Plenarprotokoll

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Landtag Baden-Württemberg

13. Wahlperiode

106. Sitzung

Stuttgart, Mittwoch, den 01.02.2006


[Plenarprotokoll 13/106, S. 7733] Stellv. Präsidentin Christa Vossschulte:
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

a) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP – Gesetz zur Änderung des Landtagswahlgesetzes – Drucksache 13/5046
[Plenarprotokoll 13/106, S. 7734] b) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD – Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes – Drucksache 13/5086
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Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung der Gesetzentwürfe unter den Buchstaben a und b je fünf Minuten, für die Aussprache zehn Minuten je Fraktion. Dabei gelten gestaffelte Redezeiten. 2
Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mack. 3
Abg. Mack (CDU):
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von CDU und FDP/DVP legen heute einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Auszählverfahrens vor, das ab dem Jahr 2011, also für die Wahlen zum übernächsten Landtag von Baden-Württemberg, gelten soll. Die Umstellung betrifft das Berechnungsverfahren, und zwar umfasst die Änderung drei Punkte: Erstens geht es um die Verteilung der Sitze auf Landesebene, zweitens geht es um die Verteilung dieser Sitze auf die Regierungsbezirke und drittens um die Berechnung der Ausgleichsmandate. 4
In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass das Höchstzahlverfahren von d’Hondt auf das nach Sainte-Laguë/Schepers umgestellt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind beide Auszählverfahren mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl gebietet, dass alle Staatsbürger das Wahlrecht in gleicher Weise ausüben können und die Stimmen der Wahlberechtigten nicht nur den gleichen Zähl-, sondern grundsätzlich auch den gleichen Erfolgswert haben müssen. 5
Da Mandate nur ganzzählig zugeteilt werden können und grundsätzlich bei allen Berechnungsverfahren Reststimmen zugeteilt werden müssen, erfordern alle Verfahren, ob d’Hondt oder Sainte-Laguë/Schepers, Rundungen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt es daher der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, für welches System zur Berechnung und Verteilung der Mandate er sich entscheidet. 6
Wir stellen um auf das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers, weil wir das Verfahren optimieren wollen.
(Abg. Blenke CDU: Können Sie diesen nasalen Klang noch einmal herüberbringen?)
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Dieses Verfahren gilt bereits mit einigen Modifikationen für die Wahl der Bürgerschaft in Bremen und in Hamburg. Außerdem verwendet es mittlerweile der Deutsche Bundestag für einzelne Verfahren,
(Abg. Oelmayer GRÜNE: Sehr richtig!)
zum Beispiel für die Berechnung der Zahl der auf die Fraktionen entfallenden Sitze im Ältestenrat usw. In der vergangenen Legislaturperiode des Bundestags war auch vom Bundesministerium des Innern angedacht, dieses Verfahren insgesamt auf den Bundestag und die Bundestagswahlen anzuwenden. Dies ist dann aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl nicht weiterverfolgt worden.
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Auch die FDP/DVP und Teile der Grünen hier im Landtag haben dieses Verfahren gefordert.
(Abg. Birzele SPD: Welches? Bei dem gibt es drei unterschiedliche! – Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)
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Ich gehe deswegen davon aus, dass wir uns im Landtag einig sind, dass wir auf dieses Verfahren umstellen können. 10
Gleichzeitig ist in der Tagesordnung der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Vereinbarkeit von Amt und Mandat aufgerufen. Auch dieser Gesetzentwurf betrifft erst die übernächste Legislaturperiode. Wir wollen zu Beginn der nächsten Legislaturperiode in aller Ruhe darüber befinden,
(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)
ob und, wenn ja, wie wir die Vereinbarkeit von Amt und Mandat neu regeln. Die Landräte wurden im Zuge der Verwaltungsreform natürlich gestärkt, was die staatlichen Aufgaben anbelangt. Ich meine, insoweit muss der Grundsatz der Gewaltenteilung neu bewertet werden. Wir wollen heute den Gesetzentwurf der SPD ablehnen,
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Traurig! – Abg. Teßmer SPD: Hasenfuß!)
sind aber zu Beginn der nächsten Legislaturperiode hierüber gesprächsbereit und können uns vorstellen, dass wir da zu einer Neuregelung kommen.
