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06.07.2010, Nachtrag: 20.07.2010

Landtagswahl NRW: Überwachungskameras hinter Wahlkabinen – geheime Wahl?

Bei der Landtagswahl am 9. Mai 2010 in Nordrhein-Westfalen waren in einem Wahllokal, das in einer Sparkasse eingerichtet war, Videokameras so positioniert, dass mit ihnen die Stimmabgabe in den Wahlkabinen beobachtet werden konnte. Ähnliche Fälle wurden bereits bei der Landtagswahl 2008 in Bayern und der Bundestagswahl 2009 bekannt, speziell in der Stadt Münchberg zur bayerischen Landtagswahl sowie in Hamburg und Bonn zur Bundestagswahl 2009. Das zum Fall Münchberg eingeleitete Wahlprüfungsverfahren zur Landtagswahl in Bayern ist inzwischen abgeschlossen (der Bayerische Landtag veröffentlicht die Begründung allerdings nicht), die Wahlprüfungsverfahren zur Bundestagswahl sind noch anhängig. Aufgrund von Berichten zu diesen Wahllokalen gab es Anfang des Jahres eine kleine Anfrage im Bundestag zu der Problematik (BT-Drs. 17/1140), welche jedoch keine Klärung der rechtlichen Lage brachte.

Während als Folge der Wahlprüfungen in der Stadt Münchberg zur Bundestagswahl und in der Stadt Bonn zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl keine Wahllokale in Sparkassen mehr eingerichtet wurden, richtete die Landeshauptstadt Düsseldorf zur Landtagswahl am 9. Mai 2010 mehrere Wahllokale in Räumen der Stadtsparkasse ein. Eines davon habe ich für eine nähere Beobachtung besucht – hier der Bericht:

Wahlbeobachtung: Ein Wahllokal mit Überwachungskameras hinter den Wahlkabinen

Wahlkabinen mit Videokameras
Wegen des Fotoverbots hier nur eine Grobskizze

Ort:Düsseldorf, Wahllokal für den Stimm­bezirk 1419 (Wahlkreis 40, Düssel­dorf I) in der Sparkassen­filiale an der Duisburger Straße.
Datum:9. Mai 2010 (Land­tags­wahl NRW)

Gegen 9:30 Uhr betrat ich das Wahllokal. Rechts vom Eingang saßen alle vier anwesenden Mitglieder des Wahlvor­standes, zur Linken war die Fenster­front zur Duis­burger Straße, gerade­aus befanden sich drei Wahl­kabinen neben­einander auf einem Tisch. Hinter den Wahl­kabinen befanden sich zwei Über­wachungs­kameras, die beide in Richtung der Wahl­kabinen ausgerichtet waren. Eine von hinten rechts, die andere von hinten links. Ob diese in Betrieb waren oder nicht, war nicht erkennbar, aber die Kameras waren weder weggedreht, verhüllt noch abgedeckt.

Der Wahlvorstand erklärte mir auf die Frage, ob die Kameras in Betrieb seien, alles wäre in Ordnung, die Kameras seien nicht in Betrieb und auch ein Mitarbeiter der Stadt Düssel­dorf wäre schon da gewesen. Die (leeren) Wahl­kabinen durfte ich nicht foto­grafieren mit der Begründung, es handele sich um eine Spar­kasse. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich keine Wähler oder weitere Personen im Wahllokal auf.

Mögliche Wahlfehler

Die kurze Beschreibung enthält drei mögliche Wahlfehler:

  1. die Verletzung der geheimen und freien Wahl,
  2. die Überwachung des öffentlichen Wahlraumes und
  3. die Einschränkung der Öffentlichkeit der Wahl durch das Fotografierverbot.

1. Verletzung der geheimen und freien Wahl

Eine in die Wahlkabine gerichtete und die Stimmabgabe filmende Kamera ist ziemlich genau das, was der Grundsatz der geheimen Wahl (Art. 31 Abs. 1 LVerf NRW) ausschließen soll. Aber auch wenn die Überwachungskameras nicht in Betrieb sind, die Aufnahmen nicht aufgezeichnet oder wenigstens nicht ausgewertet werden oder es sich nur um eine Kameraattrappe handelt, ist dies nicht hinnehmbar, solange dies nicht „öffentlicher Überprüfbarkeit“ unterliegt (LS 1 in BVerfGE 123, 39). So kommt auch der Bayerische Landtag im Rahmen der Wahlprüfung der Landtagswahl 2008 nach einem Vorfall in der Stadt Münchberg zu dem Ergebnis: „Allein die Möglichkeit einer Wahrnehmung des Abstimmungsverhaltens durch die Überwachungskameras kann eine Einschränkung der Wahlfreiheit begründen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Wähler sich in ihrer freien Wahlentscheidung (psychologischer Druck, Befangenheit) beeinflusst sehen könnten (vgl. Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, § 33 Rdnr. 3).“

