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Überhangfreies Wahlsystem

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c07
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2004 - 17:59 Uhr:   

Grundprinzip:

Die Wahl findet auf 3 Ebenen statt. Unterste Ebene sind ungefähr 86 Wahlkreise, mittlere Ebene die 16 Länder und oberste Ebene das Bundesgebiet. Die Parteien stellen Listen auf allen Ebenen auf, die Wähler haben aber nur 1 Stimme, die für alle Ebenen gleichzeitig gilt.

Zunächst wird bundesweit die Hare-Quota ermittelt (also zu berücksichtigende Stimmen geteilt durch die Zahl der zu vergebenden Mandate (z.B. 598)). In den Wahlkreisen stellt jede Partei so viele Abgeordnete, wie sie dort volle Quoten an Stimmen bekommen hat. Die Zahl der in den Wahlkreisen gewählten Abgeordneten ist also nicht fest (in der Regel werden es etwa 5 sein).

Die verbliebenen Stimmen, die keine volle Quote mehr ergeben haben, gehen an die Landeslisten, wo erneut volle Quoten verteilt werden. Was dann noch übrig bleibt, geht an die Bundeslisten, wobei die restlichen Stimmen auf die nächstliegende ganze Quote auf- oder abgerundet werden.

Vorteile:

Es kann dabei zu keinen Überhangmandaten kommen, obwohl die Mehrzahl der Sitze dezentral in den Wahlkreisen vergeben wird. Die höheren Ebenen treten nur dann subsidiär für die niedrigeren ein, wenn dort zu wenig Substanz für einen vollen Sitz vorhanden ist.

Das Verfahren entspricht bezüglich der bundesweiten Verteilung auf die Parteien einer Verteilung nach Sainte-Laguë und gewährleistet deshalb optimale Erfolgswertgleichheit.

Falls es erwünscht ist, können innerhalb der Wahlkreise auch problemlos einzelne Personen gewählt werden. Denkbar ist dabei so ziemlich alles von einer einzelnen Vorzugsstimme bis hin zum listenübergreifenden STV.

Nachteile:

Dadurch, dass zunächst immer nur volle Quoten vergeben werden, werden die kleineren Länder und innerhalb der Länder die kleineren Wahlkreise systematisch benachteiligt (der Effekt ist ähnlich wie bei einer Verteilung nach d'Hondt). Es läge in der Verantwortung der Bundes- bzw. Landesparteien, diesen Nachteil dadurch auszugleichen, dass auf den Bundeslisten bevorzugt Kandidaten aus den kleineren Ländern aufgestellt werden (und entsprechend für die Landeslisten Kandidaten aus den kleineren Wahlkreisen). Um das zu erreichen, müssten gleichmäßig Kandidaten aus allen Ländern (ohne Berücksichtigung der Größe) aufgestellt werden.

Die endgültige Sitzzahl im Bundestag kann leicht vom Soll abweichen (maximal ± ein halber Sitz pro Partei). Falls das unerwünscht ist (weil es z.B. eine ungerade Sitzzahl sein soll), könnte man eine klassische Verteilung der Sitze auf Bundesebene machen und darauf die schon vergebenen Sitze anrechnen. Bei Hare/Niemeyer geht das immer ohne Überhangmandate, während es bei Sainte-Laguë die theoretische Möglichkeit gibt, dass zuvor schon zu viel verteilt worden ist. Das ist aber extrem unwahrscheinlich und mit 5%-Hürde fast unmöglich.

Konkrete Auswirkungen:

Um den Effekt dieses Systems zu simulieren, hab ich mal die Daten der letzten beiden Bundestagswahlen genommen. Dabei hab ich immer 3 oder 4 Wahlkreise von 2002 zusammengefasst (einfach nach fortlaufenden Nummern, pro Bundesland immer zuerst die 4er-Gruppen, dann die 3er-Gruppen (außer bei Bremen, das nur aus einer 2er-Gruppe besteht)). Jedes Bundesland hat nach Bevölkerungszahlen vom 30. Juni 2003 so viele Wahlkreise bekommen, dass dort rechnerisch ungefähr 7 Sitze zu vergeben sind.

2002          SPD  CDU  CSU  Grn  FDP  Summe 
Wahlkreise 207 156 51 8 1 423
Landeslisten 33 26 6 38 38 141
Bundesliste 8 8 1 9 8 34
Summe 248 190 58 55 47 598

1998 SPD CDU CSU Grn FDP PDS Summe
Wahlkreise 215 148 35 1 0 18 417
Landeslisten 36 23 7 32 32 8 138
Bundesliste 9 9 1 10 8 6 43
Summe 260 180 43 43 40 32 598

Es würden also ungefähr 70% der Sitze in den Wahlkreisen vergeben, wobei es aber für Grüne und FDP nur sehr selten reicht. Bei ihnen würde die Mehrzahl der Sitze weiter auf Landesebene vergeben.

Mögliche Ergänzungen:

Wenn man in den größeren Ländern auch den kleineren Parteien realistische Chancen geben will, unterhalb der Landesebene Mandate zu erringen, könnte man erlauben, dass dieselbe Liste in mehreren Wahlkreisen gleichzeitig antritt. Ähnlich könnten sich auch mehrere kleine Landesverbände einer Partei zu einer gemeinsamen Liste zusammenschließen, wenn sie befürchten, sonst übergangen zu werden.

Als Beispiel für eine umfassende Personalisierung hier noch eine Möglichkeit, wie listenübergreifendes STV funktionieren könnte:

Die Wähler können eine beliebige Zahl an Kandidaten aus beliebigen Listen mit fortlaufenden Nummern versehen. Analog können sie die Parteien durchnummerieren. Kandidaten, die keinesfalls eine Stimme bekommen sollen, können gestrichen werden.

Im ersten Schritt wird bestimmt, welche Parteien überhaupt Sitze bekommen. Dazu werden die Parteipräferenzen bundesweit gesammelt. Die jeweils schwächste Partei wird so lang gestrichen und die Stimme an die nächste Präferenz übertragen, bis alle verbliebenen Parteien über 5% der verbliebenen Stimmen haben. Falls keine Parteipräferenz (mehr) vorhanden ist, zählt die Partei des bevorzugten Bewerbers, wobei Bewerber ausscheiden, wenn ihre Partei ausgeschieden ist. Stimmen, bei denen gar keine Präferenz mehr vorhanden ist, scheiden aus.

Wenn bei einem Wähler noch eine Parteipräferenz vorhanden ist, werden eventuell ungereihte Wahlkreiskandidaten dieser Partei mit Ausnahme der gestrichenen Kandidaten in der Listenreihenfolge an die explizite Reihung angehängt; dahinter dient die entsprechende Landesliste als Auffangbecken für noch nicht vergebene Stimmenbruchteile.

Nun wird prinzipiell nach Meek verteilt, mit der Ausnahme, dass die Quote immer die bundesweite Hare-Quota ist, die sich allerdings auch verändern kann, wenn Stimmenbruchteile mangels Folgepräferenz ausscheiden. Gestrichen wird immer der Kandidat mit den bundesweit wenigsten Stimmenbruchteilen, womit auch eine Kandidatur in mehreren Wahlkreisen problemlos möglich ist.

Die verbliebenen Stimmenbruchteile gehen an die entsprechenden Landeslisten bzw. scheiden aus, wenn keine Parteipräferenz übrig ist. Dort werden einfach volle Hare-Quoten in Listenreihenfolge vergeben und der Überschuss an die Bundeslisten weitergereicht wie oben beschrieben.

Dieses Verfahren bietet ein Maximum an Einfluss und Gerechtigkeit für die Wähler und ist trotzdem leicht handhabbar. Prinzipiell würd es auch reichen, einfach eine einzelne Partei und/oder Person anzukreuzen, aber zu rechtfertigen ist es nur, wenn auch ein großer Anteil der Wähler die gebotenen Möglichkeiten ausnutzt, weil der Aufwand bei der Auszählung sehr hoch ist (wie bei jedem modernen STV ist elektronische Auszählung ziemlich unabdingbar). Sonst ist die eingangs beschriebene Grundvariante mit nur einer Parteistimme angemessener, die sich auch ganz leicht klassisch auszählen lässt (sogar einfacher als bisher).

Herkunft:

Auf die Idee, statt einer Unterverteilung auf Länder und/oder Wahlkreise den umgekehrten Weg zu gehn und Reste nach oben weiterzureichen, bin ich durch das griechische Wahlsystem gekommen, das aber im Detail ganz anders funktioniert.

Ein relativ ähnliches System mit Wahlkreisen ohne feste Mandatszahl, aber mit Unterverteilung, hat Frank Schmidt hier und hier schon mal vorgeschlagen. Anfangs hab ich damals nicht kapiert, dass die Wahlkreise variable Größe haben. Außerdem war da meine Kritik, dass auch Einzelbewerber bei voller Hare-Quota einen Sitz bekommen sollten, was ich nach wie vor für unsinnig halt, solang es andererseits eine 5%-Hürde o.Ä. gibt.

Europawahl:

Ähnliches liese sich auch bei der Europawahl sinnvoll anwenden. Wegen der geringeren Mandatszahl könnte bzw. müsste man dabei auf die Wahlkreisebene verzichten. Momentan haben die Parteien die Wahl zwischen eigenen Landeslisten und einer gemeinsamen Bundesliste. Nachdem die CDU wegen der CSU mehr oder weniger zu Landeslisten gezwungen ist, hat die Bremer CDU praktisch keine Chancen, ein Mandat zu bekommen, und im Saarland hängt es auch eher vom Zufall als vom Wahlergebnis ab.

Mit der beschriebenen Kombination aus Listen verschiedener Ebenen könnten die Landesparteien eigene Listen haben, ohne dass die Möglichkeit verloren geht, Politiker aus chancenlosen Ländern auf einer gemeinsamen Liste aufzustellen.

Sehr interessant wär das System auch, um einen europaweiten Verhältnisausgleich zu ermöglichen, weil es den vollen Verhältnisausgleich schon mit einer minimalen Liste erreicht. Wenn es mehr sein soll, könnte man die Quote auch künstlich erhöhen, u.U. abhängig von der Größe der einzelnen Länder.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2004 - 19:06 Uhr:   

Erste Gedanken dazu:
> Auf die Idee, statt einer Unterverteilung auf Länder und/oder
> Wahlkreise den umgekehrten Weg zu gehn und Reste nach oben
> weiterzureichen, bin ich durch das griechische Wahlsystem gekommen,
> das aber im Detail ganz anders funktioniert.
Mich erinnert das eher an Österreich, wobei dort abweichend auf den unteren Ebenen nach Droop-Quoten vergeben wird und Wahlkreisgrößen (d.h. der Nenner der Droop-Formel) im vorhinein festgeschrieben werden, womit Überhangmandate prinzipiell möglich sind (bundesweite Oberverteilung nach d'Hondt).
Das von Dir beschriebene System belohnt prinzipiell regional hohe Wahlbeteiligungen, was gut ist, gleicht aber nicht den Effekt regionaler Unterrepräsentation aus, der durch hohe Stimmenanteile von solchen Parteien entsteht, die bundesweit unter der Sperrklausel geblieben sind. Eine Art Grundmandatsklausel wäre prinzipiell wohl denkbar, würde aber andererseits exakt gleich große Wahlkreise erfordern und dem Wahlkreiszuschnitt zuviel Bedeutung einräumen (siehe Kärnten).

> Dadurch, dass zunächst immer nur volle Quoten vergeben werden,
> werden die kleineren Länder und innerhalb der Länder die kleineren
> Wahlkreise systematisch benachteiligt (der Effekt ist ähnlich wie
> bei einer Verteilung nach d'Hondt). Es läge in der Verantwortung
> der Bundes- bzw. Landesparteien, diesen Nachteil dadurch
> auszugleichen, dass auf den Bundeslisten bevorzugt Kandidaten aus
> den kleineren Ländern aufgestellt werden.
Das bekommt man zumeist schon dadurch in den Griff, dass ein und derselbe Kandidat auf verschiedenen Ebenen kandidieren kann, wobei auf unteren Ebenen errungene Sitze Vorrang haben. Damit bleiben für die Bundeslistensitze automatisch die Bewerber aus kleineren Ländern übrig.

Über die STV-Regelungen muss ich noch ein bisschen nachdenken...
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c07
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2004 - 19:45 Uhr:   

Mörsberg:
> Das von Dir beschriebene System belohnt prinzipiell regional hohe
> Wahlbeteiligungen, was gut ist, gleicht aber nicht den Effekt regionaler
> Unterrepräsentation aus, der durch hohe Stimmenanteile von solchen
> Parteien entsteht, die bundesweit unter der Sperrklausel geblieben sind.

Ja, aber damit unterscheidet es sich vom gegenwärtigen System nicht (außer dass es den Länder nicht mehr an die 50% vom Soll garantiert und keine Überhangmandate eine gewisse Gegenwirkung haben können).

Das Problem, dass Wähler der gescheiterten Parteien gar nicht zählen, ist auch relativ unabhängig vom System. Bekanntlich halt ich da eine Alternativstimme für sinnvoll, die sich auch hier ohne weiteres verwirklichen ließe. In der STV-Variante hab ich das ja eh in der vollen Ausprägung mit beliebig vielen Alternativstimmen eingebaut. Bei klassischer Auszählung muss man sich aber auf ein oder zwei Alternativstimmen beschränken, wenn sich der Aufwand in Grenzen halten soll.

> Eine Art Grundmandatsklausel wäre prinzipiell wohl denkbar,

Frank hat dafür 10 volle Quoten in den Wahlkreisen oder die (absolute?) Mehrheit in 1 Wahlkreis vorgeschlagen. Ich halt aber eine Grundmandatsklausel sowieso für ziemlich abartig. Leider kann man sie momentan nicht abschaffen, weil das als Lex PDS interpretiert würde (wenn man das vermeiden will, könnte man allerdings als Ausgleich die Sperrklausel auf z.B. 4,5% senken).

> würde aber andererseits exakt gleich große Wahlkreise erfordern und
> dem Wahlkreiszuschnitt zuviel Bedeutung einräumen (siehe Kärnten).

In dieser Hinsicht ist vor allem der Zuschnitt und weniger die Größe entscheidend. Ist aber momentan auch nicht anders.
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c07
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2004 - 22:01 Uhr:   

Die STV-Regeln bedeuten übrigens, dass es eigentlich nur einen einzigen Wahlkreis bezüglich der STV-Verteilung gibt, dass aber die Wähler gewisse Einschränkungen haben, die dieses Riesengebilde handhabbar machen. Sie dürfen vorn nur die für sie vorgesehenen Wahlkreiskandidaten reihen und müssen hinten die fertig sortierte Landes- und Bundesliste einer Partei komplett übernehmen, die für den überregionalen Ausgleich sorgt. Wie viele und welche der lokalen Kandidaten sie den Vorgaben vorziehn, bleibt aber den Wählern überlassen.

Unter der Voraussetzung, dass die Mehrzahl der Wähler die relevanten Parteien komplett reiht, könnte man auch noch auf den Systembruch bei der Verteilung der letzten Sitze verzichten, die keine volle Quote mehr ergeben. Dann würden der Reihung auch noch die Bundeslisten der anderen Parteien in der gewünschten Reihenfolge angehängt. Wenn z.B. bei der SPD 1/3 Quote übrig ist, die selber nicht mehr für einen Sitz reicht, könnten deren Wähler noch bestimmen, ob eher die Grünen oder die FDP oder sonst wer davon profitieren sollte (für CDU und CSU müsste man eine automatische gegenseitige Vererbung oder gleich eine gemeinsame Bundesliste ermöglichen).

Die Reihung der Parteien könnte man nebenbei auch noch zur Wahl des Bundeskanzlers nutzen (und damit auch für die Wähler attraktiver machen).

Um die Diskussion zur Art der Quote gleich vorwegzunehmen: Am Schluss bleiben dann natürlich 2 Parteien übrig, wovon der kleineren nichts übrig bleibt, als ihren Anteil an der letzten Quote der anderen zur Verfügung zu stellen oder aus der Verteilung auszusteigen (was aufs selbe rausläuft - Martin würd sagen, dass deshalb der letzte Sitz zu billig wird). Aber hier, wo es sich am Schluss effektiv um eine reine Verteilung auf Parteien handelt, wird schön deutlich, dass das völlig normal ist. Wenn man statt der Hare-Quota die Droop-Quota nehmen würde, würde man nach Parteien ungefähr eine d'Hondt-Verteilung erhalten (beides macht bei 598 Sitzen und relativ wenigen Parteien allerdings nicht sehr viel Unterschied).
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 09:49 Uhr:   

Nur eine Anmerkung: meines Erachtens führt das griechische Wahlsystem dazu, dass eine Partei mit rund 45% der Stimmen die absolute Mehrheit an Sitzen im Parlament zur Verfügung hat. Es handelt sich also letztlich um ein System, in dem Elemente des Mehrheitswahlsystems eine Rolle spielen. Dies ist ja beim Bundestagswahlsystem nicht der Fall. Zu recht sprechen ja die meisten Wahlforscher daher beim Bundestagswahlsystem ja auch von einem personalisierten Verhältniswahlsystem und keinem Mischwahlsystem. Mir ist jetzt an den Überlegungen von C07 immer noch unklar: ist - wenn der Wähler nur eine Stimme hat - das von Dir vorgeschlagene System ein Mehrheitssystem, d.h. zählt letztlich der Vorsprung in Wahlkreisen oder - so habe ich es verstanden - ist es letztlich doch auch ein personalisiertes Verhältniswahlsystem, weil trotz der Existenz von nur einer Stimme die Stimmverhältnisse der Parteien den Ausschlag geben?
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 09:56 Uhr:   

Also, zur Konkretisierung: ich habe aus den obigen Darlegungen den Eindruck gewonnen, dass sich in dem Wahlsystem, welches C07 vorstellt, eine Art Grabensystem verbirgt, wenn rund 70% der Sitze durch Wahlkreise und 30% durch Landes- und Bundeslisten vergeben werden. Und ein solches ist immer ein Mischwahlsystem und kein personalisiertes Verhältniswahlsystem.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 10:51 Uhr:   

Meiner Unmassgeblichkeit will verschiedenerlei nicht einleuchten:
Warum eine so komplizierte und umständliche Verteilung? Nur um Überhangmandate wegzukriegen, braucht es diesen Aufwand rein gar nicht. In den meisten Ländern der Welt ist schlicht die Sitzzahl eines zu wählenden Gremiums von Verfassung oder Gesetz vorgegeben, und das Wahlverfahren verteilt bloss die vorhandenen Sitze, meist in Wahlkreisen mit wahlkreisbezogenen Verteilverfahren, evtl. ergänzt um einen nationalen Wahlkreis zum Ausgleich grober Verzerrungen, oder gar in einem einzigen, nationalen Wahlkreis.
Auch begreife ich nicht ganz, warum immer wieder darauf herumgeritten wird, dass das deutsche Wahlsystem ein "personalisiertes Verhältniswahlrecht" sein soll. Es gibt die Direktmandate, die aber zum allergrössten Teil durch Anrechnung an die Listenwahl bedeutungslos bleiben. In einem reinen Listenverfahren mit offener Liste ist die personale Komponente viel grösser als im deutschen Wahlsystem, aber da spricht dann auch niemand von "personalisiertem Verhältniswahlrecht".
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 12:16 Uhr:   

Der Begriff: "Personalisiertes Verhältniswahlrecht" trifft meines Erachtens die Tatsache, dass letztlich die Sitzverteilung im Bundestag aus der stimmlichen Stärke der einzelnen Parteien resultiert, d.h. die Partei in etwa so stark ist wie sie von den Prozenten abschneidet. Dieser Begriff ist meines Erachtens sinnvoll, da er eindeutig klarstellt, dass es sich eben nicht um ein "Mischwahlsystem" von Mehrheits- und Verhältniswahlsystem handelt und letzterer Begriff daher eigentlich die Spezifiken des deutschen Wahlrechts eher verschleiert als aufklärt. Und meines Erachtens handelt es sich bei C07's Variante um ein - verstecktes? - Grabenwahlrecht, wenn ich seine Ausführungen richtig verstanden habe.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 12:26 Uhr:   

> Warum eine so komplizierte und umständliche Verteilung?
Kompliziert ist allenfalls das STV-System, hier wären meine größten Bedenken, dass man in Deutschland wenig oder keine Erfahrungen damit hat und Wähler auch aufgrund fehlerhafter Information durch die Parteien nicht sinnvoll damit umgehen werden. Allenfalls die Kommunalwahlsysteme in Süddeutschland sind ähnlich aufwendig, wobei hier die Stimme aber nicht übertragbar ist.

