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Stellungnahme vom 18. April 2007

2 BvC 5/07

 

„Öffentlichkeitsgebot“


Entscheidungen 2000–heute, Beschluss des Bundestages vom 14.12.2006,
Berichterstatterschreiben vom 28. März 2007, Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 01.04.2009

[Seite 1] Stellungnahme zum Berichterstatterschreiben vom 28. März 2007

Sehr geehrter Herr Bundesverfassungsrichter Dr. Mellinghoff,
die in Ihrem Schreiben vom 28. März 2007 (Poststempel vom 2. April 2007) geäußerten Bedenken teile ich nicht. Meine Wahlprüfungsbeschwerde ist hinreichend substantiiert und damit zulässig. 1
1. Wie Sie richtig schreiben unterliege ich als Beschwerdeführerin – wie bei einer Verfassungsbeschwerde auch – der Substantiierungspflicht gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BVerfGG. Zu den Anforderungen der Begründungspflicht bei Verfassungs- und vor allem Wahlprüfungsbeschwerden gibt es allerdings keine detaillierten Regelungen hinsichtlich des Umfangs und besonders zur Frage, wie ausführlich auf Rechtsfragen eingegangen werden muss. Es kommt dabei auf die Art des Verfahrens und den Einzelfall an.1 In einem solchen wird man einer anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführerin ein geringeres Maß an Vollständigkeit und Sorgfalt zubilligen müssen.2 Auch und gerade angesichts des Zwecks einer Beschwerde in einem Wahlprüfungsverfahren, nämlich der Gewährleistung der richtigen Zusammensetzung des Parlaments, „dürfen die Anforderungen daran, was ein [Seite 2] Einspruchsführer vortragen muss, um eine Prüfung der Wahl bezogen auf die von ihm beanstandeten Fehler zu erreichen, nicht überspannt werden“.3 Ansonsten würde das – nicht ohne Grund – im Grundgesetz verankerte Wahlprüfungsverfahren, welches es jedem Wahlberechtigten ermöglichen soll, etwaige Unregelmäßigkeiten oder Manipulationen beanstanden und somit die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit einer Wahl prüfen lassen zu können, wirkungslos werden, worunter dann auch die Legitimation der Gewählten leiden würde. 2
2. Aber gleichwohl auch ohne die, auf das vorliegende Verfahren möglicherweise zutreffenden Erleichterungen meiner Substantiierungspflicht, ist dieser Genüge getan. Denn dazu müssen lediglich (a.) ein Sachverhalt vorgetragen werden, der aus sich heraus verständlich ist und erkennen lässt, worin der geltend gemachte Wahlfehler liegen soll4, (b.) die für einen Wahlfehler erforderlicherweise verletzte Wahlrechtsvorschrift benannt sein sowie (f.) Stellung zu den aufgeworfenen Rechtsfragen genommen werden. 2
a. Den Sachverhalt (die Verwendung von Wahlcomputern ohne „(interne oder externe Papier-)Protokollfunktion“5 bei der Bundestagswahl 2005, die für den Wähler eine Nachvollziehbarkeit des Stimmenverbleibs zwischen Abgabe und Auszählung verhindert6), benannte ich sowohl in meinem Wahleinspruch vom 18. November 2005 als auch in meiner Wahlprüfungsbeschwerde vom 14. Februar 2007 klar und verständlich. Diesen von mir behaupteten Wahlfehler konnten Sie auch aus meiner Wahlprüfungsbeschwerde erkennen, denn Sie schreiben: „Sie tragen [...] vor, dass bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag Wahlcomputer eingesetzt worden sind und dass es dem Wähler und der Öffentlichkeit nicht möglich gewesen sei, die abgegebenen Stimmen ’lückenlos’ zu überwachen.“7 Der Wahlprüfungsausschuss des 16. Deutschen Bundestages erkannte ebenfalls den behaupteten Wahlfehler.8 4
b. Ebenso führte ich die durch genannten Sachverhalt (a.) verletzte Wahlrechtsvorschrift, nämlich „den aus dem Demokratieprinzip fließenden Grundsatz der [Seite 3] Öffentlichkeit einer Wahl“ sowohl in der Wahlprüfungsbeschwerde9 als auch im Einspruch10 auf. 5
c. Soweit Sie in meinen Darlegungen vermissen „inwiefern Manipulationsmöglichkeiten bestehen“ möchte ich hiermit ausdrücklich klarstellen, dass mögliche Manipulationen der verwendeten Wahlcomputer kein (!) von mir angeführter Wahlfehler sondern deren Nichtnachweisbarkeit nur als dessen mögliche Folge Inhalt meiner Wahlprüfungsbeschwerde sind und ich deshalb diesen Punkt auch nicht an der betreffenden Stelle aufführte. Eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch die verwendeten Wahlcomputer ohne Protokoll ist nach meiner Ansicht auch gegeben, wenn diese Geräte manipulationssicher wären. 6
