Negatives Stimmgewicht – Bundestagswahl 2009

[Tipps und Tricks 2009]

Unter normalen Umständen sollte eine Wahlempfehlung lauten: Wählen Sie die Partei, die Ihnen am besten gefällt, denn dies sollte dieser Partei zumindest nicht schaden. Allerdings gilt dies nicht für das Bundestagswahlsystem. Hier schaden abgegebene Stimmen regelmäßig der gewählten Partei.

Negatives Stimmgewicht

Wenn in einem Bundesland Überhangmandate möglich sind oder auftreten, können Zweitstimmen der gewählten Partei schaden bzw. eine nicht erhaltene Zweitstimmen der Partei Zusatzmandate bescheren. Für die Wähler bedeutet dies, dass es in den betroffenen Bundesländern keinen Sinn macht, dieser Partei die Zweitstimme zu geben.

Zwei Beispiele

1. Hätten bei der Bundestagswahl 1998 in Hamburg 20.000 Wähler mehr der SPD ihre Zweitstimme gegeben, hätte dies zu einem Mandatsverlust der SPD geführt (Beispielrechnung zum Nachvollziehen).

2. Hätten dagegen 71.000 Wähler in Brandenburg ihre Zweitstimme nicht der SPD gegeben, dann hätte die SPD einen Abgeordneten mehr in den Bundestag entsenden können.

Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 3. Juli 2008

Das Bundesverfassungsgericht hat die zum negativen Stimmgewicht führenden Regelungen des Bundeswahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2008 – 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07 –) und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungsgemäße Novellierung zu beschließen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verstößt das negative Stimmgewicht gegen die Grundsätze sowohl der Gleichheit der Wahl als auch der Unmittelbarkeit der Wahl.

Bundestag verzögert Abschaffung des negativen Stimmgewichts

Genau ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entschied sich der Deutsche Bundestag, die vom Gericht großzügig gesetzte Frist auszunutzen, und lehnte einen Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Abschaffung des negativen Stimmgewichts mit den Stimmen der großen Koalition ab. Die Bundestagswahl 2009 wird somit nach einem verfassungswidrigem Wahlrecht durchgeführt.

Zu hoffen bleibt, dass der demokratische Super-GAU nicht eintritt, als den man es ansehen könnte, wenn aus einer Mehrheit an Stimmen (und zwar weil es eine Mehrheit ist) eine Minderheit im Parlament wird, aber wenn der Verlust dieser Stimmenmehrheit zur Mehrheit der Sitze führt. (Modellrechnung: Aus einer Mehrheit der Stimmen wird eine Minderheit an Sitzen und umgekehrt, wenn die Mehrheit der Stimmen verloren geht.)


von Wilko Zicht und Martin Fehndrich (26.08.2002, letzte Aktualisierung: 06.09.2009)