Die Verteilung auf drei Ebenen ist für ein Land der Größe Deutschlands und ein Parlament mit (etwa) 598 Mitgliedern hingegen sinnvoll. Mit dem damit einher gehenden Zwang zur regionalen Personalisierung sinkt die Gefahr, dass Phantomparteien mit quasi virtuellen Kandidaten zu leicht Erfolge verzeichnen.
Da für ein solches oder ähnliches System die Parteien zudem flächendeckend eine große Zahl von Kandidaten aufbieten müssen (vorausgesetzt, man untersagt Doppelkandidaturen auf gleicher Ebene), findet bereits vorab eine geeignete Prüfung der Politikfähigkeit statt. So wäre es also auch folgerichtig, die Sperrklausel herabzusetzen oder ganz abzuschaffen.

Für völlig unnötig halte ich die Herstellung einer ungeraden Mandatszahl. Beim saarländischen Landtag (51 Abgeordnete) mag das einer gewissen Sachlogik entsprechen, nicht aber bei ca. 600 Parlamentariern. Lediglich eine Klausel, die eine absolute Stimmenmehrheit einer Partei auch in Mandate umsetzt (durch eventuelle Extrasitze), scheint geboten.

In Erwägung ziehen sollte man möglicherweise auch generelles Abrunden der Reststimmen, so dass am Ende automatisches d'Hondt herauskommt, wenigstens bei Abschaffung der Sperrklausel. Außerdem werden dadurch die Möglichkeiten für kleine Parteien, die nicht in der Lage sind, sich überregional zu vernetzen, tendenziell erschwert, wofür es durchaus Argumente gibt.

Richtig geil wird ein solches Wahlsystem aber erst, wenn man es für die Europawahl verwendet. National beschränkte One-Issue-Gruppierungen wären plötzlich arm dran, die Zahl der Abgeordneten je Land hängt von der Wahlbeteiligung ab, die Aufstellung der gesamteuropäischen Restliste wird bei einigen Parteifamilien ein schöner Spaß und im Idealfall bleiben für die dritte Vergaberunde lauter Malteser, Zyprioten und Luxemburger auf den Listen übrig (und die Briten, die wegen der niedrigen Wahlbeteiligung in der ersten und zweiten Runde "vergessen" wurden).
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 14:56 Uhr:   

@Bernhard Nowak
Ich glaube nicht, dass c07 ein Grabenwahlsystem meint. Er schlägt (wenn und soweit ich ihn richtig verstanden habe) ein Verhältniswahlsystem in
kleinen Wahlkreisen vor, wobei übriggebliebene Bruchteile von Abgeordneten auf der nächsthöheren Ebene aufaddiert werden. Die auf Bundesebene erhaltene Sitzzahl ist dabei (so genau es eben geht) proportional zur Gesamtstimmenzahl. Und das ist meiner Meinung nach die Definition einer Verhältniswahl.

@Mörsberg
Ehrlich gesagt kenne ich persönlich (d.h. außerhalb des Internets) niemanden außer mir selbst der auch nur das gegenwärtige Wahlrecht versteht. Das ist aber auch nicht wirklich erforderlich. Heute weiß man eben, dass man rechts und links je ein Kreuz macht; mit einer STV-Komponente müssste man eben rechts und links durchnummerieren. Für die meisten Wähler wäre das in einem Satz erklärt. Wer mehr wissen will versteht es auch J.Das Problem wäre die Auswertung, da man bei einem effektiv bundesweiten Wahlkreis auch (in dann wohl elektronischer Form) alle Stimmen zur Auszählung an einen Ort bringen müsste. Und im Zweifelsfall von Hand nachzurechnen ist in einem derart großen Wahlkreis nicht mehr möglich. (In einem herkömmlichen STV-Wahlkeis wäre das bei Meek zwar wohl nicht mehr in der Wahlnacht aber doch sicherlich noch vor dem ersten Zusammentreten des neuen Bundestages möglich.)
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c07
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 16:16 Uhr:   

Bernhard:

Das System ist (ohne die möglichen Ergänzungen) ein reines Verhältniswahlsystem. Personalisiert ist es genauso wenig wie das aktuelle. Abgesehen von den Überhangmandaten ist momentan die einzige Personalisierung, dass man einen unbekannten Listenkandidaten gegen einen vorgegebenen Direktkandidaten austauschen kann. Man hat nur die Wahl, bei welcher Partei man den Austausch vornehmen will (und selbst das ist durch absehbare Mehrheitsverhältnisse und Absicherungen auf der Liste nur selten von praktischer Bedeutung).

Der Haupteffekt der Direktkandidaten ist ja der, dass jeder Wahlkreis einen festen Abgeordneten hat (solang er nicht ausscheidet), und dass die lokalen Parteigliederungen direkten Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Bundestags haben (sofern sie eine reale Chance auf den Gewinn des Wahlkreis haben). Es müsste also eher "lokalisiertes Verhältniswahlrecht" statt "personalisiertes Verhältniswahlrecht" heißen.

Im Prinzip leistet das beschriebene System Ähnliches: Bisher wird je 1 Abgeordneter in 299 Wahlkreisen gewählt, mit diesem System wären es ungefähr je 5 in 86 Wahlkreisen. Der Anteil der lokal gewählten Abgeordneten würd also steigen, dafür wär aber das jeweilige Gebiet 3- bis 4-mal so groß. Der Vorteil dabei ist, dass auch kleinere Parteien einen lokalen Vertreter haben können, weil nicht mehr die relative Mehrheit nötig ist, sondern eine Quote reicht, die (abhängig von der lokalen Wahlbeteiligung, der Wahlkreisgröße und der Zahl der verfallenden Stimmen) ungefähr 13% ausmacht. Die genaue Zahl der direkt Gewählten ist aber ein bisschen vom Zufall abhängig.

Grabensystem ist es deshalb nicht, weil die Direktmandate (im Gegensatz zum aktuellen System, wo Überhangmandate aus dem Proporz fallen) in jedem Fall voll auf das Bundesergebnis angerechnet werden. Die 70% für die Wahlkreise gelten nur bei der momentanen Parteienstruktur. Im Extremfall (bei völliger Parteienzersplitterung) könnte der Wahlkreisanteil bis auf null sinken. Aber heute kann man in den meisten Wahlkreisen damit rechnen, dass die stärkste Partei 40% hat und damit in der Regel 3 Sitze bekommt. Die zweitstärkste wird mit 26% meistens noch 2 Sitze erreichen, womit schon 70% der Sitze vergeben wären.


Philipp:

Beziehst du dich darauf, dass die Sitzzahl pro Wahlkreis nicht fest ist? Da ist halt die Frage, ob der regionale oder der Parteienproporz vorgeht. In Deutschland ist es allgemein üblich, dass der Parteienproporz klaren Vorrang hat; nur in Bayern geht normalerweise der Regionalproporz der Wahlkreise vor. An Bayern sieht man aber auch, dass das Überhangmandate nicht verhindert, sofern eine weitere Unterteilung existiert (in Bayern die Stimmkreise). Denkbar wären auch Mischformen (siehe z.B. hier) oder gar ein simultaner Proporz über biproportionale Divisormethoden, wie sie in Zürich eingeführt werden sollen (oder schon sind?). Letzteres zerstört aber den bezirksinternen Parteienproporz u.U. komplett und würde deshalb bei Anwendung auf Deutschland Überhangmandate extrem fördern.

Feste Mandatszahlen in den Ländern wären in Deutschland schon deshalb ziemlich unakzeptabel, weil die kleinsten Länder zu klein sind. Bremen hat nur Anspruch auf 4,6 Bundestagssitze, was keinen vernünftigen Parteiproporz mehr erlaubt. Im Europaparlament sind es gar nur 0,76 Sitze, was nur noch eine Mehrheitswahl erlauben würde. Auch bei 86 Wahlkreisen mit jeweils 7 festen Sitzen würden die gesammelten Rundungsfehler in der Regel eine sehr hohe Abweichung vom Parteienproporz ergeben.

Sobald es einen Verhältnisausgleich gibt, sind auch Überhangmandate möglich, wenn auf den unteren Ebenen Mandate definitiv verteilt werden, die auf weniger Stimmen als einer vollen Quote beruhen.

Was die variable Sitzzahl auf Bundesebene betrifft: Nachdem eben die Rechnung mit Quoten zur Vermeidung von Überhangmandaten notwendig ist, wenn man einen Verhältnisausgleich will, braucht man ein Verfahren, das die Quotenbedingung einhält. Wenn man ein Divisorverfahren wie Sainte-Laguë will, ist das aber nur bei variabler Sitzzahl möglich. Alternativ kann man die Sitzzahl konstant lassen und ein Quotenverfahren wie Hare/Niemeyer nehmen. Eine dritte Möglichkeit hat man, wenn man (durch Alternativstimmen) über eine Reihung der Parteien verfügt. Dann braucht man gar nicht vorzeitig zu runden, sondern kann die Restansprüche nach Wählerwunsch vererben.

Wenn man mal die optionalen STV-Ergänzungen außer Acht lässt, ist das beschriebene Verfahren auch gar nicht besonders kompliziert. Nachdem es nur 1 Stimme gibt, ist es sogar einfacher als das bisherige. Außerdem kann das Wahlkreis- bzw. Landesergebnis dezentral ohne Kenntnis des Bundesergebnis bestimmt werden (u.U. abgesehen von einer bundesweiten Sperrklausel). Einzige zusätzliche Komplexität ist, dass die Parteien auf 3 statt 2 Ebenen Listen aufstellen müssen (die Bundesliste könnte zwar optional sein, aber ohne sie werden nur volle Quoten zugeteilt; bei Parteien, die nur in einem Land antreten, kann die Bundesliste einfach mit der Landesliste identisch sein).

Die zusätzliche Bundesliste kann man aber durchaus auch als Vorteil betrachten, die der Bundespartei erlaubt, einige wenige Politiker aufzustellen, die in ihrem Land in Ungnade gefallen sind oder in den kleinen Ländern sonst von den Zufällen der Unterverteilung abhängig wären.


Mörsberg:
> Allenfalls die Kommunalwahlsysteme in Süddeutschland sind ähnlich aufwendig

Aus Wählersicht sind sie (zumindest in den Städten, wo an die 100 Stimmen zu verteilen sind) sogar deutlich aufwendiger als die hier beschreibene STV-Möglichkeit, wo es ebenfalls die Möglichkeit gibt, einfach ein Parteikreuz zu machen. Nur wird es sinnlos, wenn sich genauso viele Wähler darauf beschränken wie bei den Kommunalwahlen. Dann würd sich das Ergebnis nämlich in aller Regel nicht von der einfachen Variante unterscheiden.

Eine Mehrheitsklausel halt ich höchstens da für sinnvoll, wo eine Mehrheit an Stimmen zu einer Minderheit an Sitzen führen könnte. Wär aber problemlos zu ergänzen (bei variabler Sitzzahl durch Zusatzsitze, bei Hare/Niemeyer durch Vorabzuteilung bei der Restsitzvergabe, und bei Restsitzvergabe nach Parteipräferenzen durch Streichungsausschluss).

> In Erwägung ziehen sollte man möglicherweise auch generelles Abrunden
> der Reststimmen, so dass am Ende automatisches d'Hondt herauskommt,
> wenigstens bei Abschaffung der Sperrklausel.

Dann könnte bzw. müsste man aber auch die Droop- statt der Hare-Quota nehmen. Ich halt es aber nicht für sinnvoll, ein verzerrendes Verfahren zu nehmen, um die Eintrittsvoraussetzungen anzuheben. Wenn man das will, sollte man es direkt per Sperrklausel machen. Sonst werden auch die beeinträchtigt, die die Voraussetzungen erfüllen. So eine stufenlose Beeinträchtigung hat zwar Vorteile, wenn man Zusammenschlüsse fördern will, aber mit gleicher und freier Wahl hat das dann nichts mehr zu tun.


gelegentlicher Besucher:
> Das Problem wäre die Auswertung, da man bei einem effektiv
> bundesweiten Wahlkreis auch (in dann wohl elektronischer Form)
> alle Stimmen zur Auszählung an einen Ort bringen müsste.

Ja, das wär notwendig. Aber nachdem man sie eh erst irgendwie in elektronische Form bringen müsste, wär das kein Problem.

> Und im Zweifelsfall von Hand nachzurechnen ist in einem derart
> großen Wahlkreis nicht mehr möglich.

Nein, aber man kann den kompletten Datensatz veröffentlichen, und dann gibt es sicher auch Leute, die das mit Rechnerhilfe überprüfen. Und die Frage, ob der Datensatz mit den tatsächlich abgegebenen Stimmen übereinstimmt, ist prinzipiell nicht anders als bei jeder anderen Wahl.

Praktisch wär es wohl eh am sinnvollsten, die Wahl auf herkömmlichen Stimmzetteln durchzuführen und diese maschinell einzulesen. STV ist auf Monitoren heutiger Größe für Leute, die derartige Arbeit nicht gewohnt sind, ziemlich unzumutbar, weil Scrollen o.Ä. oder die Eingabe von Nummerncodes unvermeidbar wär. Aber mit den Stimmzetteln hat man dann auch gleich die Möglichkeit, die Richtigkeit der Daten stichprobenartig manuell zu überprüfen.


Noch eine Anmerkung zur STV-Option:
Die Berechnung der Sperrklausel über die Parteipräferenzen, wie ich sie eingangs beschrieben hab, ist nicht sinnvoll, weil dadurch Parteien, die effektiv über 5% hätten, ausgeschlossen werden könnten, und umgekehrt keine wirklichen 5% nötig wären. Um das zu vermeiden, muss man zunächst die volle Verteilung mit allen Parteien durchführen, danach die schwächste Partei streichen und das wiederholen, bis alle Parteien mindestens 5% der Stimmenbruchteile haben (wenn man die Parteipräferenzen zur Restsitzvergabe nutzt, wär das identisch mit 5% der Mandate, also 30). Nachdem die Sitzverteilung eh im Rechner durchgeführt werden müsste, ist der zusätzliche Aufwand minimal.
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gelegenlicher Besucher
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 17:16 Uhr:   

zum c07s eigentlichem Vorschlag:

Die Idee auf mehreren Ebenen zu verteilen scheint mir genau dann sinnvoll, wenn die Wähler in irgend einer Form die Liste ändern können. Genau dann ist es nämlich vorteilhaft die Kandidaten zu kennen. Bei starren Listen hätte man nur den Nachteil (mehr Aufwand) aber nicht den Vorteil (mehr Auswahl).

Was das listenübergreifende STV angeht:

Im Prinzip finde ich die Idee sehr gut. Ich habe aber ein paar Anmerkungen zu den Details:

Bei dieser Option ist es für die Funktion des Verhältnissausgleichs auf höherer Ebene zwingend erforderlich die Kandidatur einer Liste in mehreren Wahlkreisen zuzulassen. Sonst werden die Stimmen der Vertreter der kleinen Parteien nämlich an Vertreter der großen Parteien übertragen ohne je die nächsthöhere Ebene zu erreichen. Das kann man natürlich auch für wünschenswert halten, aber dann lässt man den Ausglei auf höherer Ebene lieber ganz weg.

Die Erfahrung z.B. aus Irland zeigt, dass die Parteien (anders als das Volk) STV nicht mögen, was verständlich ist, weil es den Einfluss der Parteien zugunsten des Volkes schwächt. Wenn man die Kandidatur einer Liste in mehreren Wahlkreisen ermöglicht, dann sollte man deshalb Restsitze die nur aufgrund einer erschöpften Liste entstehen nicht auf die Liste der nächsthöheren Ebene übertragen. Andernfalls könnte nämlich eine pfiffige Partei in allen Wahlkreisen die gleiche Liste (mit berühmten Namen) einreichen und dann effektiv mit einer starren Bundesliste antreten. Frank Schmidt hatte diese Schutzvorschrift in seinem System (glaube ich) auch explizit vorgeschrieben.

Da die Stimmkreiseinteilung in diesem Falle für jede Partei anders ist, könnte man den Parteien evtl. erlauben ihre Stimmkreisgrenzen ganz selbständig, d.h. ohne Rücksicht auf vorgegeben Elementarstimmkreise zu ziehen. Man müsste aber eine Mindestgröße und/oder eine Höchstzahl an Stimmkreisen vorschreiben, weil eine Partei sonst Stimmkreise mit weniger potentiellen Wählern als einer Quote entspricht bilden könnte. Dann hätte man wieder effektiv eine starre Liste.

Weiterhin müsste man sich fragen, ob die Listen auf den höheren Ebenen von den Parteien bestimmt werden sollen. Die Alternative wäre die Listen aus den Verlieren zusammenzusetzen, die bei ihrer Streichung die höchsten Stimmzahlen (evtl. normalisiert auf die Wahlberechtigtenzahl oder Wählerzahl des Stimmkreises) hatten.

