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Obligatorische Briefwahl beim Volksen...

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c07
Veröffentlicht am Donnerstag, 17. Juni 2004 - 17:58 Uhr:   

In Hamburg plant der Senat, Volksentscheide nur noch per Briefwahl durchzuführen. Das wird offenbar von vielen als Angriff auf die Volksgesetzgebung interpretiert, aber ich halt die Idee gar nicht für so absurd. Hintergrund ist, dass damit eine Einsparung von 1 Million Euro für den Doppelhaushalt 2005/2006 erwartet wird (inkl. einer "Optimierung des Eintragungsverfahrens" bei Volksbegehren).

Die Erfahrungen aus England zeigen ja, dass eine Wahl, die ausschließlich als Briefwahl durchgeführt wird, eher zu einer Steigerung der Wahlbeteiligung führt. Voraussetzung ist natürlich, dass jeder die Abstimmungsunterlagen unaufgefordert zugesandt bekommt (ich weiß nicht, ob das in Hamburg so geplant ist). Wenn gleichzeitig die Informationen zum Entscheid verschickt werden, könnte auch eine rein sachliche Entscheidung gefördert werden.

Außerdem wär für die Initiatoren und Gegner der Termin der Abstimmung nicht mehr so kritisch wie bisher. Es gibt dann keine guten und schlechten Termine mehr, je nachdem, ob parallel eine Wahl stattfindet. Klagen gegen einen Entscheid, die hauptsächlich auf eine Verschlechterung des Termins abzielen, wären nicht mehr so attraktiv. Initiatoren müssten nicht erst auf eine terminlich günstige Konstellation warten.

Problematisch bei Briefwahlen ist, dass das Wahlgeheimnis nicht gesichert werden kann. Bei Entscheidungen zu Sachfragen hat das Wahlgeheimnis aber längst nicht den Stellenwert wie bei sonstigen Wahlen. Außerdem ist die Zustellung der Abstimmungsunterlagen sicher etwas kritischer als die einer bloßen Benachrichtigung.

Allerdings müsste man das Quorum anpassen, das faktisch darauf ausgelegt ist, dass parallele Wahlen stattfinden. Eigentlich kann man es bei dieser Gelegenheit gleich ganz überdenken. Ein Quorum ist ziemlich nutzlos, wenn es angemessene Hürden für ein Volksbegehren gibt, und schadet der sachlichen Diskussion, weil es selbst als Zustimmungsquorum ein Totschweigen oft attraktiv macht.

Pressemeldung des Senats
Artikel im Hamburger Abendblatt
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 21. Juni 2004 - 11:49 Uhr:   

Scheint mir alles plausibel.
Bei vernünftigen Eingangshürden UND Briefwahl ist das Quorum wohl wirklich überflüssig, weil dann nicht zu befürchten ist, daß irgendwelche Quatschideen allein durch Faulheit durchkommen.

Problematisch ist vielleicht, daß der Trend zur Briefwahl immer mehr verstärkt wird und aus einer Ausnahme in begründeten Einzelfällen immer mehr eine Massenerscheinung wird, bei der Mißbrauch viel stärker möglich ist.

Ich hatte ja schon das Beispiel aus dem Darmstädter Altenheim in einer anderen Diskussion gebracht. Wahlmanipulationen mit wahlentscheidender Wirkung sind zunehmend wahrscheinlicher.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Montag, 21. Juni 2004 - 12:01 Uhr:   

Gegen die Briefwahl bzw. briefliche Abstimmung scheint meiner Unmassgeblichkeit nichts Grundsätzliches zu sprechen. Vielleicht lässt sich sagen, dass damit mehr Papier verschwendet werde (ein paar Tageszeitungen zu verbieten oder Groschenromane nicht mehr herzustellen brächte allerdings grössere Papierersparnis).
Ob sich die Stimmbeteiligung wesentlich erhöhen lässt, mag bezweifelt werden. Tatsache ist, dass die allgemein zulässige Briefwahl tendentiell eine etwas höhere Stimmbeteiligung bringt, den entscheidenden Einfluss üben allerdings andere Faktoren aus. Selbst bei einer Korrespondenzabstimmung in einem Verein oder bei anonymisierten Umfragen u. dgl. sind Rücklaufquoten von unter 50% nicht selten, eine 100%-Beteiligung ist kaum zu erreichen.

