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Losen

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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 12:43 Uhr:   

Frage:
Kann bzw. könnte oder soll Losen (wie im antiken,"demokratischen" Athen) als Ergänzung zum bestehenden Wahl- und Repräsentationssystem eingeführt werden (z.B.eine aus der Bevölkerung geloste Versammlung,in der mit einer 2/3 Mehrheit Volksentschiede auf Bundesebene (analog Europa, Land und Kommune) zu initiiertwerden können und die mit2/3 Mehrheit ein absolutes oder aufschiebendes Veto gegen Bundestagsentscheidungen einlegen könnte)?
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 14:48 Uhr:   

Grundsätzlich halte ich das für eine interessante Denkrichtung.
Es ist ja schon schwierig, in einem großen Land eine Demokratie zu organisieren, ohne daß es zu Qualitätsverlusten kommt.
Denn bei über 50 Millionen gleichberechtigten Wahlberechtigten ist der Einfluß einer einzelnen Stimme so mikroskopisch gering, daß sehr viele Bürger sich nicht mehr die Mühe machen, sich ordentlich zu informieren.
Also werden viele Wahlen durch oberflächliche Slogans und Medienkampagnen entschieden.

Bei einer repräsentativ ausgelosten Wahlversammlung würden sich die Mitglieder wahrscheinlich viel mehr Zeit und Mühe mit Information und Meinungsbildung geben, weil sie wirklich etwas beeinflussen können.

Allerdings müßte eine solche Versammlung groß genug sein, um zu grobe Zufallsschwankungen auszugleichen.
Unter 10 000 Leute würde ich da auf Bundesebene nicht gehen.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 14:57 Uhr:   

@ Ralf
Es freutmich, dass ihnen der Gedanke gefällt.
Wegen der Menge der Leute würde ich mir aber keine Sorge machen.
Es hängt eher von der Verweildauer der Gelosten und der Anzahl der zu losenden Institutionen ab. Eine Verweildauer von einem Jahr bei sukzessiver Nachlosung (also nicht alle immer auf einmal losen, sondern über das Jahr gleichmäßig verteilt),Einführung von "Loskammern" auf kommunaler, Landes-,Bundes- und Europaebene(dementsprechend viele Leute samt ihres beratenden Umfelds könnten auf wenigsten einer Ebene Aktiv in das politische Geschehen eingreifen) und eine Größe im Verhältniss 2/1 gegenüber der dementsprechenden "Repräsentantenkammer" könnten die Zahlder Gelosten jederzeit überschaubar halten und doch eine Vielzahl vonLeuten demokratisch partizipieren lassen.
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Juwie
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 15:06 Uhr:   

Für Entscheidungsvorbereitung ist das durchaus ein bereits erprobtes Verfahren. So läuft das zumindest bei "Planungszellen" und "Bürgergutachten", wo zufällig ausgewählte Bürger am Planungsprozess teilnehmen. Auch die Fahrgastbeiräte einiger Verkehrsverbünde werden zumindest zum Teil auf diese Weise bestellt.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 15:13 Uhr:   

Eine Frage, die sich bei solchen Losverfahren immer stellt, ist die Folge der Nicht-Annahme eines Losamtes. Nur wenn das mit spürbaren Konsequenzen verbunden wird, dürfte eine stärkere Politisierung der Bevölkerung wirklich erreichbar sein. Konsequenz müsste dann eine nachfolgende Wahlrechtseinschränkung oder Vergleichbares sein, finanzielle Sanktionen jedenfalls wären weniger geeignet.
Notwendig wäre das schon, denn die Bereitschaft zur Teilnahme an einem solchen Gremium sollte man auch nicht überschätzen - da muss man sich nur im näheren Bekanntenkreis umschauen, wie behende manchmal ein unzumutbarer Aufwand konstruiert wird.

Grundsätzlich finde ich die Idee, so die Partizipation des Einzelnen zu erhöhen, auch sehr verlockend. Da sich der Vergleich mit manchen Verfassungen griechischer Poleis aufdrängt, möchte ich aber zugleich vorbeugend darauf hinweisen, dass dieser hinkt, weil durch die Einschränkungen im Bürgerrecht der in Frage kommende Personenkreis von vornherein stark eingeschränkt war.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 15:29 Uhr:   

@Mörsberg
Ich denke, dass die Ausweitung des Bürgerrechts das Losprinzip einschränkt. Es müssen ja nicht alle Bürger im Laufe ihres Lebens einmal gelost werden, doch unbestreitbar kommen wesentlich größere Personenkreise und vielmehr Leute in die Möglichkeit des Mitentscheidens. Eine einfache stochastische Wahrheit ist ja, desto größer die Anzahl Fallüberprüfungen( in unserem falle Partizipierensde Bürger) umso exakter das Ergebnis.
Was die Ablehnung eines Losamtes angeht, gibt es nicht nur Wege der Sanktionsandrohung um dies zu verhindern. Ein besserer,längerer und sachlich neutralerer Politik- bzw. Sozialkundeunterricht an Schulen und eine der Aufgabe gemäße Entlohnung des Amtes könnten durchaus für ein breiteres Engagement in der Öffentlichkeit sorgen.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 15:31 Uhr:   

@Mörsberg
Ich meinte:...,dass die Ausweitung des Bürgerrechts das Losprinzip nicht einschränkt.
Verzeihung.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 16:05 Uhr:   

@Mörsberg:
> Eine Frage, die sich bei solchen Losverfahren immer stellt, ist die
> Folge der Nicht-Annahme eines Losamtes.
Das ist in der Tat ein Knackpunkt.
Es wäre dann ja nicht nur so, daß man nur ein paar bisher politisch nicht so aktive ranziehen würde.
Sondern ab einer gewissen Größenordnung wären dann z. B. eine ganze Reihe sehr alter Leute dabei, zum Teil pflegebedürftig und nicht gut transportfähig.
Diese Gruppe kann derzeit per Briefwahl noch fast vollwertig teilnehmen - aber würde dann vielleicht nicht mehr mitmachen können.

Ansonsten halte ich die Belastung für zumutbar.
Es geht ja (so mein Verständnis) NICHT um die Ersetzung der hauptamtlichen Abgeordneten, sondern um deren qualifiziertere Wahl und die Möglichkeit von Volksentscheiden.

Mal nebenbei: So reizvoll ich die Idee finde und hier gerne diskutiere, ich halte sie für nicht durchsetzbar.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 17:51 Uhr:   

Vielleicht würde eine repräsentativ geloste Versammlung nach irgendeinem Maßstab besser entscheiden als das ganze Volk. Das ist aber vollkommen gleichgültig. Man könnte sicherlich noch informierte Entscheidungen bekommen wenn man das Wahlrecht z.B. auf Menschen mit Abitur beschränken würde. Beides ist aber vollkommen unmorilisch:
Wer Staatsmacht ausübt ohne diese zumindestens mittelbar auf auf Wahlen und Abstimmungen des ganzen Volkes zurückführen zu können ist ein Tyrann.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 18:01 Uhr:   

@gelegentlicher Besucher
Wie mittelbar müssen Wahlen sein, damit keine Tyrannen an der Macht sitzen (Sadam wurde immer wieder gewählt,Hitler auch, der Bundesrat legitimiert sich hingegen nur doppelt vermittel durch Wahl)?
Und warum ist eine sukzessiv geloste Versammlung unmoralisch und tyrannisch? Es sei denn Wahlen haben irgendeinen sakralen Charakter.
Auflösen kann die Bevölkerung den gewählten Bundestag ja auch nicht ( Tyrannenalarm ;-) ).
Es geht primär auch nicht um die Entscheidungsqualität der Bevölkerung (welche erst nach einiger Zeit wegen angewandter Praxis steigen könnte) sondern um demokratische Legitimation.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Montag, 13. September 2004 - 21:34 Uhr:   

Ich sehe beim Losverfahren den Mehrwert nicht. Einmal gibt es Blockademöglichkeiten in unserem politischen System faktisch schon mehr als reichlich, zum anderen glaube ich nicht, daß man so "Volkes Stimme" institutionalisieren könnte. Jedes politische Amt verändert nunmal die Sicht auf die Probleme und zudem würden sich auch in so einer Versammlung Fraktionen bilden, Machtkämpfe würden auch da nicht ausbleiben. ZUdem gehören zum Volk auch jede Menge Dummköpfe, die das ganze diskreditieren könnte. So Typen swie in Nachmittagstalkshows bilden zwar Gott sei Dank nur eine Minderheit, aber wenige sind es auch nicht gerade.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 00:03 Uhr:   

Ralf:
> Denn bei über 50 Millionen gleichberechtigten Wahlberechtigten ist der
> Einfluß einer einzelnen Stimme so mikroskopisch gering, daß sehr viele
> Bürger sich nicht mehr die Mühe machen, sich ordentlich zu informieren.

Dem steht allerdings gegenüber, dass er sonst für die nicht Beteiligten null ist, wodurch sich die Bürger noch mehr vom Staat distanziert fühlen könnten.

Ein möglicher Anwendungsfall wären aber vielleicht Bürgerentscheide, wenn sie so stark ausgeweitet werden, dass sie von der Zahl und ihrer Komplexität her nicht mehr sinnvoll von allen Wahlberechtigten entschieden werden können. Der Raum zwischen richtigen Bürgerentscheiden und Bürgergutachten ist so groß, dass hier viel Platz für ein ausgelostes Bürgergremium wär. Allerdings dürfte die Abgrenzung der Kompetenzen schwierig sein.

Immanuel:
> Es sei denn Wahlen haben irgendeinen sakralen Charakter.

Den haben sie durchaus. Sonst wär es heute wirklich nicht mehr sinnvoll, mit enormen Kosten alle Bürger damit zu beschäftigen, anstatt eine vernünfig dimensionierte Stichprobe zu ziehen, die das mindestens genauso zuverlässig übernimmt.
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gelegenlicher Besucher
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 00:44 Uhr:   

@Immanuel Goldstein

"
Wie mittelbar müssen Wahlen sein, damit keine Tyrannen an der Macht sitzen
"

Zunächst mal hast Du da einen falschen Umkehrschluss gezogen. Ich sagte keine Wahl => Tyrann. Daraus kann man nicht auf Tyrann => keine Wahl schließen. Um das klar zu machen ein analoges Beispiel: Wer sich selbst über längere Zeit am Hals aufhängt, der stirbt. Daraus kann man nicht folgern, dass jeder der stirbt sich aufgehängt hat. In diesem Fall fehlt nicht nur die Folgerichtigkeit sondern das Konsequentz ist tatsächlich falsch. Unter einem Tyrannen verstehe ich einen Menschen der unter Verletzung von Grundrechten Staatsmacht ausübt. Die Teilhabe an der Staatsmacht des eigenen Volkes ist ein aber nicht das einzige Grundrecht.

Weiterhin wirst du bei genauerer Betrachtung feststellen, dass ich das Wort "mittelbar" als Einschränkung der Forderung ("zumindestens mittelbar"[Hervorhebung hinzugefügt]) der Forderung nach Gewähltheit und nicht als zusätzliche Forderung geschrieben habe.

"
(Sadam wurde immer wieder gewählt,Hitler auch, der Bundesrat legitimiert sich hingegen nur doppelt vermittel durch Wahl)?
"

Randnotiz zu Saddam Hussein: Nicht alles was irgend jemand eine Wahl nennt ist auch eine. Neinstimmen waren Selbstmord. Der entscheidende Punkt ist aber, dass Hitler&Hussein haupsächlich wegen ihrer Missachtung anderer Grundrechte wie z.B. dessen auf Leben Tyrannen waren.