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Im Übrigen bitte ich darum, dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP zuzustimmen. 12
Herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Gut!)
Stellv. Präsidentin Beate Fauser:
Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kleinmann.
(Abg. Birzele SPD: Liest der jetzt die zweite Hälfte der Begründung vor? Die erste Hälfte der Begründung ist schon vorgetragen! – Gegenruf des Abg. Mack CDU: Bitte, dann brauchen Sie es nicht mehr zu machen!)
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Abg. Kleinmann FDP/DVP:
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Alles Wesentliche ist gesagt. Ich füge das, was noch nicht gesagt worden ist, hinzu.
Mit dem Ziel, die Benachteiligung kleinerer Parteien durch das Verfahren nach d’Hondt zu vermeiden
(Abg. Birzele SPD begibt sich zum Präsidentenplatz.)
– was ist los, Herr Birzele? –,
(Abg. Mack CDU: Herr Birzele ist unruhig!)
wurde von dem Physiker Hans Schepers eine Modifikation entwickelt. Schepers, seinerzeit als Leiter der Gruppe Datenverarbeitung Bediensteter der Verwaltung des Deutschen Bundestags, schlug sein Verfahren dem Bundestag vor, und dieser wendet es seit der 8. Wahlperiode zur Ermittlung der Zugriffsreihenfolge für die Ausschussvorsitzenden und seit der 9. Wahlperiode auch für die Besetzung der Ausschüsse [Plenarprotokoll 13/106, S. 7735] an. Schepers entwickelte seine Vorstellung in der Formulierung der Rangmaßzahlen.
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Es zeigte sich, dass sein Vorschlag zu identischen Ergebnissen führt wie das im Jahr 1912 von dem Franzosen André Sainte-Laguë vorgeschlagene Verfahren – haben Sie es jetzt verstanden? –, das in Termini der Höchstzahlendarstellung formuliert ist. Beide Betrachtungsweisen sind identisch. 15
Der Übergang – um auch gleich noch zu erläutern, wie es geht – von der Division durch alle natürlichen Zahlen wie bei d’Hondt zur Division nur durch die ungeraden Zahlen bei Sainte-Laguë/Schepers ist Ausdruck dafür
(Allgemeine Heiterkeit)
– Sie haben doch Französisch gelernt, oder nicht? –, dass die Voraussetzungen für die Zugriffe der Parteien reduziert werden, wodurch die beim Verfahren nach d’Hondt entstehende Zurücksetzung kleinerer Parteien beim Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers aufgehoben wird.
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Grundsätzlich geht es auch um die Optimierung der Erfolgswertgleichheit der Stimmen, damit eine Stimme für eine kleine Partei nicht weniger wert ist als für eine große Partei. 17
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesbezüglich dem Gesetzentwurf von CDU und FDP/DVP zuzustimmen. 18
Mit den Ausführungen des Kollegen Mack über das Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes stimme ich völlig überein. Auch wir haben signalisiert, dass es nicht ganz unbedenklich ist, wenn Landräte, Bürgermeister und Oberbürgermeister für den Landtag kandidieren. Nachdem wir auch einen Kandidaten für die Landtagswahl haben, der Landrat ist, ist dies zu sagen für mich völlig unverfänglich. Wir sollten darüber jedoch in aller Ruhe miteinander diskutieren. Vor allem legen wir als Liberale großen Wert auf Übereinstimmung, wenn es möglich ist, mit allen Fraktionen. Es gibt keinen Grund, dies jetzt durchzupeitschen.
(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Carla Bregenzer SPD: Das ist ja eine Wischiwaschi-Geschichte!)
