subjekt (der Wahrnehmung) annimmt, dies wird aber nicht von allen Kulturen geteilt (in der Vorarchaik sah sich der Mensch als durch wechselndes, unbestimmbares und nur rudimentär benennbares Wahrgenommenes und nicht als kontinuierliche Realität)
zu 3. das Problem leuchtet jedem kritischen Menschen ein - Sprachsysteme (bzw. Symbolesysteme) sind selbstreferenziell
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juli 2005 - 17:48 Uhr:   

noch ein Nachtrag:
Da ich Sie für (sehr) intelligent und belesen halte (was wichtiger ist), hoffe ich, dass sie das demokratische und pluralistiasche Potential einer solchen Betrachrungsweise zu schätzen wissen. Philosophie auf dem Hintergrund eines angenommen ontologischen Realismus birgt großes antidemokratische Gefahren (bei all seiner Schönheit) in sich (natürlich nicht zwangläufig aber tendenziell). Sokrates wurde nicht umsonst und grundlos von der Demokratie hingerichtet; antike Philosophen galten zunächst nicht umsonst als geistige Rüstungskammern der Aristokratie (was mir persönlich ein wenig schmeichelt); der Sophismus war Geburtshelfer und Kindergärtner des demokratischen Politikverständnisses.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Donnerstag, 14. Juli 2005 - 21:20 Uhr:   

@Immanuel Goldstein (zu den letzten drei Beiträgen):

Ich gehe auf die verschiedenen Aussagen nicht in chronologischer Reihenfolge ein, sondern in einer Reihenfolge die mir eine zusammenhängendere Antwort erlaubt.

Sie behaupten, in der Vorarchaik hätte der Mensch sich als durch wechselndes, unbestimmbares und nur rudimentär benennbares Wahrgenommenes und nicht als kontinuierliche Realität gesehen. Dafür kenne ich nicht nur keinen Beleg, sondern ich sehe auch nicht wie so ein Beleg aussehen könnte. Ein Schriftstück der Form "Ich bin ein nur durch Wechselndes, unbestimmbares und nur rudimentär benennbares Wahrgenommenes und keine kontinuierliche Realität" würde ja eher das Gegenteil beweisen. Umgekehrt ist es aber spätestens ab der Erfindung der Landwirtschaft offensichtlich und auch vorher naheliegend, dass die Menschen geplant haben. Wer einen unmittelbaren Vorteil für einen zukünftigen aufgibt zeigt damit, dass er sich als kontinuierliche Realität empfindet.

Zu den wesentlicheren Fragen:

So wie ich es verstehe meinen die mit Symbolen nicht Symbole für irgendetwas, sondern sozusagen Gedankenatome, d.h. nicht weiter unterteilbare Einheiten, aus denen sich Gedanken, Wahrnehmungen, Kommunikation und alle anderen geistigen Tätigkeiten eines Menschen zusammensetzen. Mangels bezeichneter Gegenstände deren Beziehungen sie abbilden könnten, wären diese Symbole nur durch willkürliche Beziehungen untereinander bestimmt. Die Bedeutung eines derartigen Symbols ist also nur durch die Konvention über seine Verwendung gegeben oder liegt anders formuliert darin, dass es auf bestimmte Weise mit anderen Symbolen kombiniert werden kann. Ich bin mir aber nicht sicher ob ich Sie richtig verstanden habe. Sie können mich ja ggf. korrigieren.

Derartige Symbole sind in der axiomatischen Grundlegung der Mathematik sehr erfolgreich; "meine" Erklärung paraphrasiert im Wesentlichen Hilberts Begriffserklärungen für die Geometrie. Der Sinn liegt darin Präzision für Inhalt einzutauschen. Wenn die Verwendung eines Symbols allein durch Regeln definiert wird, kann es über seine richtige Verwendung (zumindestens theoretisch) keinen Zweifel mehr geben. Im Gegenzug verliert man die Beziehung des Symbols zu realen Objekten. Man erhält also perfekte Präzision und muss im Gegenzug völlige Bedeutungslosigkeit hinnehmen.

Für die Mathematik ist das ein guter Ansatz. Das ist aber nur so, weil sich die Mathematik nur mit (allerdings nicht offensichtlichen) Tautologien beschäftigt. Sobald man mathematische Erkenntnisse praktisch anwendet, macht man einen Kompromiss, der den Begriffen mehr Bedeutung und weniger Präzision gibt.

Sie behaupten aber, jede geistige Tätigkeit sei Manipulation so verstandener Symbole. (So habe ich Sie jedenfalls verstanden.) Diese Ansicht bringt erhebliche Probleme mit sich.

Zunächst einmal gibt es Dinge wie z.B. Emotionen, die wesentlich "primitiver" als die Symbolverarbeitungsfähigkeit sind. Es gibt auch geistiges Geschehen, dass ich nicht bewusst wahrnehme, z.B. wenn ich beim Gehen einem Laternenpfahl ausweiche. Ich zweifle also schon an der Behauptung, dass sich alles geistige Handeln in Symbole in irgendeiner üblichen Bedeutung dieses Wortes zelegen lässt.

Aber auch wenn man eine derartige Zerlegbarkeit unterstellt, ist weiterhin die Verwendung der allermeisten Symbole nicht willkürlich. Wenn es z.B. eine reine Konvention ist, dass bestimmte Handlungen zum eigenen Tod führen, dann können Sie mir ja Ihre Auffassung durch Verletzung dieser Konvention auf sehr dramatische Weise beweisen... Im praktischen Handeln und alltäglichen Denken ist jeder ontologischer Realist.

Die Auffassung setzt außerdem genau ein Individuum voraus. Denn für dieses Individuum wären ja auch andere Individuen entweder nicht existent oder reine Symbole oder Symbolsysteme. Wenn zwei Leute diese Meinung vertreten ist es nicht die gleiche Meinung. Wenn man von diesem Problem absieht, folgt gleich die Frage, warum denn andere Menschen so auffällig ähnliche Systeme verwenden.

Schließlich hat diese Meinung noch den gleichen Widerspruch wie alle anderen Relativismusformen: Sie beansprucht objektive Wahrheit für die Behauptung der Nichtexistenz objektiver Wahrheit.

Ein Beweis ist ein Argument für eine Tatsachenbehauptung, gegen das es keine vernünftigen Gegenargumente gibt. Es geht nicht darum ob der Adressat eines Arguments eine abweichende Meinung tatsächlich aufrechterhält, sondern ob er das (ohne Betrachtung sonstiger Argumente) tun kann ohne damit unvernünftig zu handeln.

Es gibt durchaus Beweise, die ihren Adressaten praktisch nicht überzeugen. Obwohl z.B. bewiesen ist, dass die Mondlandung stattgefunden hat, gibt es immer noch Verschwörungstheoretiker, die von diesen Beweisen nicht überzeugt sind. Die gleichen Verschwörungstheoretiker zeigen auch, dass es Argumente gibt, die ihre Adressaten überzeugen ohne Beweise zu sein. Auch vernünftig denkende Menschen können manchmal von Argumenten überzeugt werden, die nicht den Standard von Beweisen erreichen. Freilich kann bei jedem Menschen (auch bei mir) der Wunsch gelegentlich die Vernunft verdrängen. Ich kann also z.B. ein rein rhetorisches Argument für einen Beweis halten. Dadurch wird es aber kein Beweis. Beweiskraft ist eine Eigenschaft, die einem Argument objektiv zukommt oder nicht zukommt.

Weiterhin kann jemand eine Behauptung für wahr aber einen angebotenen Beweis dieser Behauptung für falsch (d.h. in diesem Zusammenhang für nicht beweiskräftig) halten. Für mich ist dafür wie oben schon erwähnt der sog. ontologische Gottesbeweis ein Beispiel.

Das alles hat mit Ästhetik wenig zu tun. Mir sind durchaus schon Sachen bewiesen worden, die mir nicht gefallen. Umgekehrt gibt es Behauptungen die mir gefallen aber nicht bewiesen sind.

Wenn es keine objektive Vernunft gäbe, dann könnte es natürlich auch keine eigentlichen Beweise geben. Dann läge es tatsächlich nahe, das Wort im von Ihnen beschriebenen Sinne wiederzuverwerten. Ihre Beweisdefinition ist also gewissermaßen folgerichtig.

Der Relativismus schafft allerdings nicht nur Beweise sondern ganz allgemein Argumente im eigentlichen Sinne ab. Wenn es keine Vernunft gibt kann man auch nicht an diese appelieren. Ausführlicher: Ein Argument abzulehnen bedeutet sich nicht davon überzeugen zu lassen. Wenn es nun keinen objektiven Maßstab gäbe, dann läge die Bedeutung eines Argumentes nur noch in seiner faktischen Überzeugungskraft. Wenn man sich nicht überzeugen lässt, dann hat diese offensichtlich nicht vorgelegen. Relativistisch betrachtet ist also die Ablehnung eines Argumentes ihre eigene Rechtfertigung. Darum können sie auch alle meine bisherigen Ausführungen ohne weitere Begründung ablehnen.