"
Und warum ist eine sukzessiv geloste Versammlung unmoralisch und tyrannisch? Es sei denn Wahlen haben irgendeinen sakralen Charakter.
"

Weil die Teilhabe an der Staatsmacht des eigenen Volkes ein Grundrecht ist. Das ein anderer Mechanismus ähnliche Ergebnisse brächte ist vollkommen gleichgültig. In der tagespolitischen Praxis würde es ja auch keinen Unterschied machen wenn das Demonstrationsrecht nur jedem 10. (zufällig ausgewählten) Bürger zugestanden würde. Und eine öffentliche Debatte wäre viel übersichtlicher wenn nur jeder 10. ein Recht auf freie Meinungsäußerung hätte. Das alles wäre aber unmoralisch und tyranniscg weil die Chance auf ein Grundrecht nicht das gleiche ist wie das Grundrecht selbst.

Nutzenabwegungen haben vor Grundrechten immer, d.h. ohne Abwägung zurückzutreten. Das könnte man auch als sakralen Charakter der Gfrundrechte bezeichnen, schließlich sind Bezeichnungen willkürlich. Nützlich ist eine soche Bezeichnung allerdings nicht, weil man dann ja keine Bezeichnung mehr für Sachen frei hat die außer unverfügbar auch noch religiös sind.

"
Auflösen kann die Bevölkerung den gewählten Bundestag ja auch nicht ( Tyrannenalarm ;-) ).
"

Siehe ich verrate Dir ein großes Geheimnis: Der Bundestag ist alle 4 Jahre automatisch aufgelöst. Er legitimiert sich aus periodischen Wahlen, wobei die Periodenlänge klein gegen die durchschnittliche Lebensdauer eines Menschen ist. Darum kann er, genau wie es sein muss, seine Macht stets auf eine Wahl stützen. Das zwischen den Wahlen Zeit vergeht ist natürlich aus praktischen Gründen notwendig. Was das mit einem nicht auf Wahlenzurückführbaren Staatsorgan zu tun haben soll ist mir unklar.

"
Es geht primär auch nicht um die Entscheidungsqualität der Bevölkerung (welche erst nach einiger Zeit wegen angewandter Praxis steigen könnte) sondern um demokratische Legitimation.
"

Eben. Und demokratische Legitimation ist bloß komliziertisch für Wahlen und Abstimmungen.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 01:45 Uhr:   

gelegenlicher Besucher:
> weil man dann ja keine Bezeichnung mehr für Sachen frei hat
> die außer unverfügbar auch noch religiös sind.

Wenn was unverfügbar ist, ist es für mich allerdings automatisch auch religiös. Wobei sakrale Handlungen durchaus verfügbar sein können.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 10:20 Uhr:   

@gelegentlicher Besucher
"Und demokratische Legitimation ist bloß komlp(?)iziertisch für Wahlen und Abstimmungen": Nein.
Wahlen sind meist ein Zeichen von Mehrheitsentscheidungen, was nicht unbedigngt ein Zeichen von Demokratie ist.
Demokratie kann auch Abstimmungen und Wahlen beinhalten (Abstimmungen gibt es auch in relativ kleinen personellen Einheiten; siehe Aristokratien, Oligarchien...; Wahlen hängen von Wahlverfahren ab; siehe DDR, Preußen), muss sie aber nicht (andere Möglichkeiten sind Rotation, Losen, die einmalige Entscheidung ob ein neubeschlossenes Gesetz auf einen selbst zutrifft oder nicht, Konsensdemokratie,...).
Weiterer Punkt: das Demonstrationsrecht ist bereits eingeschränkt; zwar darf nicht nur jeder 10. demonstrieren, aber eine Demonstration muss (meist) erst angemeldet (und genehmigt) werden.
"Der Bundestag ist alle 4 jahre automatisch aufgelöst". Na und? Schließlich geht alles mal vorbei (nebenbei bis jetzt wurde nur in Folge einer einzigen Bundestagswahl - 1998 - eine Regierung neu gewählt). Periodität hatten auch die Wahlen in der DDR. Weiterhin hat die Bevölkerung kein aktives Abwahlrecht des Bundestags, keine Rederecht vorm Bundestag, kein Vetorecht gegen Entscheidungen des Bundestags.
Etwa 10-18 mal im Leben hat man die Möglichkeit an Bundestagswahlen teilzunehmen (wobei es passieren kann, dass die eigene Stimme der gewählten Partei schaden kann). Bringt bloß nicht viel, da man mehr Einfluß hat, wenn man sich -unabhängig von Staatsangehörigkat -innerhalb einer Partei engagiert (weis ich aus eigener Erfahrung im Ausland). Außerdem entscheidet die Bevölkerung nicht bzw. wenig über die Zusammensetzung des Bundestags (das geschieht durch interne,delegierte Abstimmungen der Parteien).
Außerdem würden dies Loskammern additiv und nicht ersetzend gegenüber den Bestehenden Kammer eingestzt werden. Man kann also nichts an bereits bestehender Demokratie verlieren.

@cO7
Da Wahlen einen sakralen Charakter für sie haben, muss ich das respektieren. Ich mische mich nicht in die Religiösität anderer ein.
Doch in Wahlen etwas sakrales zu sehen scheint mir besser als in Reliquien und Sakramenten.

@Thomas Frings
Der Einfluß von Unfähigen kommt auch in gewählten Parlamenten vor.
Auch Dummen sollten alle politischen Möglichkeiten offengehalten werden. Außerdem glaubeich ist der Einfluß von TV, Bildzeitung und co.
auf gewählte Abgeordnete (die sich nach Wiederwahl sehnen) höher.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 11:23 Uhr:   

@gelegentlicher Besucher
Nachtrag
Sie schreiben:
"Weil die Teilhabe an der Staatsmacht des eigenen Volkes ein Grundrecht ist. Das ein anderer Mechanismus ähnliche Ergebnisse brächte ist vollkommen gleichgültig. In der tagespolitischen Praxis würde es ja auch keinen Unterschied machen wenn das Demonstrationsrecht nur jedem 10. (zufällig ausgewählten) Bürger zugestanden würde. Und eine öffentliche Debatte wäre viel übersichtlicher wenn nur jeder 10. ein Recht auf freie Meinungsäußerung hätte. Das alles wäre aber unmoralisch und tyranniscg weil die Chance auf ein Grundrecht nicht das gleiche ist wie das Grundrecht selbst.
Die Teilhabe an der Staatsmacht des eigenen Volkes wird durch das vorgeschlagene (übrigens ein widerrufbares, nur Staatsbürgern zustehendes Staatsbürgerrecht,kein Grundrecht), ergänzende Loskammerverfahren nicht berürht.
Da 1. weiterhin Wahlen zur gesetzgebenden Kammer (z.B. Bundestag)
stattfinden; 2. aus dieser die Regierung ihre Legitimation zieht; 3.Die Loskammer mit z.B. 2/3 Mehrheit Plebiszite initiieren könnte, diese jedoch dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden müssen.
4.Die Loskammer würde eine vom Volk ausgehende und die bestehenden Institionen durch gemäßitge Kontrollfunktionen (2/3 Mehrheit zur Einlegung eines z.B. einschiebenden Veto gegen Bundestagsbeschlüsse)
der Bevölkerung transparenter machen.
Die Loskammern würden das "Grundrecht auf Teilhabe an der Staatsmacht" ergänzen durch ein "Grundrecht auf die Chance tiefer in politische Entscheidungen involviert zu sein und mehr Verantwortung tragen".
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 13:54 Uhr:   

@Immanuel Goldstein


>Wahlen sind meist ein Zeichen von Mehrheitsentscheidungen, was nicht
>unbedigngt ein Zeichen von Demokratie ist.


Ob ich dem zustimmen kann, hängt davon ab was mit Demokratie gemeint ist. Man kann sich einfach an das Wort halten und sagen (Def I)Demokratie=Volksherrschaft. Man kann genausogut auch z.B. sagen (Def II)Demokratie=Volksherrschaft+Gewaltenteilung+Grundrechtsachtung. Es sind auch andere Definitionen denkbar. Sprachregelungen sind wie gesagt willkürlich.

Zur eigentlichen Sache:
Bei Def I ist die Aussage falsch. Bei Def II stimmt die Aussage aber liegt neben der Sache weil der impliziete Umkehrschluss falsch ist. Abgesehen von Kleinststaaten in denen die Volksversammlung die Staatsgewalt direkt ausüben könnte ist die Abwesenheit von Wahlen bei Def I&II Beweis der Abwesenheit von Demokratie.


>(Abstimmungen gibt es auch in relativ kleinen personellen Einheiten;
>siehe Aristokratien, Oligarchien...;


Ich sags mal so: Wenn man zwischen Aristokratien und Oligarchien einen Unterschied macht, dann gibt es keine Aristokratien. Zur Sache: Ich meinte natürlich Wahlen und Abstimmungen des Volkes. Und wo wir dabei sind: freie, gleiche und geheime Wahlen und Abstimmungen des Volkes.


>Wahlen hängen von Wahlverfahren ab; siehe DDR, Preußen)


Über (wie gesagt willkürliche) Sprachregelungen möchte ich mich hier nicht streiten. Darum sage ich nur diese Verantstaltungen waren im von mir gemeinten Sinn keine Wahlen.


>Demokratie kann auch Abstimmungen und Wahlen beinhalten [...], muss
>sie aber nicht (andere Möglichkeiten sind Rotation, Losen, die
>einmalige Entscheidung ob ein neubeschlossenes Gesetz auf einen
>selbst zutrifft oder nicht, Konsensdemokratie,...).


Ich verstehe das mal als (Def III) Demokratie=politische Entscheidungen decken sich mit der öffentlichen Meinung
Mit dieser Definition könnte eine Loskammer demokratisch sein, dann reicht Demokratie aber eben nicht zur Legitimierung der Staatsgewalt aus.

Zu den anderen Möglichkeiten: Konsensdemokratie geht nur wenn man einen Konsens hat also ohnehin keine Staatsgewalt braucht. Ein Rotationsverfahren wäre OK, wenn jeder (gleich oft) drannkäme.
Das ist wohl nur mei sehr kleinen Völkern realistisch. Die "einmalige Entscheidung ob ein neubeschlossenes Gesetz auf einen selbst zutrifft oder nicht" wäre die Aufhebung der Staatsgewalt, Länder wie Afghanistan und Somalia zeigen uns, dass das keine gute Idee ist.


>Weiterer Punkt: das Demonstrationsrecht ist bereits eingeschränkt;
>zwar darf nicht nur jeder 10. demonstrieren, aber eine Demonstration
>muss (meist) erst angemeldet (und genehmigt) werden.


Pedantische Nebenbemerkung: Eine Genemigung ist in Deutschland nicht erforderlich, es genügt das Unterbleiben des ausdrücklichen Verbots. Abgesehen davon: Ein Verbot ist eben nur bei der Gefahr der Verletzung anderer Grundrechte möglich. Es darf eben eine Abwägung verschiedener Grundrechte geben aber keine Abwägung zwischen Grundrechten und Nutzenerwägungen.


>"Der Bundestag ist alle 4 jahre automatisch aufgelöst". Na und?
>Schließlich geht alles mal vorbei [...]Periodität hatten auch die
>Wahlen in der DDR.


Ich hatte darauf hingewiesen weil es der Abwahlmechanismus ist, dessen angebliches Fehlen Sie bemängelt hatten. Was den Vergleich mit der DDR angeht hatte ich ja schon darauf hingewiesen dass man aus der Notwendigkeit einer Bedingung nicht schließen kann, dass sie auch hinreicht.


>nebenbei bis jetzt wurde nur in Folge einer einzigen Bundestagswahl -
>1998 - eine Regierung neu gewählt


Na und? Mein Demonstrationsrecht habe ich noch nie wahrgenommen.
Rechte bestehen unabhängig davon ob man sie ausübt.


>Weiterhin hat die Bevölkerung kein aktives Abwahlrecht des >Bundestags,


Das ist wie gesagt organisatorisch so geregelt, dass auch ohne Antrag spätestens nach 4 Jahren Neuwahlen stattfinden.


>keine Rederecht vorm Bundestag,


Das ist auch schwehr möglich, weil die Bevölkerung sehr groß ist. Es gibt aber eine praktikable Näherungslösung.


>kein Vetorecht gegen Entscheidungen des Bundestags.