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Das Problem an sich ist erkannt. Wir werden mit Ihnen gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode gerne darüber sprechen, damit die Änderungen bereits bei der nächsten Wahl angewandt werden können. 20
Ich bedanke mich.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Carla Bregenzer SPD: Morgen, morgen, nur nicht heute! Das ist ja ein Trauerspiel!)
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Stellv. Präsidentin Christa Vossschulte:
Das Wort erteile ich Herrn Abg. Birzele.
(Abg. Blenke CDU: Jetzt sind wir sehr gespannt auf Ihre Französischkenntnisse, Herr Kollege Birzele!)
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Abg. Birzele (SPD)
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einige Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen machen. Ich würde vorab empfehlen, dass Sie sich auf eine einheitliche Aussprache einigen und dies in der Begründung phonetisch darlegen, damit künftig die Gesetzesväter exakt genannt werden können. 23
Wir haben bereits mehrmals über Gesetze gesprochen, die Parlamentarier betreffen, also über das Abgeordnetenrecht und das Landtagswahlrecht. Herr Kollege Kleinmann, wir haben bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode dazu den Antrag eingebracht, dass die Gesamtprobleme in einer Kommission aufgegriffen und offen besprochen werden sollten. Dieser Antrag ist von beiden Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Sie vertrösten einen jeweils auf die nächste Legislaturperiode.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wir werden auch vertröstet!)
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Da ich schon einige Legislaturperioden länger hier im Hause bin, kann ich Ihnen sagen, dass dabei nie etwas herauskommt. Ich kenne diese Vertröstungen. Die kannten Sie, als Sie noch in der Opposition waren, und jetzt in der Regierung machen Sie es genauso. 25
Es muss ins Gedächtnis gerufen werden: Ärgerlich war insbesondere die Wahlkreisänderung, die Sie ohne jede Rücksicht und ohne jede Absprache mit den beiden anderen Fraktionen nach eigenen Gesichtspunkten durchgezogen haben. Wie hat Ihre Kollegin Berroth dies so schön beschrieben?: „Wir haben das Gesetz so gestaltet, dass alle, die im Landtag sind, eine Chance haben, wieder gewählt zu werden.“ Das war die klar verfassungswidrige Absicht. Sie haben die Wahlkreise vom Zuschnitt her manipuliert.
(Beifall bei der SPD und den Grünen)
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Nun zu Ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf: Es ist begrüßenswert, dass Sie ein neues Zählverfahren vorschlagen. Wir werden uns im Ausschuss über die verschiedenen Varianten unterhalten. Wir alle werden Schwierigkeiten haben, die mathematischen Vorgaben nachzuvollziehen. Aber es ist uns daran gelegen, dass einige Beispielrechnungen gemacht werden. Wir können deshalb diesem Berechnungsverfahren durchaus zustimmen. 27
Was ich in diesem Gesetzentwurf vermisse, ist ein Punkt, bei dem sich die FDP/DVP schon einmal einer Klage vor dem Staatsgerichtshof angeschlossen hat. Die Zielsetzung war, die Berechnung der Ausgleichsmandate nicht auf Regierungsbezirksebene vorzunehmen, damit nicht die stärkste Partei auf der Ebene der Regierungsbezirke jeweils den Vorteil hat, sondern auf Landesebene. Wir werden uns erlauben, dieses gemeinsame Anliegen, das auch Anliegen der Grünen ist, in die Gesetzesberatungen mit einzubringen. 28
Das Zweite, was ich bei diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht verstehe, ist, dass er erst am 16. Juni 2006 in Kraft treten soll. Warum soll er denn nicht im Februar, am Tag nach der Verkündung, in Kraft treten?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Fischer SPD: So ist es!)
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Denn damit würden Sie gewährleisten, dass bei der jetzt anstehenden Landtagswahl bei der Berechnung der Mandate [Plenarprotokoll 13/106, S. 7736] so vorgegangen wird, wie hier in diesem Gesetzentwurf zu Recht eingefordert wird. Auch hier werden wir uns erlauben, einen entsprechenden Änderungsantrag einzubringen. Ich gehe davon aus, dass Sie, nachdem die CDU-Fraktion durch Herrn Mack dargelegt hat, dass dies ein gerechteres Verfahren sei, diesem gerechteren Verfahren auch schon für diese Landtagswahl zum Durchbruch verhelfen werden.