Damit nähern wir uns langsam dem Knackpunkt. Die Entscheidung zwischen Realismus und Relativismus ist eine Glaubensfrage. Was man glaubt ist allerdings nicht bloß eine Frage des Zufalls oder der Ästhetik sondern vor Allem auch eine Frage des Gewissens und der Moral.

Hier wird nun das von Ihnen behauptete demokratische Potential ihrer Auffassung relevant. Ich bin davon nicht überzeugt.

Das attische Regierungssystem halte ich nicht für eine besonders großartige Sache. Es kannte zwar eine Bindung der Staatsgewalt an das Volk aber keine Rechtsstaatlichkeit. Sokrates wurde hingerichtet, weil er den lokalen Herrscher genervt hatte. Das dieser lokale Herrscher zufällig das Volk war ändert daran wenig. Eine Tyrannei der Mehrheit bleibt eine Tyrannei.

Die Grundidee der modernen Demokratie ist, dass bestimmte Rechte des Individuums Vorrang vor denen des Staates haben. Daraus folgt dann, dass die Staatsgewalt der Zustimmung des Volkes bedarf. Es folgt aber auch und mindestens ebenso wichtig, dass die legitime Macht des Staates Grenzen hat. Dieser Gedanke stammt nicht aus dem antiken Griechenland und ganz sicher nicht aus dem Sophismus. Die frühen Vertreter dieses Gedankens gingen ganz im Gegenteil von einem überpositiven Naturrecht aus.

Die Sophisten waren Vertreter des attischen Regierungssystems, weil sie als käufliche Rhetoriker und Rhetoriklehrer stark von ihm profitierten. Aus dem Relativismus selbst folgt aber keine bevorzugte Herrschaftsform. Ein Einzelherrscher oder eine kleine Oligarchie kann die eigene Tyrannei damit genauso gut rechtfertigen, wie es die Sophisten für die attische Bürgerschaft konnten. Nicht ganz zufällig argumentieren Vertreter von Diktaturen wie der sog. Volksrepublik China, dass Menschenrechte kulturell relativ gesehen werden müssten.


Und damit komme ich beim Kern der Frage an. Es ist unmoralisch die Menschenrechte zur Geschmacksfrage zu degradieren. Es wäre unmoralisch die gerade im letzten Jahrhundert zahlreichen Genozide nicht zu verurteilen. Selbst wenn die ganze (überlebende) Menschheit einen beliebigen Genozid billigen würde, dann würde damit eben die ganze Menschheit unmoralisch handeln. Der Relativismus muss mit dem Verzicht auf eine objektive Wahrheit (und damit insbesondere Moral) auch auf ein objektives Urteil über jede beliebige Abscheulichkeit verzichten. Die meisten Relativisten machen diese Folge zumindestens praktisch nicht mit. Das ist aber eine Inkonsequentz, in der ihr Gewissen ihre Philosophie überschreibt. Aber der Relativismus selbst erfordert diese Folge. Er ist darum keine Geschmacksfrage, sondern schlicht und ergreifend böse.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Montag, 25. Juli 2005 - 04:53 Uhr:   

Sehr geehrter gelegentlicher Besucher,
ich bin momentan sehr beschäftigt (u.a. hab ich in den letzten Wochen
diverse Aufstellungsversammungen im süddeutschen Raum besucht um
darüber zu schreiben) und das führt in Kombination mit meinem recht
fortgeschrittenen Alter (bin immerhin demnächst Großvater) zu einer
allgemeinen Erschöpfung die mir leider nur wenig Zeit zu solch
anregenden Diskussion übrig lässt - ich hoffe Sie können mir meine
späte, zunächst auch nur vorläufige und etwas spärliche Antwort
verzeihen. Ich werde auf alle iIhre Anmerkungen eingehen, allerdings
nur knapp in Hoffnung auf ihre Auffassungsgabe und Empathie. Ich
danke für Ihre Mühen bereits im voraus.

Zur Vorarchaik: sofern Sie über dezidierte Altgriechischkenntniss
(mit dem Schwerpunkt ionischer und äolischer Dialekte) verfügen rat
ich Ihnen zum Eigenstudium der Illias (ansonsten verwende Sie eine
der geläufigen kritischen Editionen) - dort handelt niemals ein
Subjekt. Arme werfen Speere, Augen sehen, gedanken steigen in den
Kopf, Träume werden gesandt (nicht gegneriert) etc. Die Menschen
werden weiterhin nicht nicht von ihrer Kleidung getrennt vorgestellt
und manchmal handeln Götter durch sie. Ich kenne (nach vieljähriger
Beschäftigung) nicht eine Stelle die in den ältesten Überieferungen
eindeutig auf eine ursprüngliche Darstelleungsintension über ein
menschliches (in Unterschied zu Göttern) Subjekt verweisen. Auch gibt
es keinen Begriff für Wahrheit und Weisheit aber für Wissen, Können
und Ehlichkeit (dazu aber später mehr).
Auch Ergebnise der Kunstforschung lassen mich zu dem Schluss kommen,
dass in der (schriftlosen) Vorarchaik (protogeometrische und
geometrische Phase) keine Vorstelleung eines menschlichen Subjekts
weitverbreitet war: im Unterschiet zur (schreibenenden) mykenischen
Zeit gibt es kein einziges Bildniss eines Individuums (nicht einmal
andeutungsweise) und das in einer Zeit als einzig Bilder als
dauerhafter Informationsträger verwendet wurden; Menschen bestehen
aus Einzelteilen die gleich Modeulen aneinandergesetzt wirken, wobei
zwischen Armen, waffen, Kutschen, köpfen, Augen nicht grundsätzlich
unterscheiden wird.
Oder anders: Nennen sie mir eine Person der Vorarchaik außer den
legendenumwobenen Homer und Hesiod (der das Ende dieser Epoche
markiert und einen eindeutigen Wendepunkt darstellt)? (Bitte denken
Sie nicht, dass dies an Überlieferungsschwierigkeiten liegt -
immerhin kennen wir auch Namen wie Sargon (Akkad), Cheops (Ägypten),
Haamurabi (Babylon) etc. - die Bedeteung des menschlichen indiviuudms
und Subjekt spielte wahrscheinlich damals im griechischen raums keine
Rolle). Zur landwirtschaft: das betreiben auch Ameisen - halten Sie
die für individuelle Subjekte? (ein wirklich interessante Diksussion
könnte sich auch darüber entwickeln - aber lassen wir das lieber)