Das finde ich auch schade. Es ist aber noch vertretbar, weil sich der Bundestag spätestens nach 4 Jahren der Entscheidung des Volkes stellen muss.


>wobei es passieren kann, dass die eigene Stimme der gewählten Partei >schaden kann


Das ist in der Tat ein Problem. Aber man kann nicht mit einem (im Vergleich kleinen) Demokratiedefizit ein anderes (größeres) rechtfertigen.


>Außerdem entscheidet die Bevölkerung nicht bzw. wenig über die
>Zusammensetzung des Bundestags (das geschieht durch
>interne,delegierte Abstimmungen der Parteien


Auch das ist ein Problem. Ich neige deshalb auch eher zu STV-artigen Wahlverfahren. Aber das ist ein Schönheitsfehler der nicht eine wesentliche Grundrechtsverletzung entschuldigen kann. Übrigens ist die Gründung politischer Parteien frei, so dass das Volk bei dringendem Bedarf durchaus alle bestehenden Parteibürokratien übergehen könnte.


>Außerdem würden dies Loskammern additiv und nicht ersetzend gegenüber
>den Bestehenden Kammer eingestzt werden. Man kann also nichts an
>bereits bestehender Demokratie verlieren.


Mit dem gleichen Argument könnte man die gleichen Rechte auch einem Kaiser übertragen. Entweder die Loskammer hätte substantielle Machtbefugnisse: Dann wäre sie illegitim. Oder die Loskammer hätte keine substantiellen Machtbefugnisse: dann wäre sie überflüssig.


>Die Loskammer mit z.B. 2/3 Mehrheit Plebiszite initiieren könnte,
>diese jedoch dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden müssen.


Damit wäre die Loskammer nicht mehr tyrannisch sondern nur noch überflüssig ;-) Zur Initiierung von Volksentscheiden eignet sich bei größerem Respekt vor dem einzelnen Bürger das Instrument des Volksbegehrens.

@c07

>Wenn was unverfügbar ist, ist es für mich allerdings automatisch auch religiös.


Für mich auch. Ich kann mir aber jemanden vorstellen der (nach üblichem Gebrauch des Wortes Religion) nicht religiös ist und trotzdem manche Wahrheiten (wie z.B. die Unantastbarkeit der Menschenwürde) für unverfügbar hält.


>Wobei sakrale Handlungen durchaus verfügbar sein können.


Stimmt. Aber sakrale Wahrheiten nicht.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 15:37 Uhr:   

@gelegentlicher Besucher
Was sind ihrer Meinung nach Wahlen?
Warum ist die Würde des Menschen unantastbar?
Wenn die Würde des Menschen wirklich unantastbar wäre, wie kommt es dann, dass sieimLaufe der Geschichte und heute noch überall angetastet wird?
Ist ein Kaiser wirklich ein Problem (ich denke da jetzt mal an England und seine Queen)?
Ist ein für 4 Jahre gesicherter Abstand zwischen Obrigkeit und Rest wirklich demokratisch?
Kann man einen Staat wirklich nicht in solche Einheiten zerlegen, dass z.B. ein alle umfassendes Rotations bzw. Lossystem keinen benachteiligt?
Ist der bestehende Parlamentarismus (inklusiver der exekutiven Übermacht) tatsächlich eine Verwirklichung ihres Demokratieverständnisses?
P.S. Aristokraten sind Oligarchen mit Stil (ist wichtiger als man denken sollte).
P.S.S. Sie waren wirklich noch nicht demonstrieren, sonst würde sie die lästigen Auflagen, die ewigen Diskussionen und das mögliche ,gerne v.a.als Drohung verwendete Demonstrationsverbot kennen.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 18:05 Uhr:   

Zu Immanuel Goldstein's Fragen


>Was sind ihrer Meinung nach Wahlen?


Eine Wahl in der von mir verwendeten Definition (Refrain: Bezeichnungen kann man willkürlich wählen) ein Prozess der Delegation (typischer- aber nicht notwendigerweise von Macht) einer Menge von Wahlberechtigten an eine Menge von Gewählten (Mit dem Grenzfall, dass die Menge der Gewählten die Mächtigkeit 1 haben könnte), der folgende Eigenschaften hat:
1.Die Wahlberechtigten geben Stimmen ab (bzw. haben die Möglichkeit Stimmen abzugeben), d.h. innerhalb des Definitionsbereiches des Wahlverfahrens frei wählbare (keine Rekursion, da hier der individuelle Wahlberechtigte wählt) Eingabewerte für das Wahlverfahren.
1.1.Dabei ist die Stimmabgabe von jeder aüßeren Beeinflussung frei, d.h. repräsentiert den authentischen Willen der einzelnen Wahlberechtigten. Bei der Wahl von Staatsämtern mach das fast immer eine Geheimwahl erforderlich.
2.Die Menge der Gewählten ist eine Funktion der abgegebenen Stimmen.
3.Diese Funktion wird von einem im Voraus festgesetzen Wahlverfahren bestimmt (Es ist nicht selbst die Funktion, da noch Kandidaturen, Litenaufstellunge u.s.w. eine Rolle spiele könnten), dass folgende Eigenschaften hat:
3.1.Es gibt keine Menge von Wählbaren, für die allein durch das Wahlverfahren, d.h. unabhängig von der Stimmenverteilung gilt, dass ihre Schnittmenge mit der Gewähltenmenge eine bestimmte Mindest- oder Höchstmächtigkeit hat, abgesehen von den trivialen Beschränkungen der Höchstmächtigkeit, die sich daraus ergeben, dass keine Schnittmenge mächtiger sein kann als die am wenigsten mächtige der Mengen aus denen sie geschnitten ist. Insbesondere gibt es also mehrere mögliche Stimmvarianten.
3.2.Das Wahlverfahren ist so beschaffen, dass die potentiellen Auswirkungen der Stimmabgabe für die Wahlberechtigten im Prinzip (also bis auf evtl. mangelnde mathematische Begabung, Unbekanntheit der restlichen Stimme u.s.w) vorhersehbar sind.
3.3.Im Rahmen des Möglichen (das ist z.B. wegen des arrowschen Unmöglichkeitssatzes weniger als man denkt) ist das Wahlverfahren so ausgelegt, dass das Wahergebnis den Anteil der ignorierten Willensausdrücke der Wähler beschränkt.

Natürlich ist 3.3. etwas schwammig aber das ist in diesem Zusammenhang kein Problem, weil diein diesem Thread genannten Beispiele schon an 1.1. und 3.1. scheitern.

Eine Wahlverfahren zur Begründung von legitimer Staatsmacht muß meiner Meinung nach auch noch gleich, d.h. invariant unter Permutation von Stimmen sein.

Oder weniger genau aber einfacher: Mit Wahlen meine ich echte Wahlen und nicht Propagandaveranstaltungen in Diktaturen.


>Warum ist die Würde des Menschen unantastbar?


Ich würde das religiös begründen. Ein Kantianer könnte sagen, dass das nur eine andere Formulierung des kategorischen Imperatives ist. Über die Begründung der Menschenwürde gibt es leider keinen allgemeinen Konsens. Wenn ich mit jemandem keine gemeinsame religiöse oder theologische Grundlage habe versuche ich aus den Konsequenzen zu argumentieren. Wenn die Menschenwürde nicht unantasbar ist, was ist dann falsch an einem politisch nützlichen Völkermord? Wenn dann als Antwort "nichts" kommt kann man natürlich nur noch angewiedert weggehen.


>Wenn die Würde des Menschen wirklich unantastbar wäre, wie kommt es
>dann, dass sieimLaufe der Geschichte und heute noch überall
>angetastet wird?


Man kann (darf aber nicht) natürlich einen Menschen unter Missachtung seiner Würde unwürdig behandeln. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Würdigung des Menschen leider nicht.


>Ist ein Kaiser wirklich ein Problem (ich denke da jetzt mal an
>England und seine Queen)?


Ein Monarch der wirklich keinerlei Macht hat ist nur ein ästhetisches Problem, dass durch steigende Tourismuseinnahmen gerechtfertigt sein kann. Die britische Queen ist allerdings nicht ganz so machtlos wie viele denken.


Ist ein für 4 Jahre gesicherter Abstand zwischen Obrigkeit und Rest wirklich demokratisch?


Ich hätte auch lieber zusätzlich Volksentscheide. Abgesehen davon ist eine feste Legislaturperiode eben so demokratisch wie möglich.


>Kann man einen Staat wirklich nicht in solche Einheiten zerlegen,
>dass z.B. ein alle umfassendes Rotations bzw. Lossystem keinen
>benachteiligt?


Ein Lossystem benachteiligt die nicht gelosten. Was das Rotationssystem angeht: Wie?


>Ist der bestehende Parlamentarismus (inklusiver der exekutiven
>Übermacht) tatsächlich eine Verwirklichung ihres
>Demokratieverständnisses?


Sicher hätte ich gerne einige Verbesserungen, z.B. Volksentscheide und mehr Gewaltenteilung wie z.B. in den USA (wo es dafür andere Nachteile gibt.) Aber im Großen und Ganzen: Ja. Demokratie ist allerdings das Paradebeispiel dafür, dass die optimale Lösung nicht notwendig gut ist.


>Aristokraten sind Oligarchen mit Stil (ist wichtiger als man denken
>sollte).


Und was ist Stil anderes als die Gewohnheiten der herrschenden Klasse?


>Sie waren wirklich noch nicht demonstrieren, sonst würde sie die
>lästigen Auflagen, die ewigen Diskussionen und das mögliche ,gerne
>v.a.als Drohung verwendete Demonstrationsverbot kennen.


Sicher kommen Grundrechtsmisachtungen immer wieder vor.
Wenn man Ihnen solches angetan hat sind die ordentlichen Gerichte allerdings ein besserer Ansprechpartnet als ich. Übrigens gibt es durchaus auch Demonstrationen die verboten gehören aber nicht werden,
z.B. die revolutionären Maidemonstrationen in Berlin.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 18:57 Uhr:   

@gelegentlicher besucher
zu Wahlen( geordnet nach ihren Punkten (erinnert ein bißchen an Wittgenstein))
1.
"Die Wahlberechtigten geben Stimmen ab (bzw. haben die
Möglichkeit Stimmen abzugeben), d.h. innerhalb des
Definitionsbereiches des
Wahlverfahrens frei wählbare (keine Rekursion, da hier der
individuelle Wahlberechtigte wählt) Eingabewerte für das
Wahlverfahren".
Frage:Wer ist und sollte alles Wahlberechtigt sein?
1.1.
" Dabei ist die Stimmabgabe von jeder aüßeren Beeinflussung frei,
d.h. repräsentiert den authentischen Willen der einzelnen
Wahlberechtigten. Bei der Wahl von Staatsämtern mach das fast
immer eine Geheimwahl erforderlich."
Frage: Wie wird die von äußeren Beeinflussung freie Stimmabgabe garantier?
2.
"Die Menge der Gewählten ist eine Funktion der abgegebenen S
timmen"
keine Fragen; da sind wir uns einig
3.
"Diese Funktion wird von einem im Voraus festgesetzen
Wahlverfahren bestimmt (Es ist nicht selbst die Funktion, da
noch Kandidaturen, Litenaufstellunge u.s.w. eine Rolle spiele
könnten), dass folgende Eigenschaften hat:..."
Frage: Wer sestzt das Wahlverfahren fest?