Soll ein Kandidat die Zustimmung seiner Partei brauchen um kandidieren zu können? Wenn ja ist der Fraktionszwang wieder da, wenn nein ist die 5%-Hürde ziemlich zahnlos.

Das System gleichzeitig zur Kanzlerwahl zu verwenden halte ich für fragwürdig. Wenn der Kanzler eine Mehrheit im Bundestag braucht hat man hinterher evtl. keinen Kanzler. Wenn er die Mehrheit im Bundestag nicht braucht gibt es keinen Grund ihn als Nebenprodukt der Bundestagswahl zu wählen. Beiläufig bemerkt finde ich ein Präsidialsystem durchaus erwägenswert, weil der Kongress der USA in der Verfassungswirklichkeit auch relativ zur Gesamtmacht des Staates mächtiger ist als unsere Referentenentwurfsratifikationsversammlung (Bundestag). In einem Präsidialsystem könnte man auch problemlos auf die 5%-Hürde verzichten. Eine Mischung beider Systeme geht aber mit Sicherheit schief.

Der Hauptvorteil von STV (Proportionalität nicht nur nach Parteien sondern nach allen für die Wähler entscheidenden Kriterien) wird in diesem System natürlich durch die 5%-Hürde und die Tatsache das ein Teil der Präferenzen (Kandidaten außerhalb des eigenen Stimmkreises) vorgegeben ist eingeschränkt. Ich denke schon, dass man auf einem einfachen Wahlzettel wählen können muss. Ich sehe aber nicht warum man auf einem einfachen Wahlzettel wählen müssen muss. Man könnte auch als Alternative den bundeseinheitlichen Wahlzettel (DIN A-2 J) anbieten.

Die 5%-Hürde dieses Systems entspricht nicht der herkömmlichen 5%-Hürde. Der Unterschied liegt darin, dass die Splitterparteien nacheinander ausscheiden und daher programmähnliche Splitterparteien effektiv listenverbunden sind. Ich weiß im Moment nicht ob ich das gut oder schlecht finde. Das Analogon zur heutigen 5%-Hürde währen wohl 5% der Erstpräferenzen.

Was die Europawahl angeht:
Der Sinn der Wahl in Einzelstaaten liegt ja gerade darin den vollen Verhältnisausgleich zu vermeiden. Das ist auch gut, weil ein voller Verhältnisausgleich für die kleinen Staaten effektiv eine Fremdbeherrschung darstellen würde. Man könnte das System natürlich für eine von zwei Kammern verwenden, wobei in der anderen Kammer alle Staaten mit gleich vielen Abgeordneten vertreten wären. Das wäre ohnehin die bessere Lösung. Wenn man beim Einkammerparlament bleiben will, müsste man die auf Europaebene übertragenen Stimmbruchteile entsprechend gewichten.
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gelegentlicher Besucher
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 17:38 Uhr:   

Noch eine Anmerkung zu Wahlgeräten:

STV auf Touchscreens scheint von der Bedienbarkeit in Dublin geklappt zu haben. (Natürlich ist STV auf Papier dort schon länger üblich.) Das Problem ist nur (völlig unabhängig von STV) das man nie sicher sein kann ob die registrierte Stimme auch der abgegebenen Stimme entspricht. Deswegen werden die Wahlgeräte in Irland auch vorerst nicht flächendeckend eingeführt.
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c07
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2004 - 23:54 Uhr:   

gelegentlicher Besucher:
> Bei starren Listen hätte man nur den Nachteil (mehr Aufwand)
> aber nicht den Vorteil (mehr Auswahl).

Es gibt ja noch andere Vorteile: Ein großer Teil der Kandidaten kann trotz vollem Verhältnisausgleich dezentral bestimmt werden, und es gibt ausdrückliche Vertreter der Regionen, ohne dass es dabei zu Überhangmandaten kommen kann. Dabei ist die regionale Vertretung auch nicht auf eine einzige Partei beschränkt.

Der Aufwand für den Wähler und bei der Auszählung wär kleiner als bisher. Nur die Parteien müssten zusätzlich eine Bundesliste mit 12-16 Kandidaten aufstellen (wenn sie Wackelkandidaten aus den Ländern absichern wollen, entsprechend mehr, aber dann haben sie auch einen zusätzlichen Nutzen daraus).

Und dann hat es halt noch den Vorteil, dass fast jede Form von Personalisierung später nachgerüstet werden kann, ohne das grundsätzliche System zu ändern. Die STV-Variante ist da eh nur ein Extrembeispiel, das in näherer Zukunft nicht realistisch ist.

Als realistischen Einstieg in die Personalisierung würd ich die negative Form von listeninternem Approval Voting empfehlen: Beliebig viele Kandidaten können gestrichen werden; die Kandidaten mit den wenigsten Streichungen gewinnen. In den Diskussionen zur Personalisierung von Wahlsystemen steht immer wieder das Bedürfnis im Vordergrund, einzelne Kandidaten "abwählen" zu können. Das ist damit optimal möglich.

Eine nette Abwandlung, die nicht ganz so negativ ausschaut, ist das lettische Wahlsystem: Jeder Kandidat der gewählten Liste hat eine Voreinstellung von 1 Stimme. Beliebig vielen Kandidaten kann diese Stimme durch Streichung genommen werden, und beliebig viele Kandidaten können durch Kennzeichnung mit einem "+" eine Zusatzstimme erhalten.

> Sonst werden die Stimmen der Vertreter der kleinen Parteien
> nämlich an Vertreter der großen Parteien übertragen ohne je
> die nächsthöhere Ebene zu erreichen.

Nur dann, wenn die Wahlkreiskandidaten relativ komplett gereiht werden. Ich bin davon ausgegangen, dass das hier die Ausnahme ist, und die Wähler in der Regel nur die Kandidaten reihen, die sie wirklich wählen wollen, während es bei reinem STV auch sinnvoll ist, das kleinere Übel dem größeren vorzuziehen. Aber du hast recht, dass das Risiko trotzdem sehr hoch ist, dass ein großer Anteil der Stimme bei den lokalen Kandidaten der großen Parteien hängen bleibt, wenn keine Mehrfachkandidatur einer Liste erlaubt ist, die den Erstpräferierten der kleinen Parteien eigene Chancen auf eine volle Quote gibt.

Ob eine Schutzvorschrift gegen zu kurze Listen wirklich nötig ist, weiß ich nicht. Damit ist ja auch das Risiko verbunden, dass der größte Teil der Stimme an die Konkurrenz geht, die mehr Auswahl bietet. Betroffen wären nur Wähler, die auf die entsprechende Partei fixiert sind. Eigentlich denk ich, dass sich das im freien Wettbewerb vernünftig regeln würde, aber man könnte natürlich auch die Übertragung an die Landesliste stoppen, sobald eine Wahlkreisliste erschöpft ist (was dann eine richtige Strafmaßnahme über den Verlust potenzieller Wahlkreismandate hinaus wär).

> Da die Stimmkreiseinteilung in diesem Falle für jede Partei anders ist,
> könnte man den Parteien evtl. erlauben ihre Stimmkreisgrenzen ganz selbständig,
> d.h. ohne Rücksicht auf vorgegeben Elementarstimmkreise zu ziehen.

Gute Idee. Es müssten aber mindestens die Stimmbezirke eingehalten werden. Außerdem macht es gewissen Mehraufwand bei der Stimmzettelproduktion, falls auf Papier abgestimmt wird.

> Die Alternative wäre die Listen aus den Verlieren zusammenzusetzen,
> die bei ihrer Streichung die höchsten Stimmzahlen (evtl. normalisiert
> auf die Wahlberechtigtenzahl oder Wählerzahl des Stimmkreises) hatten.

Die Stellung bei der Streichung ist ein extrem schlechtes Maß. Überhaupt ist ja die Streichungsregel der Schwachpunkt an STV (ob man meine Alternative, den Verlierer in einem Borda-ähnlichen System zu streichen, hier sinnvoll anwenden könnte, müsst ich mir erst noch überlegen). Einzig sinnvolle Alternative zu eigenen Landeslisten wär, stattdessen die zuletzt gestrichenen Kandidaten aus den Wahlkreisen zu nehmen, die am meisten Stimmenbruchteile beigetragen haben. Das ergibt zumindest einen optimalen Regionalproporz (läuft aber effektiv auf eine ordinäre Unterverteilung nach Hare/Niemeyer raus, die ich eigentlich vermeiden wollte).

> Soll ein Kandidat die Zustimmung seiner Partei brauchen
> um kandidieren zu können?

Ja. Ich geh vom Axiom aus, dass eine 5%-Hürde notwendig ist, um eine stabile Regierungsbildung zu gewährleisten (inhaltlich bin ich weder stark dafür noch sonderlich dagegen). Wenn dem so ist, darf es keine wirklich unabhängigen Kandidaten geben, sondern nur halbwegs geschlossene Gruppen von eben mindestens 5%. Wenn man auf die Sperrklausel verzichtet, kann man auch auf den Parteizwang verzichten, falls die Hürden zur Kandidatur hoch genug sind, dass der Stimmzettel nicht überflutet wird.

> Das System gleichzeitig zur Kanzlerwahl zu verwenden halte ich für fragwürdig.

Ja, zusammen mit offenem STV geht das schief. Ist nur für die Varianten geeignet, wo eine Partei die Stimme ganz oder gar nicht bekommt.

> Referentenentwurfsratifikationsversammlung (Bundestag)

:)
Da ist er aber zum größeren Teil selber dran schuld (und zum Rest der Bundesrat).

> Man könnte auch als Alternative den bundeseinheitlichen Wahlzettel
> (DIN A-2 J) anbieten.

Für die paar Wähler, die sich das antun wollen, 5000 Kandidaten durchzunummerieren, lohnt der Aufwand wohl kaum. Zumindest bräuchte man dafür spezielle Lesegeräte, weshalb ich es allenfalls in elektronischer Form zulassen würde (allein für den Quittungsausdruck bräuchte man bei einem Kandidaten pro Zeile und 12 Punkt Zeilenhöhe fast eine ganze Rolle Klopapier).

> Das Analogon zur heutigen 5%-Hürde währen wohl 5% der Erstpräferenzen.

Ja, aber die heutige 5%-Hürde ist auch mangelhaft. Wenn sich 5% der Wähler darauf verständigen können, dass eine bestimmte Partei besser als alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien ist, dann seh ich keinen Grund, diese Partei auszuschließen. Gegenwärtig wird ihnen kein Mittel der Verständigung zur Verfügung gestellt, aber hier wär es automatisch vorhanden, und dann sollte man es auch nutzen. Eigentlich halt ich es sogar für angemessen, so ein Mittel extra für diesen Zweck zu schaffen (in Form von Alternativstimmen).
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Florian
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Mai 2004 - 01:00 Uhr:   

@ C07:
zum bayerischen Kommunalwahlrecht:
"
Aus Wählersicht sind sie (zumindest in den Städten, wo an die 100 Stimmen zu verteilen sind) sogar deutlich aufwendiger als die hier beschreibene STV-Möglichkeit, wo es ebenfalls die Möglichkeit gibt, einfach ein Parteikreuz zu machen. Nur wird es sinnlos, wenn sich genauso viele Wähler darauf beschränken wie bei den Kommunalwahlen. Dann würd sich das Ergebnis nämlich in aller Regel nicht von der einfachen Variante unterscheiden.
"

Stimmt so nicht.
Folgendes Szenario:
Von 10.000 Wählern der CSU bei einer Kommunalwahl macht nur ein einziger vom Recht des Kummulierens Gebrauch, alle anderen 9.999 machen einfach brav ihr Listen-Kreuzchen.
Dann kann schon dieser eine Wähler den Ausschlag geben, dass Listenplatz 17 in den Stadtrat einzieht, Listenplatz 1 hingegen nicht.

Nebenbei gemerkt:
Ich finde das bayerische Landtagswahlrecht sehr symphatisch.
Es vereint nämlich die Vorteile der Verhältniswahl mit denen der Personenwahl: Jeder Kandidat muss persönlich aktiv werden und kann sich nicht einfach hinter seiner Partei verstecken bzw. sich auf einem "sicheren" Listenplatz ausruhen.
Selbst die CSU-Granden, die relativ sichere Ausgangspositionen haben, müssen sich persönlich engagieren (allein schon deshalb, weil auch für einen Staatsminister die Zahl der Wähler, die ihn persönlich gewählt haben, ein Pfund ist, mit dem er partei-intern wuchern kann).
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c07
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Mai 2004 - 01:49 Uhr:   

Mit "Dann würd sich das Ergebnis nämlich in aller Regel nicht von der einfachen Variante unterscheiden" hab ich nicht die Kommunalwahlen, sondern das hier beschriebene System gemeint (und wunder mich, dass ich dafür noch nicht kritisiert worden bin). Dass eine kleine Minderheit das Ergebnis völlig auf den Kopf stellen kann und sich die Mehrheit nicht mal dagegen wehren kann, halt ich aber nicht für ein Qualitätsmerkmal.

Zum bayrischen Landtagswahlsystem: Es gibt zwar keine sicheren Listenplätze, aber sichere Stimmkreise (auch für die jeweiligen Verlierer!). Wer bei der CSU überhaupt einen Stimmkreis hat, ist praktisch schon gewählt. Generell ist die Personenwahlkomponente minimal. Aber für detailliertere Diskussionen dazu gibt es andere Threads.
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Florian
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Mai 2004 - 13:39 Uhr:   

@C07:
"Dass eine kleine Minderheit das Ergebnis völlig auf den Kopf stellen kann und sich die Mehrheit nicht mal dagegen wehren kann, halt ich aber nicht für ein Qualitätsmerkmal."

Natürlich kann sich eine Mehrheit dagegen wehren, dass die Listenreihenfolge geändert wird!
Sie braucht ja nur entsprechend zu stimmen.

Und was wird denn da eigentlich ggf. "auf den Kopf gestellt"? Doch nur die von den Parteien aufgestellten Listen. Diese Listen sind es aber gerade, die von einer verschwindend kleinen Minderheit (nämlich den Parteimitgliedern) aufgestellt wurden. Und es ist die Mehrheit der
Wahlberechtigten, die diese in ihrem Sinne korrigieren kann.
Um es hart zu formulieren: Selbst wenn 95% der Wahlberechtigten der Meinung sind, dass der Listenführer einer Partei auf keine Fall in den Bundestag einziehen sollte, können sie das gegen den Willen von 5% (und dem Partei-Establishment) nicht verhindern.
In Bayern sind 95% der Wahlberechtigten sowohl auf Kommunal- als auch auf Landesebene hingegen dazu durchaus in der Lage.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Mai 2004 - 15:43 Uhr:   

@Florian
Im bayerischen Kommunalwahlrecht (und auch im Landtagswahlrecht) gibt es eigentlich keine wahlrechtlich bedeutsame Listenreihenfolge, die man explizit unterstützen könnte. Wenn eine Minderheit in der Lage ist -entsprechend ihrem Anteil- die Listenreihenfolge zu ändern, ist das doch durchaus in Ordnung. Das Verhindern eines Kandidaten ist kein Qualitätsmerkmal, wenn eine genügend große Minderheit hinter ihm steht.
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c07
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Mai 2004 - 15:56 Uhr:   

Florian:
[süddeutsche Kommunalwahlen]
> Natürlich kann sich eine Mehrheit dagegen wehren,
> dass die Listenreihenfolge geändert wird!
> Sie braucht ja nur entsprechend zu stimmen.

Wie soll das gehn? Man kann maximal den ersten 10% 3 Stimmen, den nächsten 20% 2 Stimmen, dem nächsten 30% 1 Stimme und den restlichen 40% keine Stimme geben. Damit auch innerhalb der Blöcke die Reihenfolge stabilisiert wird, müsste eine große Zahl an Wählern ihre Stimmen unter den Kandidaten verlosen, wobei die Kandidaten nach Listenplatz eine absteigende Wahrscheinlichkeit haben, eine Stimme zu bekommen.

> Und was wird denn da eigentlich ggf. "auf den Kopf gestellt"?
> Doch nur die von den Parteien aufgestellten Listen.

Mir ist relativ egal, von wem sie aufgestellt worden sind. Aber das ist das, was mir als Wähler präsentiert wird, und wo mir suggeriert wird, dass ich das wählen könnte. Kann ich aber nicht, sondern nur entweder die Katze im Sack kaufen oder selber mit meinen Stimmen relativ ziellos in der Liste rumstochern (der Effekt ist ja zumindest bei den längeren Listen ziemlich unabsehbar).

95% der Wahlberechtigten können beim bayrischen Landtag nicht annähernd einen Kandidaten verhindern. Blasius Thätter ist mit 297 Zweitstimmen gewählt worden (0,017% der gültigen oberbayrischen Zweitstimmen). Zudem hat er auch nach Erststimmen schlechter als seine Partei abgeschnitten (ergibt umgerechnet 1296 negative Erststimmen, die auf sein persönliches Konto zu rechnen wären). Aber auch nach Gesamtstimmen schaut es nicht viel besser aus: Max Weichenrieder ist mit 10174 Gesamtstimmen gewählt worden (0,30% der gültigen oberbayrischen Gesamtstimmen).

Im Übrigen können 95% der Wahlberechtigten den Listenführer einer Partei einfach dadurch verhindern, dass sie eine andere Partei wählen, wenn ihnen die Sache wirklich wichtig ist. Wo die restlichen 5% für einen Sitz reichen (und keine Sperrklausel existiert), seh ich aber keinen Grund, eine Möglichkeit zu schaffen, diesen 5% ihren legitimen Sitz zu nehmen.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Montag, 10. Mai 2004 - 11:25 Uhr:   

@C07
Ich hatte auch schonmal über Regionalwahlkreise ohne feste Sitzzahl mit automatischer Methode nachgedacht
Mandatsvergabe auf drei Ebenen in Kombination mit Präferenzstimmen oder STV halt ich aber für bedenklich. Da dann die Sitzzahl für die erste und vor allem die zweite Ebene schwer berechenbar sein kann, und es daher in der Regel Doppel- und Dreifachkandidaturen geben wird, werden viele Stimmen verlorengehen, zumindest was das personalisierene Element angeht. Wenn also jemand, der auf drei Ebene kandidiert, auf der Landesliste gewählt ist, sind die Präferenzen im Wahlkreis und im Bund wertlos. Zufallsergebnisse, bei denen nur sehr wenige Stimmen für ein Mandat reichen während viele Stimmen verlorengeehen halte ich nicht für wünschenswert. Das dürfte auch bei STV häufiger auftreten, da der Wähler im Normalfall- wenn überhaupt- nur wenige Kandidaten reihen dürfte. Präferenzstimmen auf drei Ebenen machten auch das wählen kompliziert. Auch die systematische Benachteiligung kleiner Länder und Wahlkreise (das erinnert, wie Mörsberg richtig sagte, sehr an Österreich) finde ich nicht unproblematisch.