Zu den Symbolen (die für mich elementarer sind als der von Ihnen
verwendete sprachliche Gebrauch, der sie als Folge der Konstruktion
und nicht als dessen Träger bezeichnet): Nein - nicht Hlbert (denn
ich für fürchterlich halte) sondern eher Dilthey und der späte
Dekonstruktivismus. "Symbole" sind auch sicher keine "unteilbaren,
klar getrennten Denkatome". Um mich dem Begriff auf Deutsch
anzunähern: "Symbole" sind die Rohstoffe (tlw. getrennt teilweise
verbunden) die mittels des Kategorisierens zu Wahrnemungsmustern,
Denkmöglichkeiten und Gefühlsimpulsen "verarbeitet" werden. Sie
können nicht konventionalisiert werden (im Unterschied zu den
Kategorisierungsvorgängen, Wahrnehmungswelten den Denksystemen und
den Gefühlshaushalten) und sind nicht direkt wahnembar, nicht
"denkbar" (im Sinne von direkt analysierbar) und nicht der
unvermittelten Empfindung zugänglich. Sie werden aber generiert durch
jede Form der "Aktion". Der Urheber der "Aktion" kann aber nie
zweifelsfrei ausgemacht werden (er liegt "hinter" den Symbolen, somit
nicht durch die Möglichkeiten des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und
Kategoriesierens). Was nicht als Symbol existiert ist per se
unzugänglich. Das Symbol ist zugänglich aber nicht eindeutig
bestimmbar (also auch nicht konventionalisierbar). Es ist Träger des
Informationstransfer, aber nicht die Information selbst. Symbole
schaffen Wahrnehmungsrealität, sind aber nicht Teil von ihr. Mit
einer Sentenz: es ist die rohe aber formbare Welt (im Unterschied zur
rohen und unformbaren Welt - die nicht zugänglich ist) vor jeder
nachträglichen Ordnung. Jede handlung, jedes Denken ist Symbol bis es
zu Information umgeschaffen wird. Information (und Denken, Fühlen,
Wahrnehmen) ist ohne Symbole nicht möglich (außer vielleicht für Gott
- sofern diese Hypothse braucht).
Indiviuden sind auch keine Grundvorraussetzungen, da sie (als
Wahrnemungszentren oder was auch immer) erst aus dem Wechselspiel des
von Symbolen getragenen (also Wahrnehmungen, Informtaionen, Fühlen
etc.) erst geschaffen werden. Es ist ein wenig arrogant sich selbst
als erse Ursache der Erscheinungen wahrzunehmen (ich hoffe Sie
merken, dass ich weder Solipsist noch Idealist bin). Kleine Analogie
(etwas hinkend) als Beispiel: Ein Computerprogramm, dass Informatonen
verarbeiten kann, ist selber erst durch Informationen, die
ursprünglich nicht aus einem Computer kommen, geschaffen worden.
Diese Programm wird sich weiterhin wohl auch nicht selbst als
Informationsverarbeitendes Subjekt wahrnehmen.
Es ist auch nicht der ontologische Realismus der mich von
Freitodmöglichkeiten abhält, sondern mein empfinden für Ästhetik -
ich finde Freitodversuche hässlich, da Schmerz generiert werden
könnte. (Nebenbei: versuchen Sie das ontologische-realistische
Argument bitte mal hinduistischen Selbstmordattentätern zu erklären
(LTTE-Mitgliedern glauben ja auch - wenn auch aus einer ganz anderen
Position heraus - das die Welt nur Maja (Schein) ist, das Nichts
(Nirvana) existiert und das Nichten positiv ist)).
Ich beanspruche auch keine objektive Wahrheit (daran glaube ich ja
auch nicht - besser gesagt: darin wurde bei mir kein Informationsnetz
genküpft, dass so einen Glauben braucht oder vorraussetzt) sondern es
wird gerade durch mich ein Darstellungssystem "entworfen" (das klingt
leider jetzt sehr hochgestochen, besser wäre jetzt "wiedergegeben",
aber ich kann mir da die Einwände jetzt schon ausmalen) das
vielleicht "stärker" ist (d.h. es schafft mehr "Tatsachen" als
alternativ bestehende Systeme ohne deren alte Vorzüge über Bord zu
werfen - oder nochmal anders: es weitet den Raum des
Informationsaustausches aus) als bisher bestehende. Forschen im Sinne
von Ausdehnung des Denkbaren bei gleichzeiter Verknüpfung ist
wesentlich sinvoller als Nachjagen einer (vielleicht gar nicht
existierender) Wahrheit. Die Fata Morgana (Wahrheit) zieht tiefer in
die Wüste (die Einöde des Dogmas).

Über Beweise: Ihre Beweisdefiniton finde ich wenig überzeugend. "Ein
Argument (für mich nur ein Euphemismus für einen Satz), das eine
Tatsachenbehauptung (Euphiemismus für Anmaßung oder Traum von der
Erkenntnisfähigkeit des Menschen) unterstützt, gegen das keine
"vernünftigen"(Euphemismus für menschliches Vorurteil) Gegenargument
(Diminutiv für Alternativmeinung) gibt."
Hypothesen lassen sich nicht induktiv beweisen (schon Carnap ist
daran gecheiter), deduktiv lassen sie sich nicht mal falsifizieren
(Poppers bemühungen waren da leider umsonst, da Beobachtungsaussagen
theoriegetränkt sind und somit eine unbewiesene hypothese eine andere
unbewiesene Hypothese widerlegen soll). Interessanter ist da Lakatos
(wenn natürlich auch nicht richtiger): weder beweisen noch
falsifizieren (zumindest nicht notwendigerweis) sondern
Interprationsstärker also mehr "Tatsachen" schaffend machen muss man.
Denksysteme die eine größerer Aussagenvielfalt generieren ohne
"erfolgreiche Aussagen" (ine Schwachpunkt bei Lakatos) andere Systeme
zu verlieren setzen sich durch (sowohl deskriptiv als acuh
präskriptiv bei ihm gemeint).

Über Glaubensfrage: wer seinem Glauben auch nur für sich selbst
Wahrheit zuspricht ist selektiv-dogmatisch (kann auch sehr schön
sein, aber leidenschaftlicher Dogmatismus ist viel attraktiver für
mich Nicht-dogmatiker); d.h. er hält sich in gewisser Hinsicht für
besser, für auserwählt, für einsichtiger und hat dann nicht den
Anstand dieses Gefühl auszusprechen; er versteckt sich hinter
Konventionen, die er selber für unrichtig hält und begeht
Duckmäuserei und gegen sich selbst gerichtete Diszplin - er
institutioalisiert eine Psychose, die sich nährt aus der
Unausgegelichenhet zwischen Glauben, Anspruch und Verhalten.

Über Gewissen, Moral und Ästhetik: Wer folgt Moral, die er hässlich
findet? Wer gehorcht einem unappetitlichen Gewissen? Wer opfert seine
spontane Bejahung für gegen sich selbst gerichtigte Disziplin und
Erziehung? Der Konformist, der heteronome Mitläufer, der sich selbst
verratende Denunziant. Kurz der Untertan. Das Gewissen (diese
scheußliche Notwendigkeit, die die verschwunden Werkeethik ersetzte)
wird bekanntlich von außen erschaffen (soviel Psychoanalyse kann
jeder um zu sehen dass dies nur ein chwacher Ersatz für Rituale wie
die Beichte oder ähnliche Reinigungsriten ist) und unterliegt damit
einer sozialen Konvention über hässlich und schön und nicht der
eigenen. Eine kollektive Psychose im Form falscher gesellschaftlicher
Gewissensbildung (in Form missbrauchten Schulunerrichts,
unvorsichtiger Erziehungsideale, hässlicher Lebensweise) ist
millionmal gefährlicher als eine Versammlung gewissenloser aber
uneiniger Verbrecher. Das Gewissen zum Ideal erheben, heißt aus Angst
vor dem kleinen Unheil das große Unheil zu riskieren. Die Moral
hingegen ist die Umdeutung von Zusammenhängen zum Wohle des eigenen
Schlafs. Der Hirte hütet seine Schafe nicht aus Mitleid und Fürsorge,
sondern aus Profitinteresse. Wir schlagen keine kinder, weil wir als
Greise nicht geschlagen werden wollen. Wir lieben Menschen, weil sie
zu hassen sie fürchtenswert macht. Und wir finden Wohlstand schön,
wir finden Sicherheit angenehm, wir empfinden Liebe als bequemsten
Schutz - und das alles finde ich auch schön so.
Ethik und Moral (Gewissen mit seinen Schrecken lass ich aussen vor)
funktionieren nur auf den Papier ohne Ästhetik. In der Wirklichkeit
ist es das Angenehme für unsere Sinne, das über Recht und Unrecht
entscheidet.

Über das attische Regierungssystem (welches Sie jetzt auch immer
meinen; ich meine sowohl in eher oligarchischen als och in eher
ochlokratisch oder gemäßigt demokratischen Zeiten): sein Vorzug lag
in einer bestimmtem lebensbewältigungsstrategie seiner Bevölkerung.
Der Staat war "Auseinandersetzungsplatz" verschiedener Menschen, war
somit veränderbar, flexibel, nicht durch Unterwerfung unter Götter
oder Werte oder andere unausweichliche "Notwendigkeiten" dogmatisch,
statisch oder gar fremd. Er war eigen, er war ein zuhaus und keine
offenbarte Institution. Er wurde gekannt umd war transparent (alles
natürlich in Vergleich zur seiner Zeit). Ich sehe weniger in der
abstrakten Idee von Demokratie (die heute bei vielen eine
lippenbekenntnislehre darstellt und nicht viel mehr) seine Vorzüge
als in seiner grundsätzlichen Veränderlichkeit durch demokratische
Aktion.

Über Tyrannei: (abgesehen von der historisch korrekten Verwendungen
für Staaten wie Sykion, Korinth, Athen, Samos, Syrakus, Agrigent zu
bestimten (eiten - diese bevorzuge ich) entweder ist Tyrranei immer
die Tyrranei der Mehrheit ( denn der Tyrann egal ob Individuum oder
Jollektiv braucht Helfer und Helfershelfer, Denunzianten und
Ignoranten, Karrieristen und Schleimer, Soldaten und Meuchler, ja
auch Opposition und den inneren Feind - was er baucht ist ein
tyrannisches Ambiente an dem alle mitwirken, denn niemand kann sich
für die Tyrannei entschuldigen, keiner ihr entrinnen, niemand sich
ihr innerlich komplett verschließen, alle sind durch sie schuldig,
nur manche mehr und manche weniger) oder Tyrannei ist ein
Kampfbegriff gegen unliebsame politische Strukturen.