d. Sofern Sie meinen, dass ich nicht mitteilte, „welche Wahlcomputer konkret verwendet wurden“ und „wie diese arbeiten“11, ist das nicht richtig, denn ich schrieb, dass Wahlcomputer „ohne (interne oder externe Papier-)Protokollfunktion“12 („welche“) verwendet wurden und damit auch, dass diese ohne Protokollfunktion („wie“) arbeiten. Das ist in Bezug auf den vorgetragenen Wahlfehler (siehe a.) eine hinreichend konkrete Darstellung. Eine ausführliche Beschreibung des Innenlebens und der Funktionsweise eines solchen Wahlcomputers wäre zur Klärung der mit meiner Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage dem Verfahren ohnehin nicht weiter förderlich.13 Sinn würde dieser Punkt nur stiften, wenn mögliche Manipulationen ein Teil der in meiner Beschwerde aufgeführten Wahlfehler wären, was aber gerade nicht (siehe c.) zutrifft. 7
e. Soweit Sie schreiben: „Sie tragen lediglich [Hervorh. durch die Verf.] vor, dass bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag Wahlcomputer eingesetzt worden sind und dass es dem Wähler und der Öffentlichkeit nicht möglich gewesen sei, die abgegebenen Stimmen ’lückenlos’ zu überwachen“14, lassen Ihre Bedenken nicht erkennen, warum die Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit bei Wahlen allein [Seite 4] nicht ausreichend ist, um als Wahlfehler zu gelten. Dies ist aber eine Frage, die in der Begründetheit der Wahlprüfungsbeschwerde zu prüfen wäre. 8
f. Die Wahlprüfungsbeschwerde setzt sich auch in ausreichendem Maße mit den aufgeworfenen Rechtsfragen auseinander. So wird dargestellt, warum die Einhaltung des Öffentlichkeitsprinzips bei Wahlen so wichtig ist und ein Wahlergebnis, dem die Wähler nicht vertrauen können, die demokratische Legitimation des Parlaments zerstören würde.15 9
g. Die von Ihnen „zumindest ansatzweise“ geforderte Auseinandersetzung der „Begründung mit [...] der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“16 ist bei meiner Wahlprüfungsbeschwerde aus Substantiierungsgründen nicht erforderlich. Zum Einen bleiben die wenigen Entscheidungen des Gerichts zum Öffentlichkeitsprinzip17 – hinsichtlich des betroffenen Aspekts der Transparenz des Stimmenabgabe- und Stimmenauszählungsablaufs bei Wahlen – weit hinter einem sich selbstverständlich ergebenden Maß an argumentativer Tiefe zurück18. Zum Anderen wäre – wegen der sich auch so zeigenden Evidenz des Wahlfehlers – gerade hier das Beharren auf eine Auseinandersetzung des Beschwerdeführers oder -führerin mit der (nicht existierenden) Verfassungsrechtsprechung eine Erhöhung der Zulässigkeitsanforderung durch die indirekt geforderte Fachkompetenz, die eben nicht dem Sinn der Wahlprüfung als ein, allen Bürger offen stehendes Verfahren entspricht. 10
3. Sie schreiben weiterhin: „Sie gehen nicht auf die vom Deutschen Bundestag zur Zurückweisung Ihres Wahleinspruchs angeführten, sehr ausführlichen Argumenten ein, aus denen hervorgeht, dass eine Manipulation der verwendeten Wahlgeräte durch die eingehaltenen Sicherheitsvorkehrungen ausgeschlossen ist.“19 11
Abgesehen davon, dass Sie sich zu der angeblich ausgeschlossenen Manipulation im Indikativ äußern (ich hoffe da auf ein Versehen), ist es richtig ist, dass ich mich nicht zu den Argumenten im Beschluss des Deutschen Bundestages geäußert habe. Dies hat zwei Gründe: 12
[Seite 5] a. Die Wahlprüfungsbeschwerde ist zwar formal eine Beschwerde gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages, allerdings kam die durch den gerügten Wahlfehler verursachte Verletzung des Grundsatzes der öffentlichen Wahl bei der Bundestagswahl zustande. Deshalb kann eine mehr oder minder intensive Auseinandersetzung mit dem Beschluss (wie etwa bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde erforderlich) hier entfallen. Zudem gilt nach Ansicht des Bundestages zunächst, „dass sich der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag in ständiger Praxis nicht als berufen ansehen, die Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsvorschriften festzustellen. Diese Kontrolle ist stets [...] dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden“20. Die von mir im Einspruch gerügte Verletzung von Verfassungsrecht ist so vom Bundestag nur am Maßstab einfachgesetzlichen Rechts behandelt worden. Ein Eingehen auf diese Argumente hätte dem Verfahren keine neuen Erkenntnisse gebracht, zumal der Bundestag bzw. der Berichterstatter im Wahlprüfungsausschuss etwa zur Einhaltung des Öffentlichkeitsprinzips bei der Urnenwahl gegen völlig fern liegende und von niemandem ernsthaft aufgestellte Anforderungen argumentiert: „Zum Öffentlichkeitsgrundsatz gehört jedenfalls nicht, dass jede einzelne Handlung der Einzelkontrolle unterliegt, da sonst bei der herkömmlichen Wahl per Stimmzettel der misstrauische Bürger vor jedem Einwurf eines Wahlzettels bezweifeln könnte, dass sich in der Urne nicht schon manipulierte Wahlzettel befinden.“21 Was dies soll, kann nur der Bundestag selbst beantworten. 13
b. Zudem sind (wie unter 2. c. ausgeführt) mögliche Manipulationen der Wahlen durch die verwendeten Wahlcomputer kein von mir aufgeführter Wahlfehler. 14
4. Sofern Sie aufführen, dass ich mich „nicht zu den gesetzlichen Grundlagen für die Wahl mit Wahlgeräten im BWG und in der BWahlGV und deren Bewertung in der Rechtswissenschaft“ äußere, ist das korrekt. Ich habe jedoch keine Verletzung einfachgesetzlicher Regelungen gerügt, weder in meinem Einspruch noch in meiner Wahlprüfungsbeschwerde. 15
[Seite 6] 5. Zur Frage der Mandatsrelevanz äußern Sie sich: „Unklar bleibt auch, ob Ihrer Meinung nach Verfälschungen der Wahl im Zusammenhang mit den eingesetzten Wahlcomputern konkret vorgekommen sind.“22 16
Hier möchte ich noch einmal wiederholen, dass durch die Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips durch die Verwendung von Wahlcomputern ohne Protokolle eine mandatsrelevante Änderung, etwa durch eine Manipulation der Wahlergebnisse – gerade aufgrund der fehlenden Öffentlichkeit – ebenso wie der manipulationsfreie Einsatz nicht bewiesen werden kann. Soweit hier eine Meinung (nach der Sie fragten) verfahrensrelevant wäre – ich meine nicht, dass es Manipulationen gegeben hat. Aber wenn ich das Gegenteil behaupte würde, könnte man das nicht in einem Wahlprüfungsverfahren entkräften. 17
6. Als Ergebnis Ihrer Bedenken schreiben Sie: „Der von Ihnen vorgetragene Sachverhalt könnte vom Bundesverfassungsgericht nicht überprüft werden, ohne dass zuvor zahlreiche zusätzliche Informationen ermittelt würden. Er genügt damit dem Substantiierungserfordernis nicht.“23 18
Wie ich vorgehend dargelegt habe, waren alle laut Ihrem Schreiben benötigten Informationen in meiner Wahlprüfungsbeschwerde enthalten oder unnötig zur Lösung der von mir aufgeworfenen Frage, ob die Verwendung protokollloser Wahlcomputer gegen das Öffentlichkeitsprinzip von Wahlen verstößt. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, welche Informationen noch benötigt werden. Für die Überprüfung der aufgeworfenen Frage sind demnach keine weiteren Ermittlungen des Bundesverfassungsgerichts notwendig bzw. notwendig gewesen. Dem Substantiierungserfordernis ist damit Genüge getan. 19
7. Um dem Gericht die Möglichkeit zu geben, sich vollständig auf die aufgeworfene Rechtsfrage konzentrieren zu können, nehme ich meinen Antrag unter Nr. 3 meiner Wahlprüfungsbeschwerde vom 14. Februar 2007 zurück. Die anderen Anträge erhalte ich im vollen Umfang aufrecht. 20
[Seite 7] 8. Ich erlaube mir noch einmal anzumerken, dass – sofern Sie im Berichterstatterschreiben davon ausgehen, dass meine Wahlprüfungsbeschwerde nicht substantiiert und damit unzulässig ist – diese Annahme zum großen Teil auf der, durch nicht verständige Würdigung meiner Beschwerde verursachten Ansicht beruht, dass ich die Manipulierbarkeit von Wahlcomputern als Wahlfehler rüge. Dies ist, wie ich oben (unter 2. c.) erläutere, nicht der Fall. Eine Verwerfung meiner Wahlprüfungsbeschwerde gemäß § 24 BVerfGG lediglich mit einem Verweis gemäß § 24 Satz 2 BVerfGG auf Ihr Berichterstatterschreiben, so wie es unter Ihrem Vorgänger als Berichterstatter in Wahlrechtsfragen üblich war, würde der erforderlichen – einer Begründung zumindest nahekommenden – Erläuterung der Entscheidungsgründe nicht entsprechen. 21
Mit freundlichen Grüßen