Besser wäre es daher m.E., nur zwei Ebenen zu haben, die Wahlkreise und den Bund. Um dann die Zahl der dezentral vergebenen Mandate zu erhöhen, könnte man für einen Rest von 75% der Hare-Quota ein zusätzliches Mandat zuteilen. Wenn dadurch mehr Restmandate vergeben würden als der Partei noch Sitze insgesamt zustehen (recht unwahrscheinlich), wird die Grenze solange um 5% angehoben (also auf 80%, 85%, 90%) bis das nicht mehr der Fall ist. Zudem sollte man die Chancen kleinerer Parteien auf Wahlkreissitze dadurch verbessern, daß man erlaubt, in mehreren Wahlkreisen (die aneinander grenzen müssen) dieselbe Liste aufzustellen.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Montag, 10. Mai 2004 - 12:54 Uhr:   

@c07:
>> In Erwägung ziehen sollte man möglicherweise auch generelles Abrunden
>> der Reststimmen, so dass am Ende automatisches d'Hondt herauskommt,
>> wenigstens bei Abschaffung der Sperrklausel.
> Dann könnte bzw. müsste man aber auch die Droop- statt der
> Hare-Quota nehmen. Ich halt es aber nicht für sinnvoll, ein
> verzerrendes Verfahren zu nehmen, um die Eintrittsvoraussetzungen
> anzuheben. Wenn man das will, sollte man es direkt per Sperrklausel
> machen. Sonst werden auch die beeinträchtigt, die die
> Voraussetzungen erfüllen. So eine stufenlose Beeinträchtigung hat
> zwar Vorteile, wenn man Zusammenschlüsse fördern will, aber mit
> gleicher und freier Wahl hat das dann nichts mehr zu tun.
In meinen Überlegungen habe ich halt immer Europa im Hinterkopf. Die Förderung von Zusammenschlüssen halte ich nichtsdestoweniger auch unabhängig davon für legitim, denn dadurch wird das Angebot für den Wähler tendenziell übersichtlicher. Auf 598 (oder im EP 732) Abgeordnete gerechnet ist die Verzerrung insgesamt so gering, dass ich keine gravierende Beeinträchtigung der Gleichheit sehe. Die Eingangsvoraussetzungen bräuchte man gar nicht allzu sehr anzuheben, solange Parallelkandidaturen auf derselben Ebene ausgeschlossen werden. Denn so werden Parteien schon dann Grenzen gesetzt, wenn sie nicht überall genügend Kandidaten finden.

> Als realistischen Einstieg in die Personalisierung würd ich die
> negative Form von listeninternem Approval Voting empfehlen:
> Beliebig viele Kandidaten können gestrichen werden; die Kandidaten
> mit den wenigsten Streichungen gewinnen.
Als Einstieg wäre so eine leichtverständliche Methode wahrscheinlich hilfreicher als STV mit Großformat.

@gelegentlicher Besucher:
> Weiterhin müsste man sich fragen, ob die Listen auf den höheren
> Ebenen von den Parteien bestimmt werden sollen. Die Alternative
> wäre die Listen aus den Verlieren zusammenzusetzen, die bei ihrer
> Streichung die höchsten Stimmzahlen (evtl. normalisiert auf die
> Wahlberechtigtenzahl oder Wählerzahl des Stimmkreises) hatten.
Die Normalisierung müsste man dann schon zwingend einbauen. Ansonsten wäre der Vorwurf, kleine Wahlkreise und Länder würden benachteiligt, erst recht berechtigt. Auch das gibt es schon, nämlich zur Ermittlung der Inhaber von Ausgleichsmandaten bei Kreistagswahlen in BaWü. Die Erfahrung dort zeigt aber, dass das regelmäßig zu kuriosen Zufallstreffern führt.

> Was die Europawahl angeht:
> Der Sinn der Wahl in Einzelstaaten liegt ja gerade darin den vollen
> Verhältnisausgleich zu vermeiden. Das ist auch gut, weil ein voller
> Verhältnisausgleich für die kleinen Staaten effektiv eine
> Fremdbeherrschung darstellen würde. Man könnte das System natürlich
> für eine von zwei Kammern verwenden, wobei in der anderen Kammer
> alle Staaten mit gleich vielen Abgeordneten vertreten wären.
Das müssten nicht notwendig zwei Kammern sein. Denkbar ist auch ein Grabenwahlsystem, nach dem z.B. je fünf Abgeordnete pro Staat in abgeschlossenen Verfahren bestimmt werden (hier wäre STV sehr verlockend) und die restlichen 607 nach europaweiter Verhältniswahl, eventuell mit einer kleinen Sperrklausel, z.B. 2%. Eine Fremdbestimmung sehe ich nicht notwendigerweise. Da die europaweiten Parteienverbindungen auch Interesse an den Stimmen aus Staaten haben müssen, in denen sie keine volle Quote erreichen, können sie die dortigen Sektionen nicht einfach übergehen. Somit würden Luxemburger, Malteser und Esten spätestens über die europaweite Restliste gewählt, selbst wenn sie dort hinter Kandidaten aus den großen Ländern stünden, weil diese ja bereits auf nationaler Ebene Sitze errungen haben.

@Thomas:
> die systematische Benachteiligung kleiner Länder und Wahlkreise
> (das erinnert, wie Mörsberg richtig sagte, sehr an Österreich)
> finde ich nicht unproblematisch.
Im österreichischen System entsteht eine solche Benachteiligung in erster Linie deswegen, weil auf den unteren Ebenen nach Droop-Quoten verteilt wird und damit nur sehr wenige Abgeordnete über die Bundesliste gewählt werden, so dass diese keinen regionalen Ausgleich mehr bewirken kann. Viel gravierender ist in Österreich aber, dass Personen, die auf verschiedenen Ebenen gewählt werden, selbst aussuchen können, auf welcher Ebene sie das Mandat annehmen und damit nach der Wahl mitbestimmen können, wer außer ihnen ins Parlament einzieht und wer nicht.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 10. Mai 2004 - 17:09 Uhr:   

Grundsätzlich ein interessanter Vorschlag. Wobei ich nur über die Variante reden will, bei der mit STV die 5%-Hürde ausgeglichen wird (ich sehe es nämlich nicht ein, das ganze Wahlsystem auf den Kopf zu stellen und den Hauptfehler zu behalten).

Wobei ich eindeutig für 5% NACH STV plädiere. Wenn z. B. in einem Spektrum zwei Parteien mit je 3% konkurrieren, dann würde (falls die Anhänger sich gegenseitig unterstützen) dann die stärkere mit 6% im Parlament sitzen. Das wäre wohl viel angemessener als die Verteilung dieser 6% an irgendwelche Parteien sonstwo in der Landschaft.

Meine Frage nun: Müssen die Wahlkreise halbwegs gleichgroß sein oder sind auch (durch geeignete Wahl des Quotenverfahrens) größere Unterschiede möglich?

Falls größere Unterschiede ok wären, könnte man sehr sinnvolle Wahlkreise schneiden, die die Gegebenheiten vor Ort gut widerspiegeln und damit die Akzeptanz deutlich erhöhen (und gerry-mandering wäre durch den Ausgleich weiter oben kaum eine Gefahr).

Zum Beispiel wären dann Großstädte zwischen 500 000 und 1 Million Einwohnern sehr schöne Wahlkreise.
Und generell wäre es möglich, mit einer Zwei-Ebenen-Struktur auszukommen: Vielleicht 50 etwas größere Wahlkreise (damit auch häufiger mal die kleinen Parteien lokal verankert würden), wobei kleine Bundesländer identisch mit einem Wahlkreis wären, und größere in einige Regionen geschnitten würden.
Und dann reicht eine Bundesliste, um auszugleichen.
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c07
Veröffentlicht am Montag, 10. Mai 2004 - 18:29 Uhr:   

Thomas:
> Da dann die Sitzzahl für die erste und vor allem die zweite Ebene
> schwer berechenbar sein kann,

Mit offenem STV würde das anfangs womöglich der Fall sein. Sofern aber eine feste Parteistimme vergeben wird, ist die Sitzzahl schon ziemlich berechenbar. Auf der mittleren Ebene ist es im Schnitt immer die Hälfte der Zahl der Listen auf unterster Ebene, außer wenn regelmäßig keine einzige volle Quote erreicht wird.

> und es daher in der Regel Doppel- und Dreifachkandidaturen
> geben wird, werden viele Stimmen verlorengehen, zumindest
> was das personalisierene Element angeht.

Bei modernem STV gehen keine Stimmen verloren (außer bei Droop 1 Quote oder wenn es der Wähler so will (wozu bei Hare u.U. 1/2 Quote mangels Alternative genötigt sein könnte)). Bei meinem Vorschlag wär ohnehin immer eine Folgepräferenz vorhanden, sobald der Wähler eine gültige Parteipräferenz hat.

Ohne Personalisierung geht auch nichts verloren. Und mit einfacheren Formen der Personalisierung liegt es in der Natur der Sache, dass viele Stimmen bezüglich der Personenwahl wirkungslos bleiben. Gerade deshalb halt ich es auch für so wichtig, dass der Vorauswahl der Parteien eine gewisse Bedeutung zukommt. Die Parteien sind stärker dazu legitimiert als ein relativ zufälliger Teil der Wähler.

Konkret geh ich eh davon aus, dass es nur auf Wahlkreisebene eine Personalisierung gibt. Erstens sichert das bei den einfachen Formen der Personalisierung einen gewissen Mindesteinfluss der Parteien, und zweitens wären sonst die Wahlkreis- und Ländergrößen wirklich kritisch. Wenn über die Restvergabe auf der höheren Ebene per Mehrheit entschieden würde, wären die kleinen Länder chancenlos (ließe sich bei manchen Systemen durch entsprechende Gewichtung der Personenwahlkomponente kompensieren).

> Besser wäre es daher m.E., nur zwei Ebenen zu haben,
> die Wahlkreise und den Bund.

Ich bin davon ausgegangen, dass die Länder eine feste Randbedingung sind. Ob man sie tatsächlich als eigene Ebene will, wär zu entscheiden. Eigentlich sind die Landeslisten natürlich optional. Jedenfalls verhindern sie für die kleinen Parteien in den kleinen Ländern die Personalisierung. Wenn man erlauben würde, dass eine Liste länderübergreifend in verschiedenen Wahlkreisen antritt, wären die Landeslisten praktisch entmachtet. Man könnte es aber auch einfach den Parteien überlassen, ob sie eine Landesliste aufstellen wollen. Für CDU und SPD wird das außer in Bremen und im Saarland überall sinnvoll sein, für die PDS nur im Osten und für die anderen nur in den großen Ländern.

> für einen Rest von 75% der Hare-Quota ein zusätzliches Mandat zuteilen

Dann kann man fast gleich eine normale Unterverteilung machen und sich die Bundesliste sparen.

Ohne Länderebene würden ungefähr 43 Abgeordnete pro Partei über die Bundesliste vergeben. Wo Listen in mehreren Wahlkreisen simultan antreten, entsprechend weniger. Das halt ich nicht für übertrieben. Es ist genau das Maß, das notwendig ist, um die Zufälle der Restsitzvergabe durch gezielte Listenaufstellung zu ersetzen.


Mörsberg:
> Die Förderung von Zusammenschlüssen halte ich nichtsdestoweniger
> auch unabhängig davon für legitim, denn dadurch wird das Angebot
> für den Wähler tendenziell übersichtlicher.

Wo das ein echtes Problem ist, stimm ich dir zu. Eine kleine Benachteiligung kleinerer Parteien ist immer noch besser, als wenn sie durch hohe Hürden zur Kandidatur u.U. ganz ausgeschlossen werden müssten, um die Überschaubarkeit zu wahren. Innerhalb von Deutschland seh ich aber momentan keinerlei Gefahr, dass sich die relevanten Parteien so zersplittern würden, dass der Wähler den Überblick verliert.


Ralf:
> das ganze Wahlsystem auf den Kopf zu stellen und den Hauptfehler zu behalten

Was der Hauptfehler ist, ist allerdings Ansichtssache. Für mich ist es z.B. die Erststimme, die etwas vorgaukelt, was nicht vorhanden ist, und nebenbei Überhangmandate begünstigt.

> Müssen die Wahlkreise halbwegs gleichgroß sein oder sind auch (durch
> geeignete Wahl des Quotenverfahrens) größere Unterschiede möglich?

Das hängt davon ab, wie viel Vertrauen du in die Parteien hast, eine ausgleichende Bundesliste aufzustellen. Effektiv ist die Grundverteilung nach d'Hondt, getrennt je Partei, mit entsprechender Benachteiligung der kleinen Wahlkreise.

In die Listen auf der höheren Ebene fließen ja die Reste, die auf Wahlkreisgröße nicht berücksichtigt worden sind. Diese Reste sind praktisch unabhängig von der Wahlkreisgröße. Deshalb geht den kleineren Wahlkreisen überproportional viel ab. Wenn aber auf der höheren Ebene z.B. exakt 1 Kandidat pro Wahlkreis in zufälliger Reihenfolge aufgestellt wird, wird genau das wieder ausgeglichen.

Als Unterschied zwischen kleinen und großen Wahlkreisen bleibt dann noch der Grad der Personalisierung. In kleinen Wahlkreisen wird anteilig mehr indirekt über die Listen der höheren Ebenen vergeben. Deshalb ist es auch sehr sinnvoll (oder je nach Art der Personalisierung sogar notwendig), dass bei den kleineren Parteien die effektive Größe durch gemeinsame Listen in mehreren Wahlkreisen gesteigert wird. Eine Obergrenze ergibt sich auf jeden Fall dadurch, dass die Listenlänge begrenzt sein sollte.

Bezüglich dem bundesweiten Parteienproporz ist die Wahlkreisgröße völlig unkritisch. Im Fall von STV ergibt sich der ja ohnehin erst im Lauf der Stimmenübertragung, weil er da gegenüber den einzelnen Kandidaten nachrangig ist.

Insgesamt würd ich sagen, dass es schon einen gewissen Spielraum bei den Wahlkreisgrößen gibt, dass er aber nicht ohne wirklich guten Grund zu weit ausgereizt werden sollte.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 10:19 Uhr:   

"Mit offenem STV würde das anfangs womöglich der Fall sein. Sofern aber eine feste Parteistimme vergeben wird, ist die Sitzzahl schon ziemlich berechenbar."
Nein, nicht wenn eine Partei in mehreren Wahklkreisen auf der Kippe steht. Mal ein konkretes Beispiel aus Österreich: 1999 sank die Zahl der FPÖ-Landeslistensitze in Niederösterreich von 5 auf 1 weil sie von 17,3 auf 22,5% zugelegt hatte.
Wirklich berechenbar sind bei drei Ebenen nur die Mandate für die Bundesliste: Die CSU würde immer kein oder ein Mandat bekommen, die übrigen Parteien um die 8 Sitze.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 11:17 Uhr:   

Wenn eine Partei in vielen Wahlkreisen knapp unter 1 Quote liegt und nicht mit derselben Liste in mehreren Wahlkreisen antritt, wird sie natürlich auf der nächsten Ebene mehr Sitze bekommen. Maximal sind das aber weniger als doppelt so viele wie normal, nämlich die Anzahl der verschiedenen Listen minus 1. Ein listeninternes Personenwahlelement auf der Wahlkreisebene wär damit natürlich für diese Partei wirkungslos, aber auf die anderen Parteien hat das keinerlei Auswirkungen, weil ja immer eine bundesweite Quote für ein Mandat nötig ist.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 13:14 Uhr:   

@Ralf Arnemann:
> Meine Frage nun: Müssen die Wahlkreise halbwegs gleichgroß sein
> oder sind auch (durch geeignete Wahl des Quotenverfahrens) größere
> Unterschiede möglich?
> Falls größere Unterschiede ok wären, könnte man sehr sinnvolle
> Wahlkreise schneiden, die die Gegebenheiten vor Ort gut
> widerspiegeln und damit die Akzeptanz deutlich erhöhen (und
> gerry-mandering wäre durch den Ausgleich weiter oben kaum eine
> Gefahr).
> Zum Beispiel wären dann Großstädte zwischen 500 000 und 1 Million
> Einwohnern sehr schöne Wahlkreise.
Bei einem Modell mit 80-90 Wahlkreisen beträgt die Sollgröße etwa eine Million Einwohner oder rund 750000 Wahlberechtigte, je nachdem auf was man sich als Kriterium einigt.
Ich habe mal angefangen, nach Maßgabe der 750000 Wahlberechtigten eine "sinnvolle" Einteilung vorzunehmen unter Berücksichtigung folgender Vorgaben:
- Die Zahl der WKe je Bundesland berechnet sich durch die standardgerundete Zahl der Wahlberechtigten geteilt durch 750000
- Innerhalb größerer Länder wird der ermittelte Wert auf die Regierungsbezirke nach Sainte-Laguë unterverteilt. Kein Wahlkreis erstreckt sich über mehrere Regierungsbezirke.
- Landkreise werden nicht zerschnitten, Städte nur bei mehr als 1125000 Wahlberechtigten.
Bisher habe ich das für BaWü, Bayern sowie die RBezirke Köln und Düsseldorf mal (etwas vergröbert) durchgespielt. Interessant ist der Wahlkreiszuschnitt auf der unteren Ebene dabei vor allem für die Grünen, zum Teil (bei guten Resultaten) auch für die FDP.
In BaWü ergäben sich 10 Wahlkreise, auf die Bezirke nach dem Muster 4-2-2-2 verteilt. Damit sind die beiden Karlsruher Wahlkreise sehr groß, die beiden Tübinger ziemlich mickrig. Daraus folgen für die Grünen bereits vier Mandate im ersten Verfahren: Stuttgart (WK inklusive zweier Umlandkreise), Karlsruhe/Pforzheim, Mannheim/Heidelberg, Freiburg/Offenburg. Zwei dieser Mandate würden durch den Wahlkreiszuschnitt stark begünstigt. Die FDP erhält erst im zweiten Verfahren Sitze.
In Bayern ist die Bezirksverteilung 4-1-1-1-2-1-2. Dabei ergibt die Stadt München exakt einen Wahlkreis, in dem auch das einzige grüne Mandat der ersten Runde anfällt. Die SPD schafft auch in Bayern überall mindestens eine volle Quote, die niedrigste (1,4) im Wahlkreis Oberbayern-Südost. In Niederbayern käme die CSU schon in der ersten Runde auf sechs Sitze.
In Nordrhein (Köln 4 WKe, Düsseldorf 5 WKe) gäbe es im ersten Durchgang zwei grüne Mandate (Köln, egal ob mit oder ohne Leverkusen sowie Bonn und Umgebung). Im WK Bonn fiele auch ein FDP-Sitz an, den dann wohl auch ausgerechnet Westerwelle einnähme. Im WK Wuppertal (mit SG, RS, ME) reicht es nur auf 0,97 Quoten.
Das zeigt: 500000-Einwohner-Städte sind allein etwas zu klein. Irgendwelche Abstriche vom Kriterium möglichst "sinnvoller" Wahlkreise wird man immer machen müssen. Ferner scheint es wahrscheinlich, dass im Ernstfall zumindest die Grünen mehr als die von c07 per Zufallsverfahren ermitelten acht Sitze im ersten Durchgang erhalten dürften, weil einige Wahlkreise ihrer Hochburgenstruktur entgegenkommen werden. Neben den sieben Sitzen, die ich oben erwähnt habe, erwarte ich noch zwei weitere in Berlin, mindestens einen in Hessen und eventuell einen in Hamburg.
Umgekehrt wird es für die FDP wahrscheinlich bei dem einen Bonner Erstzuteilungssitz bleiben (vielleicht geht noch was in Westfalen oder Rheinland-Pfalz). Das erklärt natürlich auch, dass gerade der FDP-Fanclub in diesem Forum für ein zweistufiges Verfahren argumentiert. Würde man allerdings statt mit 80-90 Wahlkreisen mit etwa 60 beginnen, könnte bereits etwas ganz anderes herauskommen. Das zweifstufige Verfahren ist natürlich auch aus Parteiensicht bequemer. Aus Wählersicht überwiegen aber die Vorteile einer dreistufigen Variante. Und im allerübrigen halte ich die Ländergrenzen für die zweite Stufe nicht für sakrosankt.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 13:45 Uhr:   

Ich habe auch mal für NRW versucht möglichst gleich große und sinnvolle Wahlkreise zu schneiden ohne Kreisgrenzen zu schneiden: Ziemlich schwierig, obwohl ich schon auf bis 30% Abweichung gegangen bin und die Regierungsbezirksgrenzen im Ruhrgebiet zweimal geschnitten habe (E-MH-OB-BOT und GE-BO-HER), sind nicht alle Wahlkreise wirklich sinnvoll.