3.1.
"Es gibt keine Menge von Wählbaren, für die allein durch das Wahlverfahren, d.h. unabhängig von der Stimmenverteilung gilt, dass ihre Schnittmenge mit der Gewähltenmenge eine bestimmte Mindest- oder Höchstmächtigkeit hat, abgesehen von den trivialen Beschränkungen der Höchstmächtigkeit, die sich daraus ergeben, dass keine Schnittmenge mächtiger sein kann als die am wenigsten mächtige der Mengen aus denen sie geschnitten ist. Insbesondere gibt es also mehrere mögliche Stimmvarianten."
Schöne Logik.Schöne Mengelehre. (Kennen sie eigentlich Godehart Link? Sie scheinen sich auch gut mit Aussagenlogik auszukennen. Sie kennen also auch ihre Schwächen.)
3.2.
"Das Wahlverfahren ist so beschaffen, dass die potentiellen Auswirkungen der Stimmabgabe für die Wahlberechtigten im Prinzip (also bis auf evtl. mangelnde mathematische Begabung, Unbekanntheit der restlichen Stimme u.s.w) vorhersehbar sind."
Frage: Warum existiert das bayr. Landtagswahlrecht (erfüllt die oben genannte Bedingung nicht eindeutig)?
3.3.
"Im Rahmen des Möglichen (das ist z.B. wegen des arrowschen Unmöglichkeitssatzes weniger als man denkt) ist das Wahlverfahren so ausgelegt, dass das Wahergebnis den Anteil der ignorierten Willensausdrücke der Wähler beschränkt"
Das ist dem vorherigen sehr ähnlich, nur negativ formuliert.

Später:
"Ein Lossystem benachteiligt die nicht gelosten."
Frage: Benachteiligt eine Wahlsystem die nihct Wahlberechtigten und/oder die nicht zur Wahl stehenden?

P.S. Mode ist die Gewohnheit der herrschenden Klasse, Stil ist die Größe im zeitlosen Verhalten.
P.P.S. Ich bin kein Freund der 1Mai-Ereignisse in Berlin. Aber sie sehen doch auch, dass es in diesem Fall keinen Unterschied macht ob vor den "Krawallen" eine Demonstration erlaubt oder verboten worden ist.
P.P.P. Die Würde des Menschen ist ein interesantes Thema, das man auch kritisch beleuchten kann. Was beschreibt der Begriff Würde? Was ist ein Mensch? Vielleich ein soziales Konstrukt der Neuzeit? Ist es gut das wir Menschen sind oder liegen wir ohne es zu merken einer Verinnerlichung von Ritualen welcher Art auch immer zugrunde? Ist die Würde des Menschen eine Verpflichtung für alle oder können wir uns unserer jeweils eigenen Würde bei Ablehnung entledigen?
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Sole
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 22:28 Uhr:   

"So Typen swie in Nachmittagstalkshows bilden zwar Gott sei Dank nur eine Minderheit, aber wenige sind es auch nicht gerade."

So Typen wie in den Spätabendstalkrunden auf ARD zum Glück auch.

Das Losverfahren für "electoral colleges" könnte ich mir vorstellen. Die 2000-10000 Wahlmänner könnten intensiv von Parteien und (wichtiger) Personen umworben werden. Die Kommunikation könnte auf weniger flachem Niveau verlaufen. Bleibt zu fragen, wie man es hinbiegt, dass der Wahlmann sich diesen Mehraufwand gewissenhaft zumutet.
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Sole
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 22:33 Uhr:   

" Die britische Queen ist allerdings nicht ganz so machtlos wie viele denken."

Es handelt sich da doch um eine sehr hypothetische Macht. Würde sie diese ausnutzen, gäbe es schnell die Republik. Was die Frage aufwirft, ob sie denn wirklich die Macht hätte, als Notfallsicherung zu agieren, etwa mit ihrem legislativen Veto.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 14. September 2004 - 23:42 Uhr:   

gelegentlicher Besucher: Deine Definition von Wahlen geht zwar schon in die richtige Richtung, aber da hab ich ein paar Sachen anzumerken:

> 1.1.Dabei ist die Stimmabgabe von jeder aüßeren Beeinflussung frei, d.h.
> repräsentiert den authentischen Willen der einzelnen Wahlberechtigten.

In dieser Striktheit ist das nicht erfüllbar. Man muss da schon Abstriche machen, obwohl die Forderung als Ziel berechtigt ist. Die Frage ist schon, was der "authentische Wille" eines Wählers ist, weil die Wähler nie völlig unabhängig voneinander sind.

> 2.Die Menge der Gewählten ist eine Funktion der abgegebenen Stimmen.

Das schließt allerdings Losentscheide bei Gleichstand aus.

3.1 (keine Mindestmächtigkeit) schließt Verfahren wie Verhältniswahl mit Verteilung nach Hill/Huntington aus (sofern es so definiert wird, dass selbst bei 0 Stimmen ein Sitz möglich ist), ist aber trotzdem ein sehr schwaches Kriterium (weil die Unterscheidung zwischen 0 und nicht 0 Stimmen zur Erfüllung reicht).

3.2 (Vorhersehbarkeit) folgt schon aus 2 (Funktion). Eine sinnvolle, aber harte Forderung wird es erst dann, wenn die prinzipielle Wirkung auch ohne Kenntnis der anderen Stimmabgaben absehbar sein soll.

> Natürlich ist 3.3. etwas schwammig

In der Tat. Insbesondere ist schon die Frage, was ein "Willensausdruck" eines Wählers überhaupt sein soll. Drückt z.B. ein Stimmensplitter eine Koalitionspräferenz aus, die etwa bei einer Mehrheitsklausel berücksichtigt werden müsste?

> Eine Wahlverfahren zur Begründung von legitimer Staatsmacht muß
> meiner Meinung nach auch noch gleich, d.h. invariant unter
> Permutation von Stimmen sein.

Das ist eine sehr harte Forderung, die von allen wahlkreisorientierten Wahlsystemen nicht erfüllt wird.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Mittwoch, 15. September 2004 - 14:42 Uhr:   

Meine Wahldefinition reicht natürlich nicht. Sie ist auch eher eine Erklärung was ich meine. Vielleicht hat Vorschläge wie man sie genauer fassen könnte?

Zu den konkreten Kommentaren:

@c07

>>1.1.Dabei ist die Stimmabgabe von jeder aüßeren Beeinflussung frei,
>>d.h. repräsentiert den authentischen Willen der einzelnen
>>Wahlberechtigten.

>In dieser Striktheit ist das nicht erfüllbar. Man muss da schon
>Abstriche machen, obwohl die Forderung als Ziel berechtigt ist. Die
>Frage ist schon, was der "authentische Wille" eines Wählers ist, weil
>die Wähler nie völlig unabhängig voneinander sind.


Jein. Mit "Beeinflussung der Stimmabgabe" meinte ich auch nicht einen Einfluss auf die Meinung des Wählers, sondern eher einen Einfluss der den Wähler davon abbringen könnte seine Meinung in eine Stimmabgabe umzusetzen, also Stimmenkauf, Gewaltdrohungen, soziale Ächtung u.s.w. Die Umsetzung erforder wie gesagt fast immer eine Geheimwahl.


>> 2.Die Menge der Gewählten ist eine Funktion der abgegebenen Stimmen.

>Das schließt allerdings Losentscheide bei Gleichstand aus.


Daran hatte ich nicht gedacht. Vielleicht müsste eine richtige Definition dafür eine Ausnahme vorsehen.


>3.1 (keine Mindestmächtigkeit) schließt Verfahren wie Verhältniswahl
>mit Verteilung nach Hill/Huntington aus (sofern es so definiert wird,
>dass selbst bei 0 Stimmen ein Sitz möglich ist), ist aber trotzdem
>ein sehr schwaches Kriterium (weil die Unterscheidung zwischen 0 und
>nicht 0 Stimmen zur Erfüllung reicht).


Neben Mindesmächtigkeiten schließe ich damit auch Höchstmächtigkeiten aus. Mit einer Verhältnisswahl mit Garantiesitzen wäre ich auch tatsächlich nicht einverstanden. Im Wesentlichen wollte ich mit dieser Bedingung 'Wahlen' nach DDR-Muster ausschließen, bei denen die Sitze im Voraus auf bestimmte Massenorganisationen verteilt sind.


>3.2 (Vorhersehbarkeit) folgt schon aus 2 (Funktion). Eine sinnvolle,
>aber harte Forderung wird es erst dann, wenn die prinzipielle Wirkung
>auch ohne Kenntnis der anderen Stimmabgaben absehbar sein soll.


Nicht wirklich. Nehmen wir folgendes Horrorbeispiel:
Es stehen die Kandidaten 1...N zur Wahl. Jeder Wähler schreibt eine beliebige ganze Zahl auf seinen Stimmzettel. Gewählt ist der Kandidat ((Summe der aufgeschriebenen Zahlen) mod N)+1. Was ich meine ist also, dass die Funktion nicht chaotisch sein darf. Deine Erweiterung wäre sicher wünschenswert. Ich würde einer Wahl aber nicht wegen Nichterfüllung die Legitimität absprechen wollen. Auch müsste man dann klären was mit "prinzipiell" gemeint ist (Ich meinte eben das bis auf in Klammern).

>> Natürlich ist 3.3. etwas schwammig

>In der Tat. Insbesondere ist schon die Frage, was ein
>"Willensausdruck" eines Wählers überhaupt sein soll. Drückt z.B. ein
>Stimmensplitter eine Koalitionspräferenz aus, die etwa bei einer
>Mehrheitsklausel berücksichtigt werden müsste?

Die Schwammigkeit ist allerdings z.T. Absicht. Daher habe ich auch beschränkt statt minimiert geschrieben. Ich gebe ein Beispiel für das was ich ausschließen will: Es gibt eine Wahl zwischen Parteien. Die stärkste Partei erhält alle Sitze. Wenn es jetzt ca. 20 fast gleich starke Parteien gibt, dann ist das nicht mehr legitim. Ullerdings möchte ich nur "normal schlechte" Wahlverfahren (Wie z.B. ein Mehrheitswahlrecht) nicht mit dieser Bedingung erschlagen. Über Details wie Mehrheitsklauseln wollte ich damit nichts aussagen. Es wäre wohl kompliziert da den Unterschied mathematisch genau zu fassen.


>> Eine Wahlverfahren zur Begründung von legitimer Staatsmacht muß
>> meiner Meinung nach auch noch gleich, d.h. invariant unter
>> Permutation von Stimmen sein.


>Das ist eine sehr harte Forderung, die von allen
>wahlkreisorientierten Wahlsystemen nicht erfüllt wird.


Stimmt, das hatte ich übersehen. Dann muss eine gleiche Wahl wohl nur unter bestimmten Permutationen invariant sein, wobei es wohl schwierig wird zu sagen welche das sind.

@Immanuel Goldstein


Wer ist und sollte alles Wahlberechtigt sein?


Wenn es um Staatsmacht und sollte geht:
Jeder im Inland wohnhafte Staatsangehörige (wobei die Staatsangehörigkeit für jeden legalen Einwohner zu zumutbaren Bedingungen erhältlich sein sollte) der ein (diskutierbares) Mindesalter erreicht hat, der nicht völlig verrückt ist und der sein Wahlrecht nicht durch Verbrechen (wobei man diskutieren kann welche) verwirkt hat. Das ist kann natürlich schwanken. Weiterhin gibt es auch Wahlen die nichts mit Staatsmach zu tun haben. Der Vorstand eines Kaninchenzüchtervereins könnte z.B. von den Mitgliedern gewählt werden.


>Wie wird die von äußeren Beeinflussung freie Stimmabgabe garantier?


Zweckmäßigerweise durch eine geheime Wahl.


>Wer sestzt das Wahlverfahren fest?


Dazu gibt es Gesetze, die in den meisten Demokratien durch Parlamente, manchmal auch durch Volksentscheid gemacht werden.


>Mode ist die Gewohnheit der herrschenden Klasse, Stil ist die Größe
>im zeitlosen Verhalten.



Das verstehe ich nicht.


>Ich bin kein Freund der 1Mai-Ereignisse in Berlin. Aber sie sehen >doch auch, dass es in diesem Fall keinen Unterschied macht ob vor den
>"Krawallen" eine Demonstration erlaubt oder verboten worden ist.


Das käme auf einen Versuch an. Der Unterschied liegt natürlich darin, dass die Polizei dann ganz andere Machtmittel zur Verfügung hat. Das Beispiel der Hannoveraner Chaostage zeigt, dass der Einsatz dieser Machtmittel die Krawalle durchaus für die Zukunft verhindern kann.