Über den Rechtsstaat: (vielleicht) ein schönes Ideal, doch ausser von
Ansprüchen her hab ich ihn noch nirgends gesehen. Isonomie (eine
"Erfindung" der Griechen) reicht mir übrigens völlig. Es sind ja bei
uns nicht Richter sondern häufig psycholgische oder medizinsche oder
sonst welche Experten bzw. Gutachter, die in die Aura vermeintlicher
kompetenz gehüllt und durch fachsprache blendend (eines Sophisten
würdig) de facto einen Urteilsspruch fällen. Es entscheidet in
Wirklichkeit nicht das Recht sondern der offiziell
Entscheidungsbefugte nach Unterweisung durch tatsächlich
entscheidungsbefugten gutachter bzw. Experten (egal ob jetzt
Psychologe, Medizier, Baugutachter, ermittelnder Polizist etc.). Ich
finde dies auch nicht unbedingt schlecht - aber es sollte auch ehrich
so dargestellt werden und die möglichen Missbrauchsmöglichkeiten
minimiert werden.
Bestimmte Rechte des Indivuums haben Vorrang vor denen des Staats,
behaupten Sie. Welche meinen Sie? Der Staat besitzt das
Gewaltmonopol, meine Rechte hab ich nur wenn der Staat sie für mich
durchsetzt, weil ich sie selber gar nicht durchsetzten darf, Sie sind
mir also nur geliehen und ich durfte nicht mal mitentscheiden welche
mir geliehen wurden. man jemanden für unmündig erklären und ihn für
immer wegsperren ohne , dass er jemals ein Verbechen zuvor begangen
hat. Anscheinend nutzten diese geliehenen Rechte wenig. Die grenzen
des Staates gibt er sich selbst (und glauben sie bitte nicht den
Mythos von unveränderlichen verfassungskernen und dergleichen - diese
werden gesichert durch Paraggraphen die selber nicht gesichert sind).
Die gesamt Staatsauffasung der letzten 200 Jahre (ein bekannter und
interessanter Vetreter dieser Auffassung war ja Hegel) ist ein
(wahrscheinlich sogar notwendiger) Rückschritt in der Emanzipation.
Ein Gemeinwesen, das durch Souveränität und Macht definiert ist und
über einen solch hohen Grad administrativer Durchdringung der
Bevölkerung gekennzeichnet ist, ist im Falle des Missbrauchs eine
einzige riesige Killermaschine - nicht wegen seiner Rechtsvorstellung
sondern wegen der Kombintation von Macht und administatriver
Duchdringung. Eine heterogene Bevölkerung wird auch unter engsten
Rechtssätzen nicht zu solchen Exzessen fähig sein, wie eine homogene,
gleichgeschaltete und weichen Rechtgrenzen.

Zu den Sophisten: Vorneweg Sie haben viele falsche Vorurteile über
die Sophisten (was ich sehr bedauere, was aber nicht anders zu
erwarten war nach über 2000 Jahre schlechter publicity). Die
Sophisten waren keine Anhänger des Naturrechts (dies ist ein
verzehrte Darstellung Platos) - das Nautrrecht diente (und dies auch
selten) zur Kontraindutkion (die verbreitetste sophistische
Argumentationsweise) anderer Rechtsauffasungen, eben um die
Relativtät von Rechtssätzen aufzuzeigen; es war also nur
argumentatives Hilfsmittel. Die Betrachtungsweise über Recht war
wesentlich differenzierter - einig war man dass man eben kein Recht
aus Seinszuständen ableiten kann; Recht wurde als Kulturabhängig
eingestuft; für das griechische Recht galt expliziet eine dreifache
Differenzierung: 1. Recht als Mittel der Unterdrückung gegen die
Schwachen durch die Schwachen - dies v.a. in Zeiten der Durchsetzung
von neuen Recht 2. Recht als Mittel der Bändigung der Mächtigen durch
die Schwachen - dies v.a. durch Öffentlichmachung von Recht in Zeiten
stagnierender Staatsverhältnisse 3. Recht als Vertrag zwischen
verschiedenen Parteien zum allgemeinen Schutz - dies v.a. in Zeiten
der äußeren Bedrohung. Die Wichtigkeit der Sophisten lag aber weniger
bei ihren Inhalten als vielmehr bei ihren Funktionen. Dazu möchte ich
noch sagen die meisten Sophisten waren entgegen der landläufigen
Meinung nicht Rhetoriker und Logographen (dieser Fehlschuss lieg
einerseits an Plato und Aristoteles andereseits an die
Textversessenheit der historiographie des 19 Jhdt.) sondern
Sportlehrer (v.a. für freiwillige militärische Ausbildung), Ausbilder
für komplexe Berufe( z.B. Buchhalter, Geldwechsler, Architekten,
Künstler) v.a. für Erwachsene, Ausbilder für die Jagd, Sprachlehrer
für Reisnde, Pädagogen, Berater für den haushalt etc,. Ihr Wirken
begang lange vor irgendeiner Demokratisierung. Sie wirkten ihr vor
das sie das "ständische" Verständniss von Lebensgestaltung
aufweichten - eine Vorstellung von der Abweichung des väterlichen
Berufs und die Möglichkeit zu sozialen Austieg wurde durch sie erst
breiten Kreisen ermöglicht. Die berühmten Rhetoriker unter ihnen
waren natürlich die teuersten (die meisten anderen unterrichteten zu
Hungerlöhnen),aber doch eher Ausnahmeerscheinungen. Die Aufweichung
der arisokratischen Gesellschaft (und von diesen Erbreichen kamen die
Vorwürfe gegen bezahlten Unterricht, da sie sich in ihren privilegien
bedroht sahen) war vorraussetzung für Isonomie und demokratische
Experimente. Es gibt nur einen, eindeutig nachweisbaren Sophisten,
der für Adlige, Oligarchen oder Tyrannen gearbeitet hat (ein Onkel
Platos) und das war ein adliger Pleitier. Also waren die Sophisten
weniger Profiteuere des demokratischen Staates (der ihnen nebenbei
bemerkt finanziell eher geschadet hat - die steuerrechtlichen
bestimmungen des demokratischen Athens waren meist gegen Ortsfremde
(und das waren die meisten prominenten Sophisten) gerichtet) als
Geburtshelfer der Demokratie. Auch war ihr Denkssystem, das Ästhetik
anstelle von Moral und Tradition setzt, also erst ermöglicht das
Geschworenengerichte und Volksversammlungen durch Argumente
beeinflusst werden können, und ihr Unterricht gegenüber jedem
Willigen (wie bereits gesagt waren die meisten Sophisten sehr
billig),also die Vermittlung der Beeinflussungsfähigkeit oder
überhaupt erst des Zeigen der Möglichkeit des Beeinflussen durch
einen Nicht-aristokraten, Babynahrung für die Entwicklung (leider an
anderen Sachen gescheiterten Entwicklung) einer demokratischen
Kultur.
Die Pilosophen mit ihrer Suche nach Wahrheit hingegen galten und
waren Rüstungskammern der Aristokraten (und werden bis heute von
geschichtsbewusten Aristokraten dafür verehrt, tlw. auch von mir).

Über Realtivismzus: ich bin Sophist nicht Relativist. Nur an eines
seiner Werkzeuge (und ich besitze mehr) zu glauben ist fast schon ein
Verbrechen gegen die Kreativität. Nun ist der Relativismus aber ein
sehr praktisches Werkzeug,das vor verschwenderischen Dogmatimus
schützt, zu neuen Möglichkeiten inspiriert und Flexibilität
ermöglicht. unpraktisch wird er wenn Rahmenbedingungen dies nicht
zulassen oder er das Erlernen anderer Überzeugungstechniken
verhindert.
China mag argumentieren wie es will, gegenüber seiner Bevölkerung ist
es eben nicht relativistisch sondern dogmatisch und repressiv - dies
macht die ganze Argumention Chinas unstimmig und somit hässlich uns
somit unglaubwürdig. nebenbei: gerade China (oder besser: das
entscheidungsbefugte Personal in China) ist momentan dermaßen weit
weg von jeden Relativismus, dass Ihre bemerkungen nicht gewissen
Humors entbehrt.

Zum Genoid-Argument: Nochmals ich bin Sophist - das ist kein
Phiosophie! Relativismus ist ein Werkzeug für Sophisten - also ist er
nicht mein herr, dem ich folgen muss, sondern mein Werkzeug, dass ich
bei Bedarf jederzeit wegstecken kann.
Genozid ist hässlich - Brutalität ist grunsätzlich unästhetisch für
mich. Es ist nicht die Empathie mit den Opfern (zu solch einer
hHuchelei würde ich mich nie aufschwingen, da ich deren Schmerz
niemals nachempfinden kann), es ist auch nicht mein Gewissen (dass
durch Indoktrination ja erst die Mitursache für Genozid werden kann),
es ist auch nicht ein abstrakter Wert die mich so etwas widerliches
ablehnen lässt. Nein, ich fühle zum kotzen bei solchen Ereignissen,
ich fühle mich einfach Scheiße wenn so etwas passiert. Und mir ist es
egal was andere dabei fühlen - ich lehne es ab, weil es mir einfach
nicht gefällt und mich übel fühlen lässt. Relativismus macht nicht,
dass man alles toleriert. Ich könnte mich ja irren und ein (in dem
Fall sehr kranker und bösartiger) Gott hält das alles für richtig
oder es ist ein Naturgesetz - aber dann werd ich diesen Gott oder
dieses Naturgesetz oder diese Kultur, die sowas macht, bekämpfen (und
sei es vergeblich); eben weil ich mich persönlich angeekelt fühle.
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John Rawls
Veröffentlicht am Montag, 25. Juli 2005 - 11:16 Uhr:   

Wenn das eine "vorläufige und etwas spärliche Antwort" war...