"Das erklärt natürlich auch, dass gerade der FDP-Fanclub in diesem Forum für ein zweistufiges Verfahren argumentiert."
Zugegeben nicht ganz falsch, aber bei den 18% 2006 ist das eh egal.;-)
Aber auch davon abgesehen halte ich zwei Stufen für sinnvoller.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 14:59 Uhr:   

@c07:
> Was der Hauptfehler ist, ist allerdings Ansichtssache. Für mich ist
> es z.B. die Erststimme, die etwas vorgaukelt, was nicht vorhanden
> ist, und nebenbei Überhangmandate begünstigt.
Die Täuschungswirkung der Erststimme ist in der Tat ärgerlich.
Die Überhangmandate sind noch schlimmer - ließen sich aber auch ohne Systemwechsel leicht vermeiden.
Dagegen halte ich die falsche Handhabung der 5%-Hürde (d.h. Entwertung aller Stimmen von Wählern, deren erste Wahl unter 5% blieb) für einen ganz krassen Fehler unseres Wahlrechts.
Es hat schon eine Reihe Landtagswahlen gegeben, da konnte eine Partei trotz Wahlverlust gegen eine Mehrheit an Stimmen regieren, weil sie im Parlament eine Mehrheit hatte. Das ist doch eine absurde Verdrehung des Wählervotums.

>> Müssen die Wahlkreise halbwegs gleichgroß sein ...
> Das hängt davon ab, wie viel Vertrauen du in die Parteien hast,
> eine ausgleichende Bundesliste aufzustellen.
Muß ich da auf Vertrauen setzen?
Heute können sie die Hälfte der Sitze ohne Rücksicht auf lokalen Proporz besetzen. Beim neuen System wären das deutlich weniger.
Damit ist es doch in Ordnung.

> Effektiv ist die Grundverteilung nach d'Hondt, ...
Wieso hier d'Hondt?
Wäre es nicht besser, mit einem anderen Verteilungsverfahren die kleineren Wahlkreise nicht so unterzubuttern?
Die Gesamtparlamentsmehrheit wäre ja trotzdem über die Bundesverteilung gesichert.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 15:19 Uhr:   

@Mörsberg:
> In Bayern ist die Bezirksverteilung 4-1-1-1-2-1-2.
Und da würde ich doch sagen, daß man mit etwas ungleicheren und größeren Wahlkreisen eine sehr natürliche Aufteilung hinbekäme: München, Oberbayern ohne München, und die übrigen Bezirke je ein Wahlkreis.
Gibt insgesamt 8 (statt 12) Wahlkreise für Bayern, und alle ganz natürliche Einheiten, die gewählten Abgeordneten eines Wahlkreises hätten dann einen gemeinsamen Bezug.

> Das zeigt: 500000-Einwohner-Städte sind allein etwas zu klein.
Hängt das nicht vom Zuteilungsverfahren ab? Deswegen hatte ich c07 gefragt, ob d'Hondt sein muß.
Ich fände es unschön, Städte wie Frankfurt oder Länder wie Bremen noch künstlich mit einigen Umlandgemeinden anzureichern (die würden auch völlig untergebuttert).

> Das erklärt natürlich auch, dass gerade der FDP-Fanclub in diesem
> Forum für ein zweistufiges Verfahren argumentiert.
Au wei.
Großes Pfadfinderehrenwort: Ich bin noch lange nicht soweit, die Vor- oder Nachteile für eine bestimmte Partei beurteilen zu können.

Nur halte ich es grundsätzlich für gut, wenn möglichst oft jede Partei schon auf Wahlkreisebene einen direkten Vertreter haben kann - also eher größere Wahlkreise und "günstiges" Zuteilungsverfahren.
Umgekehrt hätten dann die großen Parteien etwas mehr Potential als bei der Original-c07-Variante, auf Bundesebene noch ein paar Leute nachzuschieben.

> Das zweifstufige Verfahren ist natürlich auch aus Parteiensicht
> bequemer. Aus Wählersicht überwiegen aber die Vorteile einer
> dreistufigen Variante.
Das kann ich nicht nachvollziehen.
Ein zweistufiges Verfahren ist doch für beide "Seiten" einfacher und übersichtlicher.
Wir haben einfach zu viele kleine Länder, die nur 1-3 Wahlkreise hätten - was soll denn da noch eine Landesliste?

> Und im allerübrigen halte ich die Ländergrenzen für die zweite
> Stufe nicht für sakrosankt.
Ich halte die föderalen Strukturen schon für sehr wichtig. Ein Wahlkreis über Ländergrenzen hinweg fände ich überaus problematisch.
Und hier (aber erst hier) kommt auch ein Aspekt aus Parteiensicht hinzu: Eine gemeinsame Liste über verschiedene Unterglieferungen hinweg aufzustellen ist immer eine höchst unschöne Sache und sollte vermieden werden.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 15:50 Uhr:   

> > Das zeigt: 500000-Einwohner-Städte sind allein etwas zu klein.
> Hängt das nicht vom Zuteilungsverfahren ab? Deswegen hatte ich c07
> gefragt, ob d'Hondt sein muß.
Wenn man die Schwelle unterhalb einer vollen Hare-Quota ansetzen möchte, riskiert man eben Überhangmandate.

> Großes Pfadfinderehrenwort: Ich bin noch lange nicht soweit, die
> Vor- oder Nachteile für eine bestimmte Partei beurteilen zu können.
Da kommts natürlich auch drauf an, was man als Vor- oder Nachteil ansieht. In der Endabrechnung bleibt die Proportionalität ja in jedem Fall gewahrt. Wenn Vorzugsstimmen (oder Kandidatenstreichungen) nur im ersten Verfahren möglich sind, die Listen ansonsten aber starr, aber andererseits die Wahlkreisgrößen so festgelegt werden, dass kleinere Parteien mit einer eher flachen Hochburgenstruktur (und das ist in Deutschland eben die FDP) fast nirgends in der ersten Runde eine volle Quote erreichen, dann kann man darin eine Form der Benachteiligung erkennen. Jedenfalls hätten die FDP-Anhänger weniger Möglichkeiten, ihre Präferenzen für bestimmte Personen durchzusetzen als Wähler der großen Parteien und - wenigstens in ausgewählten Regionen - Wähler der Grünen. Andererseits darf man natürlich auch fragen, ob nicht schon die Möglichkeit, einen FDP-Kandidaten in der ersten Runde zu wählen, mehr schwarz/gelbe Wechselwähler als derzeit dazu bewegen könnte, FDP zu wählen, wenn ihnen das regionale Personalangebot der CDU nicht so gut gefällt - dann ist eben geschickte regionale Kandidatenaufstellung auch für die Kleinen von Bedeutung.
Immerhin können "starke" Regionen von den Parteien nicht mehr durch eine unausgewogene Listenaufstellung übergangen werden, wenn sie es in der ersten Runde auf einen Sitz bringen.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 15:59 Uhr:   

@Mörsberg:
> Wenn man die Schwelle unterhalb einer vollen Hare-Quota ansetzen
> möchte, riskiert man eben Überhangmandate.
Uje, und das war natürlich das eigentliche Eingangsthema.
Ärgerlich.

> In der Endabrechnung bleibt die Proportionalität ja in jedem Fall
> gewahrt.
Korrekt, das ist die Hauptsache.
Ansonsten ist mir hauptsächlich aufgefallen, daß bei c07 die großen Parteien fast alle Kandidaten lokal durchbekommen, die kleinen fast alle "oben" (die unterschiedliche Hochburgenstruktur zwischen FDP und Grünen ist noch ein zusätzliches Thema, war mir oben nicht bewußt).

Mit großen Wahlkreisen unten und Streichung der Mittelebene erhoffe ich mir, daß sich die Parteien strukturell etwas angleichen.

Mir schiene es am besten, wenn bei allen Parteien die Mehrzahl der Abgeordneten lokal bestimmt würden, aber ein gewisser Ausgleich (20-30% der Gesamtfraktion) über höhere Listen erfolgen könnte.

> Andererseits darf man natürlich auch fragen, ob nicht schon die
> Möglichkeit, einen FDP-Kandidaten in der ersten Runde zu wählen,
> mehr schwarz/gelbe Wechselwähler als derzeit dazu bewegen könnte,
> FDP zu wählen, ...
Dito bei anderen Parteien (vor allem grün und rot).
Hier fängt dann wirklich der Bereich an, bei dem ein solches Wahlsystem auf die einzelnen Parteiergebnisse zurückwirkt.
Aber wie genau - das ist beim jetzigen Diskussionsstand noch ziemlich schwer zu prognostizieren.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 16:46 Uhr:   

Ralf:
> Dagegen halte ich die falsche Handhabung der 5%-Hürde (d.h. Entwertung
> aller Stimmen von Wählern, deren erste Wahl unter 5% blieb) für einen
> ganz krassen Fehler unseres Wahlrechts.

Ja, aber er ist nicht vom grundsätzlichen Wahlsystem abhängig, sondern kann an jedes System, das auf Parteienproporz basiert, drangebaut werden. Die Reparatur schaut auch überall gleich aus; nur bei Systemen, die Panaschieren erlauben, ist das nicht so leicht möglich.

> Heute können sie die Hälfte der Sitze ohne Rücksicht
> auf lokalen Proporz besetzen.

Auf Landesebene gibt es bei der Bundestagswahl bisher vollen parteiinternen Proporz (abgesehen von den Überhangmandaten). Außer bei der STV-Variante könnte man das prinzipiell auch beibehalten, hat dann aber die Zufälle der Restsitzvergabe, die dazu führen, dass einzelne Wahlkreise einige Sitze über oder unter dem Soll haben werden. Ich halt es da für besser, sie gleich aus der Wahlkreisebene rauszunehmen und den Parteien auf höherer Ebene die Chance zu einer sinnvollen Verteilung zu geben. Das hat aber auch das Risiko, dass die kleineren Wahlkreise benachteiligt werden, weil sie von der Grundverteilung her die schlechtere Startposition haben.

Innerhalb der Länder würd sich der Proporz aber auf jeden Fall verbessern.

> Wieso hier d'Hondt?

Weil auf Wahlkreisebene nur volle Quoten berücksichtigt werden. Es wird also der Idealanspruch berechnet und abgerundet. Das ist exakt automatisches d'Hondt. Wenn man nicht abrundet, bleibt u.U. nicht genug für die höhere Ebene übrig, und es kommt zu Überhangmandaten.

Alternativ könnte man die Quote verdoppeln und kaufmännisch runden. Dann hätte man automatisches Sainte-Laguë, aber es wären nur noch ungefähr 50% der Mandate in den Wahlkreisen zu vergeben. Prinzipiell wären auch Zwischenformen denkbar (z.B. 1,5-fache Quote und Aufrundung ab 2/3). Es muss halt sichergestellt werden, dass immer nur bei einer echten (bundesweiten) Quote aufgerundet wird, sonst hat man das Risiko von Überhangmandaten.

> Mir schiene es am besten, wenn bei allen Parteien die Mehrzahl
> der Abgeordneten lokal bestimmt würden, aber ein gewisser Ausgleich
> (20-30% der Gesamtfraktion) über höhere Listen erfolgen könnte.

Dazu muss man erlauben, dass Listen der kleineren Parteien in mehreren Wahlkreisen antreten dürfen bzw. gleich jede Partei ihre Wahlkreise selber nach Bedarf festlegt, wie oben vom gelegentlichen Besucher vorgeschlagen.

Bei STV bin ich ziemlich überzeugt, dass allein der Wettbewerb einen Missbrauch (zersplitterte oder überfüllte Listen) verhindern würde, aber sonst müsste man da wohl wirklich ein paar Zusatzregeln einführen, wenn man eine halbwegs wirkungsvolle Personalisierung will.

Daran, dass zumindest 1 Sitz tatsächlich errungen werden kann, dürften im Allgemeinen die regionalen Untergliederungen so starkes Interesse haben, dass man das nicht erzwingen muss (könnte man wohl auch nur bei den größeren Parteien durch eine Mindestgröße der Wahlkreise, falls die eigenständig geschnitten werden dürfen). Allerdings ist es dann verlockend, mit exakt 1 Person Auswahl anzutreten. Also bräuchte man eine minimale Kandidatenzahl von vielleicht 3-5.

Schwieriger ist es, zu verhindern, dass die Liste in einem zu großen Gebiet antritt, weil der kritische Punkt zu parteiabhängig ist. Eigentlich ist nur denkbar, dass Quoten ab 30-100 Prozent der Listenlänge verfallen (bei einem niedrigen Wert wär die Mindestkandidatenzahl überflüssig). Dann bräuchte man aber wieder eine Alternativstimmenregelung wie bei der 5%-Hürde, damit nicht die Wähler für den Fehler der Partei bestraft werden.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 17:49 Uhr:   

@c07:
> Ich halt es da für besser, sie gleich aus der Wahlkreisebene
> rauszunehmen und den Parteien auf höherer Ebene die Chance zu einer
> sinnvollen Verteilung zu geben.
Die Chancen einer zusätzlichen Verteilung auf höherer Ebene sehe ich fast ausschließlich darin, daß dann nicht nur starke Lokalhäuptlinge im Parlament sitzen, sondern die Parteien auch ein paar Spezialisten, Quereinsteigern oder "ungewöhnlichen" Kandidaten eine Chance geben können, die lokal untergehen würden.

Der Regionalproporz dagegen funktioniert nach meinen praktischen Erfahrungen bei allen Parteien nur recht mäßig.
Natürlich kommt jede Region irgendwann mal zum Zuge, aber diese Rücksicht würde sofort wegfallen, wenn die lokale Chance schon ein Feigenblatt abgeben würde.
Ansonsten aber läuft das auf Parteitagen doch meist so, daß die starken Bezirke sich den Löwenanteil sichern.

> Das hat aber auch das Risiko, dass die kleineren Wahlkreise
> benachteiligt werden, weil sie von der Grundverteilung her die
> schlechtere Startposition haben.
Wie eben gesagt: Wenn das System die kleineren Wahlkreise "benachteiligt", dann haben sie gelitten - das wird in der Praxis in der Bundesliste nicht ausgeglichen werden.

>> Wieso hier d'Hondt?
> Weil auf Wahlkreisebene nur volle Quoten berücksichtigt werden.
Siehe oben: Uje.
Ich sehe das Argument (Überhangmandate vermeiden), aber ohne eine "Bevorzugung" von kleinen Wahlkreisen und Parteien durch die Zuteilung unten befürchte ich am Ende recht unschöne Verteilungen.

> Alternativ könnte man ...
Diese Alternativen kann ich so ad hoc mit ihren Folgen nicht überblicken.
Die oberste Priorität ist natürlich die Vermeidung von Überhangmandaten, das sehe ich schon ein.
Aber wenn es in zweiter Priorität nicht möglich ist, möglichst viele Abgeordnete auch kleiner Parteien in kleinen Wahlkreisen lokal zu verwurzeln, dann kann man gleich beim derzeitigen System bleiben (natürlich mit Korrektur der Überhangsmandatsproblematik).