>Was ist ein Mensch? Vielleich ein soziales Konstrukt der Neuzeit?


Oder eine schwarzwälder Kirschtorte mit Sahne?
Ernsthaft: Ein Individuum der Spezies homo sapiens.


>Ist die Würde des Menschen eine Verpflichtung für alle oder können
>wir uns unserer jeweils eigenen Würde bei Ablehnung entledigen?


Unantastbar ist unantastbar ist unantastbar.

@Sole


>>Die britische Queen ist allerdings nicht ganz so machtlos wie viele
>>denken.

>Es handelt sich da doch um eine sehr hypothetische Macht. Würde sie
>diese ausnutzen, gäbe es schnell die Republik.


In stabilen Zeiten ist das im Prinzip richtig. (Abgesehen von den wöchentlichen Treffen mit dem Premierminister.) Aber einerseits kann es auch mal wieder instabile Zeiten geben und andererseits werden die Rechte der Königin effektiv vom Premjerminister wahrgenommen, der daher ohne Parlamensbeschluss z.B. Kriege anfangen kann


>Was die Frage aufwirft, ob sie denn wirklich die Macht hätte, als
>Notfallsicherung zu agieren, etwa mit ihrem legislativen Veto.


Sag' ich doch. Entweder tyrannisch oder überflüssig.

PS:Aufgrund einer wichtigen Prüfung verzögern sich meine weiteren Posts um ca. 3 Tage
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. September 2004 - 11:40 Uhr:   

Der Gedanke, "demokratische" Wahlen durch Losverfahren zu ergänzen (Nota bene: Niemand spricht in diesem Diskussionsfaden von ERSETZEN!), ist auch meiner Wenigkeit vor längerer Zeit schon in den Sinn gekommen. Allerdings hat Deutschland den UNO-Pakt über Bürgerrechte unterzeichnet und sich damit verpflichtet, in "regelmässigen Abständen" (was immer das heisst) Wahlen durchzuführen. (Regelmässig könnte auch alle 7 oder 12 oder 50 Jahre bedeuten.) Wenn also verfassungsrechtlich kein Hindernis bestünde, reine Losverfahren durchzuführen, müsste doch immerhin nach dem erwähnten Pakt an Wahlen festgehalten werden.
Doch nun zur Losung selbst:
Es wurde schon mehrfach am Rande darauf hingewiesen, dass das Losverfahren in seinen historischen Formen eine Alternative zur Rotation darstellt. Rotation haben wir z. B. im Bundesrat (de facto, der iure "wählt" dieser seinen Präsidenten), im EU-Vorsitz u. ä. Gegenüber der reinen Rotation hat Losung aber den Vorteil, dass nicht absehbar ist, wer als nächstes folgt. Deshalb werden z. B. auch heute noch Geschworene ausgelost oder Richter Fällen (bzw. Fälle Richtern) zugelost - dies erschwert Bestechung, zumindest VOR dem Verfahren.
Einen weiteren Vorteil kann Losen ebenfalls aufweisen: Nach der Theorie sollte eine genügend grosse (d. h. mindestens 1000) zufällige Auswahl aus einer Gesamtheit repräsentativ sein. M. a. W. sind tausend gewählte Abgeordnete je nach Wahlverfahren sehr unterschiedlich "repräsentativ" oder auch gar nicht (vieles hängt hier vom Verfahren ab!); eine gleich grosse zufällige Auswahl hingegen sollte "repräsentativ" sein.
Ob dies nun stimmt oder nicht, hängt letztlich davon ab, was man genau unter "Repräsentativität" versteht, wofür es neben der allgemeinen mathematischen Definition noch eine Menge anderer gibt.
Wenn wir nun aber eine gewählte und eine geloste Versammlung anschauen, dann zeigen sich doch wohl deutliche Unterschiede: In der gelosten Versammlung werden wir ziemlich sicher Personen antreffen, die in einer gewählten Versammlung nicht anzutreffen sind. Das hat den einfachen Grund, dass diese Personen ein Wahlverfahren im allgemeinen nicht überstehen, entweder weil sie nicht antreten oder weil sie auf soziale, praktische (finanzielle) Hürden treffen, die sie kaum überwinden können.
De facto gibt es in jedem Staat Schichten, die politisch einflussreich sind und solche, die kaum Einfluss auf die Politik haben. Das hängt mit sozialen und ökonomischen Realitäten zusammen. Selbständigerwerbende z. B. gehen ein sehr viel höheres ökonomisches Risiko ein, wenn sie sich um eine Wahl bewerben, als Personen, die einer abhängigen Tätigkeit nachgehen und vielleicht noch Wahlurlaub beziehen können. Wahlen kosten zudem viel Zeit und Geld, man muss sich öffentlich präsentieren, mittels Plakaten, an persönlichen Auftritten, im TV usw. Wer über Zeit und Geld verfügt, hat daher schon mal bessere Chancen, auch gewählt zu werden. Sodann ist es vorteilhaft, eine Organisation hinter sich zu wissen, die professionell Wahlkampf betreibt - in der Regel ist dies eine Partei. Also haben Parteikandidaturen gegenüber freien Kandidaturen Vorteile. Schliesslich gibt es noch weitere Faktoren, etwa die persönlichen Fähigkeiten, sich öffentlich zu präsentieren (man braucht nicht erstaunt zu sein, dass in gewissen Teilen der Welt Schauspieler öfter mal in höchste Ämter gewählt werden), frei zu reden, überzeugend zu wirken, sich zu inszenieren, ja auch solche Kleinigkeiten wie ein Vollbart können schon mal darüber entscheiden, ob man gewählt wird oder nicht.
Ein reines Losverfahren schafft alle diese Hürden ab. Das Los gibt jeder Kandidatur dieselben Chancen, niemand wird bevorzugt oder benachteiligt. Daher kann Losung durchaus als "demokratischer" beurteilt werden als Wahlverfahren. Allerdings gibt es auch einen gewichtigen Einwand, der an diesem Punkt ansetzt:
Es kann ja sein, dass das Volk wünscht, von bestimmten Personen NICHT vertreten zu werden. Man kann sagen, dass es gewisse Fähigkeiten brauche, um überhaupt erfolgreich einen Wahlkampf durchstehen zu können. Ein Wahlkampf fordert einem immerhin Durchstehvermögen ab, öffentliches Auftreten, Argumente usw. Solche Fähigkeiten sind doch wohl durchaus erwünscht; hingegen möchte man sich nicht eben von Analphabeten, Lumpen, Dummköpfen usw. vertreten lassen, nicht wahr?
An diesem Punkt tritt ein qualitatives Argument hinzu (qualitative Argumente sind eigentlich aristokratische Elemente). Nun ist es aber so, dass bei einer Wahl jeder einzelne es in der Hand hat, nach seinen eigenen qualitativen Beurteilungen auszuwählen, beim Losverfahren nicht.
Daher habe ich vorgeschlagen, als ich vor Jahren ein Modell mit Losung entwickelte, beide Elemente zu kombinieren: Statt des Wahlaktes im herkömmlichen Sinne soll eine reine Losung erfolgen, aber zur Auslosung werden nur Kandidaturen zugelassen, die von einer genügend grossen Anzahl Wahlberechtigter vorgeschlagen wurden.
Das Vorschlagsrecht gibt es bereits heute, denn jede Liste muss zuerst vorgeschlagen, unterzeichnet und eingereicht werden. Dieses Vorverfahren könnte man, so mein Gedanke, zu einer Art Test machen, zu einer minimalen Hürde, damit nicht jeder Dorftrottel, Kneipenkrakehler oder Biertischpolitiker gewählt werden kann.
Im antiken Athen wählte man eine andere Lösung: Man unterzog die Kandidaten einer Art gerichtlicher Prüfung (einem "Hearing"), der sog. Dokimasie. Auch dies wäre eine denkbare Möglichkeit, nur dürfte es nicht leicht fallen, die Art und den Inhalt einer solchen Prüfung heute zu bestimmen.
Meine damalige Idee war es also, die "freie" Wahl nicht durch eine "freie" Losung zu ersetzen, sondern das Vorschlagsrecht aufzuwerten und zu einer minimalen qualitativen Hürde zu machen, erst dann eine Losung nachzuschalten und damit das Wahlverfahren und den damit verbundenen Aufwand abzuschaffen.
Zur "freien" Wahl ist auch noch zu sagen, dass sie natürlich nur so "frei" ist, wie die wählbaren Optionen zulassen. In der Bundesrepublik waren in der Vergangenheit die Optionen im wesentlichen "gemässigt bürgerlich" und "bürgerlich", zumal in den Jahren, da es nur 3 Parteien auf Bundesebene gab. Bei einem Losverfahren sähe dies völlig anders aus. Es könnte sich daher gut für die Bestellung von Gremien eigenen, die in erster Linie neue Gedanken, Anstösse, Initiativen in die Politik einbringen sollen. Man könnte z. B. versuchsweise eine frei ausgeloste Kommission beim Bundestag einrichten, die gegenüber dem Bundestag das Vorschlagsrecht im Gesetzgebungsverfahren hätte. Das wäre vielleicht einmal einen Versuch wert.