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Fußnoten

1 Puttler, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Auflage 2005, Rz. 19 zu § 23.
2 So etwa Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Auflage 1991, Rz. 54 zu § 12.
3 BVerfGE 85, 148 <159>.
4 BVerfGE 58, 175 f.; 89, 291 <304 f.>.
5 Wahleinspruch im Wahlprüfungsverfahren – WP 182/05 –, S. 1 und Wahlprüfungsbeschwerde im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 14.02.2007, S. 2.
6 Wahlprüfungsbeschwerde im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 14.02.2007, S. 3 f.
7 Berichterstatterschreiben im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 28.01.2007, S. 1.
8 Beschluss des 16. Deutschen Bundestages vom 30.11.2006 – WP 182/05 –, BT-Drs 16/3600, 53 <62>, (abrufbar unter http://www.wahlrecht.de/wahlpruefung/20061214182.htm#abs100).
9 Wahlprüfungsbeschwerde im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 14.02.2007, S. 3.
10 Wahleinspruch im Wahlprüfungsverfahren – WP 182/05 –, S. 1.
11 Berichterstatterschreiben im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 28.01.2007, S. 1.
12 Wahlprüfungsbeschwerde im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 14.02.2007, S. 2.
13 Abgesehen davon, dass ich keine Informatikerin (oder Ähnliches) bin und damit für so etwas auch nicht fachlich kompetent genug wäre – was aber gerade von einer Beschwerdeführerin in einem Wahlprüfungsverfahren auch nicht gefordert werden darf, schon gar nicht, wenn ein davon unabhängiger Wahlfehler so evident ersichtlich ist.
14 Berichterstatterschreiben im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 28.01.2007, S. 1.
15 Wahlprüfungsbeschwerde im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 14.02.2007, S. 3 f.
16 Berichterstatterschreiben im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 28.01.2007, S. 1.
17 BVerfGE 70, 324; BVerfGE 103, 44.
18 So BVerfGE 85, 148, welche allein die Öffentlichkeit der Auszählung betrifft.
19 Berichterstatterschreiben im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 28.01.2007, S. 1 f.
20 Mit zuletzt etwa im Beschluss des 16. Deutschen Bundestages vom 30.11.2006 – WP 162/05 –, BT-Drs 16/3600, 87 <88>; (abrufbar unter http://www.wahlrecht.de/wahlpruefung/20061214162.htm#abs9).
21 Beschluss des 16. Deutschen Bundestages vom 30.11.2006 – WP 182/05 –, BT-Drs 16/3600, 53 <62>, (abrufbar unter http://www.wahlrecht.de/wahlpruefung/20061214182.htm#abs100).
22 Berichterstatterschreiben im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 28.01.2007, S. 2.
23 Berichterstatterschreiben im Wahlprüfungsverfahren – 2 BvC 5/07 – vom 28.01.2007, S. 2.


eingetragen von Matthias Cantow