Zum Stimmgeheimnis kann man verschiedener Auffassung sein. Ich gehe davon aus, dass das Stimmgeheimnis die Stimmabgabe der Stimmberechtigten schützen soll. So sollen diese in die Lage versetzt werden, frei von Abhängigkeiten, Beeinflussungsversuchen, Drohung und Druck zu entscheiden.
Etwas anderes ist der Schutz vor Manipulation des Verfahrens, was allein durch das Stimmgeheimnis nicht gewährleistet ist.
Geht man von dieser Auffassung aus, so bringt die briefliche Stimmabgabe auch eine Reihe Vorteile: Z. B. sind die Stimmberechtigten frei, wann, wo, unter welchen Umständen sie ihre Stimme abgeben wollen. Sie können dies im stillen Kämmerlein oder am Bahnhof mitten im Strom durcheilender Leute, wo sie niemand kennt und niemand sich für sie interessiert. Beim Gang zur Urne sind Ort und Zeitpunkt sowie die Umstände der Stimmabgabe hingegen im voraus festgelegt.
Natürlich kann es sein, dass jemand seinen ausgefüllten Stimmzettel offen herumliegen lässt, ebensowohl kann es sein, dass jemand sich z. B. mit Hausgenossen oder Arbeitskollegen unterhält und seine Stimme preisgibt, oder es kann sein, dass in einem Haushalt alle zusammen ihre Stimmen abgeben, d. h. die Unterlagen ausfüllen und für den Postversand bereit machen - indessen stört mich dies nicht, weil ich ja davon ausgehe, dass das Stimmgeheimnis die Stimmenden schützen sollen; wer aber selbst kein Interesse daran hat, seine Stimme geheim zu halten, oder wer sogar ein Interesse daran hat (aus welchen Gründen auch immer), seine Stimme publik zu machen, braucht meines Erachtens nicht vor sich selbst geschützt zu werden. Unter Umständen kann es sogar Fälle geben, in denen zu Kontrollzwecken eine Preisgabe der eigenen Stimme erwünscht und nötig ist - man denke nur einmal an die 99,9% Zustimmung für Hitler, als jedoch mehr als 0,1% der Stimmberechtigten sagten, sie hätten mit Nein gestimmt.

Von den Quoren, in welcher Form auch immer, halte ich ohnehin nichts. Man könnte sich extreme Szenarien denken, bei denen z. B. 100% der Berechtigten ihre Stimme abgeben, aber davon 90% leer oder ungültig stimmen. Bei einem Beteiligungsquorum von z. B. 33,3% (wie in Irland) wäre das Referendum zweifellos gültig, aber es handelt sich dann gleichwohl nur um den Willen von 10%. Bei Zustimmungsquoren u. dgl. wird die Sache eher noch schlimmer, weil sich so leicht Blockaden ergeben.
Im übrigen leuchtet meiner Unmassgeblichkeit nicht ein, warum ein Volksentscheid nur bei bestimmten Quoren gelten soll, der Entscheid eines Parlamentes bzw. einer Regierung aber immer, obwohl bei Wahlen keine Quoren gelten. Gibt auch nur ein einziger Berechtigter seine Stimme ab, dann ergibt sich eben 100% für die Partei seiner Wahl. Und diese 100% halten dann gestützt auf das Votum des Einen auch 100% der Macht. Und wenn eine Million Bürger sie überstimmt, dann soll das nicht gelten, weil das Quorum bei 2 Millionen lag?
Ich möchte abschliessend ein Beispiel aus der Schweiz aufführen (obwohl in der Schweiz keine Quoren bei Volksentscheiden und Wahlen gelten): 1992 fand die Volksabstimmung über den Beitritt zum EWR statt. Parlamente und Regierungen von Bund und allen 26 Kantonen hatten geschlossen die Ja-Parole herausgegeben. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung beträgt im langjährigen Mittel etwa 43 bis 46% bei Wahlen, in den Kantonen manchmal etwas mehr als bei den nationalen Wahlen. Bei der Abstimmung über den EWR-Beitritt betrug die Beteiligung aber deutlich mehr als die Hälfte aller Berechtigten. Mit andern Worten: Der einhellige Entscheid aller Regierungen und Parlamente war durch eine geringere Wahlbeteiligung abgedeckt als der genau gegensätzliche Volksentscheid. Jeder und jede mag selbst urteilen, wie sinnvoll das Operieren mit Quoren also erscheint.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 21. Juni 2004 - 12:22 Uhr:   

@Philipp:
Grundsätzlich gebe ich Dir in den meisten Punkten recht (vor allem bei Quorum). Bei zwei wesentlichen Aspekten gibt es aber durchaus heftige Mißbrauchsgefahr - offenbar ist bei Euch in der Schweiz die Welt hier noch in Ordnung, deswegen hältst Du das für unwahrscheinlich ...