Zu den Begriffen "Republik", "Demokratie" und "Aristokratie" möchte ich noch kurz etwas beifügen:
Das alte Rom war eine Republik. Dort stammt der Begriff her. Im allgemeinen wird unter Republik denn auch nur eine Staatsform verstanden, die gewisse Züge aufweist, die vom alten römischen Modell abstrahiert sind. Dazu gehört eine gewisse Verfassungsmässigkeit, Ordnungsmässigkeit des Staatsaufbaus, Handeln nach gewissen Gesetzen und Regeln, ob diese nun geschrieben oder bloss tradiert sind. Ferner gehört dazu die Wahl oder Bestätigung des Staatsoberhauptes und bzw. oder der Regierung. Für die heutige Zeit kann man also etwa folgendermassen vereinfachen: Republik ist ein Staat mit einer geltenden Verfassung, in der ein entscheidendes Staatsorgan (z. B. Präsident) gewählt wird. (Historisch stand "Republik" lange einfach im Gegensatz zu "Monarchie": Präsident statt Monarch. Nach unserem heutigen Empfinden standen solche Staatsformen aber der Diktatur näher als dem, was wir heute unter Republik zu verstehen geneigt sind.)
Dem allgemeinen Sprachgefühl ist aber nun klar, dass eine Republik nicht automatisch auch eine Demokratie sein muss. Unter "Demokratie" sind wir gewohnt, mehr zu verstehen als eine "blosse" Republik. (Formal waren auch die meisten Diktaturen der letzten Jahrzehnte Republiken, in denen es Verfassungen gab, Wahlen abgehalten wurden usw.) Generell kann man vielleicht sagen, dass Demokratie über die Republik hinaus dem Volk einen entscheidenden Einfluss auf die Politik gibt, jedenfalls aber einen deutlich grösseren als jene.
In der antiken Terminologie war dabei die Sache ganz klar: Eine Demokratie war nur die Staatsform, in der das Volk durch Initiativen und Beschlüsse unmittelbar den Kurs der Politik vorgab. Die ausführenden Organe wurden dadurch von Staatslenkern zu Vollzugsorganen degradiert. Etwas verkürzend lässt sich sagen: Eine Demokratie im antiken Sinne kennt das Initiativrecht des Volkes.
Das entspricht aber in keiner Weise mehr den Umständen der heutigen Massendemokratie, daher müssen wir uns mit der "weicheren" Definition, die dem Volk entscheidenden Einfluss auf die Politik zumisst, etwa durch Wahlen, die auch tatsächlich die Richtung der Politik bestimmen, zufrieden geben.
Die Aristokratie schliesslich zeichnet sich, wie bereits bemerkt, dadurch aus, dass sie ein qualitatives Grundmoment besitzt (oder zu besitzen behauptet). Dafür charakteristisch ist die Abstufung des politischen Einflusses nach Stufen, Klassen, Graden o. dgl. oder der Ausschluss ganzer Gruppen von der politischen Teilhabe zu Gunsten einer Klasse der "Besten" (aristoi). Das schliesst nicht aus, dass es auch in einer Aristokratie Wahlen gibt, jedoch haben diese eine andere Funktion und laufen anders ab. Charakteristisch ist die Abstufung des Gewichts einer Stimme nach bestimmten Kriterien wie Bildung, Alter, Zugehörigket zu einer sozialen oder ökonomischen Klasse u. dgl., die Beschränkung des passiven Wahlrechtes auf bestimmte Klassen (nach Alter, Stand, Herkunft u. dgl.) oder auch die Aufteilung des Elektorats in Klassen, die je für sich einen Teil einer Körperschaft wählen oder sogar getrennte Körperschaften (ein Musterbeispiel immer noch die drei Kammern der Generalstände Frankreichs). Statt einer Wahl im echten Sinne kann in Aristokratien aber auch ein anderes Verfahren auftreten, das die "Wahl" der Wählenden einschränkt, etwa indem das Vorschlagsrecht auf einen bestimmten aristokratischen Kreis eingeschränkt wird, der dann nur einige wenige Kandidaturen aufstellt usw.
Genau diese Situation haben wir im alten Rom. Wie in einem andern Diskussionsfaden hier beschrieben, waren die "Wahlen" in Rom eigentlich eine Form der Präsentation. Das Verfahren lief ungefähr folgendermassen ab: Zunächst wurde (nach Konsultation des Senates) der wahlleitende Magistrat (in der Regel einer der beiden amtierenden Konsuln, ausnahmsweise Diktator oder Praetor) bestimmt. Dieser schrieb öffentlich die Wahlen aus und setzte eine Frist für Kandidaturen an. Wer kandidieren wollte und die gesetzlichen Bedingungen erfüllte (Alter, Stand, vorgeschriebene Ämter vor der Besetzung eines höheren Amtes), meldete sich beim wahlleitenden Beamten. Dieser prüfte, ob der Kandidat die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllte, und entschied über die Zulassung der Kandidatur. Dabei gab es offenbar auch Ermessensspielraum, einen "unwürdigen" oder "ungeeigneten" Kandidaten trotz eigentlich gegebener gesetzlicher Voraussetzungen abzulehnen. Anschliessend bestimmte der wahlleitende Beamte die Reihenfolge der Kandidaturen und veröffentliche diese zusammen mit dem Termin der Wahlversammlung in einem Edikt.
Am Wahltag berief er die wählende Versammlung (je nach dem comitia centuriata, comitia tributa oder für die Wahl plebejischer Beamter das concilium plebis, für die entscheidenden Ämter stets comitia centuriata), stellte ihr die Kandidaten in der von ihm bestimmten Reihenfolge vor und gab anschliessend einigen Rednern, die sprechen wollten, die Erlaubnis, Kandidaten zu empfehlen.
Danach folgte der eigentliche Wahlakt: Der wahlleitende Beamte liess die Versammlung auseinandertreten, d. h. in die charakteristischen Wahlkörper aufteilen, wofür Hilfspersonal amtierte. Dann rief er den ersten Kandidaten aus und fragte, ob er genehm sei oder nicht. Dann stimmte der erste Wahlkörper ab, und zwar mit Ja oder Nein; die Mehrheit innerhalb des Wahlkörpers entschied über seine Stimmabgabe. Dann folgte der zweite Wahlkörper, der dritte usw. Die Stimmen der einzelnen Wahlkörper wurden gezählt und laufend saldiert; ergab sich eine Mehrheit, wurden die übrigen Wahlkörper gar nicht mehr aufgerufen.
Hatte sich in Bezug auf den ersten Kandidaten eine Mehrheit ergeben, rief der wahlleitende Beamte den nächsten Kandidaten auf, liess wieder die Wahlkörper aufrufen, bis sich eine Mehrheit ergeben hatte usw.
Nun kam es darauf an, wie bei den ersten beiden Kandidaten die Mehrheiten ausgefallen waren: Gab es zweimal ein Ja, waren sie gewählt. Ergab sich aber bei einem oder beiden ein Nein, dann musste das Verfahren mit den der Reihe nach nächsten Kandidaten wiederholt werden, bis bei zwei Kandidaten eine Ja-Mehrheit erreicht war. Die ersten beiden Kandidaten mit Ja-Mehrheiten waren gewählt.
Nachdem dieses Verfahren durchgeführt war und zwei Kandidaten feststanden, verkündete der wahlleitende Beamte in einer religiös geprägten Formel (die auch ein Gebet einschloss) formell die Ernennung dieser beiden als Nachfolger der amtierenden Beamten. (So bei den Konsulatswahlen; bei den andern Ämtern lief es grundsätzlich gleich, nur dass es dort z. B. auch mal 10 zu besetzende Stellen gab.)
Öfters reichte ein Tag nicht, zu einem Ergebnis zu kommen, weshalb dann später eine oder mehrere weitere Versammlungen berufen werden mussten.
Wir haben hier also eigentlich keine Wahl vor uns, sondern eine Form der Präsentation: Der wahlleitende Amtsinhaber präsentiert dem Volk einen präsumptiven Nachfolger; wenn das Volk diesen ablehnt, dann muss er einen weiteren Kandidaten präsentieren usw. Wir haben hier vermutlich eine historisch gewachsene Form vor uns, die sich zu einer Art Wahlverfahren mit weitgehend freier Kandidatur erst später entwickelte. Es kann sein, dass ursprünglich die amtierenden Konsuln ihre Nachfolger schlicht designierten (wohl nach Konsultation des Senates), die Präsentation der vorgesehenen Nachfolger dagegen erst später einmal in einer heiklen politischen Lage gleichsam als Rückversicherung beim Volk aufkam, vorerst bloss rein konsultativ und erst mit der Zeit faktisch zum obligatorischen Recht geworden.
Wie immer es historisch gelaufen ist, Faktum bleibt, dass das römische Bestellungsverfahren dem Wahlleiter und dem ihn beratenden Senat ganz erheblichen Einfluss gab. Das Volk konnte im wesentlichen nur annehmen oder ablehnen, jedoch selbst keinen Vorschlag machen und nur in Grenzen auswählen. Bei 20 Kandidaten wurde es schon sehr mühsam, 18 abzulehnen, wenn man den 19. und 20. wollte.
Zudem war der Volkswille auch dadurch gebunden, dass nicht das Volk als ganzes abstimmte, sondern immer gegliedert in Abteilungen, die als ganze nur eine Stimme hatten und die sehr ungleich besetzt waren. Die comitia centuriata stellten eine Art Heeresordnung dar, in der die ersten centuria, die Reiter und Schwerbewaffnete umfassten, nur wenige hundert Männer umfassten, die übrigen dann zunehmend mehr bis hin zu vielen tausend. Diese Einteilung folgte sozialen und finanziellen Kriterien und bevorzugte die kleine Klasse der reichen Oberschicht sehr deutlich.
Wir haben also im alten Rom eine Republik mit stark aristokratischen Zügen; das Neue und Bahnbrechende in Rom war allerdings die strikte Rückbindung der ganzen Regierung an das Volk, das durch die Billigung der Wahlvorschläge zu den höchsten Stellen, durch die Billigung von Gesetzesanträgen und durch die Institution der Appellation an die Volksversammlung in wesentlichen Punkten die Aristokratie an den Volkswillen zurückband. Dies wurde denn auch der zündende Funke für den republikanischen Gedanken, obwohl Rom selbst immer aristokratischer Tradition verpflichtet blieb.
Wenn wir dieses alte römische Modell mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichen, dann zeigt sich sogleich, dass in Deutschland heute etwas anderes herrscht als dieses alte aristokratische Modell. Wahlen funktionieren ganz anders und geben dem Volk andere Möglichkeiten als das Präsentationssystem Roms.
Gleichwohl ist es kaum zu negieren, dass Deutschland im Vergleich zu andern Ländern "aristokratischer" erscheint. So wird der Bundespräsident nicht vom Volk gewählt, wird die zweite Kammer des Parlaments weder vom Volk noch von Parlamenten unterer Ebenen gewählt.
Das mag heute vielleicht anachronistisch erscheinen, sollte aber mit dem ganz anderen System alter Aristokratien nicht verwechselt werden.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. September 2004 - 12:59 Uhr:   

@ Philipp Wälchli
Wieder mal ein sehr schöner Beitrag.

Ich hoffe sie haben verstanden, dass ich unser Staatssystem keineswegs für aristokratisch halte. In einem anderem Diskussionsfaden wies ich (mehr zur unterhaltsamen Mahnung) nur darauf hin, dass wenn man gestützt auf Polybios (der selber als Grieche von der tatsächlichen röm. Staatspraxis wenig verstand), wenige offensichtliche Unterscheidungsmerkmale in der Außendarstellung von Staatsmechanismen der röm. Republik und der moderner Bundesrepublik erkennen kann.

Nur ein paar kleine Ergänzungenzu ihrem ( insgesamt sehr treffenden Bild ) der innerröm. Staatspraxis.
Konsuln galt ihr Imperium außerhalb des röm. Stadtgebiets (pomerium) und konnten daher nur die außerhalb der Stadt tagende comitia centuriata leiten (auf der tatsächlich auch Konsuln, Prätoren und gelegentlich Censoren nach dem von ihnen beschriebenenge Wahlverfahren gewählt wurden - allerding ware seit dem späten 2.Jahrhundert v.Chr alle Wahlen geheim). Ihr Imperium wurde ihnen nicht von dem Gremium verliehen, das sie gewählt hat (comitia centriata), sondern von der älteren, dem Sakralrecht verpfichteten comitita curiata (Abstimmung genealogischen Kriterien). Konsulen besaßen innerhalb der Stadt kein Imperium und ihr Einfluß auf die Gesetzgebung und Rechtsprechung als auch ihre Amtsgewalt (Veto des Kollegen, Intercessio des Tribunen, Provocationsrecht (Verlangen nach Behandlung vor Volksversdammlung) des Bürgers) waren eingeschränkt.
Das Konsulenamt gibt es erst seit 367.v.Chr und wurde nie direk von einem Vorgänger an den Nachfolger designiert ( sie verwechseln das mit dem vorherigen mächtigsten Staatsamt des Prätor maximus).
Die ebenfalls sehr mächtigen (10) Volkstribunen (Intercessionsrecht, Gesetzesinitiativrecht, sacrosanctitas,..) wurden im (nach Wohneinheiten abstimmenden und Aristokraten ausschließenden und von Volkstribunen und pleb. Älilen geleiteten) conclium plebis gewählt.
Die für die Politkarriere meist obligatorischen (gibt Ausnahmen, z.B Scipio Africanus) Ämter der kurul. Ädilen und Quästoren (nebenbei seit Sulla 20 Quästoren) wurden in der comitita tribuata (ebenfalls nach territorialen Gesichtpunkten zusammengesetzt) gewählt.
Diskussionen fanden während Wahlveranstaltungen tatsächlich nicht statt, in den Tagen davor gab es aber mindestens eine contio (Öffentliche Vorbesprechung und Diskussion des kommenden Wahlaktes).
Die Entscheidung ob jemand "politikfähig" war hing nicht im Ermessen des die Wahlen abhaltenden Magistrats sondern in dem des Censors.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Donnerstag, 16. September 2004 - 13:23 Uhr:   

Nachtrag
Einen interssanten Aspekt zur Machtsicherung einer Minderheit eben durch breitgestreute Wahlen in de röm. Republik hab ich bereits in der Forumskategorie "Wahlrecht für jeden?" dargelegt
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Freitag, 17. September 2004 - 17:05 Uhr:   