> Dazu muss man erlauben, dass Listen der kleineren Parteien in
> mehreren Wahlkreisen antreten dürfen bzw. gleich jede Partei ihre
> Wahlkreise selber nach Bedarf festlegt, wie oben vom gelegentlichen
> Besucher vorgeschlagen.
Wenn man dafür handhabbare und mißbrauchssichere Regeln finden kann, klingt das gut.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 21:46 Uhr:   

Die Diskussion ist mir ein wenig zu abstrakt - weswegen ich ja auch heimlich versuche, "sinnvolle" Wahlkreise zurechtzuzimmern. Fest steht für mich, dass eine Diskussion über sinnvolle Größe und sinnvollen Zuschnitt der Wahlkreise zwangsläufig immer auch ergebnisorientiert ist.
Einige Beispiele:
Nach dem 2002er Ergebnis und den von mir einige Beiträge weiter oben beschriebenen Einteilungsregel, mit der man auf 84 Wahlkreise käme, fallen für die kleineren Parteien (Grüne, FDP) im ersten Durchgang folgende Mandate an:
1. Grüne
Baden-Württemberg: 2-5
Bayern: 1
Berlin: 2 (bei sehr unwahrscheinlicher Einteilung 3)
Hamburg: 1-2 (sinnvoller ist die zu einem Mandat führende Einteilung)
Hessen: 0-1
Nordrhein-Westfalen: 2
GESAMT: 8-14
2. FDP
Nordrhein-Westfalen: 1-3
Rheinland-Pfalz: 0-1 (sehr wohlwollendes Gebilde in der Pfalz)
GESAMT: 1-4
Gestaltungsmöglichkeiten auf Seiten der FDP in der ersten Runde somit fast keine, zumal die Wahlkreiskandidaten in Bonn (Westerwelle) und Südpfalz (Brüderle) eh unter den Top 5 der Bundesliste stehen werden. Bei den Grünen ist es spannender, hier ist die Frage vor allem, welche Personen betroffen sind. Aus der aktuellen Mannschaft gewännen nach meiner Einschätzung folgende Leute:
Die acht "sicheren" Wahlkreise:
Stuttgart: R. Schlauch oder B. Bender
Freiburg: K. Andreae
München: J. Montag
Berlin-Mitte-Süd: C. Ströbele oder R. Künast
Berlin-West: R. Künast oder F. Eichstädt-Bohlig
Hamburg-Nord: A. Hajduk oder K. Sager
Bonn: M. Hustedt
Köln: V. Beck oder K. Müller
Die sechs "eventuellen" Wahlkreise (je nach Zuschnitt):
Esslingen: U. Eid
Karlsruhe: ???
Mannheim: F. Kuhn
Berlin-Nord: (bei anderer Einteilung als oben): W. Schulz oder F. Eichstädt-Bohlig
Hamburg-Süd: K. Sager oder A. Hajduk
Frankfurt/Main: J. Fischer
Aller Voraussicht nach würden sich da also in der Realität zumeist die ohnehin prominenten Kandidaten schlicht früher durchsetzen. Interessant wären lediglich Berlin, wo der Landesverband sich überlegen könnte, Renate Künast nicht auf der unteren Ebene antreten zu lassen, darauf spekulierend, dass sie eh auf Platz 2 der Bundesliste gewählt würde (man sieht, das System kann zu innerparteilichem Hickhack führen) sowie Karlsruhe, eine derzeit in der grünen Fraktion trotz neun baden-württembergischen Mitgliedern nicht abgedeckte Region. Ferner könnte es zu einigen hauptsächlich für Insider spannenden Prestigeduellen kommen (Beck gegen Müller).

Die Spekulation mit der Bundesliste könnte auch die CDU in Mecklenburg-Vorpommern betreiben. Nach gegenwärtigem Stand erreichte die CDU nur je einen Sitz in MV-West (vermutlich W. Kuhn) und einen in MV-Ost, einen dritten über die Landesliste. Da Angela Merkel (bisher Wahlkreis Stralsund) ja die Bundesliste anführen wird, könnte sie durch Nichtkandidatur auf den unteren Ebenen den ansonsten eher unbekannten Abgeordneten U. Adam und S. Jaffke, beide auch für CDU-Anhänger keine Sympathieträger, das Mandat sichern. Kandidiert Merkel dagegen im Wahlkreis, gewänne sie dort auch das erste Mandat, so dass einer der beiden anderen draußen bleiben müsste.

Beim ersten Mal werden diese taktischen Spielchen aber nicht viele durchschauen, vor allem nicht die eigentlich zuständigen Journalisten.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Mai 2004 - 23:08 Uhr:   

Mörsberg:
> Die Diskussion ist mir ein wenig zu abstrakt - weswegen ich ja
> auch heimlich versuche, "sinnvolle" Wahlkreise zurechtzuzimmern.

Sind wir uns nicht eh schon mehr oder weniger einig, dass es gar keine einheitlichen Wahlkreise gibt, zumindest aber die Möglichkeit zur Mehrfachkandidatur?

> Kandidiert Merkel dagegen im Wahlkreis, gewänne sie dort auch das
> erste Mandat, so dass einer der beiden anderen draußen bleiben müsste.

Spitzenkandidaten können es sich eigentlich kaum leisten, nicht im Wahlkreis anzutreten. Das würd sicher einiges an Stimmen kosten (je nach Art der Personalisierung bzw. der Stimmzettelgestaltung). U.U. ist so aber auch ein zusätzliches Mandat möglich.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 12:20 Uhr:   

@C07
Deinen Vorschlag könnte man auch radikal vereinfachen und flexibilisieren und auf mehr oder weniger willkürliche Wahlkreise ganz verzichten. Das sähe dann so aus: Jede Partei kann in jedem der z.Z. ca. 440 Stadt- und Landkreise eine Liste einreichen (sinnvoll erscheinen mir 10-er bis 15-er Listen, Berlin und evtl. Hamburg müßten man dann noch weiter unterteilen). Diese Kreislisten können mit beliebig vielen anderen verbunden werden indem sie dieselben Kandidaten in der selben Reihenfolge enthalten. Die Anzahl der gültigen Stimmen in der Republik wird durch 600 geteilt und jede einzelne oder verbundene Kreisliste bekommt so viele Sitze wie sie diese Zahl voll enthält (sofern die Partei mindestens 5% bekommt). Auf gleiche Weise wird die Sitzzahl der Partei insgesamt ermittelt, nur gibt es für einen Rest größer 50% der Quota einen zusätzlichen Sitz (also faktisch Sainte-Lague-Verteilung). Die Differenz zwischen Sitzen über Kreisliste und den bundesweit zustehenden Sitzen wird über eine Bundesliste besetzt.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 12:35 Uhr:   

@Mörsberg:
> Die Diskussion ist mir ein wenig zu abstrakt ...
Kann ich verstehen - aber umgekehrt ein bestimmtes Wahlergebnis auf die konkreten Abgeordnetennamen runterbrechen ist mir wiederum zu speziell und kann die Grundfragen leichter verdecken als erhellen.

Die Hauptfrage ist ja, wie man es (ohne echte Bevorzugung) ermöglicht, daß auch die kleinen Parteien schon auf lokaler Ebene verankert werden können.

Der strukturelle Unterschied zwischen Grünen und FDP (wg. Hochburgen)
ist da nur ein Aspekt.
Dazu müßte man noch das Splitting diskutieren. Normalerweise ist das eher eine FDP-Sache. Gerade 2002 war aber krass umgekehrt, da haben die FDP-Wähler sehr wenig gesplittet (wg. Unabhängigkeits-Strategie), die Grün-Wähler aber ganz ungewöhnlich massiv gesplittet.
Es bleibt zu analysieren, wie sich diese taktischen Wähler bei einem Einstimmen-System mit Personenkomponente orientieren würden.

Und dann ist noch offen, wie die Parteien sich in Reaktion auf so ein neues Wahlsystem aufstellen würden - insbesondere dann, wenn Varianten wie gemeinsame Listen für mehrere Wahlkreise angeboten werden.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 12:36 Uhr:   

> Sind wir uns nicht eh schon mehr oder weniger einig, dass es gar
> keine einheitlichen Wahlkreise gibt, zumindest aber die Möglichkeit
> zur Mehrfachkandidatur?
Um die Verwirrung auf die Spitze zu treiben: Nein.
Der von den Parteien für ihre Kandidaten selbst vorgenommene Wahlkreiszuschnitt räumt ihnen im Vergleich zu den Wählern zu viele Möglichkeiten ein, sich wie bisher ihre Wunschfraktion im Vorhinein zusammenzubasteln. Parteiintern weniger wohlgelittene, aber bei den Wählern durchaus beliebte Kandidaten (Ströbele!) kann man allzu leicht ausbremsen, indem man ihnen die Hausmacht weggerrymandert, zum Beispiel ducrh übertrieben kleine Wahlkreise.
Der Mehrfachkandidatur stehe ich deswegen skeptisch gegenüber, weil man es dadurch Trümmerparteien zu leicht macht, flächendeckend anzutreten, auch wenn die Kandidatendecke eigentlich zu dünn ist. Folglich müsste man die hohe Sperrklausel in jedem Fall beibehalten. Würde jedoch eine zu geringe Personaldecke regionale Lücken bei den Kandidaturen zur Folge haben, wäre eine hohe Hürde entbehrlicher. Das jedoch geht nur, wenn man Mehrfachkandidaturen nicht zulässt.

> Spitzenkandidaten können es sich eigentlich kaum leisten, nicht im
> Wahlkreis anzutreten.
Wieso? Vom Spitzenkandidaten erwarte ich am wenigsten, dass er sich auch noch um lokalen Kleinkram kümmert. Daher ist es auch nur folgerichtig, dass Gerhard Schröder "nur" über die niedersächsische Landesliste gewählt wurde und (wie übrigens auch Stoiber) nicht in einem Wahlkreis kandidiert hat. Auch Brandt hatte keinen eigenen Wahlkreis, bei Schmidt ging es, weil aus Hamburg, eben nicht anders. Und das Schöne an diesem mehrstufigen System ist doch gerade, dass es sich die Spitzenleute unabhängig von ihrer Herkunft leisten können, auf der unteren Ebene auf die Kandidatur zu verzichten.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 13:00 Uhr:   

@Mörsberg:
> Der von den Parteien für ihre Kandidaten selbst vorgenommene
> Wahlkreiszuschnitt räumt ihnen im Vergleich zu den Wählern zu viele
> Möglichkeiten ein, sich wie bisher ihre Wunschfraktion im Vorhinein
> zusammenzubasteln.
Möglich, deshalb müßte man schon darüber reden, welche Grenzen man den Parteien da setzt.

Mein Verständnis war, daß die Parteien nicht die Wahlkreise nach Gutdünken zusammenschneiden dürfen, sondern höchstens einige der für alle verbindlich festgelegten Wahlkreise (nicht zu viele!) mit derselben Liste bedienen dürfen, so daß die Stimmergebnisse in diesen Wahlkreisen für diese Partei addiert werden.

Da wäre m. E. kaum Mißbrauch möglich.

Die Frage mit den Spitzenkandidaten halte ich für nebensächlich.
Wie im bestehenden System muß halt jeder selber beurteilen, ob die Ergebnisse unten ihm wohl noch Luft lassen werden, damit ein Platz auf der Liste oben alleine noch "sicher" ist.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 13:34 Uhr:   

> Mein Verständnis war, daß die Parteien nicht die Wahlkreise nach
> Gutdünken zusammenschneiden dürfen, sondern höchstens einige der
> für alle verbindlich festgelegten Wahlkreise (nicht zu viele!) mit
> derselben Liste bedienen dürfen, so daß die Stimmergebnisse in
> diesen Wahlkreisen für diese Partei addiert werden.

> Da wäre m. E. kaum Mißbrauch möglich.

Solange die Ländergrenzen sakrosankt bleiben, haben allerdings große Landesverbände in allen Parteien immer noch mehr Spielraum. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel erreichen dagegen weder Grüne noch FDP eine volle Hare-Quota. Soll hier ein Zusammenschluss mit Brandenburg erlaubt werden oder nicht?
Das Problem, durch Zusammenschlüsse eine dünne Kandidatendecke überspielen zu können, bleibt allerdings bestehen, es sei denn, man schreibt die Länge der Listen für das erste Vergabeverfahren verbindlich vor (zum Beispiel Zahl der Wahlberechtigten im WK geteilt durch Zahl der Wahlberechtigten bundesweit mal 598 mal 1,5 und aufrunden), wobei für verbundene Listen auch die jeweiligen Kandidatenzahlen addiert werden.
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c07
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 14:05 Uhr:   

Thomas: Ja, für den Fall ohne Personalisierung ist das für mich ohnehin Stand der Diskussion (u.U. abgesehen von einer optionalen Zwischenebene für die Länder). Mit Personalisierung sind aber wahrscheinlich zusätzliche Vorschriften nötig, die das Unterlaufen verhindern.

Die sinnvolle Länge der Listen hängt davon ab, ob Panaschieren erlaubt ist. In diesem Fall und vor allem bei STV sind mehr als 10 Kandidaten nicht sinnvoll, sonst können es auch mehr sein.


Ralf:
> Es bleibt zu analysieren, wie sich diese taktischen Wähler bei
> einem Einstimmen-System mit Personenkomponente orientieren würden.

Wenn es wirklich taktische Wähler sind und die Personenwahlkomponente nur listenintern ist, werden sie das wählen, was sie zuvor mit der Zweitstimme gewählt haben. Allerdings könnte es sein, dass ein nennenswerter Teil die Erststimme falsch einschätzt und bei einem ehrlichen Wahlsystem anders handeln würde.


Mörsberg:
> Parteiintern weniger wohlgelittene, aber bei den Wählern
> durchaus beliebte Kandidaten (Ströbele!) kann man allzu leicht
> ausbremsen, indem man ihnen die Hausmacht weggerrymandert,
> zum Beispiel ducrh übertrieben kleine Wahlkreise.

Die Frage ist, wie das organisiert wird. Ich geh weniger von einem Wahlkreiszuschnitt in der Parteizentrale aus, sondern eher davon, dass sich die Kreisverbände o.Ä. selber zusammenschließen.

> Der Mehrfachkandidatur stehe ich deswegen skeptisch gegenüber,
> weil man es dadurch Trümmerparteien zu leicht macht, flächendeckend
> anzutreten, auch wenn die Kandidatendecke eigentlich zu dünn ist.

Das seh ich eher als Vorteil. Heute ist es ja bei den meisten Wahlsystemen auch nicht anders. Dass etwa in NRW die Flächendeckung zwingend ist, seh ich eher als Mangel.

> Würde jedoch eine zu geringe Personaldecke regionale Lücken bei den
> Kandidaturen zur Folge haben, wäre eine hohe Hürde entbehrlicher.

Seh ich nicht so. Ohne Hürde könnten dann weiter Splitterkandidaten ins Parlament kommen, nur vielleicht etwas weniger. Zu rechtfertigen ist sie aber ohnehin nur, wenn das generell unterbunden werden soll.

> Vom Spitzenkandidaten erwarte ich am wenigsten, dass er sich
> auch noch um lokalen Kleinkram kümmert.

Ich auch nicht. Sachlich ist es sicher sinnvoll, wenn die Spitzenkandidaten auf der Bundesliste kandidieren. Aber das wird der Partei in der Praxis Stimmen kosten, während momentan zusätzliche Erststimmen in Niedersachsen oder Bayern absolut wertlos sind.

> es sei denn, man schreibt die Länge der Listen für das
> erste Vergabeverfahren verbindlich vor

Das ist im Fall der Personalisierung nicht wünschenswert, weil die optimale Listenlänge immer ein festes Vielfaches vom zu erwartenden Wahlergebnis ist. Weil das beim süddeutschen Kommunalwahlrecht nicht der Fall ist, hat dort die Personalisierung je nach Parteigröße eine extrem unterschiedliche Wirkung; insbesondere kann man bei den kleinen Parteien nicht wirkungsvoll häufeln, ohne dass man versucht, den Stimmenüberschuss an Karteileichen abzuschieben.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 14:57 Uhr:   

@Mörsberg:
> In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel erreichen dagegen weder
> Grüne noch FDP eine volle Hare-Quota.
Nun - dann eben nicht.
Ich will erreichen, daß auch bei den kleinen Parteien möglichst viele Kandidaten lokal angebunden sind. Das heißt aber nicht umgekehrt, daß jeder lokale Bereich auch minimal einen Vertreter haben müßte.
Wenn eine Partei nur 40-50 Abgeordnete bundesweit hat und eine ungleichmäßige Verteilung der Wählerschaft - dann bleiben eben auch weiße Flecken.

> Soll hier ein Zusammenschluss mit Brandenburg erlaubt werden oder
> nicht?
Ich würde sagen: Nein.
Ein Abgeordneter für so ein großes Gebiet wie Mecklenburg-Vorpommern-Brandenburg - das ist doch auch lächerlich.
De facto findet der dann doch im Großteil des Wahlkreises nicht statt, da kann man auch so ehrlich sein und es ganz weglassen.

Auch heute sind Grüne und Liberale ja nicht in jedem Bundesland mit Abgeordneten vertreten.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 15:16 Uhr:   

"Ein Abgeordneter für so ein großes Gebiet wie Mecklenburg-Vorpommern-Brandenburg - das ist doch auch lächerlich."
Wieso lächerlich? Bayern ist noch um einiges größer als Brandenburg und MeckPomm zusammen.
Ich sehe keinen Grund, warum die Ländergrenzen unbedingt eingehalten werden sollen. Warum soll man z.B. nicht in Bremen und auch im Umland kandidieren können? MdBs sehen sich doch kaum als Vertreter ihres Bundeslandes, sondern des Wahlkreises?region und vor allem ihrer Partei. Nicht nur Wahlkreisgrenzen können willkürlich sein, Landesgrenzen sind es oft auch und die Probleme sind diesseits und jenseits einer Landesgrenze meist ziemlich gleich. Und für die landesspezifischen Belange gibt ja 16 Landtage und den Bundesrat.

"Auch heute sind Grüne und Liberale ja nicht in jedem Bundesland mit Abgeordneten vertreten."
Aber fast überall. Die FDP hat nur in Bremen keinen Sitz, die Grünen in Mecklenburg. Eine komplette Abdeckung des Bundesgebietes ist aber tatsächlich nicht zwingend erforderlich.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 16:29 Uhr:   

> > es sei denn, man schreibt die Länge der Listen für das
> > erste Vergabeverfahren verbindlich vor

> Das ist im Fall der Personalisierung nicht wünschenswert, weil die
> optimale Listenlänge immer ein festes Vielfaches vom zu erwartenden
> Wahlergebnis ist.
Das kommt doch darauf an, wie die Personalisierung wahrgenommen wird. Es stehen Streichung, Vorzugsstimme und eine Kombination aus beiden zur Auswahl. Auch darüber, was eine "optimale Listenlänge" ist, gehen die Meinungen sicher auseinander.