(Zuruf des Abg. Mack CDU)
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So viel zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. 31
[...]
[Plenarprotokoll 13/106, S. 7738] Stellv. Präsidentin Beate Fauser:
Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.
(Abg. Blenke CDU: Die 101. Rede! – Gegenruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein, das ist die 100.! – Abg. Blenke CDU: Sollen wir feiern?)
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Abg. Oelmayer GRÜNE:
(Vereinzelt Beifall)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bei der Reform des Landtagswahlrechts, wie der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen sie vorsieht, haben wir, was das neue Auszählverfahren anbelangt, prinzipiell Übereinstimmung.
(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)
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Ich sage „prinzipiell“. Aber ich will gleich drei Knackpunkte ansprechen, die diese Reform nicht löst.
(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wo knackt’s?)
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Die Stimmengleichheit, die Sie einfordern – „Erfolgswert“ oder wie das in der Gesetzesbegründung genannt wird –, wird damit bei weitem nicht erreicht. 36
Drei Ungerechtigkeiten bleiben. Erster Punkt: Es gibt viel zu große Wahlkreise und viel zu kleine.
(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist richtig!)
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Zwischen dem größten Wahlkreis mit etwa 136 000 Stimmen in Tübingen und dem kleinsten mit etwa 81 000 in Heilbronn liegen über 55 000 Stimmen. Wer da von Erfolgsgleichwertigkeit spricht, der geht nur eine ganz kleine Reform an,
(Abg. Wieser CDU: Immerhin ein Staatssekretär!)
wenn er nur das Auszählverfahren ändert.
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Ein zweiter Punkt: Kleine Parteien haben bei dem bestehenden Landtagswahlrecht in 50 von 70 Wahlkreisen so gut wie keine Chance, ein Mandat zu erreichen. Auch diese Ungerechtigkeit bleibt bei dieser Veränderung des Auszählverfahrens erhalten.
(Abg. Heinz CDU schüttelt den Kopf. – Abg. Mack CDU: Das bitte nicht in meinem Wahlkreis wiederholen!)
– Herr Kollege Heinz, da nützt auch Ihr Kopfschütteln nichts.
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Ein dritter Punkt kommt hinzu: Das Wahlrecht ist unheimlich komplex. Es ist wenig transparent und für die Menschen im Land kaum nachvollziehbar, wie die Landtagswahlergebnisse in Sitze umgemünzt werden. 40
Diese drei grundsätzlichen Überlegungen bleiben. Sie gehen sie mit diesem Gesetzentwurf nicht an.
(Abg. Wieser CDU: Wer ist das? Wer ist diplomiert? – Gegenruf: Herr Palmer!)
haben wir uns einmal die Mühe gemacht, auszurechnen, wie die Sitzverteilung wäre, würde man das neue Recht anwenden. Da kann ich den Kollegen Birzele für unsere Fraktion schon jetzt unterstützen. Es ist zunächst völlig unverständlich, warum die Umstellung auf die überübernächste Landtagswahl verschoben werden soll.
(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Nur einmal „über“!)
– Dann halt auf die übernächste, Entschuldigung. Man darf ja bitte zuspitzen, damit Sie das auch verstehen.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ach so!)