Ein Hinweis des Wahlvorstandes oder eine Beschilderung, die Kamera sei nicht in Betrieb, ist im Übrigen nicht ausreichend für die geforderte öffentliche Überprüfbarkeit. So wurde den Wählern zur bayerischen Landtagswahl 2008 in Münchberg irrig mitgeteilt, die Kamera wäre ausgeschaltet. In der Wahlprüfung stellte sich dann heraus, dass diese während der Wahlzeit in Betrieb war.

2. Überwachung des öffentlichen Wahlraumes

Man kann noch weiter gehen und allein schon in der öffentlichen Überwachung des Wahlraumes einen Wahlfehler sehen. Überwachungskameras können erfassen, wer sich wann im Wahllokal aufgehalten hat und ob er gewählt hat. Allein diese Möglichkeit schränkt die freie Wahl ein. Ein Ergebnis der oben angeführten Wahlprüfung in Bayern war dann auch, „dass in Wahlräumen keine Überwachungskameras angebracht sein dürfen“.

Aber nicht nur die Wähler, auch die Öffentlichkeit selbst kann durch eine Überwachung betroffen sein, wenn etwa Wahlbeobachter oder andere interessierte Personen von Überwachungskameras abgeschreckt werden. Ähnlich argumentieren Gerichte zum Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit, so entschied beispielsweise das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Beschluss vom 20. Januar 2010 – 6 K 1063/09.WI –, nach dem eine Videoüberwachung in einem Gericht ein Hindernis sei, durch die die geforderte Prozessöffentlichkeit nicht mehr gewährleistet sei.

3. Einschränkung der Öffentlichkeit der Wahl durch das Fotografierverbot

Die verfassungsrechtlich gebotene und in § 25 LWahlG geregelte Öffentlichkeit der Wahl wird durch das Fotografierverbot im Wahllokal eingeschränkt. Die Öffentlichkeit der Wahlhandlung soll auch die Einhaltung der Wahlgrundsätze der Verfassung schützen, denn Verstöße würden vor den Augen der Öffentlichkeit stattfinden (vgl. LS 1 des Wahlcomputerurteils in BVerfGE 123, 39). So muss es möglich sein Kandidaten im Wahllokal zu fotografieren, egal ob wegen der von diesen dabei getragenen Mode, Wahlwerbensprüche an der Kleidung oder reiner Dokumentation der Wahl inklusive möglicher Wahlfehler, eine Rechenschaftspflicht zu den Beweggründen gibt es nicht. Einschränkungen können nur durch die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Wahl selber gerechtfertigt sein (z. B. darf die geheime Wahl bei der Stimmabgabe nicht gefährdet werden), nicht aber durch außerhalb der Wahlhandlung liegende Gründe. Ein Rechtfertigung eines Fotoverbots im (leeren) Düsseldorfer Wahllokal ist aber nicht erkennbar.

Betroffene Wahllokale

Die Anzahl der bei der Landtagswahl von dieser Problematik betroffenen Wahllokale ist uns nicht bekannt, eine Übersicht über alle Wahllokale in Nordrhein-Westfalen – welche eine Abschätzung erleichtern würde – gibt es nicht. Während in der Stadt Duisburg in Sparkassen keine Wahllokale eingerichtet wurden und die Stadt Bonn aufgrund eines Einspruchs zur Bundestagswahl 2009 und entsprechender Empfehlung der Landeswahlleiterin die betroffenen Wahllokale verlegte, befanden sich in Düsseldorf Wahllokale in fünf Sparkassen.

In Bochum waren sogar – wie schon zu den Wahlen im Vorjahr – rund 20 Wahllokale in Räumen der dortigen Sparkasse eingerichtet. Das Wahlamt der Stadt versicherte uns, dass in den Banken/Sparkassen, in denen gewählt wurde, geeignete Maßnahmen getroffen wurden um die freie und geheime Wahl zu ermöglichen. Die genaue Art und den genauen Umfang der Maßnahmen könne man uns aber nicht mitteilen, „da es um Sicherheitsbereiche geht, die ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential aufweisen“. Auch die jeweiligen Wahlvorstände seien informiert worden.

