Nachrichten

[Aktuelle Meldungen]

08.12.2013

SPD-Votum: Wann ein Ja zur Großen Koalition diese verhindern könnte

Nach den abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD lässt der SPD-Parteivorstand die Parteimitglieder bis zum 12. Dezember über den Abschluss des Koalitionsvertrags für die 18. Wahlperiode (per Brief) abstimmen.

Gemäß Organisationsstatut der SPD ist die Abstimmung gültig, wenn sich mindestens 20 Prozent der SPD-Mitglieder an der Abstimmung beteiligen, sonst entscheidet ein Sonderparteitag. Ein solches Beteiligungsquorum führt allerdings zu negativem Stimmgewicht: Eine Stimme für den Koalitionsvertrag kann im Ergebnis zu dessen Ablehnung führen.

Beispiel: Es seien etwa 15 Prozent der SPD-Mitglieder gegen den Koalitionsvertrag (Nein) und 10 Prozent dafür (Ja). Wenn diese Mitglieder alle abstimmen, beträgt die Beteiligung 25 Prozent. Die Abstimmung ist gültig und der Koalitionsvertrag mit 60 Prozent (hier bezieht sich der Anteil ausnahmsweise auf die Abstimmenden, nicht auf die abstimmungsberechtigten Mitglieder) abgelehnt. Wenn von den Befürwortern aber weniger als 5 Prozent zustimmen, sinkt die Beteiligung auf unter 20 Prozent. Die Abstimmung ist nicht mehr gültig, ein Parteitag würde dann entscheiden – im Ergebnis eher für das, was der Parteivorstand machen will (also zustimmen). Das wäre ein für Befürworter günstigeres Ergebnis und ein Anreiz, sich an der Abstimmung nicht zu beteiligen.

Das Absurde: Bei 10 Prozent Zustimmung brauchen die Gegner nur etwas mehr als 10 Prozent. Wenn überhaupt keiner zustimmt, sind es dagegen 20 Prozent.

Darstellung im Wahlsimplex
Darstellung in einem Wahlsimplex: Jeder Punkt im Dreieck steht für einen bestimmten Anteil an Ja-Stimmen, Nein-Stimmen und Enthaltungen (also Nichtbeteiligung). Der rote Pfeil deutet eine „Verbesserung“ der Ja-Stimmen von unter 5 Prozent auf 10 Prozent an, bei konstanter Anzahl der Nein-Stimmen (15 Prozent). Die Verbesserung führt zu einer Ablehnung des Koalitionsvertrages.

Ein Beteiligungsquorum findet sich aber nicht nur bei der SPD: Bei der Partei Die Linke ist ein Beteiligungsquorum von einem Viertel, bei der FDP von einem Drittel der Parteimitglieder zu erreichen. Dagegen haben die Grünen für ihre Urabstimmung kein Quorum, ebensowenig wie die CDU (deren Mitgliederbefragung allerdings lediglich konsultativ ist und keine Entscheidung eines Parteigremiums ersetzt).

Auswirkungen auf den SPD-Mitgliederentscheid zur Großen Koalition

Diesmal wird das negative Stimmgewicht jedoch schon deshalb keine Rolle spielen, da laut SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bereits fast 200.000 Briefe eingegangen sind und damit das Quorum bereits erreicht wurde. Für zukünftige Mitgliederabstimmungen der SPD oder der anderen Parteien mit einem Beteiligungsquorum muss das – selbst bei stark mobilisierenden Themen – nicht gelten, wie etwa der FDP-Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsfonds ESM im Jahr 2011 gezeigt hat. Damals wurde das Quorum von einem Drittel der Parteimitglieder der FDP mit 31,6 Prozent verfehlt. Bei der SPD ist das Beteiligungsquorum zwar seit der Senkung auf dem Bundesparteitag 2011 von einem Drittel auf ein Fünftel der Stimmberechtigten geringer. Das bietet aber bei weniger kontroversen Themen immer noch keine Gewähr, dass dieses Quorum sicher erreicht und die negative Wirkung der eigenen Abstimmung ausgeschlossen werden kann.

Zustimmungsquorum sinnvoller

Ein sinnvolleres Abstimmungsquorum (siehe dazu: Abstimmungsparadoxon) ohne negatives Stimmgewicht ist das Zustimmungsquorum. Hier ist der Vorschlag erfolgreich, der nicht nur mehr Stimmen als der andere erhält, sondern auch mindestens eine Mindestzustimmung aller Abstimmungsberechtigten erhält.

Ein solches Zustimmungsquorum findet sich in praktisch allen gesetzlichen Regelungen für Bürgerentscheide. Jede Stimme hilft dann sowohl das eigene Quorum als auch mehr Stimmen als der Gegenvorschlag zu erreichen. Der Gegenvorschlag kann dadurch nicht profitieren.

Regelung im Organisationsstatut der SPD (OrgStatut – Auszüge)

§ 13 Mitgliederentscheid

[…]

(4) Ein Mitgliederentscheid findet ferner statt, wenn es

  1. der Parteitag mit einfacher Mehrheit oder
  2. der Parteivorstand mit Dreiviertelmehrheit beschließt
  3. oder wenn es mindestens zwei Fünftel der Bezirksvorstände beantragen.

Diese Beschlüsse oder Anträge müssen einen Entscheidungsvorschlag enthalten und mit Gründen versehen sein.

(5) […]

(6) Durch den Mitgliederentscheid wird eine verbindliche Entscheidung gegenüber dem Organ getroffen, an das der Mitgliederentscheid gerichtet ist. Der Entscheid ist wirksam, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt und mindestens ein Fünftel der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben. Innerhalb von zwei Jahren nach dem Mitgliederentscheid kann der Parteitag mit 2/3-Mehrheit eine andere Entscheidung treffen, danach genügt die einfache Mehrheit.

[…]


von Martin Fehndrich (08.12.2013)