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Deswegen sind wir der Auffassung, dass man das neue Berechnungsverfahren selbstverständlich bereits auf die kommenden Landtagswahlen anwenden kann. 42
Wir haben die Sitzverteilung ausgerechnet auf der Basis des Wahlergebnisses von 2001, und zwar unter der Prämisse – auch das wurde vom Kollegen Birzele angesprochen; dieses Defizit bleibt ja –, dass dieses Ausgleichsverfahren auf Regierungsbezirksebene nach wie vor beibehalten und eben nicht auf Landesebene hochgezont werden soll. Wenn man davon ausgeht, dass man die Veränderung, wie Sie sie vorschlagen, bei der nächsten Landtagswahl anwendet und das umrechnet auf das Ergebnis von 2001, kommt man auf folgende Sitzverteilung: 63 CDU, 46 SPD, 11 FDP/DVP und [Plenarprotokoll 13/106, S. 7739] 11 Grüne. Schon daran sehen Sie, dass das neue Verfahren zu einer bedeutenden Veränderung innerhalb der Sitzverteilung führt. 43
Deshalb kann ich an die Regierungsfraktionen im Haus nur appellieren: Tun Sie den Schritt! Kollege Mack, da brauchen Sie nicht wegzulaufen. Es wird Ihnen kein Zacken aus der Krone brechen, wenn wir das neue Verfahren schon auf die nächste Landtagswahl anwenden. Das wäre auch ein Entgegenkommen gegenüber den kleineren Parteien im Land.
(Abg. Mack CDU: Ich habe gar keine Krone! – Abg. Wieser CDU: Wir sind doch Republikaner!)
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Das heißt in der Summe, meine Damen und Herren: Es ist ein kleiner Schritt, dieses Auszählverfahren zu ändern. Sie wollen das aber nicht jetzt tun. Die Änderung für die nächste Landtagswahl wäre eine logische Konsequenz. Das könnten wir auch tun, wenn wir als Landtag das beschlössen. Deswegen kann ich nur an Sie appellieren: Schließen Sie den kleinen Schritt – wenigstens die Umsetzung für die nächste Landtagswahl – an. 45
Zu den Themen „Inkompatibilitäten“ und „Reform des Abgeordnetengesetzes“ wird meine Kollegin Lösch noch Stellung nehmen.
(Abg. Mack CDU: Es gibt aber keine zweite Runde! Außerdem haben Sie sich verrechnet, Herr Kollege! Ihr hättet zehn Sitze gekriegt, die FDP/DVP hätte elf gekriegt!)
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Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Abg. Blenke CDU: Für die 100. Rede hättest du auch eine Krawatte anziehen können! – Abg. Wieser CDU: Kein Beifall von der eigenen Fraktion!)
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Stellv. Präsidentin Beate Fauser:
Das Wort erteile ich Herrn Minister Rech.
Innenminister Rech:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen sieht in der Tat vor, dass ab der 15. Legislaturperiode die Berechnung der Sitze nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren auf das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers umzustellen ist – ich habe den Vornamen einmal weggelassen;
(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf des Abg. Birzele SPD)
ich übe das dann noch zu Hause –, damit der Erfolgswert der Stimmen optimiert wird und damit gleichzeitig natürlich auch Rechtssicherheit für die Landtagswahlen geschaffen wird. Das will ich ausdrücklich dazusagen. Das Sitzzuteilungsverfahren soll im Übrigen unverändert bleiben.
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Jetzt will ich die Frage gleich beantworten: Natürlich ist das ein Entgegenkommen der großen Parteien, der großen Fraktionen gegenüber den kleinen. Denn diese Umstellung beinhaltet schon ein Stück mehr – ich will jetzt nicht von Entgegenkommen sprechen; das wäre vielleicht etwas überheblich oder anmaßend – Gerechtigkeit, weil das Auszählverfahren natürlich genauer ist.
(Abg. Birzele SPD: Mehr Gerechtigkeit ist bei Ihnen ein Entgegenkommen!)
– Ich habe ja gerade eben klargestellt, dass ich nicht Entgegenkommen, sondern Gerechtigkeit meine. Ich will das auch nicht relativieren. Herr Birzele, verwirren Sie mich nicht. Es ist ein Stück mehr Gerechtigkeit, zu dem sich die großen Fraktionen damit dann auch bekennen.
(Abg. Birzele SPD: Gut!)
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Aber jetzt gleich zu der Frage: Weshalb dann nicht schon jetzt?