Chapeau!

In jedem Fall eine anregende und interessante Diskussion, zu der ich nur leider herzlich wenig beitragen kann, außer mich zu bedanken.

dOer um es mit Groucho Marx zu sagen: "Selbstverständlich würde ich ein Hendiadyoin erkennen, wenn ich eins sehe. Aber die Biester sind ja so flink."
 Link zu diesem Beitrag

Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Montag, 25. Juli 2005 - 16:38 Uhr:   

Nur aufs Beckmessern hin eine Bemerkung:
"Sophisten" gibt es mindestens in 3 Bedeutungen.
1. bezeichnet man als "Sophisten" die Gruppe philosophisch-rhetorischer "Aufklärer" im 5. und v. a. 4. Jh. v. in Griechenland, deren Abgrenzung gegenüber andern Zeitströmungen allerdings unscharf ist.
2. bezeichneten sich selbst Aufklärer des 2. Jh. n. selbst so, die im Rückgriff auf die unter 1. Genannten die Literatur und Geistigkeit reformieren wollten.
3. handelt es sich um ein Scheltwort, das sich auf jeden beliebigen Denker anwenden lässt, der einem nicht passt.
4. müsste wohl hinzugefügt werden: freiberuflich, gegen Geld auftretender, reisender Gebildeter, der seine Bildung auf dem freien Markt verwertet und somit im Gegensatz zum fest besoldeten oder durch Vermögen materieller Sorgen enthobenen sesshaften Gebildeten steht.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Donnerstag, 11. August 2005 - 22:09 Uhr:   

@Immanuel Goldstein

Wie Sie sehen war ich auch nicht gerade schnell. Und ich habe aus reiner Faulheit so lange gebraucht J. Ich finde eine Diskussion soll Spaß machen. Niemand ist verpflichtet schnell oder ausführlich zu antworten. Ich für meinen Teil habe mein Pseudonym durchaus absichtlich gewählt: Ich diskutiere hier (nur) wenn und falls mich das jeweilige Thema interessiert und ich gerade Lust habe. Ich erwarte hier von niemandem mehr und meine auch das es mir nicht zustünde von irgendjemandem mehr zu erwarten. Da Sie mir also kein Unrecht getan haben, habe ich Ihnen auch nichts zu verzeihen.

Zur Sache:

Fangen wir mit der "Vorarchaikfrage" an. Diese Frage ist nicht so nebensächlich wie sie auf den ersten Blick scheint. Wenn Sie in dieser Frage Recht hätten würde das in den sonstigen Fragen zwar nicht Ihre Auffassung beweisen aber doch meine Auffassung widerlegen. Da es die grundlegenden Fragen sind, würde das praktisch jede beliebige von mir vertretene Überzeugung umstürzen. Daher habe ich Ihre Argumente in dieser Frage etwas ausführlicher geprüft.

Sie begründen Ihre Behauptung wie folgt:
"
sofern Sie über dezidierte Altgriechischkenntniss
(mit dem Schwerpunkt ionischer und äolischer Dialekte) verfügen rat
ich Ihnen zum Eigenstudium der Illias (ansonsten verwende Sie eine
der geläufigen kritischen Editionen) - dort handelt niemals ein
Subjekt. Arme werfen Speere, Augen sehen, gedanken steigen in den
Kopf, Träume werden gesandt (nicht gegneriert) etc. Die Menschen
werden weiterhin nicht nicht von ihrer Kleidung getrennt vorgestellt
und manchmal handeln Götter durch sie. Ich kenne (nach vieljähriger
Beschäftigung) nicht eine Stelle die in den ältesten Überieferungen
eindeutig auf eine ursprüngliche Darstelleungsintension über ein
menschliches (in Unterschied zu Göttern) Subjekt verweisen. Auch gibt
es keinen Begriff für Wahrheit und Weisheit aber für Wissen, Können
und Ehlichkeit (dazu aber später mehr).
"

Leider habe ich nicht die geringsten Griechischkenntnisse; selbst mein Latinum habe ich eigentlich zu Unrecht erhalten. Da ich auch momentan keinen Griechischkenner zur Hand habe bin ich folgendermaßen verfahren:

Die Northwestern University bitet unter dem Titel Chicago Homer eine Datenbank homerischer Texte an. Man kann sich dort den Originaltext und parallel eine englische und/oder deutsche Übersetzung anzeigen lassen. (Man kann sich auch öfter wiederkehrende Phrasen auf andere Fundstellen verlinken lassen. Diese Funktion verwende ich hier aber nicht.) Die Tufts University bietet als Perseus Digital Library eine Sammlung klassischer Texte und verschiedene Analysewerkzeuge an. Von den Werkzeugen ist vor Allem das Perseus Word Study Tool relevant. Es bestimmt für in Transliteration eingegebene griechische Worte die möglichen Grundformen, und die Form(en) in der das Wort sein könnte. Vom Ergebnis aus sind auch die Einträge in verschiedenen griechisch-englische Wörterbücher verlinkt.

Ich habe mir im Chicago Homer aus der Ilias eine Stichprobe herausgesucht und zwar die Verse 182-187 des zweiten Gesangs. Inhaltlich ist diese Stelle nicht besonders aufregend. Ich habe sie nur ausgewählt weil ich in der Übersetzung des Chicago Homer gesehen habe, dass dort viele Handlungen vorkommen. Diese Verse sind weiter unten fett gedruckt in Transliteration dargestellt. (Den eigentlichen Text kann man sich im Chicago Homer ansehen. Hier kann ich ihn nicht reinkopieren, da die Forumssoftware anscheinen mit den vielen Akzenten nicht zurechtkommt.) Ich habe jedes Wort mit seiner morphologischen Analyse verlinkt. Es gibt zwei Ausnahmen: Mit dexato konnte das Perseustool nichts anfangen. In diesem Fall habe ich die (allerdings nach Herstellergaben sehr unzuverlässige) interne Analysefunktion des Chicago Homer verwendet und bei der Perseus Library einen Wörterbucheintrag für die Grundform verlinkt. Für Eurubatês gibt es das gleich Problem. Da es sich um eine Eigennahmen handelt habe ich das Wort unter diesen Umständen unverlinkt gelassen. Man muss sich die Lexikoneinträge durchlesen, da die direkt direkt in der morphologischen Analyse angegebene Grundbedeutung teilweise leicht daneben trifft. Auch bei der grammatikalischen Bestimmung muss man etwas vorsichtig sein bzw. in der ebenfalls bei der Perseus Digital Library verfügbaren Grammatik nachschlagen. Das Problem ist, dass auch gleich benannte grammatische Formen z.T. anders als im Deutschen verwendet werden. Z.B. steht Agamemnon in Vers 185 eigentlich im Genitiv, was nach §1353 der Grammatik auch zu erwarten ist. (Natürlich habe ich nichts erwartet; ich bin erst auf das Problem gestoßen und habe dann die Genitivverwendungen nachgeschlagen.) Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass ich Fehler gemacht habe. Trotzdem glaube ich, dass meine in Kursivschrift angegebenen Einzelwortübersetzungen jedenfalls den Sinn widergeben und die Bestimmung der handelnden Subjekte erlauben. Zusätzlich gebe ich noch in Normalschrift einen "verstehbaren" Übersetzungsvorschlag an.

