Estland (Riigikogu) |
[Wahlsysteme im Ausland] |
Der Riigikogu (Reichstag/Staatsversammlung) wird durch Verhältniswahl mit Personenstimmen gewählt. Auch wenn Artikel 60 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung Estlands das Prinzip der Proportionalität vorschreibt, wird dies durch eine Sperrklausel und ein verzerrendes Sitzzuteilungsverfahren eingeschränkt.
Insgesamt werden 101 Sitze verteilt. Das Wahlgebiet ist in zwölf Wahlkreise eingeteilt, auf die die Sitze entsprechend der Wahlberechtigtenzahl nach dem Hare/Niemeyer-Verfahren verteilt werden. Die Wahlkreisgröße liegt im Jahr 2015 zwischen 5 und 14 Mandaten je Wahlkreis. Die Kandidaten kandidieren in einem Wahlkreis auf Wahlkreislisten einer Partei oder als unabhängige Kandidaten – Kandidaturen in mehreren Wahlkreisen sind nicht zulässig. Parteien können zusätzlich eine nationale Reserveliste einreichen.
Die Legislaturperiode beträgt nach dem Gesetz vier Jahre. Fester Wahltermin ist jeweils der erste Sonntag im März.
Aktiv wahlberechtigt sind Esten, die über 18 Jahre alt sind, keine Freiheitsstrafe verbüßen und denen das Wahlrecht nicht per Gerichtsbeschluss aberkannt wurde.
Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die das 21. Lebensjahr zum Ende der Nominierungsfrist, also 45 Tage vor dem Wahltag, vollendet haben.
Jeder Wähler hat eine Stimme, mit der er eine Kandidatin oder einen Kandidaten seines Wahlkreises wählen kann. Die Stimmabgabe erfolgt dabei nicht mittels Ankreuzen, sondern durch Eintrag der Registriernummer der oder des zu Wählenden auf dem Stimmzettel.
Am Wahltag sind die Wahllokale zwischen 9 und 20 Uhr Ortszeit (8–19 Uhr MEZ) geöffnet. Zwischen dem zehnten und dem vierten Tag vor der Wahl ist eine vorgezogene Stimmabgabe möglich, die nicht im örtlich zuständigen Wahlbezirk erfolgen muss. Briefwahl ist nur für im Ausland lebende Staatsbürger möglich. In ihrer Mobilität eingeschränkte Personen haben auf Antrag die Möglichkeit, am Wahltag zu Hause zu wählen.
In Estland können Wahlberechtigte in den Zeiten der vorgezogenen Stimmabgabe ihre Stimme über das Internet abgeben. Das genaue Verfahren wird hier beschrieben: www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/
Parteilisten können nur Sitze erhalten, wenn die Kandidaten einer Partei zusammen mindestens 5 % der landesweit abgegebenen Stimmen erhalten haben.
Auf die Parteien werden die Sitze nach einem Divisorverfahren d’Hondt hoch 0,9 zugeteilt (vgl. Estnische Methode). Damit ist diese Zuteilung für große Parteien noch günstiger als schon das Divisorvefahren mit Abrunden (d’Hondt). Wenn eine Partei mit 5 % gerade den fünften Sitz gewinnt, erhält eine Partei für 40 % der Stimmen 50 Sitze.
Die Divisorreihe ist 1 – 20,9 – 30,9 – 40,9…, der n-te Divisor ist also n hoch 0,9.
Das Berechnungsverfahren – angewandt auf eine Sitzverteilung selbst – ergibt dabei nicht unbedingt mehr diese Sitzverteilung, so wird zum Beispiel eine Verteilung von 18:7 als 19:6 abgebildet. Es ist damit (wie auch Imperiali) kein Proportionalverfahren.
Mathematisch äquivalent ist folgende Beschreibung: Die Stimmen einer Partei werden hoch Zehn-Neuntel genommen und das Ergebnis ist die Basis einer Verteilung nach d’Hondt.
Die Sitze werden in einem dreistufigen Verfahren verteilt, wobei die jeweils zugeteilten Sitze höherer Stufen angerechnet werden.
Zuerst erhalten die Kandidaten, die mindestens so viele Stimmen wie eine Wahlkreisquota (Stimmen der Partei im Wahlkreis durch Stimmen im Wahlkreis insgesamt mal Sitzanzahl des Wahlkreises) erhalten haben, einen Sitz. (Das betrifft Unabhängige und Parteikandidaten einer Partei über oder unter 5 %.)
Die Wahlkreislisten von Parteien, die über der Sperrklausel liegen (5 % für die Partei insgesamt) erhalten für eine Wahlkreisquota einen Sitz. Ein Rest von 0,75 Wahlkreisquota wird auf einen Sitz aufgerundet. Die im ersten Schritt zugeteilten Sitze werden angerechnet. Die Sitze gehen an die Parteikandidaten mit den meisten Stimmen, die mehr als 10 % der Wahlkreisquota erhalten haben.
Die restlichen Sitze werden unter Anrechnung der schon zugeteilten Sitze nach dem Divisorverfahren d’Hondt hoch 0,9 an die nationalen Listen der Parteien zugeteilt, sofern diese die Fünf-Prozent-Hürde überwunden haben.
Die Sitze gehen in Listenreihenfolge an die Kandidaten der nationalen Liste, die nicht schon im Wahlkreis gewählt wurden, und die mehr als 5 % ihrer Wahlkreisquota erhalten haben. Sollten dadurch nicht alle Sitze einer Partei zugeteilt werden können, erhalten Kandidaten unter 5 % der Wahlkreisquota Sitze in Reihenfolge des Anteils an ihrer Wahlkreisquota.
Sollte eine Partei in den ersten Zuteilungsschritten mehr Sitze in den Wahlkreisen erhalten, als ihr nach dem Divisorverfahren Estnische Methode zustünde, darf sie diese Sitze behalten. Die anderen Parteien erhalten (wie auch bei erfolgreichen unabhängigen Kandidaten) entsprechend weniger Sitze. Durch die schrittweise Formulierung, gibt es hierzu keine spezielle Regelungen im Wahlgesetz. Allerdings können in einem Wahlkreis durch zu viele Aufrundungen ab 0,75 mehr Sitze zugeteilt werden, als für den Wahlkreis ursprünglich vorgesehen waren. Theoretisch ist damit sogar ein Überschreiten der Gesamtsitzzahl von 101 denkbar.