Die Anzahl betroffener Wahllokale dürfte vermutlich die „mindestens 60“ Wahllokale in Banken und Sparkassen, die die Bundesregierung in der Antwort auf eine kleine Anfrage zu solchen Sparkassen-Wahllokalen bei der Bundestagswahl 2009 einräumt (BT-Drs. 17/1140), allein in NRW deutlich übersteigen.

Die Problematik selber hätte den Wahlbehörden daher bekannt sein müssen. So wurden nicht nur in Bonn (und möglicherweise anderen Städten) Wahllokale verlegt, auch wurden rund um das Wahllokal in der Lindenschule in Castrop-Rauxeler Stadtteil Frohlinde Videokameras im Außenbereich der Schule auf Anweisung der Stadt mit blauen Tüten verhüllt. „Denn wer will sich schon dabei beobachten lassen, wenn er am Wahl-Sonntag zum Urnengang schreitet.“ (Ruhr Nachrichten vom 7. Mai 2010).

Fazit

Überwachungskameras oder kameraähnliche Gebilde, die nicht auf den ersten Blick erkennbar funktionsuntüchtig sind, haben in Wahllokalen nichts verloren. Räume von Kreditinstituten sind daher wenig als Wahllokale geeignet, wenn hier erst umfangreiche Maßnahmen durchgeführt werden müssen, um öffentliche, freie und geheime Wahlen zu gewährleisten. (Allerdings sollte es auch ohne unzumutbaren Aufwand möglich sein, Kameras für die Zeit der Wahlhandlung für den Wähler sichtbar zu verhüllen.) Dass die durchgeführten Maßnahmen immer ausreichend sind, kann – nicht nur für das besuchte Wahllokal – bezweifelt werden, Geheimmaßnahmen sind mit Sicherheit nicht ausreichend. Warum richtet man in „Sicherheitsbereichen, die ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential aufweisen,“ Wahllokale ein? Einschränkungen der Wahlgrundsätze der öffentlichen, freien und geheimen Wahl rechtfertigt dies nicht, schon gar nicht, wenn es Alternativen gibt. So hätte man im Falle des Stimmbezirks 1419 das Wahllokal auch in einer der benachbarten Schulen (oder Kindergärten oder Gemeindezentren) einrichten können.

Eine Bewertung dieser Problematik wurde bisher nicht veröffentlicht. Während sich die Bundesregierung in der Antwort auf die oben genannte Anfrage um eine klare Aussage drückt, wurden die deutlichen Aussagen der Wahlprüfung in Bayern vom Landtag – wie auch in anderen Verfahren – nicht veröffentlicht. Unklar ist auch, was es für Maßnahmen oder Empfehlungen der Landeswahlleiterin in Nordrhein-Westfalen gab, wie oft und warum diese nicht umgesetzt wurden und was es für Anweisungen oder Empfehlungen zum Thema Öffentlichkeit der Wahl und Fotografierverbot gibt.

Beim Fall der Stadt Bonn ist unklar, ob dies nur zu einer Empfehlung an die Stadt Bonn oder an alle Gemeinden in Nordrhein-Westfalen geführt hat. Analog wäre interessant, wie das Thema in anderen bayerischen Gemeinden als Münchberg zur letzten Bundestagswahl gehandhabt wurde.

Um dem Landtag die Gelegenheit zu geben, diesen Sachverhalt zu prüfen, Wahlfehler festzustellen und verbindliche Maßnahmen für die Zukunft zu beschließen, habe ich Einspruch gegen die Gültigkeit der Landtagwahl eingelegt.

Nachtrag vom 20.07.2010

Die Eingangsbestätigung liegt vor. Aktenzeichen 15/5. Der Wahlprüfungsausschuss wird sich voraussichtlich Mitte September mit den Einsprüchen befassen. Dank der in NRW vorgeschriebenen kurzen Frist von drei Monaten ist mit einer Antwort des Landtags spätestens Mitte Oktober zu rechnen.

Einen weiteren Einspruch hat die Piratenpartei NRW eingelegt. Neben der Überwachungskamera im Wahllokal 1419 wird eine falsche Auszählung in ca. 100 konkret benannten Stimmbezirken bemängelt.


von Martin Fehndrich (06.07.2010, letzte Aktualisierung am 20.07.2010)