> Weil das beim süddeutschen Kommunalwahlrecht nicht der Fall ist,
> hat dort die Personalisierung je nach Parteigröße eine extrem
> unterschiedliche Wirkung; insbesondere kann man bei den kleinen
> Parteien nicht wirkungsvoll häufeln, ohne dass man versucht, den
> Stimmenüberschuss an Karteileichen abzuschieben.
Das liegt daran, dass erstens die Zahl der zu vergebenden Stimmen mit der Mandatszahl des Gremiums identisch ist und zweitens die Häufung auf drei Stimmen pro Kandidat gedeckelt ist. Es sind aber auch andere Regelungen denkbar, die kleinere Gruppierungen vor weniger faktische Probleme stellen.
Auch da ist die Wirkung ja, dass die Zahl der Kandidaten auf einer Liste mindestens ein Drittel der Gesamtmandatszahl betragen muss, um wenigstens die Listenstimmen optimal abschöpfen zu können. Damit liegt also eine indirekte (versteckte) Variante einer Anti-Phantom-Parteien-Hürde formaler Art vor, wie sie mir vorschwebt. Die Länge der Liste von vornherein festzulegen (vgl. auch Frankreich), erscheint mir da ehrlicher und transparenter. Praktisch hätte meine obige Formel zur Folge, dass eine Partei, um Flächendeckung zu erreichen, ca. 950 verschiedene Kandidaten aufbieten muss. SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und vermutlich auch PDS werden das hinkriegen, wobei insbesondere bei der PDS, aber auch bei den Grünen einige Ost/West-Transfers (bzw. umgekehrt) notwendig sein werden. Parteien ohne "Basis" hätten größere Probleme. Und es wäre schon auffällig, wenn etwa die ÖDP bundesweit ihre Listen mit niederbayrischen Kandidaten auffüllte.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Mai 2004 - 21:17 Uhr:   

Einen hab ich noch.
Man könnte natürlich, mit Sperrklausel, bei einer festen Gebietseinteilung den Parteien freistellen, ob sie schon auf der ersten oder erst ab der zweiten Ebene mitspielen wollen. Im letzteren Falle ginge auch die Möglichkeit der Präferenzstimmgebung auf die zweite Ebene über. Dann würden SPD, CDU und CSU überall schon mit Regionallisten (erste Ebene) ins Rennen gehen, die PDS nur in den sechs Ostländern, die Grünen in Berlin, Hamburg und eventuell Baden-Württemberg, die FDP würde sich die Regionallisten vermutlich ganz sparen und gleich mit Landeslisten anfangen (womit wir dann wieder bei einer zweistufigen Variante wären).
Die unterschiedliche Größe der Bundesländer bekommt man aber auch so nur schwer in den Griff.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Mittwoch, 19. Mai 2004 - 14:14 Uhr:   

Auf die Gefahr hin, unbelehrbar zu erscheinen, muss ich doch nochmals wiederholen, dass mir entgeht, was diese ganze komplizierte Diskussion bezwecken soll. Überschrieben ist sie mit "Überhangfreies Wahlsystem" - um aber Überhangmandate zu verhindern, gibt es in den allermeisten Ländern bestehende Regeln, die gar keine Überhangmandate zulassen. In den meisten Staaten sind nämlich die Sitzzahlen von Parlamenten ganz einfach durch Verfassung oder Gesetz unmittelbar oder mittelbar festgelegt, Überhangmandate können so gar nicht entstehen; das Wahlverfahren dient dann nur mehr der Verteilung der vorgegebenen Sitze auf Regionen, Parteien und Personen.
Dabei gibt es einige gängige Verfahren, wie die Sitzzahl fixiert wird:
- absolute Fixierung der Sitzzahl bei wechselnder Verteilung z. B. auf Gliedstaaten (USA: Repräsentantenhaus, CH: Nationalrat),
- absolute Fixierung der Zahl der Sitze pro Wahlkreis (z. B. häufig bei Senatswahlen: 2 Sitze pro Gebietseinheit), die Gesamtsitzzahl kann sich bei Veränderung der Anzahl Wahlkreise ggf. ändern,
- periodische Berechnung der pro Wahlkreis zu vergebenden Sitze z. B. nach Bevölkerungsgrösse (z. B. 1 Sitz auf 50'000 Einwohner)
- festes Verhältnis von Sitzen zu Stimmen (Weimarer Republik, automatische Methode)
u. a. m.
Alle diese Systeme verhindern, dass irgendwelche zusätzlichen, ausserordentlichen Sitze auftauchen, selbst dann, wenn die Gesamtzahl der Mandate nicht absolut festgesetzt ist, sondern sich im Lauf der Zeit verändern kann (z. B. durch Bevölkerungswachstum, Bildung neuer Wahlkreise u. dgl.).
Möchte man in Deutschland ein Wahlsystem ohne Überhangmandate einführen, dann lässt sich ohne weiteres auf eines der in andern Ländern bestehenden Systeme wie oben umrissen zurückgreifen.

Angesichts des Diskussionsverlaufes habe ich aber den Verdacht, dass es unausgesprochen noch um eine Reihe weiterer Ziele geht, die sich nicht im Verhindern von Überhangmandaten erschöpfen.
Letztlich stellt sich bei jedem Wahlsystem die Frage, wozu es dienen soll. Wenn eine feste Parlamentsgrösse als oberstes Ziel gilt, dann kann dies ggf. zu Lasten anderer Ziele gehen. Ist dagegen ein genauer Verhältnisausgleich unter den Parteien/Listen das Ziel, ist u. U. eine wechselnde Grösse des Parlaments erwünscht, weil so auf günstigere Abbildungsgrössen ausgewichen werden kann. Sollen ferner Gliedstaaten/Regionen angemessen repräsentiert werden, dann empfiehlt es sich, diese zu Wahlkreisen mit fest zugeordneten Sitzzahlen zu machen, was aber auf Kosten des genauen Parteinproporzes gehen kann usw.

Nun habe ich subjektiv den Eindruck, dass das deutsche Wahlrecht in seiner bestehenden Form versucht, unterschiedlichen und sich teilweise gegenseitig behindernden oder gar ausschliessenden Zielen zu dienen. Einige Regeln erscheinen mir dabei doch ziemlich unausgegoren, z. B. gilt eine 5%-Hürde, die aber mittels Grundmandatsklausel ausgehebelt werden kann; regionale Minderheiten sind von dieser Klausel wiederum ausgenommen (was aber einer zu kleinen Minderheit ohnehin nichts nützt); aber dann sitzen gleichwohl wieder 2 PDS-Abgeordnete im Bundestag, obwohl die PDS weder 5% noch 3 Direktmandate gewonnen hat. Erstens sind derartige Regelungen nicht sonderlich einfach und klar, zweitens erscheinen sie auch nicht als Vorbild an Konsequenz.

Wenn man ein Wahlsystem konstruieren will, das etwa folgenden Zielen dienen soll:
1. Keine Überhangmandate,
2. Regionalvertretung bezogen auf die Bundesländer,
3. Wahrung der Verhältnisse zwischend en Parteien bzw. Listen,
4. Auswahlmöglichkeit unter den kandidierenden Personen,
dann kann man z. B. etwas wie folgt einführen:
Deutschland bildet ein einheitliches Wahlgebiet mit einer vorgegebenen Anzahl Bundestagssitzen. Die Hälfte der Sitze wird gemäss der Bevölkerungsstärke anteilmässig auf die Länder verteilt. Jedes Land bildet einen Wahlkreis.
Die Wähler können in jedem Land ihre Stimme einer Partei geben und auf der Landesliste der Partei Personen streichen, nach vorne schieben oder nach hinten rücken. Für die Auszählung gelten nur die Parteistimmen, diese werden bundesweit verrechnet. In jedem Land werden unter den Landeslisten die Sitze nach der im Land erzielten Parteienstärke verteilt, die Sitze gehen an jene Kandidaturen, die die besten Stimmen auf ihrer Liste erhalten haben. Zum Ausgleich des Kräfteverhältnisses unter den Parteien wird die andere Hälfte der Sitze so auf die Parteien verteilt, dass das bundesweite Ergebnis abgebildet wird. Innerhalb der Parteien können dann die Sitze z. B. an jene Kandidaten der Landeslisten, die das beste Ergebnis erzielten, aber bei den Verteilungen in den Ländern noch nicht berücksichtigt wurden, gehen, wobei wiederum darauf geachtet werden könnte, dass alle Landeslisten so gut als möglich entsprechend den Grössenverhältnissen der Länder berücksichtigt werden usw.
Das ist immer noch kompliziert genug, erfüllt aber immerhin Kriterium 1 und 3, garantiert nach Kriterium 2 den Ländern eine Mindestvertretung im Bundestag und erlaubt den Wählenden nach Kriterium 4 einen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Parteiabordnungen, der ziemlich gross ist.
Geht man davon aus, dass die genannten 4 Kriterien einigermassen einleuchtend seien und einem weit verbreiteten Konsens entsprächen, dann wird man jedes Wahlrecht so konstruieren müssen, dass es diese einigermassen erfüllt; zugleich ist aber auch klar, dass nicht alle 4 Kriterien gleichzeitig vollumfänglich erfüllt sein können. Kriterium 1 ist am einfachsten zu erfüllen, es kann aber u. U. die andern 3 behindern. Kriterium 2 und 3 können beide nahezu ideal erfüllt werden (abgesehen vom notwendigen und unvermeidlichen Rundungsvorgang auf ganze Sitze!), aber schwerlich gleichzeitig. Kriterium 4 kann je nach Ausgestaltung des Wahlverfahrens wiederum weitgehend erfüllt werden, ohne die andern 3 zu beeinträchtigen.
Fazit: Bevor wir ans Aufstellen eines Wahlverfahrens gehen, müssen wir erst angeben, welchen Zielen es dienen soll und in welcher Hierarchie diese Ziele zueinander stehen.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 19. Mai 2004 - 14:53 Uhr:   

@ Philipp Wälchli
"- festes Verhältnis von Sitzen zu Stimmen (Weimarer Republik, automatische Methode)"

Das kommt vielleicht nicht so deutlich raus: C07s Vorschlag ist eine automatische Methode. Fest steht aber nicht das Verhältnis von absoluter Stimmenzahl zu Mandaten sondern von Stimmenanteil zu Mandaten.
Kompliziert finden ich das im Übrigen nicht. Der Vorschlag ist eher einfacher als das jetzige deutsche Wahlrecht.


"Möchte man in Deutschland ein Wahlsystem ohne Überhangmandate einführen, dann lässt sich ohne weiteres auf eines der in andern Ländern bestehenden Systeme wie oben umrissen zurückgreifen."

Praktisch nie übernimmt ein Land komplett das Wahlsystem eines anderen Landes- von der relativen Mehrheitswahl im Einerwahlkreis mal abgesehen. Kein Verhältniswahlsystem gleicht dem anderen ganz. D'Hondt in Mehrmannwahlkreisen z.B. gibt es vielen Ländern- u.a. in Belgien, Spanien, Portugal, Türkei, der Schweiz, Finnland, Tschechien und der Schweiz- aber es gibt immer Unterschiede was Sperrklausel, Veränderbarkeit der Listen, Möglichkeiten der Listenverbindung oder Größe der Wahlkreise angeht. Selbst da wo bewußt kopiert wird(in Neuseeland hat man sich z.B. am deutschen Wahlrecht angelehnt, in den Niederlanden ist ähnliches in Planung), gibt es erhebliche Modifikationen. Die Phantasie der Gesetzgeber war schon immer beträchtlich. Ich sehe auch keinen Grund, warum man nicht ganz was neues erfinden sollte. Und der Verzicht auf einheitliche Wahlkreise, wie es hier halbwegs Konsens ist, ist doch eine sinnvolle Innovation und gibt es z.Z. in der Form meines Wissens nirgends auf der Welt.
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c07
Veröffentlicht am Donnerstag, 20. Mai 2004 - 14:14 Uhr:   

Philipp:
> Dabei gibt es einige gängige Verfahren, wie die Sitzzahl fixiert wird

Das Problem von Überhangmandaten entsteht ja gerade, wenn die Sitzzahl in den Wahlkreisen mehr oder weniger fixiert ist. Das ist nämlich zu einem Verhältnisausgleich im gesamten Wahlgebiet ziemlich unkompatibel.

Was du konkret vorschlägst, ist keineswegs frei von Überhangmandaten. Z.B. könnte in einem Land die Wahlbeteiligung äußerst gering sein. Eine Regionalpartei könnte dann mehr Sitze im Land erringen, als ihr bundesweit zustehn. Oder es könnte eine Partei in jedem Land einen Anspruch von knapp einem halben Sitz erreichen, der überall aufgerundet wird. Bei einem Direktmandatsanteil von 50% ist das nicht sonderlich wahrscheinlich, aber möglich. Sicher verhindert das Modell lediglich interne Überhangmandate. Vom Grundprinzip her entspricht es übrigens dem, was in Hamburg zur Entscheidung steht (außer dass dort der Verhältnisausgleich über eigene Listen und teilweise auch gar nicht erfolgt (wo es keine solche Liste gibt)).


Dass es mir nicht nur um Überhangmandate geht, hab ich ja schon eingangs geschrieben. Oberste Vorbedingung ist die, dass voller Verhältnisausgleich auf Bundesebene erreicht wird. Daneben ist das Ziel, einen sehr hohen Anteil der Sitze auf unterer Ebene zu verteilen, aber eine Unterverteilung auf die Wahlkreise zu vermeiden, die eher zufällig ist, wenn sie Sitzzahlen sehr klein sind.

Letzteres relativiert sich zwar, wenn jede Partei ihre eigenen Wahlkreise mit passender Größe haben kann, aber eine kleine Bundesliste hat trotzdem den Vorteil, "dass dann nicht nur starke Lokalhäuptlinge im Parlament sitzen, sondern die Parteien auch ein paar Spezialisten, Quereinsteigern oder 'ungewöhnlichen' Kandidaten eine Chance geben können, die lokal untergehen würden", wie Ralf geschrieben hat. Zu genau diesem Zweck werden übrigens in Griechenland 12 von 300 Sitzen über Landeslisten ohne die Möglichkeit von Präferenzstimmen vergeben. Man könnte das allerdings auch erreichen, indem man bei jeder Partei einen festen Anteil (z.B. 5 oder 10 Prozent) für eine Bundesliste reserviert und nur den Rest unterverteilt.

Absolut notwendig ist allerdings die lokale Sitzvergabe nach vollen Quoten, wenn man STV mit einem Verhältnisausgleich kombinieren will. Ein weiteres Ziel war ja, möglichst viele Optionen für eine sinnvolle Personalisierung auf Wahlkreisebene offen zu halten.

Erkauft werden die Vorteile damit, dass die Regionalvertretung nicht ganz optimal ist. Mit Unterverteilung wär das auch nicht der Fall, aber die Schwankungen wären eher zufällig als systematisch und könnten nicht durch eine Bundesliste ausgeglichen werden. Außerdem relativiert sich das, wenn jede Partei andere Wahlkreise hat.

Was an dem Vorschlag kompliziert sein soll, versteh ich nicht. Es funktioniert nach dem Stand der Diskussion (aus meiner Sicht) einfach so: Die Parteien treten in Gebieten ihrer Wahl an. Dort werden volle Quoten als Sitze vergeben. Die Restansprüche werden standardgerundet und an Bundeslisten vergeben. Einfacher geht es doch kaum. Optional gäb es noch eine zwischengeschaltete Länderebene sowie die verschiedensten Möglichkeiten der Personalisierung, was aber am Grundkonzept nichts ändert, außer dass u.U. die Freiheit der Parteien bei der Gebietsabgrenzung eingeschränkt werden muss, wenn man verhindern will, dass sie die Personalisierung unterlaufen.

Außerdem hab ich noch die kleine Modifikation vorgeschlagen, dass die Restansprüche nicht gerundet werden, sondern Restbruchteile von Quoten STV-ähnlich an andere Parteien vererbt werden können, sofern ohnehin eine Reihung der Parteien existiert. Das funktioniert aber auch mit anderen Systemen und ist einfach eine Alternative zu Sainte-Laguë, Hare/Niemeyer oder d'Hondt, die die zusätzlich vorhandene Information für eine optimalere Verteilung nutzt.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 27. Mai 2004 - 13:35 Uhr:   

"Das Problem von Überhangmandaten entsteht ja gerade, wenn die Sitzzahl in den Wahlkreisen mehr oder weniger fixiert ist. Das ist nämlich zu einem Verhältnisausgleich im gesamten Wahlgebiet ziemlich unkompatibel."

Nein. Wenn die Sitzzahlen fixiert sind, entstehen eben keine Überhangmandate. Überhangmandate entstehen dann, wenn es absolute Sitzansprüche gibt. Und mit dem Verhältnisausgleich braucht sich eine fixierte Sitzzahl auch nicht zu stossen - dann werden halt die regionalen und lokalen Ergebnisse verzerrt, weil sich die Verteilung nach dem Gesamten richtet. (Ist z. B. ein Stück weit im Berner Modell mit Wahlkreisverbänden verwirklicht, und da bekommt dann eine lokal schwache Partei manchmal ein Mandat, weil sie im grösseren Gebiet stark war usw.)

"Was du konkret vorschlägst, ist keineswegs frei von Überhangmandaten. Z.B. könnte in einem Land die Wahlbeteiligung äußerst gering sein. Eine Regionalpartei könnte dann mehr Sitze im Land erringen, als ihr bundesweit zustehn. Oder es könnte eine Partei in jedem Land einen Anspruch von knapp einem halben Sitz erreichen, der überall aufgerundet wird. Bei einem Direktmandatsanteil von 50% ist das nicht sonderlich wahrscheinlich, aber möglich. Sicher verhindert das Modell lediglich interne Überhangmandate."

Eine derartige Äusserung macht mich nun wirklich etwas böse. Wer so schreibt, hat offensichtlich nicht gelesen, was ich schrieb, oder hat es nicht verstanden oder nicht verstehen wollen.
In meinem skizzierten Vorschlag kann es deswegen keine Überhangmandate geben, weil nur soviele Mandate verteilt werden, wie es eben nun einmal gibt. Die Sitzzahl ist eben fixiert.
Und wo, bitte schön, war von Direktwahlkreisen die Rede? Ich bin der Meinung, dass Direktwahlkreise ohnehin ein Unsinn sind. Im skizzierten Vorschlag gibt es genau so viele Wahlkreise (mit mehreren Sitzen) wie Bundesländer plus einen bundesweiten Wahlkreis. Und Sitzansprüche werden ggf. halt umverteilt.
Schlimmstenfalls entstehen kleinere Verzerrungen gemessen am nationalen oder an den lokalen Ergebnissen.

"Dass es mir nicht nur um Überhangmandate geht, hab ich ja schon eingangs geschrieben. Oberste Vorbedingung ist die, dass voller Verhältnisausgleich auf Bundesebene erreicht wird."

Aha. Gut, aber dann ist der Titel dieses Diskussionsfadens eigenartig gewählt. Und das Hauptziel, vollen Verhältnisausgleich auf Bundesebene zu erreichen, kann man wiederum ganz billig haben: 600 Sitze in einem einzigen Wahlkreis, punkt.
Das Problem, dass wir nur ganze Sitze vergeben können und daher Verzerrungen in geringem Masse in Kauf nehmen müssen, werden wir dann aber auch immer noch haben.

"Daneben ist das Ziel, ..."
"Ein weiteres Ziel war ja, ..."