(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Ganz genau! – Weitere Zurufe von der SPD)
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Hier drin sitzen doch so viele Juristen. Es ist ganz klar, dass das aus Gründen der Rechtsgrundlagen nicht geht, die eben schon zum Zeitpunkt der Vorbereitungen der Landtagswahlen durch die einzelnen Parteien klar sein müssen, das heißt also schon zum Zeitpunkt der erstmöglichen Nominierung.
(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)
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Das wäre heute nicht mehr zu machen. – Ja, selbstverständlich.
(Abg. Birzele SPD: Das hat doch mit der Auszählung der Wahl nichts zu tun! – Abg. Teßmer SPD: Das hat doch mit der Auszählung nichts zu tun! – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Also diese Logik erschließt sich aber nicht!)
– Ja, selbstverständlich! Auch der Auszählmodus gehört nach dem Landtagswahlrecht zu den Rechtsgrundlagen. Dies ist ein gemeinsamer Begriff.
(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Fischer SPD: Die könnten wir ändern! – Abg. Birzele SPD: Auf welchen Verfassungsexperten berufen Sie sich jetzt?)
– Die können wir jetzt, zwei Monate vor der nächsten Landtagswahl, nicht ändern. Veranstalten wir also jetzt kein Schaulaufen mehr, meine Herren Kollegen! Wir wollen zum Schluss kommen.
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Eine exakte Übertragung eines Wahlergebnisses führt in aller Regel nicht zu einer ganzzahligen Sitzverteilung. Wir haben hier zwar den Teilzeitabgeordneten,
(Abg. Birzele SPD: Den haben wir nicht!)
nicht aber einen Teilabgeordneten.
(Abg. Drexler SPD: Aber Freizeitabgeordnete!)
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Dafür haben Mathematiker verschiedene Berechnungsverfahren entwickelt – die kennen Sie –, um eine ganzzahlige Aufteilung der Anteile zu erreichen. Die drei wichtigsten sind die nach d’Hondt, Hare/Niemeyer und eben Sainte-Laguë/Schepers. All diese Verfahren sind nicht neu, und all diese Verfahren sind verfassungsrechtlich zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat bei einem Vergleich des Höchstzahlverfahrens nach d’Hondt mit dem Verfahren nach Hare/Niemeyer entschieden, es der Gestaltungsfreiheit [Plenarprotokoll 13/106, S. 7740] des Gesetzgebers zu überlassen, für welches System der Berechnung und Verteilung der Mandate er sich entscheiden wolle. Entsprechendes gilt auch für eine Umstellung des Berechnungsverfahrens von d’Hondt auf Sainte-Laguë/Schepers. 54
Worum geht es jetzt? In aller Kürze: Nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren werden die auf einen Wahlvorschlag entfallenden Stimmen so oft durch eins, zwei, drei usw. geteilt, bis aus den Teilungszahlen so viele Höchstzahlen ermittelt sind, wie Sitze zu verteilen sind. Außer Baden-Württemberg wenden noch vier Bundesländer das Verfahren nach d’Hondt bei Landtagswahlen an.
(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)
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Was spricht nun dafür, dieses Sitzzuteilungsverfahren durch das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers zu ersetzen? Bei der Berechnung nach d’Hondt entspricht das Ergebnis nicht ganz, aber annähernd den mathematischen Proportionen. Bei diesem Verfahren kann es aber bei starken Differenzen der Stimmenanteile der Parteien zu einer – ich habe es schon erwähnt – gewissen Benachteiligung der kleineren Parteien bzw. dann auf der anderen Seite einer Begünstigung der größeren Parteien kommen. Bei der Verteilung der von den Parteien erlangten Sitze auf die Regierungsbezirke können die kleineren Regierungsbezirke parteiintern benachteiligt werden. Auch dies muss man sehen. 56
Das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers vermeidet diese negativen Folgen und führt zu proporzgerechteren Ergebnissen. Keine der Parteien wird bevorzugt oder benachteiligt. Makellos ist aber auch dieses Verfahren nicht. Die eine, allerdings mehr abstrakte Besonderheit besteht darin,
(Abg. Oelmayer GRÜNE: Zuerst einmal die Wahlkreisgröße verändern!)