Allmählich könnten wir hier einen Diskussionsfaden "Wahlen im alten Rom" einrichten.
Gleichwohl kurz einige Bemerkungen zur römischen Verfassungsgeschichte: So ziemlich alles ist an der älteren römischen Verfassungsgeschichte umstritten, weil Quellen fehlen, und jene, die es gibt, enthalten oft auch noch Rückprojektionen oder eigene Rekonstruktionen. Livius z. B. stellt den Übergang von der Königsherrschaft zur Republik so dar, dass der noch vom letzten König ernannte praefectus urbi die comitia curiata einberufen habe und von diesen 2 Konsuln habe wählen lassen. Dies ist ein perfekt legaler (legalistischer!) Regimewechsel.
In historischer Zeit scheinen die Curiatcomitien aber keine wirklichen Wahlen vorgenommen zu haben, es scheint überhaupt fraglich, ob sie je wirkliche Wahlen vorgenommen hatten. In historischer Zeit bezeugt sind als wahlähnliche Akte nur die förmlichen Bestätigungen der obersten Beamten, die jeweils eine "lex de imperio" einholten. Auffällig dabei ist, dass die neuen Beamten diese "lex" selbst einholten, nicht etwa ihre Vorgänger, und auffällig ist die Bezeichnung "lex". Für andere Wahlen oder Ernennungen wird nämlich dieser Begriff nicht verwendet.
Das lässt den Schluss zu, dass es sich bei diesem Akt um etwas ganz anderes gehandelt haben muss als um eine Wahl. Verschiedene Möglichkeiten sind allerdings denkbar: So könnte man vermuten, dass es sich um einen religiösen Akt gehandelt habe, und tatsächlich werden diese Auftritte vor den Centuriatcomitien in den Quellen meist mit den Auspizien, d. h. mit den religiösen Befugnissen der Amtsinhaber in Verbindung gebracht. Das würde zum sonstigen Aufgabenkreis der Curiatcomitien passen. Ausserdem ist die Wurzel "leg" auch im römischen Begriff "re-lig-io" enthalten. "lex" war vielleicht ursprünglich nicht "Gesetz" im modernen Sinne, sondern eher etwas wie eine eidliche Verpflichtung, die eben bindend und somit Gesetz war (wie z. B. noch in frühneuzeitlichen Staatswesen der Bürgereid oder die jährliche Verlesung des Stadtrechts mit nachfolgender Beschwörung zu finden ist).
Eine andere Vermutung besagt, dass "lex" hier wirklich "Gesetz" meint und dass die Curiatcomitien ursprünglich die einzige gesetzgebende Versammlung gewesen sei; die "Wahl" der Beamten sei dann irgendwann durch Sondergesetz eingeführt worden. Solche Sondergesetze finden wir in der späten Republik durchaus, so wurde Pompeius z. B. mit Sondervollmachten zur Bekämpfung der Piraten ausgestattet, was durch eine lex des Volkes bestimmt wurde. Solche Sondergesetze gab es aber auch für die Triumvirn nach Caesars Ermordung und später zur Installation der Kaiser.
Genaueres geben aber unsere Quellen nicht her. Das gilt auch für die Ämter überhaupt. So ist unklar, wieviele Magistrate es ursprünglich gab. Die klassische Sicht des Doppelkonsulates ist vermutlich eine Rückprojektion. Eine andere Vermutung, die vielen Forschern einleuchtet, besagt, dass es beim Wechsel vom Königtum zur Republik weniger revolutionär zuging, als dies die Quellen gewöhnlich suggerieren. Vielmehr sei der Wechsel etwa so vor sich gegangen, dass man die religiösen Pflichten des Königs auf den politisch entmachteten rex sacrorum übertragen habe und davon die politischen Kompetenzen auf einen neu gewählten und auf Zeit bestimmten Beamten übertragen habe. Noch eine andere Vermutung besagt, dass der König unmöglich der einzige Amtsträger gewesen sein könne, sondern dass zumindest in der späteren Königszeit Amtsträger unterhalb des Königs existiert haben müssten und dass die Revolution eigentlich darin bestanden habe, dass diese Unterbeamten den König beiseite schoben (sei es als rex sacrorum nur aufs Religiöse beschränkt, sei es durch Absetzung/Vertreibung, worauf einer von ihnen die Oberleitung übernommen habe).
Gute Kandidaten dafür wären die Tribunen. Dafür gibt es folgende Argumente: Die Organisation der Plebejer besteht aus dem Concilium plebis und den Tribunen. Diese Einrichtung kopiert zweifellos die Einrichtungen des Gesamtstaates der Patrizier. Dann müssten aber logischerweise den plebejischen Tribunen patrizische Tribunen gegenübergestanden haben. Der Amtssessel der Praetoren heisst ferner auch Tribunal, also sass ursprünglich wohl ein Tribun auf diesem Sessel. Tribunen finden sich sodann noch in der Militärverfassung, sodann zeitweise als Consulartribunen. Es ist also möglich, dass es ursprünglich nur den Titel Tribun gab und sich dieses Amt später ausdifferenzierte. Praetor, "Vorangänger", könnte der Titel des Tribunen geworden sein, der die Oberleitung übernahm, also den andern voranging, insbesondere im Feld als Heerführer. Consul hängt zweifellos mit consulere "beraten", bes. im Sinne von "Staatsgeschäfte beraten", zusammen und bezeichnet vielleicht mehr die zivilen politischen Geschäfte der entsprechenden Beamten.
Nun zerfiel das römische Volk in Tribus, was dann auch in den comitia tributa wieder als Gliederung erscheint. Es ist naheliegend anzunehmen, dass die Vorsteher/Leiter der Tribus auch Tribunen hiessen. Solche Vorsteher der Tribus könnte es gut schon in der Königszeit gegeben haben. Der Titel Tribun tritt später historisch bezeugt auch für die Vorsteher bestimmter römischer Stadtbezirke auf, die teils gewählt, teils gelost wurden. (Hier taucht also die Losung wieder einmal auf!) Deren Kompetenzen waren politisch gering, sie waren so etwas wie die Gemeindeverwaltung Roms; immerhin stellten sie aber ab einer bestimmten Zeit einen Teil der Geschworenen in Prozessen.
Wie immer es sich nun mit der Entstehung der verschiedenen Ämter verhielt, ziemlich sicher ist das Bestellungssystem der hohen und späten Republik nicht ursprünglich gewesen. Schon die "Doppelwahl" durch die Centuriatcomitien und dann vor den Curiatcomitien durch Einholen der "lex de imperio" spricht dafür, dass dies historisch allmählich gewachsen ist. Die Centuriatcomitien stellen ursprünglich nichts anderes als die Heeresordnung dar, die später allerdings zu einer rein politischen Ordnung wurde. Also darf man annehmen, dass die Präsentation der vorgesehenen Amtsinhaber ursprünglich dazu diente, die künftigen Heerführer vorzustellen und sich durch eine Rückfrage beim Heer, ob diese genehm seien, zu versichern, dass auch wirklich Heer und Führung zusammenspielten. Wenn das aber stimmt, dann kann Volkswahl in welcher Form auch immer kaum die ursprüngliche Bestellungsmethode gewesen sein.
Schon eher altertümlich sieht die Einholung der lex de imperio in den altertümlichen Curiatcomiten aus. Diese galt naturgemäss nur für Beamte mit imperium (Consuln, Praetoren, Dictator), nicht aber für untergeordnete Beamte oder gar plebejische.
Nach den römischen Quellen soll das Volk in irgendeiner Weise auch bei der Inthronisation der Könige mitgewirkt haben; dies könnte, wenn die Nachricht denn zutrifft und keine Rückprojektion darstellt, durchaus auf die lex de imperio Bezug nehmen oder auf einen damit zusammenhängenden Akt.
Erschwert wird die Angelegenheit noch durch die Existenz des Interregnums. Dem Namen nach stellt dieses einen Ersatz für den König dar, bis ein Nachfolger bestimmt wird. Das Interregnums geht unter den patriziscchen Senatoren um in der Art einer Rotation, bis ein Oberbeamter bestimmt ist, der die weiteren Wahlen durchführen kann, so jedenfalls in der Republik in historisch beglaubigter Form. Der Interrex tritt zurück, wenn ein einziger Beamter gewählt ist (in historischer Zeit: Konsul). Dies spricht dafür, dass es ursprünglich nur einen Oberbeamten als Fortsetzung der Königsherrschaft gab. Interrex wird man aber kraft seiner Herkunft und Stellung und nicht durch Wahl, Präsentation oder was immer.
Ernennung von Beamten ist auch in der späten Republik noch bezeugt, und zwar gilt dies für den praefectus urbi, der in Abwesenheit der Oberbeamten von einem von diesen ernannt wird, ferner für den Magister equitum, den Helfer des Dictators, und für den Dictator selbst, der von einem der Konsuln nach einem entsprechenden Senatsbeschluss ernannt wird. (Ein patrizischer Konsul ernannte übrigens bei einer Gelegenheit, als gegen den Willen der Konsuln der Senat die Einsetzung eines Dictators beschloss, seinen plebejischen Amtskollegen zum Dictator.)
Ernennung kommt auch bei den Priesterämtern vor, so wurden gewisse Priesterstellen vom Pontifex maximus besetzt, indem er den geeigneten Kandidaten "ergriff". Bei den Priesterkollegien herrschte sodann Kooptation. In der späten Republik wurde dies dahingehend modifiziert, dass gewisse Priesterämter (so der politisch einflussreiche Pontifex maximus) entweder der vorgängigen Bestätigung durch die Volksversammlung bedurften oder durch Volkswahl bestimmt wurden, wobei öfter nur einige Stimmkörper durchs Los bestimmt und zur Wahl aufgerufen wurden. Erst danach erfolgte dann die Kooptation der Gewählten bzw. Bestätigten durch das entsprechende Kollegium.
Wir haben also in historischer Zeit immer noch das System, dass gewisse Stellen durch reine Ernennung oder durch Designation des Nachfolgers oder aber durch Kooptation besetzt wurden; diesen Verfahren wurde Bestätigung oder Präsentation beim Volk nur vorgeschaltet. Das darf vermuten lassen, dass dies auch bei den politisch einflussreichsten Ämtern ursprünglich ähnlich war.
Vereinzelt kommt auch Auslosung oder ein Verfahren in Verbindung mit Auslosung zur Anwendung. Das Los bei Priesterwahlen wurde vermutlich auch in einem gewissen religiösen Licht gesehen. (Nur am Rande sei vermerkt, dass Saul, der erste König Israels, bekanntlich durchs Los bestimmt wurde, das als Zeichen Gottes angesehen wurde. Desgleichen wurde der Nachfolger des Judas im Kreise der Apostel durchs Los bestimmt. Der religiöse Zusammenhang ist in diesen Beispielen offensichtlich.)
Die Censur übrigens ist eine verhältnismässig späte Magistratur, und sie verfiel schon in der Republik. Wir wissen leider nicht genau, wie z. B. die Listen des Senats aufgstellt wurde. Vor der Einführung der Censur ist eine andere Magistratur dafür zuständig gewesen, vermutlich der damalige Oberbeamte, wie immer er geheissen haben mag.
Was die Abstimmung in den Comitien nach den sog. leges tabellariae angeht, so führten diese nur die Abstimmung auf Täfelchen (tabellae) ein, die verdeckt abgegeben werden konnten. Nach dem Aufruf zur Abstimmung, wenn die Stimmkörper nacheinander antraten, wurden die Antworten einfach auf diese tabellae geschrieben und den assistierenden Hilfsbeamten verdeckt abgegeben; diese werteten dann die abgegebenen tabellae aus. Vorher gab man den Hilfsbeamten seine Stimmabgabe mündlich bekannt. "Geheim" war also nur die eigentliche Stimmabgabe, es war nach wie vor offen zu sehen, wer wann in welcher Abteilung seine Stimme abgab. Cicero forderte übrigens an einer Stelle, dass die Stimmabgabe schriftlich verdeckt erfolgen sollte, dass aber jeder Bürger verpflichtet sein solle, einem "hervorragenden Bürger" auf dessen Verlangen seine Stimme zu zeigen. (Soviel zu Ciceros Staatsauffassung)
Übrigens wurde im Lauf der späteren Republik irgendwann eingeführt, dass die Stimmkörper der ersten Klasse nicht in einer festen Reihenfolge wie bis anhin aufgerufen wurden, also entsprechend einer fixen Rangordnung, sondern dass die erste aufgerufene Abteilung durchs Los bestimmt wurde. Diese hiess dann übrigens praerogativa. Inwieweit die weitere Reihenfolge ebenfalls noch ausgelost wurde, ist wiederum unklar. Auch diese Änderung der festen Reihenfolge ist vielleicht eine leichte "Demokratisierung", insofern nicht immer dieselben Leute das Privileg hatten, zuerst an die Reihe zu kommen.