IL.2.182 hôs phath’, ho de xuneêke theas opa phônêsasês,
IL.2.182 So spricht, er aber hörte/empfand/erkannte der-Göttin Stimme sprechend,
IL.2.182 So sprach sie und er (Odysseus) erkannte die Stimme der Göttin.
IL.2.183 de theein, apo de chlainan bale: tên d’ ekomisse
IL.2.183 anfing aber rennen, von-weg aber den-Mantel warf den aber aufhob/auffing/sicher-mittnahm/"befürsorgte"
IL.2.183 Da fing er an zu rennen und warf seinen Mantel weg.
IL.2.184 kêrux Eurubatês Ithakêsios hos hoi opêdei:
IL 2.184 der-Herold Eurybates ithakisch der ihm gefolgt-war
Il.2.184 Dieser wurde von Eurybates, dem Herold von Ithaka aufgehoben (oder aufgefangen), der ihm gefolgt war.
IL.2.185 autos d' Atreïdeô Agamemnonos antios elthôn
IL.2.185 Er-selbst aber des-Atreus Agamemmnon entgegen kam
IL.2.185 Er(Odysseus) lief zu Agamemmnon, dem Sohn des Atreus,
IL.2.186 dexato hoi skêptron patrôïon aphthiton aiei:
Nahm-ab ihm das-Zepter väterlich/erblich unszerstörbar/unsterblich ewig
IL.2.186 und nahm ihm das auf ewig unzerstörbare Zepter seiner Väter ab.
IL.2.187 sun tôi ebê kata nêas Achaiôn chalkochitônôn.
Mit diesem ging-er runter-zu/entgegen den-Schiffen der-Achaier bronzegepanzerten
IL.2.187 Damit ging er zu den Schiffen der bronzerüstungstragenden Achaier.

Obwohl die Stichprobe eigentlich zu klein ist, merke ich mir für die Zukunft, dass die im Chicago Homer verwendete englische Übersetzung von Richmond Lattimore praktisch wörtlich ist. Als deutsche Übersetzung ist dagegen die mehr poetische Uraltübersetzung von Johann Heinrich Voß verwendet. Sie ist vielleicht schöner aber offenbar weiter vom Original entfernt.

Der Sinn der Übung ist folgender:
Athene spricht. Odysseus hört oder erkennt Athenes Stimme, fängt an zu rennen und wirft den Mantel weg. Eurybates hebt (oder fängt) den Mantel auf. Odysseus kommt Agamemmnon entgegen und nimmt ihm das Zepter ab. Odysseus geht zu den Schiffen. Das sind allein in diesen fünf Versen acht Handlungen von Subjekten. (Oder sieben falls "erkennen" nicht als Handlung zählt.) Allerdings wird Athenes sprechende Stimme einmal als Objekt verwendet und es gibt anscheinend ein einheitliches Verb für eine-bronzene-Rüstung-tragen. Trotzdem handeln eindeutig (auch) als Einheit vorgestellte Subjekte. Bestimmt werden an anderen Stellen auch Körperteile als Subjekte vorgestellt. Das würde ich am ehesten damit erklären, dass es besser in das Versmaß passt. Die Behauptung, die Vorstellung eines Individuums sei nicht vorhanden gewesen, verträgt dagegen keine Gegenbeispiele. Weiterhin kann man auch an anderen Stellen in der Übersetzung sehen, dass die handelnden Personenm nicht nur rudimentär sondern ganz "normal" benannt sind. Außerdem werden massenhaft Personalpronomen verwendet.

Auch inhaltlich geht es ständig um Personen und ihre Reibereien, wie ein Blick in eine Inhalsabgabe zeigt. Die Personen werden auch nach ihren früheren Handlungen beurteilt und behandelt. Das ergibt nur Sinn, wenn man von einer Kontinuität der Person ausgeht. Auch gibt es eindeutig Rituale zur Behandlung der Toten.

Das einheitliche Wort für eine-bronzene-Rüstung-tragen könnte evtl. darauf hindeuten, dass Mensch und Kleidung als Einheit angesehen werden. Odysseus kann aber den Mantel wegwerfen und der Gleiche bleiben.

Es ist möglich, dass kein Wort für Wahrheit vorkommt. Aber das Wort eteos (wahr, echt, real) kommt in der Ilias 12 mal vor und setzt das gleiche Konzept voraus.

Weiter führen Sie aus:
"
Auch Ergebnise der Kunstforschung lassen mich zu dem Schluss kommen,
dass in der (schriftlosen) Vorarchaik (protogeometrische und
geometrische Phase) keine Vorstelleung eines menschlichen Subjekts
weitverbreitet war: im Unterschiet zur (schreibenenden) mykenischen
Zeit gibt es kein einziges Bildniss eines Individuums (nicht einmal
andeutungsweise) und das in einer Zeit als einzig Bilder als
dauerhafter Informationsträger verwendet wurden; Menschen bestehen
aus Einzelteilen die gleich Modeulen aneinandergesetzt wirken, wobei
zwischen Armen, waffen, Kutschen, köpfen, Augen nicht grundsätzlich
unterscheiden wird.
"

Auch in dieser Frage bin ich nicht sonderlich gebildet. Ich habe aber unter anderem eine Sammlung von Bildern (proto-)geometrischer Gegenstände gefunden. Sonstige im Netz auffindbare Bilder sehen ähnlich aus. Die schriftlichen Beschreibungen, die ich gefunden habe, beschreiben die Kunst dieser Zeit durchgängig als vergleichsweise abstrakt und eben geometrisch. So weit ich es überblicke scheint es nicht nur keine Bilder von Individuen sondern überhaupt keine realistischen Bilder aus dieser Zeit und Gegend zu geben. Man muss auch den kulturellen Hintergrund bedenken: Die Fähigkeit zu Schreiben war verloren gegangen, die vorher zentralen Kulturstätten waren Verlassen und Fernhandel fand nicht mehr statt; zusammengefasst: Die Zivilation war weitgehend zusammengebrochen. Das legt aus meiner Sicht eine viel einfachere Erklärung nahe: Wenn ich versuche Menschen zu malen sieht das ganz ähnlich aus. Das liegt aber nicht an einem mangelnden Personenkonzept sondern einfach an mangelnder künstlerischer Fähigkeit. Realistische bildende Kunst (und insbesondere realistische Personendarstellungen) sind extrem komplizierte Kulturtechniken. Sie wurden über Jahrhunderte entwickelt und können wie die Schrift auch wieder verloren gehen. Ich nehme an, dass es so gewesen ist. Aber auch wenn ich mich darin irre kann man aus mangenden Individuendarstellungen nicht auf ein mangelndes Personenkonzept schließen. Mit der gleichen Berechtigung könnte man ja auch schließen, dass die Menschen der Vorarchaik menschliche Oberkörper für dreieckig hielten...

Sie bringen noch ein drittes Argument:
"
Nennen sie mir eine Person der Vorarchaik außer den
legendenumwobenen Homer und Hesiod (der das Ende dieser Epoche
markiert und einen eindeutigen Wendepunkt darstellt)? (Bitte denken
Sie nicht, dass dies an Überlieferungsschwierigkeiten liegt -
immerhin kennen wir auch Namen wie Sargon (Akkad), Cheops (Ägypten),
Haamurabi (Babylon) etc.
"

Das sind allerdings alles Herrscher von einheitlichen Reichen, die über Schriftsysteme verfügten. Im vorarchaischen Griechenland gab es dagegen weder ein einheitliches Reich noch die Schrift. Man muss damit leben, dass die bekannte Geschichte in nicht wesentlich länger zurückreicht als bis zur Erfindung der Schrift. Das beweist nichts.

Es kann durchaus sein, dass man Individuen in der Vorarchaik nicht besonders wichtig fand. Es gibt ja auch (leider) noch heute Kulturen, in denen man Individuen nicht besonders wichtig findet. Aber ich sehe keinen Anhaltspunkt für die Behauptung, dass sich die Individuen des vorarchaischen Griechenlandes oder sonst einer Kultur nicht als Individuen verstanden hätten.

Als Beleg für die gegenteilige Behauptung hatte ich darauf verwiesen, dass Landwirtschaft Planung erfordert. Darauf erwiederten Sie:

"
das betreiben auch Ameisen - halten Sie
die für individuelle Subjekte?
"

Nein. Aber Ameisen entscheiden nichts. So weit sie "Landwirtschaft" treiben ist das ihnen genetisch einprogrammiert. Menschen können dagegen Landwirtschaft treiben oder eben nicht. Bei der Landwirtschaft arbeitet man für einen späteren erfolg; z.B. säht man einige Monate bevor man ernten kann. Das ergibt aber nur Sinn, wenn man erwartet zum erfolgszeitpunkt noch zu existieren. Ein Mensch der Landwirtschaft treibt versteht sich also als zumindestens über einige Monate kontinuierliches Subjekt.

Ich halte daher an der Behauptung fest, dass erwachsene Menschen (abgesehen von im wahrsten Sinne des Wortes pathologischen Fällen) unfähig sind sich nicht als kontinuierliche Subjekte zu verstehen. Das schließt die Behauptung ein, dass sie sich immer und überall als kontinuierliche Subjekte verstanden haben.

Bei den Symbolen bin ich mir immernoch nicht sicher Sie verstanden zu haben. Ich antworte daher in diesem Punkt gewissermaßen nur unter Vorbehalt.