dass mit einer äußerst geringen Wahrscheinlichkeit die einer Partei zuzuteilende Sitzzahl vom Idealanspruch weiter abweichen kann, als dies einer Auf- oder Abrundung entspricht. Da gibt es eine kleine Diskrepanz. Die andere – konkrete – Folge des Verfahrens ist, dass die Umstellung je nach Wahlausgang zu einer Erhöhung der Zahl der Abgeordnetensitze führen kann. Wenn wir das Wahlergebnis des Jahres 2001 nach dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers berechnen, kommen wir zu dem Ergebnis, dass sich die Zahl der Abgeordneten konkret um eins erhöht hätte. – Kollege Oelmayer nickt zustimmend, weil er natürlich weiß, wem dieser Sitz im Jahr 2001 zugefallen wäre.
(Abg. Oelmayer GRÜNE: Da hat es ja noch gereicht!)
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Auch der Bund hat das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers gegenüber dem Hare/Niemeyer-Verfahren als geringfügig vorzugswürdig eingestuft. Das Gesetzgebungsverfahren ist aber dann wegen der vorgezogenen Bundestagswahl nicht mehr in Gang gekommen. Bremen und Hamburg haben sich bereits für das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers entschieden. Baden-Württemberg wäre also das erste Flächenland, das dieses Verfahren einführt, und würde sich damit an die Spitze einer zu erwartenden weiter gehenden Entwicklung in dieser Richtung setzen.
(Abg. Fischer SPD: Wir wollen doch immer Vorreiter sein, Herr Minister!)
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[...]
[Plenarprotokoll 13/106, S. 7742] Stellv. Präsidentin Beate Fauser:
Das Wort erteile ich Herrn Abg. Birzele. 61
Birzele SPD:
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will einen Punkt noch einmal ansprechen, weil dieser wichtig ist. Warum soll die Neuregelung des Auszählverfahrens nicht bei dieser Landtagswahl stattfinden können? Die Behauptung, dies sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, ist – ich sage es einmal ganz zurückhaltend – wenig nachvollziehbar. Bringen Sie mir einen anerkannten Verfassungsrechtler, der diese Behauptung unterstützt!
(Abg. Drexler SPD: Gibt es nicht!)
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Wir wissen, dass Juristen das, was sie nicht wollen, als rechtlich unzulässig bezeichnen. Da hier aber genügend Juristen im Landtag sind, können diese auf solche Argumente auch entsprechend antworten.
(Abg. Mack CDU: Während des Spiels ändert man die Regeln nicht!)
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Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Nordrhein-Westfalen hat Ende der letzten Legislaturperiode für die neue Legislaturperiode eine umfassende Neuregelung bezüglich der Abgeordnetendiäten beschlossen. Niemand ist bisher auf den Gedanken gekommen, dass dies wegen des Zeitpunkts verfassungswidrig gewesen sei.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP hält eine Zeitung hoch. – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: NRW-Modell!)
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Hier geht es ausschließlich um das Auszählverfahren, das zentral vorgenommen wird. Dieses Auszählverfahren muss richtigerweise bereits bei der nächsten Landtagswahl stattfinden. Sie haben selbst eingeräumt, dass dieses neue Auszählverfahren ein Stück mehr Gerechtigkeit bringt.
(Abg. Oelmayer GRÜNE: Genau!)
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Also entschließen Sie sich zu mehr Gerechtigkeit schon für die Landtagswahl im März 2006!
(Beifall bei der SPD und des Abg. Oelmayer GRÜNE)
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Stellv. Präsidentin Beate Fauser:
Meine Damen und Herren, in der Aussprache liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. 65
Der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 13/5046, und der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, Drucksache 13/5086, werden zur weiteren Beratung an den Ständigen Ausschuss überwiesen. 66
Damit ist Tagesordnungspunkt 6 erledigt. 67

 


eingetragen von Matthias Cantow