> wer aber selbst kein Interesse daran hat, seine Stimme geheim zu
> halten, oder wer sogar ein Interesse daran hat (aus welchen Gründen
> auch immer), seine Stimme publik zu machen, braucht meines
> Erachtens nicht vor sich selbst geschützt zu werden.
Es geht nicht um den Schutz vor sich selber, sondern um den Schutz vor Druck durch Dritte. Da könnte der Chef im Betrieb die Stimmabgabe seiner Angestellten kontrollieren. Oder noch viel wahrscheinlicher: Im öffentlichen Dienst, in dem die Beschäftigten ohnehin oft nur übers Parteibuch Karriere machen.
Oder aber es könnte simpler Stimmenkauf passieren: Eine Briefwahlstimme mit Unterschrift, aber noch ohne Kreuz, wäre für eine Partei ja alleine schon übr die Wahlkampfkostenerstattung einige Euro wert, von den übrigen Möglichkeiten ganz zu schweigen.

Und dann gibt es massive Mißbrauchsgefahr bei Wahlberechtigten, die nur eingeschränkt aktionsfähig sind, z. B. vielen Insassen von Alters- und Pflegeheimen und Krankenhäusern.

Genau diesen konkreten Fall habe ich halt schon erlebt: Eine Stadträtin setzt Altenheimbewohner unter Druck, ihr die Unterschrift für die Bestellung der Wahlunterlagen zu geben. Holt diese dann (völlig vorschriftswidrig) beim Wahlamt ab und füllt diese dann aus (offenbar nicht im Sinne der Wahlberechtigten).
Das ging "nur" um einige Dutzend Stimmen, aber das Verfahren ist auch für einige hundert gut.

Die Stadträtin gehörte natürlich der Partei an, die die Stadtverwaltung incl. Wahlamt seit Jahrzehnten kontrolliert, die auch die meisten Heimleiter im Stadtgebiet stellt, auch die Staatsanwaltschaft dominiert, die die Anzeigen gegen die Stadträtin anschließend niedergeschlagen hat und auch den Landesgerichtshof, der die Wahlanfechtung abgelehnt hat ...
Soviel Bananenrepublik hätte ich mir vorher in Deutschland nicht vorstellen können!

Bei der Urnenwahl ist man recht weitgehend vor solchen Manipulationen geschützt.
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Sole
Veröffentlicht am Dienstag, 22. Juni 2004 - 18:46 Uhr:   

"Ich hatte ja schon das Beispiel aus dem Darmstädter Altenheim in einer anderen Diskussion gebracht. Wahlmanipulationen mit wahlentscheidender Wirkung sind zunehmend wahrscheinlicher. "

Ob nun Briefwahl oder E-Wahl - ich sehe da wenig Unterschied. Trotzdem wird E-Wahl eher gehypt und Briefwahl eher kritisch beäugt.

Herkömmliche Wahl mit hingehen, Kabine und materiellem Zettel in der Urne ist ja verhältnismäßig sicher, wenn man Wahlbeobachter hat.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 22. Juni 2004 - 23:27 Uhr:   

Die Frage ist, ob Stimmenkauf bei Entscheidungen über Einzelfragen überhaupt verwerflich ist. In den Parlamenten ist es ja auch völlig normal, dass mit Stimmen gehandelt wird.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. Juni 2004 - 07:48 Uhr:   

" In den Parlamenten ist es ja auch völlig normal, dass mit Stimmen gehandelt wird."

Natürlich sind Parlamentarier oft gewissen Lobbies verbunden. Im Parlament wird aber in aller Regel offen abgestimmt. Daher machen sich solche Einflüsse eher in der Ausschußphase bemerkbar als bei einer Schlußabstimmung, wo ja nahezu immer Fraktionszwang herrscht. Der wird gerade dann strikt gehandhabt, wenn die Mehrheit für ein Gesetz nicht sicher ist,.
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c07
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. Juni 2004 - 11:20 Uhr:   

Eben den Fraktionszwang und außerdem Koalitionsverträge hab ich auch vor allem mit dem Stimmenhandel gemeint.

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