Abschliessend möchte ich noch darauf hinweisen, dass in der römischen Republik die Politik weitgehend mündlich und unmittelbar erfolgte. Eine Bürokratie wie heute gab es nicht, bürokratische Ansätze entstanden erst zur Kaiserzeit. Dieser Umstand macht es schwierig, manche Vorgänge heute nachzuvollziehen. Die Worte, die gesprochen wurden, die Gespräche usw. sind nun einmal bei vielen gängigen Staatsakten nicht überliefert. Wir wissen nicht, wie man sich beim Wahlleiter zur Kandidatur anmeldet - ein Formular gab's nicht, da man ja persönlich und mündlich vorsprach; bestimmte übliche Formen wird es aber gegeben haben, nur wurden sie selten aufgezeichnet.
Dies ist vielleicht einer der wesentlichsten Unterschiede zur Politik heute.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Freitag, 17. September 2004 - 23:32 Uhr:   

@ Philipp Wälchli
Wie eigentlich immer ist ihr Beitrag mal wieder vorzüglich.
Allerdings würde ich gerne ein paar Einschränkungen,Rückgriffe auf die aktuelle Forschungslage und Ausblicke ergänzen (sofern sie mir ein solches häufiger auftretendes Verhalten verzeihen).
1. Livius (bei all seinen Fähigkeiten) ist keine gute Quelle für die Republik, da er nur noch ihr Ende miterlebt hat. Polybios mit seinem Werk aus der mittleren Republik,Fabius Pictor, Diodoros Sikulus und vor allem die annales maximi geben einen besseren Einblick in die pol. Abläufe der Republik.
2. Praefecti urbi gab es in der Republik nur sehr selten, wenige und unregelmäßig ( unter Augustus lehnt Messala Corvinus - nach langer Zeit erster Praefectus urbi - trat wegen Verfassungsbedenken von diesem Amt zurück); es war auch gar nicht nötig da es stets zwei Konsul gab (einer im Feld einer daheim, nur wenn beide im Feld dann praefectus urbi). Diese Amt hatte im Prinzipat mehr Bedeutung ( z.B. Amtsgewalt über cohortes urbanae; in der Republik nicht relevant da es eine Vielzahl von Bewaffneten in Italien gab).
3. der Ursprung des Wortes LEX ist momentan unter Ethymologen sehr umstritten.
4. Es ist tatsächlich unklar welche Ämter es in der frühen Republik gegeben hat (auf alle Fälle den Prätor Maximus, den Quästor Parricida, die 2 duumvir de perduelliones;auf alle Fälle nicht: einen zweiten Prätor,Konsuln,kurul. Ädilen).
5. Kuriatskomitien haben tatsächlich niemanden gewählt,aber nur sie konnten gewählten das tatsächlich sakrale (den gemeinschaftlichen Staatsgöttern entsprungene) Imperium übertragen (war auch kein Problem da in der comitia curiata nach gentilizischen Prinzip abgestimmt wurde).
6. Konsul kommt wahrscheinlich nicht von consulare (beraten) sondern von Con-salire (altlat. (es gab eine lautverschiebubng im 4.Jhdt.v Chr.)zusammen tanzen: das Amt wurde auf Druck der Plebejer 367 v.Chr. zur Einschränkunbg der sakral-politischen Vormacht der Partrizier (die ihre Sakralfähigkeit von ihren Ahnen herleiteten); ein Plebejer durfte jetzt zusammen mit dem Konsul die rituellen Tänze, die zu den sakral-polit. Elementen gehörten, vollziehen) eingeführt. Um das Konsulat zu schaffen wurde die Vollmachten der Prätur eingeschränkt (120 jahre später dann auch zweiter Prätor peregrini).
7. Auspicien sind Eingeweideschauen. Die Plebejer erkämpften, dass diese vor Wahlen stattfinden mussten um der Gültigkeit zu bestätigen (zuvor fanden sie nach Abstimmungen statt und gaben Möglichkeit zur Manipulation).
8. Sie schreiben "Diese Einrichtung (tribunat und conclium) kopiert zweifellos die Einrichtungen des Gesamtstaates der Patrizier." ist leider sehr spekulativ und ich glaube nicht, da der Tribun mit für röm. Verhältnisse einzigartigen "Amtsgewalten" (intercessio, keine potestas, kein Imperium,Rede- und Beiwohnrecht gegenüber Senat und allen Versammlungen, v.a. sacrosanctitas) ausgestattet war.
9. Der Amtsessel des Prätor urbanus heißt erst unter Livius Tribunal.
10. Militärtribunen kamen erst auf als auch Plebejer im Krieg mitkämpften (Wahrscheinlich 1.Latinerkrieg ca. 495.v.Chr). Das Konsulartribunat wurde wegen seines revolutionären Potential nach einer Probezeit von 60 Jahren abgeschafft. Natürlich ist Tribun von Tribus (Wohneinheit) abgeleitet, es hätte dann in der Monarchie und Frühen Republik mindestent 3 oder 4 (Stadttribusanzahl von Rom) geben müssen; gab aber anfangs zwei. Das Wort ist auch aus anderen, älteren latino-faliskischen Stadtstaaten bekannt und könnte von diesen übernommen worden sein. Die comitia tribuata erscheint erst 40 - 80 Jahre nach der Republiksgründung eingeführt worden zu sein (zu spät um den tribunen ihre Namen zu geben).
11. Ich muss hier jetzt erstmal abbrechen (kommt gerade was dazwischen). Fortsetzung folgt morgen.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Samstag, 18. September 2004 - 15:17 Uhr:   

Wie versprochen: Fortsetzung.
12. Diktatoren kamen nach dem 2.Punischen Krieg außer Mode. Nur noch Sulla und Caesar gaben sich selbst den Titel Diktator, was aber mit dem histor. Amt wenig zu tun hatte.
13. Priesterkollegien wurden ab ca. 300 v.Chr. ( v.a. lex Ogulnia) den Plebejern geöffnet (noch immer durch Kooption), und ab der 2. Hälfte des 2.Jhdt. v.Chr. durch ein Los-Wahlverfahren besetzt.
14. Censoren gibt es seit 443. v. Chr. (also doch recht früh). Er war zunächst nur für die Einteilung der Bevölkerung in Vermögensklassen zuständig. Im Laufe des 4. u. 3. Jhdt. v.Chr. bekamen sie die Aufsicht über die Senatszusammensetzung unter ihre Kontrolle. Sowohl Patrizier als auch Plebejer konnten (nach einiger Zeit) Censoren werden. Im Prinzipat wurde der census von den "Kaisern"
- sich selbst auch als Censor perpetuus bezeichnend - bis einschließlich Titus vollzogen.

Bitte sehen sie diese 14 Punkte nicht als Kontra zu ihrem Beitrag (der mir zeigt dass Sie ein tiefes und breitgefächertes Wissen über diesen Bereich haben) sondern als Ergänzung.

Hinzufügen würde ich gerne, dass rein "verfassungstechnisch" das Volk mit Hilfe von concilium plebis (plebiszite ohne Einschränkungsmöglichkeiten von Seiten der Magistrate) und Volkstribun (Intercessio, Sacrosanctitas) durchaus in der Lage gewesen wär die röm. Republik zu demokratisieren. Was dem im Weg stand waren weniger Wahlverfahren, Senat und Magistrate, sondern das Klientelwesen mit seinen sozialen Abhängigkeitsverhältnissen. Die Honestiores (Oberschicht; besser treffender Betriff als Nobiles oder gar Partrizier für die soz. Gruppe der Entscheidungsträger in der mitt. u. spät. Republik) konnten mit Hilfe ihre großen, vererblichen, v.a. ländlichen (Kontrolle über comitia tribuata) Klientel (plebs rustica) die Wahlen und den Staat beherrschen (Oligopolisierung der sozialen Abhängigkeitsverhältnisse). Erst als die Besitzlosen überhand nahmen, schafften es Bündnisse zwischen Generälen der Proletarierarmeen (Monopolisierung der Klientelverhältnisse) und Volkstribunen die rep. Ordnung aus den Angeln zu heben ( z.B. Gracchen, Saturnius und Marius, Sulpicius und Marius, Caesar und Clodius Pulcher).
Ich behaupte jetzt mal, dass egal wie demokratisch das röm. Wahlverfahren gewesen wäre, die röm. Republik weiterhin von einer kleinen Minderheit (Honestiores) kontrolliert worden wäre,weil die Grundlage ihrer Herrschaft nicht im Staatsrecht sondern in sozialer Macht (Klientelwesen) lag.
In der Antike sah man als eine Möglichkeit Sozialkontrolle im pol. Geschehen zu vermeiden eben das Losverfahren an (das damals genauso wie Wahlen in einem sakralen Licht gesehen wurde).

P.S. Ihre Idee mit einen eigenen Diskussionsfaden "Wahlen in Rom" ist doch eigentlich keine schlechte Idee. Wir könnten ja mal bei Wilko Zicht, cO7,Cantow und co. fragen, ob wir nicht alle Beiträge die damit thematisch zusammenhängen in einen eigenen Thread übertragen könnten.
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Immanuel Goldstein
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. Oktober 2004 - 20:12 Uhr:   

kleiner Nachtrag
bei 7. heißt es natürlich haruspicien (Eingeweideschauen), auspicien (Vogelschauen) waren für die Politik recht unwichtig (mehr für interfamiliäre Angelegenheiten)
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Clovis
Veröffentlicht am Donnerstag, 28. Oktober 2004 - 13:05 Uhr:   

Guten Tag,

ich bin neu in diesem Forum und möchte, nach dem ich die Vorbeiträge überflogen habe, auf einen Punkt hinweisen, von dem ich meine, dass er noch nicht ganz klar herausgearbeitet wurde.

Ein legislatives Gremium, dass eine zufällige Stichprobe aus der Menge aller Wahlberechtigten ist, ist aus meiner Sicht äquivalent zur direkten Demokratie. Ich finde sogar, dass dies eine Möglichkeit bietet, direkte Demokratie mit den Effizienzvorteilen der repräsentativen Demokratie zu verknüpfen.

Jedenfalls lassen sich alle Argumente des Typs, "ZUdem gehören zum Volk auch jede Menge Dummköpfe, die das ganze diskreditieren könnte[n]." auch gegen Volksabstimmungen vorbringen. Ich denke auch nicht, das sowas eine Einschränkung persönlicher Grundrechte darstellt, denn ob man die bei einer Volksabstimmung, eine Wahl treffen kann, die angesichts der sehr vielen Wähler praktisch bedeutungslos für das Zustandekommen der Entscheidung ist, oder ob man eine minimale Chance erhält, eine bedeutsamere Entscheidung zu treffen, dürfte aus individueller Sicht gleichwertig sein.

Ich hatte außerdem mal die Idee, das Problem der Nichtannahme des Losamtes mittels Verknüpfung mit einer Lotterie zu lösen.
1. Jeder der an der Verlosung teilnehmen will, muß sich gegen eine geringe Gebühr (z.B. 5€) registrieren lassen.
2. Die Einnahmen werden an die Ausgelosten in Form von Sitzungsgeldern, Diäten etc. ausgezahlt. Das wäre einerseits kostenneuitral und andererseits bei einem Verhältnis von einem Delegierten auf 50000 Kandidaten durchaus lukrativ.

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