Mir ist aufgefallen, dass sie von den Symbolen nur im Plural sprechen. Das liegt auch in der Natur der ganzen Sprechweise. Denn ein einzelnes Symbol zu identifizieren wäre ja geistige Tätigkeit und der sollen die Symbole ja unzugänglich sein. Nun sagen Sie die Symbole werden durch "Aktion" "generiert". Und die "Aktion" hat dann "Urheber" die nicht gedacht werden können.

Ich behaupte diese angebliche Unmöglichkeit des Denkens ist eigentlich bloß ein geschickt getarntes Verbot. Jede Form von Relativismus ist in sich widersprüchlich, denn Relativismus beansprucht objektive Wahrheit für die Behauptung, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Moderne Varianten "lösen" dieses Problem, indem die darauf führenden Gedanken einfach verboten werden. Besondes ausdrücklich sieht man das in Schriften von Rorty: Sie wimmeln von Formulierungen der Art: Man könnte jetzt denken, dass [hier kommt der innere Widerspruch], aber man sollte lieber ... Man braucht sich mit derartigen Methoden nicht einmal Relativist nennen, denn der Gedanke "Methode X ist relativistisch" kann ja auch verboten werden. Als ganz besonders freier Denker hat man natürlich keine Denkverbote nicht, deswegen sagt man statt "Gedanke X ist verboten" auch gerne "Gedanke X ist metaphysisch". Und der Gedanke, dass das ein Denkverbot ist wird eben verboten. Ein großer Teil der modernen Philosophie beschäftigt sich damit euphemistische Formulierungen für die jeweils gewünschten Denkverbote zu erfinden.

Im konkreten Fall sind als Euphemismen für "verboten" die Formulierung "hinter den Symbolen" und "(als Symbole) nicht analysierbar" gewählt. Betrachten wir dazu einige Beispiele:

Frage: Wer kategorisiert, nimmt wahr u.s.w. Antwort: Diese Frage versucht über die Symbole nachzudenken, was ja unmöglich, d.h. verboten ist.Frage: Existieren die Symbole überhaupt? Antwort: dto. Und dann kann man sowohl "Existenz" als erst aus den Symbolen konstruiert ansehen, als auch die Existenz der Symbole im Weiteren voraussetzen. Frage: Die Symbole werden durch "Aktion" generiert. Wieso soll ich an die Wechselwirkung mit der Welt (Aktion) glauben aber weder an das wechselwirkende Individuum noch an die Welt? Antwort:Aber nein, das ist kein Glaube, die anderen Positionen liegen nur hinter den Symbolen. Frage: Beansprucht das nicht objektive Realität für die Nichtexistenz objektiver Realität. Antwort: Objektive Realität liegt hinter den Symbolen, d.h. die ganze Frage ist verboten (und muss daher nicht mit einem ehrlichen "Ja" beantwortet werden).

Allen Systemen dieser Art ist eine gewisse Ironie eigen: Man kann sie nur verstehen, wenn man die Gedanken kennt, die sie undenkbar zu machen versuchen.

Zum Selbstmord: Den eigenen Tod hatte ich nur als drastisches Beispiel für etwas verwendet, was die meisten Menschen nicht herbeiführen möchten. Der Punkt ist, dass die Naturgesetze eben nicht konventionalisierbar sind. Es geht mir nicht darum, dass Relativisten auch nicht sterben wollen, sondern darum, dass Relativisten auch sterben wenn sie z.B. ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springen. Wenn die Verbindung zwischen aus dem Flugzeug springen und sterben nun reine konvention wäre, dann könnte doch wohl jemand diese Konvention verletzen. Das würde für viele Relativisten vermutlich eine Menge Lust generieren, da es ja die ontologisch-realistische Auffassung widerlegen würde. Der Punkt ist, dass kein Relativist diesen Beweis versucht. Im Grunde genommen weiß eben doch jeder, dass die Verbindung zwischen der tötlichen Handlung und dem Tod nicht Konvention sondern objektive Realität ist. Dieses Argument könnte ich durchaus auch gegenüber einem hinduistischen Selbstmordattentäter (bzw. potentiellen Selbsmordattentäter, denn nach dem Attentat ist er ja tot.) bringen. Er begeht das Attentat ja gerade um zu töten, ist sich also durchaus der Verbindung zwischen Attentat und Tod bewusst. Wenn er die Welt wirklich für Schein hielte würde er sich nicht mit weltlichen Kriegen abgeben. Ein nicht mordender Hindu(was viel häufiger ist) wäre schon ein schwierigerer Fall. Was ich ihm sagen würde käme auf den Einzelfall an, denn es glauben nicht alle Hindus das Gleiche. Wenn er glaubt, dass die Welt für alle der gleiche Schein ist, dann würde das Selbstmordargument tatsächlich nichts bringen. Das liegt aber nicht an der Schwäche des Argumentes sondern einfach daran, dass es etwas Anderes als das von ihm Geleugnete beweist. Gegen andere Irrtümer müsste man auch andere Argumente bringen. Na und?

Zu den Beweisen: Wenn es keine Vernunft gibt, dann kann man auch nichts beweisen. Es ist also folgerichtig meine Beweisdefinition abzulehnen. Folgerichtigkeit reicht aber nicht und die Prämisse ist eben falsch.
Weiter sagen Sie über Beweise:
"
Hypothesen lassen sich nicht induktiv beweisen (schon Carnap ist
daran gecheiter), deduktiv lassen sie sich nicht mal falsifizieren
"
Damit beziehen Sie sich offenbar nicht auf ihr eigenes Beweisverständnis. Zur Erinnerung: Sie sagten:
"
Beweise sind überzeugungsfähige Argumente, die aus Konventionsgründen nicht mehr widerlegbar sind.
"
oder noch deutlicher:
"
Ein Beweis ist also das erfolgreiche Überzeugen des entscheidungsbefugten Betrachters.
"

Ich bin schon induktiv von Hypothesen überzeugt worden, z.B von der, dass losgelassene Gegenstände immer nach unten und nie nach oben fallen. Ebenso kann man die Gegenhypothese betrachten und das Beispiel deduktiv sehen: Eben habe ich etwas nach unten fallen sehen. Das überzeugt mich davon, dass die Gegenstände nicht immer nach oben fallen. Bei Ihrer Beweisdefinition können Hypothesen also sowohl deduktiv als auch induktiv bewiesen und widerlegt werden, denn es ist offensichtlich, dass viele Menschen erfolgreich so überzeugt werden. Bei meiner Beweisdefinition kommt es darauf an, welche Zweifel noch vernünftig sind. Darüber kann man ausführlich streiten. Ich halte auch in diesem Sinne deduktive und induktive Beweise für möglich, denn ich würde es für unvernünftig halten etwas fallen zu lassen und zu erwarten, dass es nach oben fällt.

Sie behaupten:
"
Über Glaubensfrage: wer seinem Glauben auch nur für sich selbst
Wahrheit zuspricht ist selektiv-dogmatisch (kann auch sehr schön
sein, aber leidenschaftlicher Dogmatismus ist viel attraktiver für
mich Nicht-dogmatiker); d.h. er hält sich in gewisser Hinsicht für
besser, für auserwählt, für einsichtiger und hat dann nicht den
Anstand dieses Gefühl auszusprechen; er versteckt sich hinter
Konventionen, die er selber für unrichtig hält und begeht
Duckmäuserei und gegen sich selbst gerichtete Diszplin - er
institutioalisiert eine Psychose, die sich nährt aus der
Unausgegelichenhet zwischen Glauben, Anspruch und Verhalten.
"

In den grundlegenden Fragen schreibt jeder seinem Glauben objektive Wahrheit zu. Der Unterschied liegt nich darin ob man glaubt, sondern darin ob man es zugibt. Jemand "der seinem Glauben keine Wahrhei zuspricht" glaubt nicht weniger sondern mehr. Er glaubt nämlich zusätzlich, dass es keine objektive Wahrheit gibt und meistens auch ein Denkverbot mit dem er vermeidet den Widerspruch zu sehen.

"
Das Gewissen (diese
scheußliche Notwendigkeit, die die verschwunden Werkeethik ersetzte)
wird bekanntlich von außen erschaffen (soviel Psychoanalyse kann
jeder um zu sehen dass dies nur ein chwacher Ersatz für Rituale wie
die Beichte oder ähnliche Reinigungsriten ist) und unterliegt damit
einer sozialen Konvention über hässlich und schön und nicht der
eigenen.
"
Die Psychoanalyse ist eine vorwissenschaftliche Theorie. Sie ist heute nur noch historisch und literarisch interessant. Das das Gewissen von außen erschaffen würde ist eine Behauptung die durch ein "bekanntlich" auch nicht wahrer wird. Es kommt auch öfter mal vor, dass sich jemand aus Gewissensgründen gegen die herrschende Meinung auflehnt.