Aha, ja eben! Was ich weiter oben schon sagte: Je mehr Ziele wir gleichzeitig verfolgen, desto schwieriger wird es. Man kann auch nicht zwei Hasen gleichzeitig jagen.
Aber genau das scheint mir dieser Vorschlag zu beabsichtigen.
Ich denke vielmehr, dass man sich ganz grundsätzlich erst einmal entscheiden sollte, welche (wenigen) Ziele zu verfolgen seien. Ferner muss entschieden werden, in welcher Rangfolge sie zueinander stehen (alles gleichzeitig geht nicht).
Und dann müssen wir bei der Ausarbeitung eines Systems vielleicht auch von liebgewordenen Gewohnheiten Abschied nehmen, z. B. von Direktwahlkreisen.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Das Ziel, keine Überhangmandate zu haben, ist einfach zu erreichen. Wir fixieren einfach im Grundgesetz, dass der Bundestag aus 600 Abgeordneten besteht. Das zweite Ziel, optimale Proportionalität bundesweit zu erreichen, können wir ebenfalls leicht erfüllen: Wir machen ganz Deutschland zu einem Einheitswahlkreis.
Aber sobald nun als drittes Ziel noch Regionalvertretung hinzukommt, entstehen die Probleme.
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c07
Veröffentlicht am Donnerstag, 27. Mai 2004 - 17:07 Uhr:   

Philipp, du hast geschrieben: "Für die Auszählung gelten nur die Parteistimmen, diese werden bundesweit verrechnet." Das hab ich so interpretiert, dass du einen vollen bundesweiten Verhältnisausgleich vorsiehst.

Überhaupt ist es sinnlos, von Überhangmandaten sprechen zu wollen, wenn der Verhältnisausgleich kein Ziel ist, weil ja dann kein verbindliches Maß existiert, gegenüber dem was überhängen könnte.

Natürlich kann man mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen, und sie müssen auch nicht unbedingt in einer klaren Hierachie stehen. Du hast ja selber geschrieben: "Innerhalb der Parteien können dann die Sitze z. B. an jene Kandidaten der Landeslisten, die das beste Ergebnis erzielten, aber bei den Verteilungen in den Ländern noch nicht berücksichtigt wurden, gehen, wobei wiederum darauf geachtet werden könnte, dass alle Landeslisten so gut als möglich entsprechend den Grössenverhältnissen der Länder berücksichtigt werden usw." Ungefähr so eine Lösung hab ich ja auch schon mal skizziert.

> Aber sobald nun als drittes Ziel noch Regionalvertretung hinzukommt,
> entstehen die Probleme.

Ich hab diesen Thread auch nicht aufgemacht, um Trivialitäten zu diskutieren. Eigentlich hab ich gedacht, dass das aus meinem ersten Posting klar geworden wär.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Donnerstag, 27. Mai 2004 - 17:38 Uhr:   

Hatten wir hier eigentlich schon die biproportionale Methode ins Rennen geschickt? Da gäbs ja sowohl Parteienproporz als auch Regionalproporz. Große Bundesländer wären natürlich sinnvoll zu unterteilen.
Vor- und Nachteile siehe Europawahlsystem-Thread. Was mir ja daran besonders gefällt, ist die Vergabe mehrerer Stimmen je Wähler auf einzelne Kandidaten mit der Möglichkeit des Panaschierens. Ohne Sperrklausel wär das fast so gut wie STV.
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c07
Veröffentlicht am Donnerstag, 27. Mai 2004 - 18:14 Uhr:   

Die biproportionale Methode ist allerdings denkbar schlecht für Personalisierungen aller Art geeignet, weil da die Zahl der Mandate einer Lokalliste nur sehr lose mit der Zahl der dortigen Wähler zusammenhängt.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Donnerstag, 27. Mai 2004 - 21:16 Uhr:   

Also, soo schlimm ist es ja nun wirklich nicht. Ich hab das mal für die letzte BTW auf Bundeslandebene durchgerechnet, wobei ich die Mandate pro Land nach Wahlberechtigtenzahl vergeben habe (die "deutsche Bevölkerung" hatte ich nicht da). 5%-Hürde bleibt, Direktmandate fallen weg, so dass in der OV SPD und CDU je einen Sitz mehr erhalten, weil die zwei für die PDS ausfallen.
Dann gibt es insgesamt nur zwei signifikante Effekte. Der eine betrifft den West/Ost-Ausgleich durch die nicht mitzählenden PDS-Stimmen plus niedrige Beteiligung. Der andere ergibt sich, weil die CSU extra zählt und ihre 58 Sitze aus der OV eine Konstante sind. Ansonsten ist das Ergebnis schon okay. Vergleicht man beispielsweise die aktuelle Unterverteilung der 55 Grün-Sitze mit der nach biproportionaler Methode, kommt man nur auf zwei Verschiebungen: Bayern und Niedersachsen geben je einen Sitz ab, Nutznießer sind Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern.
Man hätte so immerhin das Problem der Ost-Unterrepräsentation wegen wegfallender PDS-Stimmen im Griff. Statt dessen holt man sich natürlich das andere der folgenlosen regionalen Wahlenthaltung an den Hals.
Eine Schwierigkeit für Personalisierungen durch personenbezogene Stimmen mit oder ohne Panaschieroption oder Vorzugsstimmen sehe ich nicht.

Andererseits hat der Ausgleich durch die Bundesliste natürlich deutliche Vorteile, und ein zu 100% akkurater regionaler Proporz ist ja auch nicht wirklich nötig. War auch eher eine Frage an Philipp, warum er den Vorschlag noch nicht gemacht hat.
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c07
Veröffentlicht am Donnerstag, 27. Mai 2004 - 23:15 Uhr:   

Mörsberg:
> Also, soo schlimm ist es ja nun wirklich nicht.

Normalerweise nicht, aber man sollte den Worst Case nicht außer Acht lassen. Und der ist halt, dass ein einzelner Wähler die Stimmen von einer million anderen Wählern personalisiert. Weniger krasse, aber immer noch bedenkliche Fälle sind vereinzelt auch in der Realität zu erwarten.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Freitag, 28. Mai 2004 - 12:30 Uhr:   

Tja, c07, man kann natürlich die Texte anderer für trivial erklären oder ihnen etwas unterschieben, was nicht drin steht. Aber der springende Punkt ist der, dass ich hier ganz entschieden das VORGEHEN als solches kritisiere.
Ich zitiere wörtlich: "Natürlich kann man mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen, und sie müssen auch nicht unbedingt in einer klaren Hierachie stehen."
Das ist gemeinhin die Methode, die in der Politik üblich ist. Man flickt halt mal da, mal da. In diesem Forum dürfte aber vielleicht eine andere, bessere Methode üblich sein.

Im Klartext bedeutet dies, dass man
1.) offenlegt, was man will, m. a. W. seine Ziele definiert,
2.) angibt, in welcher Reihenfolge man sie erreichen will bzw. eine Hierarchie unter ihnen aufstellt für den Fall, dass sie sich nicht gleichzeitig erreichen lassen sollten,
dann müsste erst einmal eine Diskussion über diese Ziele erfolgen.
Erst wenn dann klar ist, welche Ziele in welcher Rangfolge zu erreichen seien, kann
3.) über die Methoden zu ihrer Erreichung gesprochen werden,
die dann
4.) auf ihre Tauglichkeit geprüft werden müssen,
was eventuell sogar
5.) zu einer Revision der zu erreichenden Ziele führen kann
usw.

Das ist der einzige sinnvolle, weil transparente Weg, wie sich so etwas angehen lässt (dass er in der Politik nicht üblich ist, hat ja gerade damit zu tun, dass die Motive gern im Dunkeln gelassen werden).
Wenn jemand gleich mit hochkomplexen Berechnungen kommt, ohne zu sagen, was er damit erreichen will, oder gar einen irreführenden Titel setzt, dann habe ich damit ehrlicherweise ganz erhebliche Mühe.
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c07
Veröffentlicht am Freitag, 28. Mai 2004 - 16:36 Uhr:   

Philipp:
> man kann natürlich die Texte anderer für trivial erklären

Ich hab nicht deinen Text für trivial erklärt, sondern gesagt, dass es meine Absicht war, mehrere Ziele zu verfolgen, wozu die triviale Lösung mit Einheitswahlkreis und Bundeslisten nicht geeignet ist.

[mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen]
> Das ist gemeinhin die Methode, die in der Politik üblich ist.

Wär auch schlimm, wenn es anders wär.

> Man flickt halt mal da, mal da.

Das ist was anderes. In der Politik kann es aber in gewissen Grenzen durchaus sinnvoll sein. Abgesehen davon hat aber mein Vorschlag nichts mit Flicken von Bestehendem zu tun. Er wirft praktisch alles bis auf die Existenz von Parteien über den Haufen.

> In diesem Forum dürfte aber vielleicht eine andere, bessere Methode üblich sein.

Du warst doch selber mal gewohnt, nicht nur in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken. Ich werd das auch künftig nur da tun, wo ich es für passend halt.

Wir sind hier auch keine Politiksimulation, wo etwas konkret beschlossen werden soll. Ich hab ja nicht mal gesagt, dass ich dieses System befürworten würde (was die Personalisierungsmöglichkeiten anbelangt, tu ich das auch nicht). Man kann auch Methoden einfach so konstruieren und auf bestimmte Eigenschaften hin untersuchen. Wenn man das nicht macht, hat man nur beschränkte Auswahl, wenn es tatsächlich mal um eine Entscheidung geht.

In der Politik wird selten was einfach so neu erfunden. Da wird das Existierende laufend auf seine Tauglichkeit zur Erreichung der vorhandenen Ziele geprüft. Die Ziele können vor allem nach Wahlen verändert werden. Wenn bis dahin noch keine geeigneten Methoden entwickelt und untersucht worden sind, dann wird das auch bis zum Ende der Legislaturperiode nichts mehr Vernünftiges.

Dass die Politik ihre Motive gern im Dunkeln lässt, ist ein Vorwurf, der zumindest für Deutschland nur recht selten stimmt. Viel häufiger hab ich als Wähler das Problem, zu beurteilen, ob eine Partei auch willens und in der Lage ist, passende Methoden einzusetzen.

> Wenn jemand gleich mit hochkomplexen Berechnungen kommt

Ich weiß immer noch nicht, wo die Komplexität liegen soll. Es ist halt etwas abseits vom gewohnten System, aber deswegen nicht komplizierter.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Freitag, 28. Mai 2004 - 17:31 Uhr:   

Es ist wirklich nicht kompliziert.
Nach dem letzten Diskussionsstand waren wir in einigen Fragen halt an einem Punkt steckengebieben, wo am Schluss jeweils mehrere Möglichkeiten offenblieben. Das macht es ein wenig unübersichtlich, aber nicht die möglichen Endresultate kompliziert.
Man kann die Sperrklausel weglassen oder durch Parteistimmen-STV entschärfen.
Bei der Frage nach dem parteiindividuellen Wahlkreiszuschnitt muss man hier nicht die Details (absolute Ober- und Untergrenzen, Einhaltung von Bundesländergrenzen usw.) bis zum völligen Konsens ausdiskutieren.
Ein bisschen in den Anfängen steckengeblieben ist die Thematik Vorzugsstimmen, Kandidatenstreichungen, STV (Kumulieren und Panaschieren kann man auch noch dazu setzen). Das im Eingangsposting skizzierte Hare-STV ist etwas untergegangen, es war vielleicht ein bisschen zu ehrgeizig.

Je länger man über das deutsche Wahlsystem nachdenkt, desto mehr Gründe fallen einem ein, weswegen es irgendwie Murks ist. Weil es deswegen mehrere Verbesserungsoptionen gibt, ist eine ungelenkte Diskussion darüber unübersichtlich. Wenn man aber die Diskussion von vornherein begrenzt, kommt am Ende nicht immer die beste Lösung heraus.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Sonntag, 30. Mai 2004 - 10:23 Uhr:   

Nun, um es c07 mal mit dem Stock einzubläuen: Leg mal die Ziele offen!
Ich mag nun mal Diskussionen nicht, bei denen dann nachgeschoben werden muss "Das will ich eben auch ...".

Und noch weniger mag ich es, wenn jemand so tut, als ob er ein Ziel X verfolgen würde, dann aber doch de facto Ziel U verfolgt.

Auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen, wiederhole ich: Erst einmal müssen die Voraussetzungen geklärt sein, bevor man ERNSTHAFT diskutieren kann!
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Sonntag, 30. Mai 2004 - 10:44 Uhr:   

Da er es selbst nicht tut, hat nun mal meine Wenigkeit versucht, aus dem bisherigen Diskussionsverlauf die hauptsächlichen Zieldefinitionen zu erschliessen. Das Ergebnis dürfte etwa so aussehen:

1. Proportionalität soll bundesweit gewährleistet werden.
2. Überhangmandate sollen nach Möglichkeit verhindert werden.
2a. Überhangmandate sollen, falls sie doch auftreten, nicht zu einer Verzerrung der bundesweiten Proportionalität führen.
3. Es soll Direktwahlkreise geben.
4. Das neue System soll sich für die Wahlberechtigten nicht wesentlich vom bestehenden unterscheiden.
5. Ein komplexes Wahlsystem ist einem einfacheren ("trivialen") vorzuziehen.

Vielleicht steckt noch ein weiteres Ziel unausgesprochen hinter dem Ganzen:

0. Alle sollen sehen, was für ein tolles System ich ausgeklügelt habe.
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c07
Veröffentlicht am Sonntag, 30. Mai 2004 - 16:19 Uhr:   

Philipp:
> Erst einmal müssen die Voraussetzungen geklärt sein,
> bevor man ERNSTHAFT diskutieren kann!

Die Voraussetzung ist die prinzipielle Methode, als da wäre: Auf lokaler Ebene werden für ganze Quoten Sitze verteilt. Reste werden auf höherer Ebene gesammelt und dort an Listen vergeben.

Diskutiert wird, ob diese Methode für bestimmte Ziele passend ist und welche Varianten dafür jeweils vorteilhaft sind. Nachdem zu den tatsächlichen Zielen bei einer Bundestagswahl im Grundsatz ziemlicher Konsens besteht, beschränkt sich die Diskussion teilweise darauf, wie wertvoll die Vorteile gegenüber den Nachteilen sind und wie sie optimiert werden können.

Für deine hypothetischen Zielvorgaben schaut meine Bewertung so aus:

> 1. Proportionalität soll bundesweit gewährleistet werden.

Sie wird insofern gewährleistet, als das System von der Existenz von Parteien oder ähnlichen Vereinigungen ausgeht und die Stärke deren Wählerunterstützung bei der Anzahl der zugeteilten Sitze berücksichtigt.

Die Hauptvariante optimiert sogar die Proportionalität von Wähler- und Sitzanteilen unter der Voraussetzung der resultierenden Gesamtsitzzahl, was allerdings nach der Rechtsprechtung des Bundesverfassungsgerichts nicht das entscheidende Kriterium ist. Wegen der variablen Sitzzahl kann aber simultan auch die Erfolgswertgleichheit optimiert werden. Die Variante mit fester Sitzzahl und Verteilung der letzten Sitze nach größten Resten optimiert ausschließlich die Proportionalität.

> 2. Überhangmandate sollen nach Möglichkeit verhindert werden.

Sie werden sicher verhindert, außer bei der Variante mit fester Sitzzahl und Optimierung der Erfolgswertgeichheit, wo sie aber bei der gegenwärtigen Parteien- und Wählerstruktur auch nahezu ausgeschlossen sind.

> 2a. Überhangmandate sollen, falls sie doch auftreten, nicht
> zu einer Verzerrung der bundesweiten Proportionalität führen.

Das werden sie da, wo sie auftreten können, in der Regel schon tun (obwohl sie auch zu einer Verbesserung führen können, wenn die überhängende Partei ohnehin Anspruch auf den nächsten Sitz hat und ein zusätzlicher Sitz vergeben wird).

> 3. Es soll Direktwahlkreise geben.

Kommt drauf an, was das heißen soll. Es gibt nicht notwendigerweise parteiunabhängige Wahlkreise und grundsätzlich keine festen Sitzzahlen pro Wahlkreis. Es gibt aber für die Parteien die Möglichkeit, dezentral Kandidaten aufzustellen, und für die Wähler die Chance (aber keine Sicherheit), einen lokalen Kandidaten wählen zu können.

Es gibt auch andere Sachen nicht, die teilweise mit "Direktwahlkreis" assoziiert werden. Insbesondere ist es nicht möglich, aus Kandidaten fremder Parteien zu wählen.

> 4. Das neue System soll sich für die Wahlberechtigten nicht
> wesentlich vom bestehenden unterscheiden.

Dieses Ziel wird sicher nicht voll erreicht, weil es die Erststimme und die gewohnten Wahlkreise nicht mehr gibt. Wenn die Möglichkeit zur Personalisierung genutzt wird, entfernt es sich natürlich noch weiter vom derzeitigen System.

> 5. Ein komplexes Wahlsystem ist einem einfacheren ("trivialen") vorzuziehen.

Da wär erst mal zu klären, für wen es komplex sein soll, und was überhaupt als komplex empfunden wird. Die Grundvariante erreicht dieses Ziel im Hinblick auf die Wähler jedenfalls nicht.

Für die Parteien könnte die optionale dritte Ebene ein bisschen Komplexität bringen. Jedenfalls könnten bzw. müssten sie in den Wahlkreisen mehr als 1 Person aufstellen. Ob sie die optional nicht vorgegebenen Wahlkreisgrenzen als Verkomplizierung oder Vereinfachung empfinden würden, weiß ich nicht.

Bei der Auszählung geht eher Komplexität verloren, weil die Erststimmen entfallen, aber immerhin können keine Wahlkreissieger ohne Kenntnis der bundesweiten Quote bestimmt werden.

Insgesamt gesehen ist das System nicht komplex genug, dass es ein Grundschüler nicht verstehen könnte, dem man heute noch problemlos die Einsicht in das Verfahren verwehren kann.

> 0. Alle sollen sehen, was für ein tolles System ich ausgeklügelt habe.

Wenn ich meine Gedanken für mich behalten wollte, würd ich hier nicht schreiben. Im Übrigen ist das System ja ziemlich trivial. Es ist nur die Kombination von zwei simplen Ideen, deren Herkunft ich ja eingangs erwähnt hab (wobei ich das griechische System falsch verstanden hab, in Wirklichkeit existieren dort die Listen auf den höheren Ebenen nur rechnerisch und werden auf die Wahlkreise zurückverteilt). Gezielt überlegt hab ich mir nur die STV-Variante.


Wenn ich dich richtig versteh, ist dein Problem mit diesem System, dass die Zahl der in einem Wahlkreis zu vergebenden Sitze erst durch das Wahlergebnis bestimmt wird und nicht schon vorher feststeht. Wenn wir vernünftig diskutieren wollen, müssten wir klären, warum das ein Problem sein sollte. Ich seh jedenfalls bisher keinen Grund, eine feste Sitzzahl zu fordern. Sie macht auch ein System nicht einfacher, sondern eher komplizierter, weil sie Freiheitsgrade kostet, die dann anderswo fehlen. Abgesehen davon gibt es auch im gegenwärtigen Bundestagswahlsystem keine festen Sitzzahlen für die Länder, obwohl auf dieser Ebene an die Listen verteilt wird.

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