"
Die Moral
hingegen ist die Umdeutung von Zusammenhängen zum Wohle des eigenen
Schlafs. Der Hirte hütet seine Schafe nicht aus Mitleid und Fürsorge,
sondern aus Profitinteresse. Wir schlagen keine kinder, weil wir als
Greise nicht geschlagen werden wollen. Wir lieben Menschen, weil sie
zu hassen sie fürchtenswert macht. Und wir finden Wohlstand schön,
wir finden Sicherheit angenehm, wir empfinden Liebe als bequemsten
Schutz - und das alles finde ich auch schön so.
"

Und was hindert die Greise daran Kinder zu schlagen? Oder krasser: Wenn wir heute die Rentenversicherung abschaffen und die Alten verhungern lassen, dann können die Jungen die Beiträge für das Alter aufsparen (und müssen im Alter also nicht hungern). Sollte die junge Mehrheit nicht so handeln? Nein, sollte sie nicht. Weil das unmoralisch wäre und zwar auch wenn sich alle außer den hungernden Alten darüber einig wären.


Ich finde in diesem zusammenhang aber eine Ihrer späteren Äußerungen interessant:

"
Genozid ist hässlich - Brutalität ist grunsätzlich unästhetisch für
mich. Es ist nicht die Empathie mit den Opfern (zu solch einer
hHuchelei würde ich mich nie aufschwingen, da ich deren Schmerz
niemals nachempfinden kann), es ist auch nicht mein Gewissen (dass
durch Indoktrination ja erst die Mitursache für Genozid werden kann),
es ist auch nicht ein abstrakter Wert die mich so etwas widerliches
ablehnen lässt. Nein, ich fühle zum kotzen bei solchen Ereignissen,
ich fühle mich einfach Scheiße wenn so etwas passiert. Und mir ist es
egal was andere dabei fühlen - ich lehne es ab, weil es mir einfach
nicht gefällt und mich übel fühlen lässt.
"

Und warum ist das unästhetisch? Sie selbst haben doch keinen Schaden davon und wenn Sie nicht möchten müssen Sie es nicht einmal wissen. Verbirgt sich da vielleicht doch ein Gewissen?

Der entscheidende Punkt ist aber ganz einfach: So etwas ist immer unmoralisch, und wäre auch unmoralisch, wenn es mir gefiele.

Über Individuen, Staaten und Rechte:
Die Frage sollte nicht lauten, welche Rechte des Individuums denen des Staates vorgehen sondern welche nicht. Und dann ist die Antwort: Dem Staat stehen nur die Rechte zu, die er zwingend benötigt um die Rechte der Beherrschten durchzusetzen.

Dazu sagen Sie:
"
Der Staat besitzt das
Gewaltmonopol, meine Rechte hab ich nur wenn der Staat sie für mich
durchsetzt, weil ich sie selber gar nicht durchsetzten darf, Sie sind
mir also nur geliehen und ich durfte nicht mal mitentscheiden welche
mir geliehen wurden. man jemanden für unmündig erklären und ihn für
immer wegsperren ohne , dass er jemals ein Verbechen zuvor begangen
hat. Anscheinend nutzten diese geliehenen Rechte wenig.
"

Wenn der Staat es nicht tut darf ich meine Rechte selbst durchsetzen. Ob ich es tatsächlich kann ist eine andere Frage. Aber es gibt (unabhängig vom Erfolg) Regierungen gegen die eine (auch gewaltsame) Revolution moralisch ist und Regierungen bei denen das nicht so ist.Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die BR-Deutschland gehört bei aller unvollkommenheit klar in die zweite Kategorie.

Demokratie ist ein Teil und nicht der Grund der Grundrechte.

Mit einer Tyrannei meine ich Herrschaft unter krasser Missachtung der Rechte der Beherrschten. Auf die genaue Form kommt es dabei nicht an.

Es ist wahr, dass es nie einen perfekten Rechtsstaat gegeben hat. Es gibt aber doch mehr oder weniger Rechtsstaat und mehr ist besser als weniger. Die Unerreichbarkeit von Perfektion ist ein Scheinargument, das man gegen alles gute vorbringen kann. Wo hat es z.B. jemals eine perfekte Isonomie gegeben?

Eine Volksherrschaft ohne Rechtsstaatlichkeit halte ich einfach nicht für großartig. Und wenn die Sophisten in Griechenland dazu beigetragen haben, dann werden sie mir dadurch nicht sympatischer.

Zu den Sophisten:
Ich verstehe unter Sophismus die Position der Leute, gegen die Sokrates in den platonschen Dialogen argumentiert. Es kann sein, dass Platon und Aristoteles den Sophisten unrecht getan haben. Das kann mir heute egal sein. Mich interessieren weniger die "historischen Sophisten" als die "Sophisten der Dialoge". Es geht mir um die Inhalte und nicht um die Namen ihrer Vertreter. Vielleicht habe ich also falsche Vorurteile über die Sophisten. Das ist mir gleich.

Für Anhänger der Naturrechtslehre habe ich die Sophisten allerdings nicht gehalten. Wenn ich mich dazu selbst zitieren darf:
"
dass die legitime Macht des Staates Grenzen hat. Dieser Gedanke stammt nicht aus dem antiken Griechenland und ganz sicher nicht aus dem Sophismus. Die frühen Vertreter dieses Gedankens gingen ganz im Gegenteil von einem überpositiven Naturrecht aus.
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Ich denke also ausdrücklich nicht, dass die Sophisten dem Naturrecht anhingen. Ich selbst glaube übrigens (anders als die Sophisten) an ein Naturrecht, hätte darin also keinen Vorwurf gesehen.

Es kann schon sein, dass die Sophisten durch billigen Unterricht die Isonomie gefördert haben. Das hätte dann aber wenig mit ihrem Denksystem zu tun. Die Philosphen einseitig der Aristokratie zuzuschlagen halte ich allerdings für falsch. Sokrates wird in den platonschen Dialogen z.B. als chronisch pleite dargestellt und scheint den ganzen Tag damit zu verbringen dberühmte Leute bloßzustellen. Diese Darstellung wird Platon auch nicht ganz erfunden habe, da er selbst schon wesentlich eher eine Rüstungskammer der Aristokraten war.

Die Behauptung
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Auch war ihr Denkssystem, das Ästhetik
anstelle von Moral und Tradition setzt, also erst ermöglicht das
Geschworenengerichte und Volksversammlungen durch Argumente
beeinflusst werden können
"
kommt mir dagegen merkwürdig vor. Mit Argumenten kann man einen ontologischen Realisten viel besser überzeugen. Einer relativistischen Versammlung kann man dagegen nur noch mit Schmeichelei kommen. Das fördert nicht die Demokratie hölt aber die Rechtsstaatlichkeit aus.

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Über Realtivismzus: ich bin Sophist nicht Relativist.
"

Da fällt mir ein Uraltwitz ein: Angeklagter: "Herr Richter, ich war nicht betrunken sondern nur angeheitert." Richter:"Gut, dann verurteile ich Sie nicht zu einer Woche sondern nur zu sieben Tagen." Was ich damit sagen will: Sophismus ist relativistisch. Wer einer relativistischen Philosophie anhängt ist Relativist. Zusätzliche Überzeugungen ändern daran nichts. "Ich bin Sophist nicht Relativist" klingt für mich ein Bischen wie "Das ist ein Mercedes kein Auto".

"
China mag argumentieren wie es will, gegenüber seiner Bevölkerung ist
es eben nicht relativistisch sondern dogmatisch und repressiv - dies
macht die ganze Argumention Chinas unstimmig und somit hässlich uns
somit unglaubwürdig. nebenbei: gerade China (oder besser: das
entscheidungsbefugte Personal in China) ist momentan dermaßen weit
weg von jeden Relativismus, dass Ihre bemerkungen nicht gewissen
Humors entbehrt.
"

Ich behaupte auch nicht, dass jeder Relativist die Position der chinesischen Führung gut findet. Aber der Punkt ist, dass man mit Relativismus für oder gegen alles argumentieren kann. Darum kann das Eintreten eines Relativisten für Demokratie nicht dem Relativismus angerechnet werden.

Wenn Ästhetik entscheiden und Moral eine Illusion ist - und das ist für einen Relativisten die konsequente Position - dann gibt es keinen Grund auf fremde Ästhetik zu hören.
Was Ihnen hässlich vorkommt findet ein KPC-Funktionär sicher ausgesprochen ästhetisch. Die chinesische Führung maximiert erfolgreih das eigene Wohlbefinden. Ein Relativist hat keinen inneren Grund das Leiden eines andern zu beachten. Isonomie sollte ihm (nur) dann gut erscheinen, wenn er sonst unterdurchschnittlich gut behandelt würde. Relativistisch und aus ihrer eigenen Sicht gesehen handelt die chinesische Führung richtig. Aber in Wahrheit ist ihr Verhalten eben doch objektiv unmoralisch.

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